Freitag, 31. Dezember 2021

Die Abendsichtbarkeit

Auch die Venus hat sich kontinuierlich vom Abendhimmel zurückgezogen im Laufe der letzten Wochen. Sie ging jeden Tag etwas früher unter, und ihre Helligkeikt nahm entsprechend ab. Heute ist sie und die anderen, die nun mit ihrer, wie es heißt "bescheidenen" Abendsichtbarkeit kommen, Saturn, Jupiter und Merkur, gar nicht zu sehen. Wolken. Sturm. Regen. Ich sitze dank Corona (Inzidenz über 500, Tendenz weiterhin rapide steigend) mit Herrn Caruso auf dem Sofa und lese ein altes Buch, das vierte in Folge seit gestern. Entfleuche viermal durch die ganze abendländische Welt gen Morgen. Mit "Seide" von Alessandro Baricco.

Donnerstag, 30. Dezember 2021

Erzengel Uriel

Heute ist noch mehr Regen vom Himmel über Dithmarrschen gefallen und zum Ausgleich steigt die Inzidenz kontinuierlich an. Derzeit auf einen Stand von 414. Ich wende mich der Basis zu, dem Wurzelchakra: Urvertrauen. Lebenskraft. Stabilität. Erdung. Und die Farbe Rot. Hat mit den "festen" Bestandteilen des Körpers zu tun, wie Knochen (Wirbelsäule), Zähne und Nägel. Beim Meditieren hocke ich auf einem "Pokissen" aus der Wolle (Wollflor auf Baumwollgrund) der Süderooger Coburger Fuchsschafe. Ich habe zwei bestellt, eines für mich und eines für Herrn Caruso. Er liebt es genauso wie ich, kann sich im Gegensatz zu mir ganz darauf zusammenrollen. 

Und der Erzengel Uriel soll weise sein und praktisch. Er ist der Hüter des 6. Energiestrahls, des roten Lichts, das wiederum Frieden und Aufrichtigkeit bringt. Uriel ist der Patron der Schriftsteller. Er bringt uns Rettung und Inspiration! Vorausgesetzt, wir glauben an ihn. Birgit Vanderbeke ist an Heilig Abend "überraschend" gestorben, wie die Medien melden. Sie war eine gute Freundin der "Panter", der Meldorfer Buchhändler, und hier mit jedem neuen Buch zu Gast.

Mittwoch, 29. Dezember 2021

Erzengel Jophiel

Aber die energetische Mitte liegt im Sonnengeflecht, im Solarplexus. Hier sitzt unsere Persönlichkeit. Und von hier aus wird das vegetative Nervensystem, unser inneres Gleichgewicht gesteuert. Hier ziehen Milz, Leber, Magen und Galle ihre Energie. Hier sitzt tatsächlich alles, was wir haben und was wir sind. Und Jophiel ist der Erzengel der Gegenwart, manche sagen, er sei der Feng Shui Engel (was natürlich überhaupt nicht geht), aber er schafft eine angenehme Atmosphäre in Haus und Hof und bringt als Leiter der Cherubim Wohlklang in unser Leben! Jophiel ist Hüter des 2. Energiestrahls, des goldgelben Lichts. Ein warmer Bernsteinstrahl, der Frieden, Erleuchtung und Weisheit bringt. Aber: Jophiel hat Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben. So hat alles seine zwei Seiten. Heute ist viel Regen gefallen.

Dienstag, 28. Dezember 2021

Erzengel Raphael

Regen. Ende des Winters. Der Zwergschneemann schmilzt. Seine lange Rübennase hat am Nachmittag der hungrige Feldhase geholt. Die Nachbarsbuben haben ihn hinter mein blaues Gartentor gesetzt als Dank dafür, dass sie den gesamten Schnee von meinem Bürgersteig und meiner Auffahrt wegräumen und in ihrem Vorgarten zu einem Riesenschneemann auftürmen durften. Nun also tritt das Grün wieder hervor. Raphael, Hüter des 5. Energiestrahls, leuchtet mit seinem intensiven allumfassenden Smaragd. Er ist der Engel der Hoffnung, der Heilung (auch von Haus- und Gartentieren!), des Unterwegsseins. Wie das Herzchakra, das den Blutkreislauf antreibt und die Abwehrkräfte stärkt. Das Herz steht in der Mitte. An vierter Stelle. Es gibt drei Chakren darunter, und drei darüber.

Montag, 27. Dezember 2021

Erzengel Chamuel

Schon auf dem Trampolin und beim Einsingen (immer noch auf dem Trampolin) schoß Wärme in die Lenden. Dort wo der Schmerz hockt, seit ich kürzlich mit Schubkarre und Schneeschaufel hantierte. Im Sakralchakra, im Kreuz-Zentrum oder Polaritätschakra. Im 2. Chakra. Mit der Farbe Orange. Wärme bedeutet immer Energie, positive Energie, fließende Energie. Welcher Laufbursche der Ewigkeit hier und heute mitmischt, ist mir aber völlig unklar. Zadkiel (gehört mE als Wächter des violetten Lichts eher nach oben, in die Stirn oder den Scheitel)? Chamuel (Hüter des 3. Energiestrahls, soll mit seinem rosa Licht Seelenverwandte zusammenführen und die Künste fördern)? Uriel (lux vel ignis dei - Feuer Gottes)? 

Vielleicht bringt die Raunachtmeditation am Abend Licht ins Dunkel. Jetzt erstmal Stillehalten (Regen kommt und bringt Blitzeis). Schreibtisch.

Sonntag, 26. Dezember 2021

Erzengel Michael

Er war Jahrelang mein direkter Nachbar in Berlin. Und jetzt erblickt ihn mein drittes Auge des Nachts am Horizont über dem Wattenmeer. Die Beflügelten (Spirituellen, Esoteriker, TCM-Verfechter) sind keine strikten Wissenschaftler. Ihre Zuordnungen richten sich genauso nach Gutdünken wie meine, vielleicht sind ihre Vorlieben mit mehr routinierter Vermeintlichkeit gespickt als meine. Und was heißt das nun? Die einen sagen so, die andern anders und ich spreche für mich: Michael hatte seinen Platz an meiner ostberliner Meldeadresse und gehört zum indigoblauen Stirnchakra. 

Das Stirnchakra ist das vorletzte in der Chakrenlehre. Sie vergibt wie die Mathematik Nummern, von 1 bis 7, logisch aufsteigend von unten nach oben, von der Wurzel (zwischen Anus und Genitalien) bis zur Krone (über dem Scheitel, am höchsten Punkt des Kopfes, dort wo Marionetten aufgehängt sind).

Michael ist der Hüter des 1. Energiestrahls und zielt mit dem Indigo zwischen meine Augenbrauen. Ich folge keinem Lehrbuch, nur der Intuition. Nach der gestrigen Klarheit mit einem hellen Mittagshimmelblau, dem Äther, Bergkristall und der Wahrhaftigkeit heute also das undurchsichtige dunkle Nachthimmelblau, Unfassbares, Geheimnisvolles, Über- und Außersinnliches, Lapislazuli. Nach Gabriel, meinem Lieblingserzengel gestern ist heute Michael mein ständiger Begleiter:

Samstag, 25. Dezember 2021

Erzengel Gabriel

Ich befinde mich schon einige Zeit außerhalb der Zeit, aber gerade in den letzten Tagen fällt es besonders auf. So war ich versucht, die kürzeste Nacht um einen Tag nach vorne zu verschieben und zum Ausgleich den Beginn der Raunächte nach hinten, also von heute auf morgen. Dadurch kommt nun ungeplant etwas Hektik auf, wo doch eigentlich Ruhe angesagt ist. 

Gabriel ist der einzige der sieben Erzengel (und wahrscheinlich der ganzen maskulinen himmlischen Heerscharen), der ab und an auch als weibliches überirdisches Wesen dargestellt wird. Als Verkünderin der Geburt Jesu - was an und für sich eine narzistische Kränkung für die halbe Menschheit bedeute, lese ich im Buch eines Mannes, weshalb eben diese Hälfte ihren erbitterten Kampf gegen solchen Irrglauben wie Engelsanbetung führe. Wie auch immer: Gabriel ist ja nur einer von den sieben Laufburschen Gottes. Und ich begreife erst jetzt, dass jedem dieser Sieben eine Farbe zugewiesen wird (natürlich nicht von der Kirche, sondern von spirituell Beflügelten), und dass ohne Farbe, genauer: ohne das komplette Spektrum des Lichts unser menschliches Sein nicht funktionieren würde. Jeder Erzengel steht mit seinem bunten Laserstrahl am Firmament - und in Relation mit den Energiezentren unserer menschlichen Körper, mit den sieben Chakren. Gabriel ist Hüter(in) des 4. Energiestrahls, lenkt das kristallweiße Licht und steht für Kommunikation, das Halschakra. Ab heute stehen für 12 Nächte alle Himmelstore offen. Wer den Durchgang nicht findet, bittet bitte den Oberboten Gabriel um Hilfe.

Freitag, 24. Dezember 2021

Die Eisige Nacht

Die Schneemänner haben dank ihrer Kopfbedeckung (leere Pflanzkübel) den erneuten Temperaturanstieg, den erneuten Regen, den erneuten Frühlingstag überlebt. Jetzt nähern wir uns der Mitte der Nacht, und es ist so eisig draußen, dass es auch Herrn Caruso in seinem schwarzen Pelz zu ungemütlich ist. Er verschwindet zwar, nachdem er sein Festmahl freudig verschlungen hat, kurz aus der Tür, die ich ihm freundlicherweise öffne, um die Ecke. Und während ich mich noch frage, wo er denn nun sein Geschäft erledigt und verscharrt, kommt er bereits wieder angetrabt und schüttelt sich.  

Donnerstag, 23. Dezember 2021

Weihnachtsmänner

Heller wird es tatsächlich erst in ein paar Tagen. Und auch dann kaum sichtbar. Auf den Temperatursturz der letzten Nacht folgt nun ein rapider Temperaturanstieg. Und nach der knackigen Trockenheit fällt am Nachmittag ein bisschen Schnee. Die drei Nachbarsbuben räumen aufgeregt meinen Bürgersteig und meine Auffahrt, raffen mit dem zu Weihnachten bereits angereisten Opa alles Weiß zusammen, sogar von der Straße schieben sie es heran, damit es für zwei Weihnachtsschneemänner reicht: einen kleinen für mich, einen großen für sie. Und dann wird es auch schon Nacht und wieder wärmer. 

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Dauerfrost

So etwas wie landschaftlicher Vorweihnachtszauber. Eine dünne Raureiffschicht überzieht den ganzen Tag alles, was nicht dem kurzen Lauf der Sonne über Mittag ausgesetzt ist. Morgenrot am späten Vormittag und Abendrot am frühen Nachmittag.

Dienstag, 21. Dezember 2021

Thomasnacht

Noch mehr Frost. Eine prickelnde Zeit! 21 12 21 - Dem kürzesten Tag folgt die längste Nacht - und nicht umgekehrt. Dieser Tag ist nun bereits um, ich habe noch einmal viel Vorwendesonne getankt, eine lange Fahrradtour (Dienstfahrt!) durch die Feldmark hinter mir. Die Nacht kann nun kommen. Die Thomasnacht, eine der Raunächte, die erste, die Vorläufernacht, die vorab als emotionaler Müllschlucker, als symbolischer Laubsauger für alle negativen Energien dient. Was weg kann, muss nun endgültig weg. Ich setze mich in der einbrechenden Dunkelheit hin und schreibe mit Bleistift auf kleine Zettel alles auf, was mir im Wege steht zur letzten Erleuchtung. Was mich bekümmert, ängstigt, sorgt, was mir weh tut oder mich wütend macht, meine gesammelte Entrüstung über den Lauf der Dinge, alle meine kleinlichen und boshaften oder bösartigen Gedanken. 

Vor Mitternacht werde ich eine windgeschützten Ecke im Garten suchen und den ganzen Schmarren ("alle Aspekte des Unfriedens") verbrennen, dh die geistige Welt um Hilfe bitten, damit aus dieser Asche ein oder mehrere Phönixe aufsteigen.

Der kürzeste Tag des Jahres ist gleichzeitig der Winteranfang: Am Dienstag, 21. Dezember 2021, um 16.58 Uhr ist Wintersonnenwende und damit die längste Nacht und der kürzeste Tag des Jahres. An diesem Tag erreicht die Sonne auf der Nordhalbkugel die geringste Mittagshöhe über dem Horizont im gesamten Jahresverlauf. – Quelle: https://www.svz.de/26395552 ©2021
Der kürzeste Tag des Jahres ist gleichzeitig der Winteranfang: Am Dienstag, 21. Dezember 2021, um 16.58 Uhr ist Wintersonnenwende und damit die längste Nacht und der kürzeste Tag des Jahres. An diesem Tag erreicht die Sonne auf der Nordhalbkugel die geringste Mittagshöhe über dem Horizont im gesamten Jahresverlauf. – Quelle: https://www.svz.de/26395552 ©2021
Der kürzeste Tag des Jahres ist gleichzeitig der Winteranfang: Am Dienstag, 21. Dezember 2021, um 16.58 Uhr ist Wintersonnenwende und damit die längste Nacht und der kürzeste Tag des Jahres. An diesem Tag erreicht die Sonne auf der Nordhalbkugel die geringste Mittagshöhe über dem Horizont im gesamten Jahresverlauf. – Quelle: https://www.svz.de/26395552 ©20

Montag, 20. Dezember 2021

Frost

Ein frostiger Morgen folgt auf eine helle Nacht. Seit der Sternschnuppenschauer vorbei ist, haben wir einen klaren Himmel. Soviel Licht war schon lange nicht mehr.

Sonntag, 19. Dezember 2021

Vollmond

Der Mond ist voll. Am vierten Advent. Ich wache auf mit Kreuzschmerzen. Die passten eigentlich eher zu Ostern. Aber ich schuftete gestern mit meiner Schubkarre. Am letzten windstillen frostfreien Tag. Verteilte ich frische Muttererde rund um meine Edelkastanie. Um dem Baum etwas Gutes zu tun und Unebenheiten im Gelände auszugleichen, Löcher aufzufüllen an den Stellen wo früher (wann war das denn?) die Füße einer Kinderschaukel im Boden verankert waren. Das hab ich nun davon. Kreuzschmerzen! Heute dreht der Wind aus Nordwest auf. Zuerst Sturm und dann Frost.

Samstag, 18. Dezember 2021

Kathrine

Adressat unbekannt. Das ist der Titel eines Romans. Des kürzesten Romans, den ich je gelesen. Eines Briefromans. 19 Briefe (darunter 1 Cablegram) + 1 Umschlag mit Adresse und dem Vermerk der Post "Adressat unbekannt". Reicht aus, um den Abgrund einzufangen. Erschienen 1938 in english in Amerika. In Deutschland sofort verboten. Mit gutem Grund. Es hätten sich einige vielleicht ein Beispiel genommen am jüdischen Briefschreiber. Und das mit Recht und gutem Grund. Die Autorin hat sogar ihren Vornamen - Kathrine - weggelassen. Kressmann Taylor steht auf dem Buch. Ein seltsamer Name. Damit das Buch überhaupt etwas hergibt für die Leser hat der deutsche Verlag es mit einem Vorwort von Elke Heidenreich bestückt. Nun ja. Und ein Nachwort der amerikanischen Verlegerin hinangestellt. Auch so ist man in einer Stunde durch. Und durch. Durchgeschüttelt. 

Freitag, 17. Dezember 2021

Der Bambushocker

Ich habe mir einen Bambushocker zu Weihnachten geschenkt. Er kam heute schon an und ich musste ihn auspacken, weil das Paket sonst in seiner beeindruckenden Sperrigkeit mir überall nur im Weg gestanden hätte. Bis zum Tag der Bescherung. Die Zeit des Selbstschenkens angebrochen. Kürzlich hat mir jemand erzählt, ein Mann, er habe sich gerade sein Weihnachtsgeschenk bei der Bank geholt. Auch rechtzeitig aber weit bescheidener. Denn: er zog es aus seiner Hosentasche! Ein Goldbarren ("swiss made", brrrr)! Glänzend aber unberührbar. In Plastik eingeschweißt. Mein Hocker dagegen ist Natur pur. Zum Anfassen und Draufhocken. Christkind hin oder her.

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Der Auszug

Auf der Bürgerweide treffe ich alte Bekannte, die ich kaum wiedererkenne. Ich auf dem Fahrrad, Nebel und Niesel rundum. Die beiden zu Fuß. Warm eingepackt. Er zieht das eine Bein etwas nach. Das letzten Mal hatte ich sie an einem heißen Augusttag im Schrebergarten gesehen. Schwitzend mit Spaten und Harke. Sie wollten eine Streuobstwiese anlegen. 

Nicht nur die Haare, nicht nur das eine Bein, nicht nur die Winterjacken machen es aus, dass ich derzeit Menschen im allgemeinen auf der Straße kaum wieder erkenne. 

Die wollten weg, also zogen sie weg. In die Stadt! Wo mehr los ist. Plötzlich von jetzt auf gleich, noch vor dem Sommer im letzten Jahr. Verkauften das Haus, gaben den Garten und alle Pläne auf, den Vorsitz und den Ehrenvorsitz und ich weiß nicht, was noch. Das Engagement, das Trommeln, den Lieferdienst. Sogar in der Zeitung war es zu lesen. 

Und heute spazieren sie über die Bürgerweide, etwas wehmütig, wieder einmal die alten Wege gehen. Das mit der Stadt sei tüchtig in die Hosen gegangen. Ich frage nicht nach. Sie würden nun in Büsum zur Miete wohnen. Und nach Meldorf zum Einkaufen kommen. Ich schweige. Etwas abseits von den Trampelpfaden sei es am Wasser sogar schön. Im Winter sowieso. Im Hafen immer etwas los. Krabbenkutter und so. Ich muss, sage ich. Die Sonne geht gleich unter. Und reibe mir ungläubig mit der freien Hand das eine Auge. War das nun ein Traum oder nicht?

Dienstag, 14. Dezember 2021

Feuerkugeln

Sie sind alle im strömenden Regen ertrunken. Die dem Sternbild Zwillinge entströmenden Geminiden gehen im strömenden Regen über dem Wattenmeer unter.

Auch Herr Caruso kam tropfnass zum Frühstück nach Hause. Am Mittag stiehlt er sich - es genügt ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, einmal umdrehen, zwei Schritte tun und die Tür nicht zuziehen - wieder einmal durch die offene Küchentür und ist mit einem Satz auf den Herd. Steckt sein neugieriges Näschen in den Milchtopf. Und schlürft. Natürlich weiß er immer, wo es etwas für ihn gibt. Der Herd interessiert ihn überhaupt nicht, wenn kein offener Topf draufsteht. Und er kann auch ganz genau abschätzen, wieviel Zeit ihm bleibt, bis ich das Versehen bemerke. Dann ist er, hopps! auch schon durch die Klappe im Garten in Sicherheit. Und leckt sich den Bart. Auch eine Feuerkugel. Eine schwarze Bolide.

Montag, 13. Dezember 2021

13. Dezember

Manche Daten haben es in sich. Andere gar nicht. Vor 40 Jahren verhängte der General mit der getönten Brille das Kriegsrecht in Polen. Es war ein Sonntag und bitterkalt. 

Offiziell wurde das Kriegsrecht am Nationalfeiertag der Volksrepublik Polen, am 22. Juli 1983 aufgehoben. Alle Quellen und alle Zeitzeugen verbinden bis heute das Adjektiv "offiziell" mit dem Ende des Kriegsrecht. Es gibt ein offizielles Ende, das aber keines war. Der Kriegszustand dauerte munter weiter an. Ich studierte vom WiSE 1983/84 vier Semester an der Uni Warschau. Also bis SoSe 1985. Und ich kann mich nicht erinnern, dass sich an der Versorgungs- und Überwachungslage irgendetwas erheblich verändert/verbessert hätte. Ich bekam vom Anfang bis zum Ende meines Studienaufenthaltes mein monatliches Stipendium und die Lebensmittelmarken ausgehändigt. zugeteilt. Das war vollkommen normal. Im Nachhinein hat sich niemand aus meinem Bekannten- und Freundskreis darüber beklagt, meinetwegen bespitzelt worden zu sein. Ich war eine naive Schweizerin und habe natürlich manches erst im Nachhinein richtig verstanden, worüber immer der warme Mantel des Schweigens ausgebreitet war.

Sonntag, 12. Dezember 2021

Blitzbesuch

3. Advent und Leonard ist schon wieder weg. Er hat gerade die Erde ein letztes Mal geküsst, denn so nahe (34 Mio Km) kommt er ihr nie wieder. Er geht nun unter im Sternschnuppenschwarm der Geminiden, gehört aber nicht zu ihnen. Kein helles Himmelsereignis, sondern ein Blitzbesuch. Der erst Anfang des Jahres entdeckte Komet mit dem vollen Namen "C/2021 A1 Leonard" (wie üblich benannt nach dem Entdecker: Gregory J. Leonard vom Mount-Lemmon-Observatorium Arizona) verabschiedet sich für immer aus unserem Sonnensystem. Er ist viel zu alt für ein Techtelmechtel und zieht es vor, in die Weiten des Weltalls (nicht zu verwechseln mit unserem bescheidenen www) zurückzukehren. Irgendwie beneidenswert!

Samstag, 11. Dezember 2021

Mira

Nun hab ich alle "Studer" intus, Glausers Kriminalromane. Diverse Dialektausdrücke haben mich nächtelang nicht in Ruhe gelassen. Von wegen "anständiges Deutsch". Es ist dem heutigen Leser, der heutigen Leserin nur schwer erklärbar, warum ein Berner Wachtmeister (Studer eben) mit seinen Verdächtigten und Nichtverdächtigten, sogar mit seiner Gattin immer wieder "in schönstem Hochdeutsch" zu sprechen anhebt. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen? Oder sich Respekt zu verschaffen? Das Gewicht seines Amtes zu betonen? Mira ...Genau dieses mira hat es mir angetan. Ich kenne es natürlich und verstehe es auch richtig (nein, es ist kein weiblicher Vorname und hat nichts mit russisch мир = Frieden zu tun!). Trotzdem irritiert es mich im Kontext mit Mord und Totschlag. Ich schlage im Idiotikon nach:

Mira = meinetwegen, ein gleichgültiges Nachgeben, oft mit Ungeduld und Unwillen unterfüttert. Kann nur in der 1. Person "stattfinden" (sagt das Idiotikon) in der Modifikation "was mich betrifft, so viel an mir oder meinem Willen liegt". Mira chann er gā - das sagt Studer, wenn er einen Lump nicht in Handschellen abführt, sondern laufen lässt. 

"Krock & Co.", der letzte Studerkrimi, spielt in der Ostschweiz, weil Studers Tochter einen Thurgauer Polizisten geehelicht hat und die Hochzeitsgesellschaft gerade zum Abendessen im Saal eines Hotels im Ausserrhodischen sitzt, als ein Knecht verkündet, im Garten liege ein Toter. Hier brummt Studer erstaunlich oft sein mira - und das Idiotikon weiß zu berichten: "Die Thurgauer machen das Wortspiel, dass wenn A sagt: mira! B antwortet: mira ō  [=auch], denn git's e Tobel  [=Kluft]."  Die Thurgauer deuten nämlich das ungeduldige mira um in mī Rā, womit sie meinen: mein Rain, mein Abhang, my home, my castle. Der Nachsatz, das Tobel, die Kluft trennt diesen Rain klar - wovon auch immer. Vom Rain des Nachbarn oder dem bösen Geschwätz im Dorf. Meins ist meins und Deins ist deins.

Damit, mit dem Wörtchen mira aus dem Mund des Berner Fahnders in Anwesenheit seines Thurgauer Schwiegersohns am Tatort im Appenzell Ausserrhoden und mit einem Toten aus dem Sankt Gallischen hat der Morphinist Glauser sprachlich (anständig!) ein Meisterstück der interkantonalen Interferenzen zur Vorkriegszeit in Helvetien geschaffen. Chapeau!

Freitag, 10. Dezember 2021

Freitag, der Zehnte

Ich bin immer noch auf der Suche nach den griechischen Buchstaben in der Pandemie. Omikron ist das kleine und kurze o zum langen großen O wie Omega. Omega kennen wir aus der Offenbarung: "Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende" (Off. 22,13) - interessant, dass wir Menschen in unsere Gesellschaftsordnung nur das Alphatier übernommen haben, wo doch im Tierreich auch das Omegatier seinen berechtigten Rang einnimmt.

Ich suche E (nicht das Ende sondern E kurz wie Epsilon und E lang wie Eta), I/J (Iota/Jota), Zeta, Theta, Lambda, Mu, Nu, Xi ...

Bei der WHO werde ich fündig. Das Virus mutiert in Varianten und die Wissenschaft stellt die Varianten in eine Rangordnung wie die Evolution die Tiere: VOC (Variant of Concern), VOI (Variant of Interest), VUM (Variant of Monitoring). 

Die VOC's sind die, die uns derzeit plagen: Alpha, Beta, Gamma, Delta, Omikron. 

Die VOI's schaffen es nicht in die Weltpresse, da sie keinen Schaden anrichten: Lambda, Mu.

Die VUM's sind die Degradierten, Umgepolten, Umgewidmeten. Ich zitiere: "Former VOIs: Epsilon: B.1.427/B.1.429 ; Zeta: P.2; Theta: P.3". 

Alles klar? Nu fehlt aus onomatopoetischen Gründen, Xi wg political correctness.

n-tv wartet heute mit seinem Freitags-Cartoon auf und spricht mir aus der Seele: was, wenn das Virus fröhlich weitermutiert und der WHO die (griechischen) Buchstaben ausgehen?

Donnerstag, 9. Dezember 2021

Assunta

Die in den Himmel Aufgenommene. Meist verwendet als Beiname für Maria, deren Empfängnis die katholische Kirche erst gestern feierte. Santa Maria Assunta. Nun aber Lina. Lina Wertmüller. Für mich war sie eine Schweizerin und ist heute, mit 93 Jahren in den Himmel aufgenommen worden. Hoffentlich nicht ohne ihre weiße Brille! Ihr Vater entstammte dem Schweizerischen Adel, lese ich, aber das ist natürlich Humbug. Die Wertmüllers oder Werdmüllers waren und sind (einfluß)reiche Zürcher Bürger. Generalmajor Hans Felix Werdmüller erwarb 1712 Schloss und Herrschaft Elgg und vermachte es seiner Familie als "Fideikommis", als unveräußerliches Familiengut. Deshalb besitzen sie es immer noch und betteln für dessen Unterhalt.

Warum Lina als Lina bekannt wurde, weiß ich nicht. Aber der helvetisierte Vorname mag ein Grund dafür sein, dass sie für mich eine Schweizerin ist. Geboren und getauft wurde sie in Rom als Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Spañol von Braueich. Und so wird sie nun in den Himmel aufgenommen, als Erste und Glückliche Erzengelin. Sie wird aufräumen unter all den Erzengeln. Good luck!

Mittwoch, 8. Dezember 2021

hirnrissig

Die Hirnigkeit, lese ich bei den Medizinern, sei verantwortlich für die Händigkeit des Menschen. Dafür, dass es Rechtshänder und Linkshänder gibt, wobei erstere unumstritten häufiger vorkommen. Andere sagen, die Händigkeit würde vererbt, die Genetik steuere die Präferenz. Denn schon 8 Wochen alte Embryos würden ihre Arme assymetrisch bewegen, also den einen oder anderen Arm bevorzugen. Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung sei das Rückenmark noch nicht funktionell mit dem Gehirn verbunden, also könne das Gehirn noch gar keine Befehle aussenden. Logisch, nicht? Rätselhaft bleibt aber immer noch, warum eineiige Zwillinge verschiedene Händigkeit haben können und warum linkshändige Paare rechtshändige Kinder bekommen. 

Warum aber bevorzugen wir überhaupt die eine oder die andere Hand? Warum sind wir nicht "mit links" genauso geschickt wie "mit rechts"?

Weil das menschliche Gehirn ein "sehr energiehungriges Organ" ist. Weil dieses Organ auch in Zeiten des Überflusses Energie spart. Feinmotorische Aufgaben nur über eine Gehirnhälfte abzuwickeln, ist viel effizienter, als sämtliche Funktionen auf beiden Seiten zu garantieren. Überzeugend, nicht?

Dienstag, 7. Dezember 2021

Fünf nach ...

... zwölf. Das ist kein Wort, sondern eine Wortgruppe. Hat die Gesellschaft für deutsche Sprache festgestellt. Diese Gruppe, bestehend aus drei Wörtern, mit Betonung auf dem mittleren, schaffte es immerhin auf Platz 10 der kürzlich von og Gesellschaft auserwählten Wörter des Jahres 2021. Und in der Erklärung dazu lese ich, dass sich tatsächlich alternativ dazu im Volksmund bereits die Gruppen "zehn nach zwölf" oder "viertel vor eins" formieren. Der Aufstand der Wörter gegen den Lauf der Dinge.

Montag, 6. Dezember 2021

Stiefelzeit

Nun kommt die Zeit des Wünschens. Nikolaus und Geminiden. Ab heute fallen Sternschnuppen. Ganze Ströme von Sternschnuppen. Sternschnuppenschauer! Ihr Radiant liege bei Kastor, sagen die Sterngucker, und die Wunschzeit dauere zehn Tage! Mittelschnelle Meteoriten (= 35 km pro Sekunde oder 126.000 km/h) seien am besten zwischen 21 Uhr und 6 Uhr am Nachthimmel zu beobachten, pro Stunde bis zu 150 Stück, die meisten allerdings erst in der Nacht vom 13. auf den 14.12., darunter auch sehr helle Objekte, sogenannte Boliden oder Feuerkugeln. Also raus in den Schneeregen! Verpennt nicht die letzte Gelegenheit dieses Jahres auf Segen von oben.

Sonntag, 5. Dezember 2021

blankziehen

Zweiter Advent. Zeit für's Säbelrasseln. Ich bin geschlechternichtneutral aufgewachsen. Oder anders gesagt: nicht geschlechterneutral. Das betraf nicht in erster Linie Farben wie rosarot und himmelblau, sondern in der Hauptsache die Weihnachtsgeschenke. Ich weiß nicht mehr, was meine Brüder von ihren Patenonkeln geschenkt bekamen, ob diese Geschenke auch auf Jahre, Jahrzehnte vorhersehbar waren. Ich jedenfalls wusste bis zu meiner Volljährigkeit - danach hörte die Schenk- und Fürsorgepflicht auf -, was ich von meiner Patentante zu erwarten hatte. Unnütz, langweilig, alle Jahre wieder eine Enttäuschung in Form eines Silbersuppenlöffels oder einer Silberkuchengabel. Dazu kam, dass ich die Teile, wenn ich sie denn überhaupt auspacken und mit leuchtenden Augen bestaunen wollte, sofort wieder Seidenpapierumschlungen in die Originalverpackung versenken musste. Um sie zu schützen vor oxidationsfördernden Stoffen. Wie zum Beispiel Luft. 

Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Brüder in ihrer Kindheit mit Teilen ihrer Aussteuer bedacht wurden. Buben waren frei von jedweden irren Zukunftszwängen. Sie durften unter dem Weihnachtsbaum mit Soldaten, Säbeln oder Schienenfahrzeugen herumfuhrwerken, während meine Schwester und ich vierhändig Klavier spielten.

Nun denn. Als vor einem Jahr meine neue Küche eingebaut wurde, machte ich tabula rasa. Verschenkte oder entsorgte alles, was ich nicht mehr brauchte. Guckte in alle Ecken. Räumte auf. Das Silberbesteck kam zum Vorschein. 6 x 6 Teile, jedes einzeln in Seidenpapier eingewickelt, und trotzdem alle schwarz angelaufen. Ich besorgte ein Silberputzmittel, zog Gummihandschuhe über und machte mich an die Arbeit, ekelte mich vor dem Gestank und der Brühe, die durch mein neues Spülbecken abfloss. Aber seither esse ich mit den Weihnachtsgeschenken aus der Kindheit und stecke Löffel und Gabeln nach Gebrauch in den Besteckkorb der Spülmaschine. Für Messer bietet sie ein eigenes Bett an über den Kaffeetassen. Dort oben werden sie im Liegen, wie Zauberbergpatienten, koscher, ohne Kontakt zu anderen verschmutzten Teilen sauber. Heute, am zweiten Advent, beim Sonntagsfrühstück, ist mir die Klinge eines Frühstücksmessers abgebrochen. Ungefähr anderthalb Zentimeter vor dem Griff. Direkt hinter dem markanten Siegel einer heute noch existierenden, damals börsennotierten Metallwarenfabrik. Ich bin zu Tode erschrocken, wollte ich doch bloß eine Scheibe Joldelunder (wohlgemerkt: mit dem Brotmesser vom Laib geschnitten) mit nicht kühlschrankkalter Butter bestreichen. Die Garantie ist natürlich längst abgelaufen - falls es je eine gab. Und ich bin selber schuld, dass ich das Besteck ein halbes Jahrhundert lang durch die Welt schleppte, ohne es auszupacken. Trotzdem ist meine Empörung über diese Demonstration von Materialermüdung enorm. Und: die Wut über 18 Jahre gestohlener Weihnachtsfreude wächst gerade ins Unermessliche.

Samstag, 4. Dezember 2021

Neumondphase

Die Neumondphase beginnt jetzt. Der Neumond marschiert mit Riesenschritten auf die Erde zu. Gleichzeitig schiebt er sich vor die Sonne und verfinstert sie. Entgegen aller Prognosen ist es am Wattenmeer still. Die Flut läuft auf, aber nicht sensationell hoch. Der Wind hat sich in der Nacht zur Ruhe gelegt. Auch der Frost ist gegangen. Gekommen ist warmer Nieselregen. Der Mond soll in etwa zwei Stunden den kürzesten Abstand zur Erde erreichen, so nah war er uns in diesem Jahr noch nie. Auch er hielt sich an die Abstandsregeln. Zum zweiten Advent wagt er sich nun auf - nota bene! - 356.800 Kilometer an uns verseuchte Menschen heran. Diese ungewohnte Nähe verstärkt die Gezeitenkräfte. Das Kräftemessen an der Küste kann Springfluten auslösen. Oder andere Überraschungen.

Die Meldorfer Bucht erreicht der höchste Wasserstand in knapp 4 Stunden, mit nicht einmal einem halben Meter über MHW. Da hatten wir im Sommer während der Badesaison ganz andere Wasserstände. Über Tage und Wochen hin. Manchmal hatte ich den Eindruck, das Wasser wolle uns nie wieder verlassen. 

Auch die totale Sonnenfinsternis ist bei uns nicht zu sehen. Der Mond ja auch nicht. Da müssten wir schon in die Antarktis aufbrechen, und zwar tifig.

Freitag, 3. Dezember 2021

Wellenbrecher

Der oder die? Das Wort des Jahres 2021: Wellenbrecher. Ohne Artikel. Ein Abstraktum in unserer pandemiebedingten Irrealität.

Die eindrücklichsten Wellenbrecher habe ich in Japan gesehen, am japanischen Meer, in Niigata. Dort konnte ich sogar eine Weile bei Ebbe verweilen und zuschauen, wie die bestehenden Wellenbrecher - monströse Betonteile, überwachsen von Seegras - durch neue Wellenbrecher - noch monströsere Betonbrocken, noch nicht überwachsen von Seegras - ersetzt wurden. Wellenbrecher sind im Gegensatz zu Wellen eine scharfkantige Angelegenheit. Sie schäumen nicht, sondern werden nach einer ausgeklügelten Anordnung rutschfest verkantet. Am Japanischen Meer besorgte dies ein riesiger Stahlkran. Auf Hooge habe ich gesehen, wie die Deicharbeiter Lahnungen bauen, Faschinen zwischen die Holzpflöcke pressen, Steinkanten erneuern, den sogenannten Igel. Alles von Hand. Und vergleichsweise zahm. Die Halligen selbst erfüllen die Funktion von Wellenbrechern an der Nordfriesischen Wattenmeerküste.

Das Wort des Jahres 2021 bezieht sich auf gezeichnete, bunt gezogene Liniendiagramme. Auf graphische Darstellungen von Informationen. Auf sogenannte Schaubilder, die relativ unverblassbar in unser aller Köpfen und Herzen abgespeichert werden. Täglich aufs Neue. Mitsamt der Ratlosigkeit, dem Kopfschütteln, Schulterzucken, mitsamt der Wut, die manche bekanntlich erfasst, der Verzweiflung, Trauer und vielleicht Freude über eine einzige außer Protokoll überreichten roten Rose. Wellenbrecher!

Donnerstag, 2. Dezember 2021

Der erstarrte Kasus

Im neuesten Newsletter geht der Duden der Frage nach, ob oder wie Weihnachten in unserem Sprachgebrauch auftritt. Im Plural oder Singular, mit oder ohne Adjektiv und wenn mit, mit welchem? fröhliche? weiße? grüne?, ohne oder mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel und wenn mit, mit welchem: die Weihnacht? das Weihnachten? die Weihnachten? 

Sprachhistorisch (ach, wie ich Konsonantendoppelungen in solchen Zusammenrückungen liebe!), erklärt der Duden, sei "Weihnachten" ein "erstarrter Dativ Plural". So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gehört! Dass ein Kasus - oder Fall, einer der vier Fälle, die das Deutsche kennt - erstarren kann! Und dann noch im Plural. Also mehrfach? Multipliziert? Mathematisch erweitert. Der Duden erklärt es so: "Weihnachten ist ein erstarrter Dativ Plural, der sich im Mittelhochdeutschen aus der pluralischen Fügung ze wîhen nahten (= in den heiligen Nächten) losgelöst hat." 

Der Dativ hat also Beine bekommen, aber wie viele? Er löst sich los und rennt, aber wohin? Um sein Leben? Unter unsere geschmückten Bäume in den warmen Wohnzimmern, wo er erstarrt, stirbt? Ist ein erstarrter Dativ ein gestorbener Fall der Grammatik oder des Gesundheitswesens? Des Kirchenjahres? Der Marktwirtschaft? Der Kriminalstatistik?

Die Sonne geht auf, der abnehmende Fingernagelmond verblasst am Morgenhimmel. Es ist klirrend kalt am Wattenmeer.

Mittwoch, 1. Dezember 2021

wasservermalbar

Was da gestern aus meiner Schreibtischschublade zutage trat, ist ein Albrecht Dürer Künstleraquarellstift feinster Qualität, wasservermalbar! Und das heißt, ich zitiere von faber-castell: "Farbauftrag lässt sich vollständig auflösen und verhält sich dann wie die klassische Aquarellfarbe: Farbe trocknet permanent auf und lässt sich mit weiteren Farbschichten übermalen ohne sich wieder abzulösen."

Draußen Sturm und Regen. Prognostiziert für den ganzen Tag und die halbe Nacht. Das Wattenmeer wasserverma(h)lt!

Dienstag, 30. November 2021

Zyklamrot

Die Farbe Zyklamrot ist so undefinierbar wie die Zyklame. Das Alpenveilchen! Es gedeiht nicht (nur) in den Alpen, sondern in allen vorweihnächtlichen Wohnzimmern. Es mag allerdings keine direkte Sonne, aber die Gefahr besteht derzeit nicht. Die Zyklame oder Cyclame blüht in allen Rottönen bis hin zu zartrosa oder weiß, aber auch purpur, karmesin oder karfunkel. Da aber alles an diesem Blümelein giftig ist, nicht nur die Knolle, kommt mein Haus ganz ohne das Zyklamrot aus. Aber meine Schreibtischschublade, in der ich gerade nach etwas anderem grabe, präsentiert mir zu meiner großen Überraschung inmitten aller Bleistifte einen Rotstift, in Versalien zweisprachig beschriftet mit punkt-, strich-, sternengenauer Registriernummer: KADMIUMROT MITTEL, MIDDLE CADMIUMRED 8200-217**

Montag, 29. November 2021

Zypergras

Zypergras ist die vornehme Umschreibung für das gemeine Katzengras. Herr Caruso ist in dieser Hinsicht selbstgenügsam. Selbstversorger. Er holt sich das Gras in meinem Garten. Nun habe ich den Garten winterfest gemacht. Alles Laub vom Rasen entfernt, alle Regenrinnen von Laub und Moos befreit, ungeplant die Wohnzimmerfenster von aussen geputzt. Aus reiner Faulheit. Um die Leiter aufstellen und zur Dachrinne hocklettern zu können, musste ich Töpfe, Tische und Bänke wegrücken. Da glotzten mich dann die freiliegenden Scheiben erwartungsvoll an. Nicht blind! Nachtblind! Nun denn, seufzen mein armer Rücken, das steife Kreuz, die klammen Finger ... ran an die Arbeit. Vor Sonnenuntergang muss ich noch die letzte Packung Winterrasendünger versprengen. Damit Herr Caruso weiterhin etwas zu knabbern findet draußen.

Sonntag, 28. November 2021

Zyklus Zwo

Erster Advent. Ein neuer Zyklus beginnt. Der erste Sonntag im neuen Kirchenjahr. Wir beginnen mit Warten. Warten auf die Ankunft des Herrn. Adventus Domini. Wir, die wir an diesen Herrn explizit glauben und bis in alle Ewigkeit warten, worauf auch immer. Auf Erlösung, himmlische Heerscharen oder gerechtes Schmoren im Fegefeuer. Oder wir, die wir an diesen Herrn explizit nicht glauben. Auch wir warten bis in alle Ewigkeit, worauf auch immer. Auf irdisches Glück, das Recht auf Selbstverteidigung, den WSV, den nächsten Lockdown, die Après-Skisaison, den Steuerbescheid, den Rentenbescheid, das Todesurteil ... 

Was auch immer uns erwartet, bis endlich die Tage wieder länger werden: Ich nutze die Zeit und lerne fleißig. Kritzle an den Buchstaben des griechischen Alphabets. Und frage mich, warum in der gegenwärtigen (vorweihnächtlichen?) Aufregung auf Delta in aller Munde Omikron folgt? Wo sind Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Jota, Kappa, Lambda, My, Ny, Xi abgeblieben? Wer unterschlägt sie uns und weshalb?

Samstag, 27. November 2021

Zyklus

Ein Zyklus ist beendet. Die Edelkastanie hat die letzten Blätter abgeworfen. Dauerregen spült alles runter, was sonst noch oben klebt, dann geht er über in Schnee. Die Nistkästen sind beim ersten Sommersturm heruntergefallen. Alle drei. Nur das dürre Taubennest ist resistent. Ich habe schon versucht, es mit der Mistgabel herunterzuholen. Erfolglos. Es hängt zu hoch, wie die Trauben bei Äsop. Ich möchte die Tauben nicht ermutigen, sich in meinem Garten willkommen zu fühlen. Sie tun es trotzdem. Ungefragt. Ungeniert. In jedem Zyklus.

Freitag, 26. November 2021

Zyste

Die Zugriffe der Safaribegeisterten Kontrollgremien ebben ab. Also kann ich das Haus verlassen. Ausflug nach Epenwöhrden. Das liegt ungefähr auf halbem Weg nach Wöhrden, wo ich kürzlich war. Diesmal gelingt es mir auf dem Rückweg, dem Kartoffelautomaten 5 kg Belana zu entreißen. In meiner Tasche finden sich die erforderlichen 2 x 2 Euromünzen. Ich muss meinen Vorratskeller winterfest machen. Sogar das Katzenfutter wird nun knapp und teuer. Ich bin da wählerischer als Herr Caruso, der Allesfresser. Ich kaufe nur ohne Getreide, ohne Zucker, ohne Lockstoffe, ohne Konservierungsstoffe, ohne Ethoxyquin,  ohne Verdickungsmittel, ohne Johannisbrotkernmehl, ohne Geschmacksverstärker, ohne Cassia Gum, ohne ... was nicht einfach konsequent durchzuziehen ist, weil die meisten Schadstoffe nicht deklarationspflichtig sind. Im Menschenfutter ist das nicht anders. Auch diesmal fängt es erst an zu regnen, nachdem ich vollbepackt zu Hause angekommen bin. Dem Himmel sei Dank!

Donnerstag, 25. November 2021

Zyniker

Der Zyniker. Friedrich Glauser hat nicht nur wunderbare Kriminalgeschichten geschrieben und uns darin wunderbare Beobachtungen von Mensch und Umwelt präsentiert, sondern auch - herausgefordert von Stephan Brockhoff - Stellung bezogen zu den "Zehn Geboten für den Kriminalroman" von eben diesem Brockhoff, die in der Zürcher Illustrierten am 5. Februar 1937 veröffentlich wurden.

Die Zyniker. Glauser wollte in der ZI eine Art "kleinen Sängerkrieg" austragen, bei dem das Publikum (ZI-Leserinnen und Leser), "die Rolle der Elisabeth" übernehmen sollte, der Dame "für die Wagner den Einzug der Sänger komponiert" habe. Glauser schrieb einen offenen Brief, ausführlich, fast dreimal so umfangreich wie Brockhoffs Gebote, den die ZI aber nie abdruckte. Wir finden ihn im Nachlass, in den diversen gesammelten Ausgaben.

Die Zynikerin. Glauser vermisste in Brockhoffs Zehn Geboten die "anständige Sprache". Ein Kiminalroman müsse, forderte Glauser, in einer anständigen Sprache geschrieben werden, "in unserem Falle", fügte er hinzu, in einem anständigen Deutsch. Gerade dies, das anständige Deutsch bleibe mal dahingestellt. Glausers Figuren um den Wachtmeister Studer sprechen ein fürchterliches Berner Hoch- oder Schriftdeutsch und der Erzähler fühlt sich immer wieder bemüßigt, diese Sprechweise zu kommentieren oder gar zu korrigieren. Patricia Highsmith hingegen war zeitlebens beleidigt, dass man ihre in anständigem Englisch verfassten Romane nicht als Roman bezeichnete, sondern als Kriminalromane.

Mittwoch, 24. November 2021

Zyklon

Oder Willy-Willy. Seit einigen Tagen überschlagen sich die statistischen Daten mein bescheidenes Wattenmeerblog betreffend. Achttausend Aufrufe? Morgens um 5 Uhr bereits über Eintausend? Wer steht so früh auf? Oder geht so spät schlafen? Die meisten kommen vom Browser "Safari", vom Betriebssystem "Macintosh" und von "sonstigen" URLs. Das ist das, was mein Auge abliest aus den bunten Grafiken. Was die Farben und Namen aber wirklich bedeuten, versteht mein Hirn natürlich nicht. Nur Alarmrot. Oder Signalgrün. Punktum.

Dienstag, 23. November 2021

Zwickmühle

Die Zwickmühle ist eine Mühle, die nicht mahlt sondern zwickt. Ungeschoren kommt man meist nicht davon. Also: Geburtstagskaffee. Hingehen oder Wegbleiben? Ich könnte die Zwickmühle auch eine Zweckmühle nennen. Welchen Zweck verfolgt die Feier? Am Hals hängt der Mühlstein, aber ich gerate zwischen die Mahlsteine. Der Geschichten. Und Kuchengabeln. Und sitze in der Zwickmühle. Am Tischende. Immerhin.

Montag, 22. November 2021

Zwölf

Die einen sagen, es sei fünf vor zwölf, die andern fünf nach. Neustens sogar schon zehn nach. Der Logik der Uhr folgend ist nun das Viertel an die Reihe. Viertel nach Zwölf. Und immer noch Sonne, die Frostfresserin, am Himmel!

Sonntag, 21. November 2021

Zwitschern

Und schon zwitschern sie wieder aufgeregt. Meine Meisen, Spatzen, Amseln. Hausrotschwänze (ja!), Fitisse und wie sie alle heißen. Sonne pur. Lichtexplosionen. Herr Caruso lässt die Zwitschernden gewähren. Noch pennt er. Aber später, da wird er abzwitschern. Ich muss die letzten Tomaten ernten, Rosmarin schneiden, den Oleander reinholen, die Regentonne leeren. Tatsächlich steht uns nun endlich die erste Frostnacht bevor.

Samstag, 20. November 2021

Zweirad

Ein fürchterliches Wetter. Viel zu warm. Viel zu nass. Viel zu stürmisch. Ich mache noch einen Besuch, bevor der Advent beginnt. Bevor der erste Frost kommt. Bevor die nächste Hiobsbotschaft verkündet wird. Boostern so oder anders. Das Wort soll aus der lifting-Industrie kommen. Frauen boostern gewisse Gesichtspartien. Straffen. Füllen, frischen Faltentäler auf. Ein mir vollkommen unbekanntes Feld. Aber bloß nicht ärgern, bloss jetzt nicht noch blöd stürzen, ausrutschen auf glitschigem Laub oder vom Fahrrad fallen. Bloß nicht!

Freitag, 19. November 2021

zweifellos

Vollmond, also Aufstehen! Gleich beginnt das Spektakel am Himmel, das für kurze Zeit auch hier in Meldorf zu sehen ist - sofern die Wolken mitspielen und sich vom Sturm vertreiben lassen. Der Mond wird voll um 09:57, geht bei uns aber schon unter um 7:57, ab 07:02 tritt er in den Kernschatten der Erde. Halbschattenbeginn, partielle Mondfinsternis. Nach Acht passiert von uns aus gesehen alles unter dem Horizont und ist so oder so um 13:03 zu Ende!

Übrigens: eine Finsternis kommt selten allen. Immer vor oder nach der Mondfinsternis gibt es eine Sonnenfinsternis. Die zweite Finsternis in der heute beginnenden Serie findet am 4. Dezember statt, eine totale Sonnenfinsternis! Aber bei uns wird nichts davon zu sehen sein.

Donnerstag, 18. November 2021

Zwerchfell

Ja, auch mein Schutzbefohlener hat ein Zwerchfell und ab und zu Schluckauf, Hitzgi, Gluxi oder Singultus. Wenn auch selten und dann sozusagen lautlos, so dass ich gar nichts davon mitbekomme. Seit er im strengen 4-Stunden-Rhythmus kleine Portionen zu fressen bekommt, schlingt er nicht mehr so arg und frisst dafür seinen Napf jeweils sauber leer. 

Heute Mittag kam mehr als ein Aufstoßen aus Herrn Carusos goldener Kehle. Die ganze letzte Portion, durchsetzt von schlingenden Fäden. Spulwürmer! Herr Caruso hat zuviele Mäuse gefressen und ist kooperativ. Er zeigt mir, wenn er Hilfe braucht, indem er seinen Magen vor meine Füße entleert. Ich entferne das Unappetitliche und fahre durch den Regen zum Tierarzt. Wurmkur ist angesagt. Chemiekeule. Rosskur. Was bleibt mir und ihm anderes übrig? Herr Caruso ist auch so anständig, Medikamente widerstandslos zu sich zu nehmen. Danach schläft er drei Stunden tief und fest, traumlos und ohne Schluckauf auf dem Sofa. Und wacht auf, wie neugeboren, gefräßig wie immer.

Mittwoch, 17. November 2021

Zwiebel

Die Zwiebel ist ein abgehalftertes Motiv in der Literatur. Bei mir hat sie ihren festen Platz in der Küche. Die Speisezwiebel. Die Blumenzwiebeln hingegen sind unabhängig von uns Menschen. Sie kennen das Leben aus einer anderen Perspektive und ziehen sich immer wieder tief in die Erde zurück. Regen ist angesagt. Viel Regen! Und Wind. Viel Wind. Laub ohne Ende.

Dienstag, 16. November 2021

Zweifel

Zweifel und Fröhlich. Zwei Figuren aus meiner gut gefüllten Schreibtischschublade. Werbeträgerinnen, die außer mir kein Mensch kennt. Auch die Produkte, für die sie stehen, kennt kaum noch ein Mensch. Die Namen haben nichts mit dem Charakter der Figuren zu tun, es sind keine omen-nomen oder nomen-omen. So viel kann ich aber verraten: es sind blutsverwandte weibliche Figuren. Da gibt es nicht allzuviele Varianten, neben Mutter-Tochter oder Tante-Nichte bleiben noch die Schwestern, nicht aber die Schwägerinnen. Wahrscheinlich werde ich die beiden nun im Rahmen meines persönlichen Themenmonats ummodellieren zu eineiigen Zwillingsschwestern. Diese engste aller möglichen verwandtschaftlichen Beziehungen würde nämlich den Gegensatz von "zweifeln" und "fröhlichsein" aufs vortrefflichste kontrastieren und den eigentlichen Sinn des Textes - Ankurbeln eines ungehemmten Konsums durch unterschwellig sexistische Werbung - auf einen Schlag zunichte machen.

Montag, 15. November 2021

Zwergel

Nun setzt wieder die Chorlose Zeit ein. Unser Chorleiter ist seit heute im Vaterschaftsurlaub. Es gibt, wie bereits hin und wieder gesagt, auch anderes Widriges und Wunderbares, was sich uns in allerschönster Regelmäßigkeit in den Weg stellt. Corona beherrscht überhaupt nicht die Welt, auch wir Menschen nicht. Sondern allerhand Gekreuch und Gefleuch wie zum Beispiel der Zwergel, der nichts mit dem Zwerg zu tun hat und in Helvetien Halbteufel genannt wird, in Österreich G'schwer: Die Gemeine Maulwurfsgrille! Sie imponiert (mir) mit ihrem Paarungsgesang, der leider erst wieder nach dem langen langen Winter zu vernehmen sein wird. Nur die Männchen haben in der Mitte der Flügel eine "stimmgabelförmige Adergabelung" - die Weibchen nicht. Also sind die Männchen verantwortlich für den sauberen Ton bei den Stridulationen (langanhaltende surrende rrrrrrrrrrrrr-Laute), ohne die es keine Kommunikation mit der Angebeteten gibt, geschweige denn eine Vereinigung.

Manchmal versuchen wir beim Einsingen (um 9 oder zu jeder anderen Tageszeit) Zwergel und anderes Getier nachzuahmen.

Sonntag, 14. November 2021

Zwingt

Volkstrauertag. Wir treten nach 20 Monaten zum ersten Mal öffentlich auf. Da es sich um eine liturgische Veranstaltung (Chor-Vesper) handelt, gibt es gar keine G-Regeln. Wir proben seit Wochen unter 3-G - in der Praxis 2-G. Heute nachmittag in St. Nicolai verpflichtet nur Abstand. Zwingt mich nun die göttliche Vorsehung zur ungeschützten Teilnahme oder befreit sie mich?

„Verleih‘ uns Frieden gnädiglich“. Die Heider Kantorei singt Chorwerke von Heinrich Schütz und Felix Mendelssohn. An der Orgel spielt der Herforder Kirchenmusiker Dieter Andreas Pabst zwei Werke von Johann Heinrich Rinck und Jan Peterzoon Sweelinck.

Liturgische Leitung Pastorin Astrid Buchin

Musikalische Leitung Franz Spenn

St. Nicolai-Kirche, Wöhrden

Beginn: 16 Uhr, Eintritt frei

Samstag, 13. November 2021

Zwischenruf

Generalprobe in Wöhrden. Im letzten Moment sagt meine Mitfahrgelegenheit ab. Der Bass, der dringend auch im Bass benötigt würde, ist krank. Also steige ich auf mein Fahrrad. 14 Kilometer hin, sagt googlemaps und 14 Kilometer zurück. Eine Kleinigkeit. Auf dem Hinweg ist es noch hell, wenn auch farblos. Neblig. Trübe. Feucht. Gut für die Haut. Ich habe eine neue Hochsteckfrisur ausprobiert. Ich muss ja irgendetwas mit meinen Haaren und meinem neuen Gesicht machen. Der Coronazopf taugt nur zu Hause. Das kunstvolle Gebilde am unteren Hinterkopf wird leider zerdrückt von Mütze, Schal und Kapuze. Aber es hält! Viel schlimmer ist die Rückfahrt in stockfinsterer Nacht der Hauptstraße entlang. Durch Wackenhusen. Ketelsbüttel. An etlichen Querwegen vorbei, die ins schwarze Loch zu führen scheinen. Sogar eine beleuchtete Haltestelle steht am Straßenrand, aber hier fährt bis Montag früh kein Bus. Harmswöhrden. Ohne jede Straßenbeleuchtung. Mit entgegenkommenden Autos, die mich erbarmungslos blenden. Auf einem holprigen Fahrradweg, über glitschiges Laub und herabgefallene Äste. Nordermeldorf. Thalingburen. Hafenchaussee. Zahnarzt. Kartoffelautomat. Kurzer Stop, leider kein passendes Kleingeld - das wäre die Krönung meines Ausflugs gewesen: 5 kg Belana im Gepäck. Endlich Licht! Ich bin ja nicht zimperlich. Aber es gibt erhellenderes als Radfahren im November in Dithmarschen.

Freitag, 12. November 2021

Zwenken

Zwenken sind Süßgräser. Wenige sind Horstbildend. Die meisten verbreiten sich über Rhizome, wie mein Bambus, über kilometerlange unterirdische Ausläufer. Wer die Zwenken einmal im Garten hat, kriegt sie so schnell nicht mehr los. Deshalb ist mein Bambus eingesperrt. Damit er sich nicht bei allen Nachbarn neugierig aus dem Boden guckt. Ich beschäftige mich mit Laub. Perfektioniere das Entfernen von der Rasenfläche. Vor dem Regen. Kurz vor Sonnenuntergang, wenn der Himmel im Westen glüht. Danach beschäftige ich mich weiterhin mit meiner Nase. Ich dachte immer, ich hätte sie wie den Rest des Gesichts, des Haaransatzes, der Ohren, der Stirnfalten, des schmalen Kinns, des Oberlippenbarts usw. von meiner Mutter bekommen. Nun erkenne ich im hohen Alter, dass das nicht stimmt.

Donnerstag, 11. November 2021

Zwanglos

Aber nicht zweifellos. Dostojewskij wurde heute vor 200. Jahren geboren. Nach gregeorianischem Kalender. Alle sind plötzlich Dostojewskij-Fans und schwärmen von щи, der russischen Kohlsuppe. Die gibt es frisch (aus Weißkohl) oder sauer (aus Sauerkohl). Was im russischen schlank und bescheiden daherkommt, sieht in westlichen Kochbüchern unaussprechlich aus: Schtschi. Die Polen haben für die sauere Variante den Sauerampfer, szczaw, obwohl es ihnen an kapusta (Kohl) keinesfalls fehlt. Aus szczaw brauen sie żur oder żurek, eine zu deutsch saure Mehlsuppe. Darüber hat die spätere Nobelpreisträgerin Olga T. ein kurzes Frühwerk verfasst. So findet die Suppe Eingang in die Literatur und Leser lernen ohne Zwang, sie auszulöffeln.

Mittwoch, 10. November 2021

Zweisprachig

Die Fratzen, die Bilder, die Zwillinge lassen mich nicht los. Nein, wir kommen nicht zwangsläufig zwei- oder nochmehrsprachig auf die Welt in einem Land, das offiziell vier Sprachen sein eigen nennt, in dem aber die meiste Zeit ein Vielfaches an nicht amtlichen Sprachen gesprochen wird. Ich habe noch nie so oft in den Spiegel geschaut wie in den letzten 24 Stunden. Ständig suche ich etwas und finde nichts in meinem Gesicht bzw. in dem seitenverkehrten Bild, das mir der Spiegel entgegenwirft. Weder eine Erklärung. Noch eine Antwort. Wer bin ich und warum? Seit die Haare wieder länger geworden sind (Stichwort: Coronazopf), sehe ich im Spiegel nicht mehr meine Mutter. Daran habe ich mich gewöhnt. Aber als ich kürzlich - einer gänzlich irrationalen Eingebung folgend - online einen neuen Erst-Pass beantragen wollte und mich nicht an den zweiten Vornamen meines Vaters erinnern konnte, erschrak ich. Wer bin ich und wozu? Ich blätterte in alten Papieren und fand heraus, dass mein Vater dieselben Vornamen trug wie sein Vater, in derselben Reihenfolge. Ich kannte diesen Großvater nicht. Den anderen übrigens auch nicht. Beide waren vor meiner Geburt gestorben. Der Vater des Vaters in jungen Jahren, lange bevor sich meine Erzeuger überhaupt zum ersten mal trafen, bei einem Verkehrsunfall. Das war für die damalige Zeit ungewöhnlich und umso tragischer, da es kaum Straßenverkehr gab. Außer den Namen fiel mir auch ein Bild dieses Großvaters in die Hand. Ein Trauerbild, mit einem Trauerrand und einem Trauerspruch. ... das ewige Licht leuchte ihm ... und ich erschrak ein zweites Mal. Dieser so junge Großvater guckt so überraschend lebensfroh in die Kamera, hat ein so sanftes, schmales Gesicht und trägt ein so verschmitzt-unverstecktes Lächeln auf den Lippen! Dieses Bild passt so gar nicht zu meinen Erinnerungen. Aber es passt plötzlich in meinen Spiegel. Wer bin ich und woher?

Dienstag, 9. November 2021

Zwischentief

Wie gesagt, Madame Beauval - the Hawaiian girl in Berlin - is incredibly young. Sowohl geistig wie psychisch, physisch, ästhetisch. Sie tanzt und singt Hula, ein blühendes Blumenmädchen. Ein schmerzendes Bein nach einem Sturz auf der U-Bahntreppe zwingt sie gerade stillzusitzen. Never mind. It will be over soon. Nun hab ich zufällig auf youtube ein Gesicht gesehen, eine Fratze, ein personifiziertes Teratom sozusagen. Sorry, wenn ich wenig zimperlich bin in der Wortwahl. Meine Kommilitonin, Mutter von Zwillingen, wir promovierten zusammen, sie gerade hochschwanger und bereits zum zweiten Mal verheiratet. Als ich endlich auch heiratete, schenkte sie uns, dem Brautpaar, einen schwarzen Teufel. Die Fratze! Wir entsorgten das Geschenk am Tag danach in einem fließenden Gewässer, ich zog nach Berlin und brach mit der Vergangenheit.

Nun tritt sie mir plötzlich entgegen in einem gar nicht aktuellen, sondern etwa 15 Monate alten Interview, das pandemiebedingt im Kuhglockenland nicht analog geführt wurde. Ich erkenne sie nicht, stolpere nur über den Namen und den prominent präsentierten Doktor-Titel. Rechtmäßig erworben. Den Namen des zweiten Gatten hat sie wohl wieder abgelegt, vielleicht sogar den Gatten selbst. Denke ich und recherchiere. Oberflächlich. Ihre eigene Website is under construction. Die der Organisation, der sie gemäß Interview vorsteht, auch. Mich irritiert das Greisinnengesicht. Die Fratze! Sie ist 2 Jahre jünger als ich. Zur Erinnerung: the hawaiian girl in Berlin is older than me, 23 years! Ich renne ins Bad, starre in den Spiegel. Renne die Treppe hinunter, der Briefträger klingelt und will eine Unterschrift. Ich reiße den Umschlag auf und betrachte mein neues Ausweisgesicht. Das Passfoto hat eine perfekte Maschine in der Schweizer Botschaft letzten Donnerstag von mir geschossen. Herrgottnochmal! Was ist Alter? Was Altern? Was sagt unser Gesicht über unser Leben? Was sagen die Hände, der Hals? Die Kamera, der ungünstige Winkel, der schlechte Einfall. Ihr Mund ist schwarz geschminkt. Viel zu fett in den fehlenden (Lach-)Fältchen. Was zeigt der Spiegel? Was zweigt er ab? Die Maschine in der Botschaft meckerte über meine Brillengläser und der Konsularbeamte fragte, ob sie nicht entspiegelt seien. Doch, antwortete ich wahrheitsgemäß. Was speichern Himmel, Sterne und die Ewigkeit? Ist ihr Aussehen die Strafe für einen schwarzen Plüschteufel? Oder das Gegenteil. Das Gegenlicht eines Lebenslaufs, eines Flusslaufs, einer Karriere, das irisierende Geflacker von Intrigen, Kämpfen und Boxweltmeisterschaften? Oder einfach Pech (und Schwefel)? Schlechte Gene? Schlechte Luft? Zu wenig Bewegung. Vererbtes. Infiziertes. Unheilbares.

Montag, 8. November 2021

Zweige

Seit zwei Tagen ist es hell in meiner Küche. Die Zweige der Edelkastanie haben schon fast alle Blätter abgeworfen - das stimmt natürlich nicht. Dieser Eindruck ist meinem allherbstlichen Wunschdenken geschuldet. Ich werde noch Stunden, Tage, Wochen mit Laub zu tun haben. Im Sommer ist mein Nordgarten dunkel, verschattet, kühl, undurchdringlich grün, belebt, laut, bewohnt von Tausenden Staren, Tauben, Amseln, Spatzen, Meisen, Eichhörnchen und Abertausenden Kriechtieren wie Würmern, Insekten, Flöhen, Spinnen und weiss der Himmel was noch. Auch Wespen und Bienen. Im Winter beruhigt sich alles und die Welt vor meinem Küchenfenster ist leise, leicht und licht.

Sonntag, 7. November 2021

Zwerg

Ein verkümmerter Zwilling ist weniger als ein Zwerg, nicht lebensfähig, wird weder geboren noch gezeugt. Entsteht nicht aus Eizelle und Spermium, sondern ist eine "versehentliche Ablagerung der Embryozellen". Also gar kein Zwilling. Sondern doch eher ein Zwerg. FiF - fetus in fetus oder foetus in foeto. Meist meldet der sich irgendwann im Leben eines ausgewachsenen Menschen als Teratom. Als Fratze. Als bös- oder gutartiger Tumor. In Natascha Wodins neuestem Roman "Nastjas Tränen" wuchert der Tumor in den Innereien des ungeliebten deutschen Ehemanns der Protagonistin, der ukrainischen Putzfrau Nastja, die diesem Mann, Achim mit Namen, zuerst ihre Aufenthaltsgenehmigung in Berlin verdankt, dann ihren deutschen Pass und schließlich die deutsche Witwenrente. Das Teratom verhilft Achim zu einem schnellen Tod, in bereits fortgeschrittenem Alter, denn das Personal des Romans ist seiner überdrüssig gworden! Also musste eine originelle Wendung her. Im wirklichen Leben ist es meist anders. Der Zwerg, die Fratze, das Teratom zu griechisch τέρας = Monster, Scheusal, Unmensch - bestehe aus "fötalen Stammzellen", erklären Mediziner, zeige manchmal Zähne, Zehennägel, Haare, Knochen, wandere aber selten über den Lendenbereich hinaus, zb in den Hals oder ins Gehirn. Die Stammzellenforscher erklären weiter, dass Stammzellen Vorläufer der Ei- oder Samenzellen sind und üblicherweise dort bleiben, wo sie beim erwachsenen Menschen auch sind: im Bereich der Eierstöcke, Hoden oder des Steißbeins. Aber diese Zellen sind "pluripotent" und können sich in jedes Gewebe verwandeln. Also in Haut, Hautanhangsgebilde wie Talgdrüsen oder Schweißdrüsen oder zu Nervenzellen, Knochen, Knorpel. Teratome sind der Stammzellenforscher liebste Studienobjekte, eine Art bislang leider noch vollkommen ungenutzte "Ersatzteillagerfabrik" des Menschen.

Meinen jüngeren Bruder zwickte einst so ein Ersatztteillagergnom in den Hintern, wurde deshalb entdeckt und kurzerhand mit dem Skalpell herausgeschnitten. Mein älterer Bruder zeugte dann, als er alt genug war, richtige, eineiige Zwillinge.

Samstag, 6. November 2021

Zwiegespräch

R. - the hawaiian girl in Berlin - wohnt zum Glück auch in Lauf- und Sichtnähe des Hauptbahnhofs. Wir haben uns lange nicht gesehen, knüpften aber nahtlos an an die Intensität unserer einstigen Zwiegespräche. Wir haben uns immer donnerstags getroffen. So auch vorgestern. Damals in Kreuzberg. An der Akazienstraße. Im Café Bilderbuch. O my God! R. war immer 23 Jahre älter als ich. Sie switcht nun nahtloser als früher from english to german and back from german to english. 

When is a woman most beautiful? Fragt sie. Sie habe darüber lange nachgedacht. Sagt sie. Wie sie überhaupt über vieles lange nachdenkt. Vorgestern also in ihrem Wohnzimmer. Wir sind dem Regen dankbar, lassen die Zeitkarten im Humboldtforum sausen, schließen alle Fenster, sitzen unter dem Sonnenschirm. When is a woman most beautiful? 

Die Antwort funktioniert nur in ihrer Muttersprache. When she is tired BUT inspired.

Freitag, 5. November 2021

Zweitpass

Kopfschmerzen. Müdigkeit. Mattigkeit. Wäre nicht Herr Caruso gerade auf mein Bett gesprungen, hätte sich nicht laut schnurrend auf meine Brust gelegt, ich würde wohl noch lange weiterfahren müssen im Traum meinem noch unerkannten Zielbahnhofe zu ...

Gestern in Berlin lieferte ich auf der Botschaft die biometrischen Daten für meinen Zweitpass ab. Dazu musste ich persönlich an Ort und Stelle, an der Otto-von-Bismarck-Allee vorsprechen. Mehr zu diesem Otto findet sich im Oktober. Ich musste mich dort fotografieren und mir die Abdrücke beider Zeigefinger abnehmen lassen, eine Unterschrift leisten sowie den Obolus für das Ganze entrichten. Alles Kontaktlos und hinter Panzerglas. Zum Obolus siehe auch Oktober. Von Berlin sah ich den vorhergesagten Dauerstarkregen. Wurde, obwohl die besagte Allee kurz ist und vollständig in Sicht- und Laufnähe des Hauptbahnhofs verläuft, mehrmals bis auf die Haut nass. Obwohl ich seit bestimmt zehn Jahren zum ersten Mal einen Regenschirm über meinem Haupte aufgespannt hielt. Ich hörte ein Grüppchen ebenfalls Durchnässter vor dem benachbarten Kanzleramt nach Gerechtigkeit für alle schreien. In diversen Sprachen. Die mitgebrachten Fahnen hingen allesamt tropfend an ihren Stangen, über kunterbunten Regenschirmen, so dass ich weder eine politische noch eine geografische oder ethnische Zuordnung dieser Demonstrierenden erkennen konnte. Der vor dem in Granit gemeißelten Eingang zur Konsularabteilung der Botschaft rauchende Pförtner erklärte mir auf meine Frage: Ach, wissen Sie, hier wird jeden Tag für oder gegen etwas demonstriert. Der Zweitpass ist eigentlich - in der Chronologie meiner irdischen Existenz - der Erstpass. Im tatsächlichen Zweitpass sind auch zwei Fingerabdrücke hinterlegt. Aber hinterlistigerweise zwei andere. Den Erstpass brauche ich also höchstens zur Vervollständigung meiner Hand. Oder Hände. Vom übermütigen mal-irgendwohin-fahren-wollen bin ich nun für geraume Zeit wieder restlos geheilt. Alle Züge waren aus unbekannten Gründen verspätet, alle aus bekannten überfüllt. Was mich aber nicht daran hinderte, auf der Hin- und Rückfahrt jeweils einen Original-Glauser zu verschlingen.

Donnerstag, 4. November 2021

Zwiebelfisch

 Ich fahre nach Berlin und komme in tiefer Nacht, mit dem Neumond wieder zurück.

Mittwoch, 3. November 2021

Zweischneidig

Mehr als die identischen, sichtbaren, eindeutig ein- oder zweieiigen Zwillinge faszinieren mich die nichtidentischen, die versteckten, einverleibten, parasitären oder verkümmerten Zwillinge. Die Mediziner nennen das fetale inklusion, foetus in foeto, fetus in fetus oder einfach kurz fif. 

In Polen starb eine 30 jährige Schwangere nach Komplikationen im Krankenhaus, weil die Ärzte sich weigerten, das offenbar lebensunfähige Ungeborene aus dem Bauch zu holen, um das Leben der Mutter zu retten. Sie falteten die Hände und warteten ab, bis das Menschenskind, denn als solches gilt es juristisch und darf natürlich ab dem ersten Herzschlag nicht mehr abgetrieben werden, im Mutterleib eines "natürlichen" Todes starb und das Blut der Mutter vergiftete. Der Gesundheitsminister dazu: es sei eine biologische Tatsache, dass Menschen stürben. Wer will in so einem Land noch leben?

Dienstag, 2. November 2021

Zwillinge Zwo

Sonne. Noch einmal Sonne! Auch die Aichinger-Zwillinge wurden von Dr. Mengele untersucht, oder befragt (siehe Interviewlinks von gestern). Zu Hause, im privaten Gespräch, in Gegenwart und mit Einverständnis der Mutter, die auch Ärztin war. Die Schwestern waren noch nicht getrennt, erst 9 und nicht auskunftfreudig. Die Nationalsozialisten waren noch nicht an der Macht und der ehrgeizige Zwillingsforscher noch nicht berühmt.

Auch Julia Franck hat eine Zwillingsschwester und liebt das Schweigen.

Montag, 1. November 2021

Zwillinge

Ilse Aichinger wäre heute hundert Jahre alt geworden, auch ihre um wenige Minuten jüngere Zwillingsschwester Helga natürlich. Der Krieg trennte sie für den Rest des Lebens. Ilse starb eine Woche nach ihrem 95., Helga ein Monat vor ihrem 97. Geburtstag. Hätten sie nicht in verschiedenen Welten gelebt, gäbe es keinen, oder nur einen viel dünneren Briefwechsel. In den Kommentaren, die ich heute lese oder höre, taucht immer wieder die "identische" Zwillingsschwester oder (schlimmer) "der identische Zwilling" auf. Und ich frage, was das denn heißen soll.

Ilse Aichinger antwortet 2001 - zum Achtzigsten: "Meine Schwester und ich sind identische Zwillinge. Wir sind gewissermaßen Klone, Doppelexistenzen. Da wünscht man sich, gar keine Existenz zu sein, jedenfalls nicht auch noch doppelt. Wir sahen vorerst ganz gleich aus, haben noch immer die gleichen Stimmen. Immer wieder kam die Frage: Die eine oder die andere. Ich wollte dann schon lieber die andere sein, die eine keinesfalls."

Fünf Jahre zuvor sagte sie - zum Fünfundsiebzigsten (man und frau beachte die maskuline Form!): "Ich bin ein identischer Zwilling, der ältere, der lebenskräftigere, wir hatten beide schwere Krankheiten, aber meine Schwester war dem Tod immer näher. Der Stauffenberg hatte auch einen identischen Zwilling, aber der ist bei der Geburt gestorben. (...) Man begreift dabei, daß die ganze Biologie eine terroristische Überlebensstrategie ist, der man eigentlich gar nicht gewachsen sein möchte. Man wird nicht gefragt. Man wird auch nicht gefragt, ob man sterben will. Ich will tot sein, aber sterben möchte ich auch nicht, weil ich einige Male mitangesehen habe, wie lange das dauern kann. Diese Zumutungen, nicht nur an mich, sondern an jeden, der lebt. Aber zu meinem Erstaunen sind die meisten Menschen vollkommen einverstanden."

Sonntag, 31. Oktober 2021

Ohne ...

 ... Ende. Ohne Anfang. Orgel trifft Barock. Das Ensemble Canto d'angelo spielt um 15 Uhr seine "himmlische Musik" mit Gesang auf historischen Instrumenten (zwei Traversföten, Viola da Gamba und Theorbe) in der Auferstehungskirche in Heide. Geistliche Kantaten von Teleman, szenische Kantaten von Bononcini, galante Kantaten von Reinhard Keiser.

Und 16 Uhr Vernissage in Meldorf: Norden im Licht. Fotoausstellung von Walter Mayr. Im Traumausstatter. Nein, kein Traum. Sondern Licht im Norden. Kurz vor Sonnenuntergang. Dauer der Ausstellung bis zum 11. Dezember. Öffnungszeiten FR, SA, SO 15-18 Uhr oder nach Vereinbarung.

Samstag, 30. Oktober 2021

ooo ...

... Morgenlicht! Zum letzten Mal. Der Wetterdienst gibt die Sonnenauf- und -untergangszeit bereits in der nach Winterzeit an 7:22! Da ist es vor meinem Fenster noch fast finster. Das Leuchten hat nun fast eine ganze Stunde Zeit. Später am Tag wird es warm regnen.

Freitag, 29. Oktober 2021

Ö.

Das Ö mit Punkt gehörte immer Jan Ö. In meiner Erinnerung wurde es nie aufgelöst, erst die Traueranzeige hat das geleistet: Jan Örekil. Aber das Geheimnis bleibt. Wir sägen einen dicken Ast aus der Felsenbirne, damit sie ruht über den Winter und sich verjüngt im Frühling. Der dicke Ast ist verästelt und voller frischer Triebe. Dann mähe ich Rasen.

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Otto ...

... fehlt noch in dieser Ode an das Oktober-O. Otto ist wie Anna ein Palindrom, aber verwandt mit Ute, Udo und Ulrich. Ottos sind vielfältig, vom Normalverbraucher über diverse Ottos von und zu, von Kaisern, Klerikern, Knzlern bis hin zu Otto dem Ostfriesen oder Otto dem Onlineshop. Ich habe oder hatte - sie leben ja alle nicht mehr - zwei angeheiratete Opas, die beide Otto hießen, sich beide irgendwann scheiden ließen und beide, die Ottos, ihr neues Leben mit einer Luise anfingen, weshalb man nie wusste, von welchem Otto oder welcher Luise gerade die Rede war.

Mittwoch, 27. Oktober 2021

Öhringen ...

... liegt weiter weg von der Grenze als Öhningen, etwa 250 Kilometer direkt nach Norden, drei Fahrradtage. Ohren und Augen weit aufgesperrt - auf dem Ohrntalradweg von Unterohrn im unteren Ohrntal nach Ohrnberg, wo die Ohrn im Kocher endet. Keine zehn Kilometer lang führt er über sieben Brücken in den Regenbogenfarben immer wieder auf die andere Seite des Wassers. Nein, es ist kein Traum, sondern das Land der "Burgen und Schlösser sowie Schrauben und Ventilatoren zwischen Schwaben und Franken."

Dienstag, 26. Oktober 2021

Objekte ...

 ... der Begierde: ein Flachbildschirm, eine Laubsäge, ein Smartphone. Gestern am frühen Abend am Bahnhof Meldorf. Ich eine Stunde früher als sonst, mit Klapprad. Ich muss vor der Probe in Heide noch etwas besorgen. Ein älteres Ehepaar, Touristen, auf dem Heimweg in ihre Büsumer Ferienwohnung. Ein Rollstuhlfahrer mit besagtem Teil auf den Füßen. Es ist so groß, dass es über Bauch und Kopf hochragt. Regen und Wind. Wir kauern uns zusammen in dem einzigen barrierefreien Unterstand. Kaum habe ich meinen Fahrschein dem Automaten entlockt, fangen die LED Buchstaben auf der Anzeige zu laufen an: Verspätung. 30 Minuten. Das wird knapp für meinen Ausflug in den Baumarkt. Ich checke mein Mobilteil, funktioniert noch einwandfrei, ist aber bereits auf dem Weg einer Zweitnutzung. Personen im Gleis zwischen Burg und St. Michel. Das kann dauern. Eine erste akustische Durchsage bestätigt: Zugausfall, wir bitten um Entschuldigung. Ich lasse meine Begierde fahren und steige auf mein Klapprad. Herr Caruso wird sich freuen, wenn ich so schnell wieder in der Küche bin. Die nächste Durchsage stoppt mich noch auf dem Bahnsteig. Ersatzzug kommt in 10 Minuten. Auch die Buchstaben tanzen ausgelassen zwischen Ausfall, Verspätung und Ersatzzug. Ich kehre zurück zu den Wartenden unter dem Dach. Schüttle den Regen von den Ärmeln. Friere jetzt schon. Auch die Ansagen wiederholen sich nun im Sekundentakt. Verspätung, Zugausfall, Ersatzzug. Entschuldigung. Wie durch ein Wunder taucht aus der Dämmerung ein Zug auf, hält, öffnet die Türen, ist geheizt. Wir kommen mit ungefähr 29 Minuten Verspätung in Heide an. Die Touristin schiebt den blinden Rollstuhlfahrer mit seinem monströsen Schnäppchen, wahrscheinlich derselben Marke wie mein neues Smartphone, aber privat erstanden, zum Fahrstuhl. Ihr Zug nach Büsum ist eh weg. Ich radle durch Regen und Nacht zum Einkaufsparadies. Kaufe für meinen Nachbarn die Laubsäge und hole mein vorbestelltes fabrikneues A52s ab. Erscheine pünktlich zur Chorprobe.

Montag, 25. Oktober 2021

online ...

... schweigen ist wahrscheinlich noch schwieriger als offline schweigen. Wenn du einem Menschen gegenübersitzt, kannst du vielleicht verstehen, nachvollziehen, akzeptieren, an den niedergeschlagenen Augen ablesen oder den zusammengekniffenen Mundwinkeln, den fehlenden Lachfältchen usw., dass dem oder der gerade nicht zum schwafeln zumute ist. Wenn du jemandem nicht gegenübersitzt, ist das wie gesagt wahrscheinlich schwieriger. Kürzlich, es ist schon eine Weile her, hörte ich im Radio beim Kochen eine Aufzeichnung aus dem Studio LCB. Michael Krüger und Juliane Liebert. Unterschiedlicher hätten die Gäste nicht sein können, hier der gesetze, dezente alte Autor und Verleger iR, dort die freche junge Schnauze. Aber sie behandelten sich gegenseitig mit großem Respekt. Wer wirklich nervte, war ein auch anwesender Literaturkritiker, dem viel zu viel Redezeit eingeräumt wurde. Seinen Namen hat mein Gedächtnis bereits gnädig vertilgt. Und diese freche junge Göre antwortete auf die klassische Frage des Moderators, woran sie denn nun, nach dem erfolgreichen Erstling, dem Gedichtband "lieder an das große nichts" (!), arbeite und wann mit dem nächsten Buch zu rechnen sei, sinngemäss, keine Ahnung, mal sehn, ich finde, wer nichts zu sagen hat, soll die Klappe halten ...! Da wunderten sich die Herren aber! Julia Franck hat gerade zur Buchmesse nach etwa 10 Jahren, ihren neuen Roman veröffentlicht. Da wundern sich alle. Sie wunderten sich schon alle, als sie mit noch nicht einmal 50 Jahren, ihren Vorlass dem Literaturarchiv Marbach übergab. Die diesjährige Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel sagt, sie habe an dem ausgezeichneten Buch 8 Jahre geschrieben. Da wundern sich alle. Ich wundere mich nicht - das heißt ich wundere mich schon, aber eher über Dinge, die des Wunderns wert sind. Gerade ist der Himmel wieder einmal bilderbuchhaftbunt, leuchtet herzergreifend, atemberaubend ... etwa 27 Minuten vor Sonnenaufgang über dem Wattenmeer. Das Feuerspektakel dauert nur wenige Minute und ist immer lange vorbei, wenn sich die Sonne endlich am Himmel zeigt. In der Feldmark liegt Bodenfrost. An schattigen Stellen wird er den ganzen Vormitttag dort liegen bleiben.

Sonntag, 24. Oktober 2021

Omsk ...

... Tomsk, Tjumen. Sibirien am Sonntag. Sonne am Wattenmeer. Ich räume meine Töpfe auf der Terrasse auf, ernte noch eine Handvoll halbreifer Tomaten und lege sie zum Nachreifen im Wohnzimmer auf die Fensterbank. Nach dem Winter brauche ich eine neue Gartenbank. Denn die alte zerfällt zusehends. Schon drei Sparren sind aus der Sitzfläche herausgefallen. So dass aus Sicherheitsgründen nur noch ich mich darauf setzen darf. Auf eigenes Risiko. Herrn Caruso ist es tagsüber bereits zu kalt draußen und ich habe keine Zeit zum sitzen. Omsk, Tomsk, Tjumen. Ein onomatopoetisches Trio. Tscheljabinsk würde das Ensemble aufpeppern.

Samstag, 23. Oktober 2021

Obentobox ...

 ... ist keine Wundertüte. Das Smartphone, das kürzlich gebraucht in mein Leben getreten war, hat mir, schlimmer als ein Kind, nur Kummer und Sorgen bereitet. Ein gebrauchtes Shift, ein sogenanntes Fairphone - fair hergestellt, meinetwegen, aber trotzdem nicht auf der Höhe der Zeit. Mit einem Wort: kaputt. Ich habe es zurückgegeben. Und gehe jetzt im Internet zu Media Markt. Auch ein ökologisches Gewissen stößt an seine Grenzen. In der Obentobox ist, anders als im Fairphone, immer das drin, was draufsteht. Kalter Reis. Kalter Fisch. Süße oder scharfe Soße. Essstäbchen. Und ein Zahnstocher. Das Shift wird einem Kreuzschraubenschlüssel ausgeliefert.

Freitag, 22. Oktober 2021

ordo ...

... iuris wypierdalać! Das Leben von Frauen - nicht nur in Polen - wurde immer schon und wird immer noch von Männern bestimmt. Banal! Am extremsten, wenn diese Männer, die über das Leben von Frauen das Sagen haben, Männer im Ornat sind und qua freiwilligem Gelübde, sozusagen zölibatär leben. Ordo Iuris ist so etwas wie das polnische Opus Dei, und da packt uns Frauen - euch dort in Polen aber das Geschwür greift um sich, guckt Euch nur die geschleckten jungen christlichen Gesichter in D und sonstwo an - schon das Grauen. Eine Denkfabrik zum Fürchten, schreibt Der Freitag. Nicht heute Freitag. Aber es passt trotzdem.

Donnerstag, 21. Oktober 2021

oho!

oho! Wetter im Wechsel. Herr Caruso ist ohne tätlichen Angriff auf mich in den Transportkorb gestiegen. Nun ja, gestiegen ist  euphemistisch ..., ich musste ihn schon in die Enge treiben und schubsen, nachdem die süße Verführung mit Leckerlis nicht fruchtete. Um ihn, da gibt es nichts zu beschönigen, einzusperren und zwangsweise zur Tierärztin zu verfrachten. Freiwillig würde er da nie hinfinden. Er hat andere Ziele in seinem Katerkopf, seiner Katerseele, seinem irdischen Katerdasein. Ich aber bin für seine Gesundheit verantwortlich. Also kommt er geschützt in seinem Korb, trocken unter meiner signalgrünen Regenjacke hinten auf meinem Fahrrad durch den strömenden Regen in die Praxis. Ich hingegen werde auf dem Hin- und auf dem Rückweg bis auf die Haut nass, muss gegen Hendrik oder Ignatz kämpfen, letzterer soll bereits über alle Berge sein und ersterer umso wütender. Nun denn. 

Nun haben wir 2 Jahre Ruhe, mein geimpfter Kater und seine geimpfte Fahrradkurierin. Auch der Impfstoff für Katzen sei derzeit knapp, hörte ich. Alles ist knapp. Nur die Windkraft nicht. Hendrik hilft der Sonne durch die Wolken, kaum sind wir wieder zu Hause angekommen und abgestiegen.

Mittwoch, 20. Oktober 2021

o - o ...

... schon wieder Vollmond. Schon wieder ein o-lastiges zweisilbiges Wort. Mein dreisilbiger Caruso mit ausgeglichener Vokalverteilung hat sich den Magen verdorben. Vielleicht eine nicht mehr ganz frische Maus erwischt? Jedenfalls wollte er heut früh nicht fressen. Am Mittag bin ich ihm dann in den Garten nachgestiegen, um seine Ausscheidungen zu überprüfen. Unappetitlich! Aber danach schien Ruhe eingekehrt zu sein in seinem Verdauungstrakt und der Appetit war wieder da! Dafür kommt nun Unruhe draußen auf, es schüttet bereits vom Himmel, das Sturmtief stiefelt im Doppelpack an. Ignatz und Hendrik. Ohne ein einziges o. Werden über dem Dach toben die ganze Nacht.

Dienstag, 19. Oktober 2021

Onsernone ...

... ist einfach ein schöner Name für einen Ort. Einen Fluß. Ein Tal. Eine Gemeinde. Im Ticino. An der Grenze zwischen In- und Ausland. Je nachdem, auf welcher Seite man steht. Kürzlich hörte ich eine Lange Nacht zu Marlen Haushofer und musste einmal mehr über ihre "Wand" nachdenken. Die Lange Nacht brachte für mich dazu nichts neues. Aber der Roman könnte zB auch im Valle Onsernone spielen. Er kann überall spielen. Irgendwann vor langer Zeit bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Wand im Roman "Die Wand" nur den Zweck verfolgt, der Protagonistin einen rechtsfreien Raum zu schaffen, einen Raum, zu dem niemand außer ihr Zutritt hat. Einen Raum, in dem sie ungestraft ein Verbrechen begehen darf, nämlich den Mann zu erschießen, der eines Tages auftaucht. Wir erfahren natürlich nicht, wie, warum und woher der Mann in dieses Universum, den geschützten Raum eindringen konnte. Es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist die Elimination des Maskulinen. Die Protagonisten fragt sich nach der Tat, warum der Mann ihre (notabene männlichen) Tiere (den Stier und den Hund) mit der Axt getötet habe. Und verschwendet keinen einzigen Gedanken daran, warum sie selbst ohne zu zögern (nein, sie macht sich sogar Vorhaltungen, dass sie zu lange braucht, die offenbar genau für diesen Fall geladene Flinte von der Hüttenwand zu holen) zum Jagdgewehr gegriffen und den Mann hingerichtet hat.

Onsernone. Die Wand, sagte die Autorin, die sie meine, sei "eigentlich ein seelischer Zustand, der nach außen plötzlich sichtbar wird." Ich google ein bisschen. Finde das Onsernonetal und einen Eintrag auf fembio.org: 

"Vielleicht ist dem Publikum allerdings gerade Haushofers brisantestes und damals zweifellos skandalös bahnbrechendes Werk vorenthalten geblieben. Hans Weigel, in den 1950er Jahren der mächtigste Mann im österreichischen Literaturbetrieb, riet Haushofer von der Publikation ab, woraufhin sie das Manuskript offenbar vernichtete. Später bekannte Weigel, dass der Roman „großartig geschrieben“ war, „er war lebendig, plastisch, er hatte alles was ein Roman haben soll“ (zitiert nach Strigl, S. 179). Warum also wollte er ihn dann aber partout nicht veröffentlicht sehen? Es war der Inhalt, der dem Herrn missfiel: Einige Frauen tun sich zusammen, töten einen „besonders widerlichen Mann“ – und kommen damit davon (zitiert nach ebd.). Das konnte er natürlich nicht durchgehen lassen." https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/marlen-haushofer/

Montag, 18. Oktober 2021

Obolus ...

 ... ist etymologisch mit Obelisk verwandt, aber der Duden verbietet die Schreibweise mit "e" in der zweiten Silbe, dafür erlaubt er zwei Pluralformen: der Obolus, die Obolusse oder die Obolus (kleine Münzen, keine Geldspende). Immer mit doppel-o: o-o! Die Obolusse erinnern phonetisch eher an Autobusse als Obelisken, aber beide wecken in mir (warum, weiß nur der Himmel) die Erinnerung an Berlin. Griechisch obolós - mit drei o-o-o! - ist aber (immer noch nach Duden) eine mundartliche Form von obelós - der (Brat-)Spieß. Die ersten Obolusse, so vermuten die Gelehrten, hatten die Form spitzer Metallstücke. Und eigneten sich deshalb - dies meine höchstpersönlich eigene Schlussfolgerung schlecht als Charonspfennig - den Obolus, den man Toten zwischen die Lippen legt für Charon, den Fährmann, der sie über den Styx schippern soll. Und sie eignen sich auch nicht als Augendeckelbeschwerer. Die Münzen, die Toten auf die Augen gelegt werden, haben nämlich weder mit dem Styx noch mit dem Obelisken etwas zu tun, sondern sind rein praktischer Natur: sie sollen verhindern, dass die Augen wieder aufspringen und so die Totenruhe gestört wird. Weil alles Lasterhafte durch die aufgerissenen Augen wieder in den Leichnam einfließen könnte.

Sonntag, 17. Oktober 2021

Obdach ...

 ... ist ein Regenwort. Ein Sonntagswort. Ein Wort zum verregneten Sonntag. Heute findet kein Sonnenaufgang statt. Aber Herr Caruso hat bei mir Obdach gefunden und ist mittlerweile, nachdem das Rückgabe- oder Rückforderungsrecht ungenutzt nunmehr seit genau einem Monat verstrichen ist, Hauptwohnsitznehmer in meinem Haus. Oder besser: Hauptliegeplatznehmer. Er liegt nach wie vor immer noch am liebsten auf seinem Kissen vor der Küchentür, zieht sich aber, wenn Besuch kommt oder aus anderen Gründen das Treiben tagsüber unten zu bunt wird, schon mal gerne auf mein Bett im oberen Stock zurück.

Auch Obdach ist ein veraltetes Wort und wird höchstens noch in Amtsstuben in den Mund oder in die Hand genommen. Landläufig ist eher sein Gegenteil bekannt, oder sichtbar. Menschen, die kein Obdach haben, obdachlos sind, Obdachlose. Die Verkörperung eines universellen schlechten Gewissens. Um Obdachose sollten wir (alle!) uns eigentlich kümmern, ihnen Obdach (vorübergehende Unterkunft) - und nicht nur einen einmaligen Obolus (siehe morgen) - gewähren, da sie sich offenbar (siehe gestern) in einer Notsituation befinden. Und so beißt sich die Katze oder der Kater in den Schwanz. 

Nicht jede oder jeder Obdachlose hat das Glück eines Herrn Caruso, der nachts Freigang genießt und tagsüber sich sein Plätzchen zum Schlafen unter meinem Dach nach Lust und Laune aussuchen kann. Und darüberhinaus alle 4 Stunden geweckt und gefüttert wird. 

Samstag, 16. Oktober 2021

offenbar ...

... - bedeutet was ? 

Der heutige Lehrtext zur Tageslosung sagt: "Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi." (2. Korinther 5,10)  

Der Duden sagt, das Adjektiv offenbar bedeute "offen zutage tretend, klar ersichtlich", das Adverb offenbar aber das genaue Gegenteil, nämlich "dem Anschein nach, wie es scheint". Das Verb offenbaren hingegen zieht so etwas wie eine Enthüllung nach sich, da wird man oder frau sozusagen splitternackt ausgezogen und etwas, was bisher "verborgen" oder "nicht bekannt" war, wird offen gezeigt. Sich offenbaren geht dann offenbar noch einen Schritt weiter in die Untiefen der Psyche und besagt, jemandem vertraulich seine Probleme schildern ...

Was will also der Korintherbrief von uns? Dass unser Leben offenbar macht - offen legt! -, dass wir gelogen haben, aufrichtig waren, fleißig oder faul? Oder dass wir offenbar - gewiss ist es allerdings keineswegs! - Lügner oder Lügnerinnen sind, aufrichtige oder unaufrichtige, fleißige oder faule Zeitgenossen? Oder dass wir heulend und zeternd das Innerste nach außen kehren und lautstark - offen! - unsere persönliche Pein beklagen?