Dienstag, 29. Januar 2008

skyline

Gestern kaufte ich einen himmelblauen Wäschekorb mit grasgrünen aufklappbaren Beinen. Für unsere Wäsche und die Leine im Garten, die wir von den Vorbesitzern übernommen haben. Sie ist quer über die eine Rasenhälfte gespannt, von unserer Garagenrückwand bis zur Garagenquerwand des Nachbarn. Etwa in der Mitte hält die Leine ein himmelblau angemalter Eisenstab in die Luft, sturmsicher in den Boden gerammt, vielleicht sogar einbetoniert. An diese eine lange Leine passt bis auf das letzte Taschentuch genau der Inhalt einer Waschmaschine. Perfekt eingerichtete Sommerwelt! Vor uns wohnte hier eine Finnin mit ihrem deutschen Mann. Hoch die klugen Ausländerinnen! Mir fehlte bislang zum absoluten Glück nur der richtige Wäschekorb. Ich hänge die Wäsche nämlich auch im Winter draußen auf. Das habe ich mir in Japan angewöhnt. Den richtigen Wäschekorb fand ich gestern zufällig bei „Wandmaker“. „Wandmaker“ ist gerade im Begriff, zu „sky“ zu werden, deshalb herrscht im Innern des Ladens ein unbeschreibliches Chaos. Und außen tröstet in großen Lettern der Spruch: „Wir bauen um und sind trotzdem für Sie da“. Innen sind die meisten Waren unordentlich in Körben aufgetürmt und werden zu Spottpreisen verramscht. Außen – auf meinem Kassenzettel, den ich auf dem Weg zum Fahrrad studiere – steht „Küchenhelfer Klein“ und der Preis in Ziffern. Ich fahre frohlockend nach Hause. Ich werde, wann immer das Wetter es erlaubt, den kleinen Küchenhelfer in den Garten tragen und muss mich nie wieder bis zum Boden hinab bücken beim Wäscheaufhängen. Hoch die klugen Ausländerinnen!

Aber welcher Teufel reitet mich, mich hier für meine altersbedingten Bequemlichkeiten zu rechtfertigen? Eine Ausgabe von Fünf Euro Neunundneunzig heranzuziehen? Die Sinnlichkeit ausfahrbarer schlanker Wäschekorbbeine zu beschwören? Den unkontrollierbaren Kaufrausch in einer in Auflösung begriffenen Ladenkettenordnung ...

In Wirklichkeit traf mich beim Verlassen des Ladens, der momentan weder Fisch noch Fleisch ist, weder Wandmaker noch sky, ein Blitz aus heiterem Himmel. Einsichten kommen immer ungefragt. Die Glastüren öffneten sich wie immer automatisch und geräuschlos. Aber meine Gedanken veranstalteten plötzlich einen Höllenlärm. Kreischten und schwangen wie auf einer Kinderschaukel hin und her. Im Kopf. In der Brust. Hin und her. Immer schneller. Immer höher. Im Nacken. Auf der Stirn. Hier quatscht dich keiner an. Vor Wandmaker stehen, wie vor allen anderen Einkaufsmöglichkeiten dieser Stadt, nur blitzblanke Autos. Ein ganzes Meer von leeren Autos. Hier fragt dich keiner, hastemalneuro? Hier bietet dir keiner Tag für Tag die gleiche zerfledderte Obdachlosenzeitung an, den Scheinschlag oder die Stütze und wie sie alle heißen. Hier hocken sie nicht am Boden herum mit Hunden und leeren Pappbechern und betteln mit einem entwaffnenden Lächeln nur nach etwas Kleingeld, kannauchkupfersein ...

Einsichten kommen immer ungefragt. Nach über vier Monaten ist mir bewusst geworden, dass mich hier keiner wahrnimmt. Dass mich keiner braucht. Dass ich vollkommen allein bin. Unter diesem endlosen Himmel.

Samstag, 26. Januar 2008

Samstagsspaziergang

Da der Sturm nach wie vor tobt, lassen wir die Fahrräder zu Hause und gehen zu Fuß an die Luft. Es ist trocken, nicht sehr kalt, nur die heftigen Windstöße rauben uns hin und wieder regelrecht den Atem. Wir klettern auf den Geestrücken.

Wir leben am Klev, dem einstigen Kliff. Unsere Häuser stehen auf dem alten Geestsporn. Westlich von uns war früher, vor hundert oder mehr Jahren, vor der künstlichen Landgewinnung, nur Wasser. Die Nordsee. Meldorf war einmal eine Hafenstadt. Heute gibt es den Geesthang und den Geestrücken. Der Geestrücken besteht aus einer reizvollen Knicklandschaft mit eingestreuten Laubmischwäldern. Die höchste Erhebung heißt Engelsberg und erreicht 25 Meter über Normalnull. Den Geesthang bilden nur geringfügig über dem Meeresspiegel liegende, feuchte und anmoorige Wiesenflächen. So weit, so gut.

Nicht das Bergerlebnis lockt. Sondern eine List der Nachbarn. Zum Housewarming bekamen wir Unmengen von Blumen. Seither duftet das ganze Haus wie eine Frühlingswiese. Zum Einzug aber schenkten uns die Nachbarn einen Gutschein des Nindorfer Wohnideenladens. Bis heute sind wir nicht dazu gekommen, ihn einzulösen. Nicht weil wir nicht empfänglich wären für Wohnideen oder konkrete Gegenstände zu deren Verwirklichung. Sondern weil an den Tagen, an denen der Laden offen war und wir Zeit hatten, das Wetter nicht mitspielte. Wir hatten aber, und das spricht bestimmt für uns, bereits eine Liste angelegt, auf der wir sorgfältig festhielten, was uns an Ideen zum Wohnen noch fehlte. Vom Glastelefontischchen bis zum grasgrünen Badezimmerteppich. Vom kunterbunten Tischtuch bis zum Bilderrahmen dreißig mal sechsundvierzig. Vom Spiegelschranklicht bis zu Natursteinen. Von … zu …

Zuversichtlich verlassen wir heute Vormittag das Haus. Und klettern der lauten B431 entlang auf eine Höhe von 12 Metern über Normalnull. Betreten mit zerzausten Haaren das Ideenland. Stöbern unschlüssig herum. Da passt die Farbe nicht, dort die Form. Bis W. die Treppe ins Obergeschoss entdeckt. Und dort wartet das feuerrote Ledersofa …

Es steht natürlich nicht auf unserer Liste. Aber wir machen auf dem Absatz kehrt und marschieren den Geesthang hinunter nach Hause. Der Wind peitscht uns ins Gesicht. Angekommen, rücken wir sofort Möbel. Stellen den runden Tisch in die kalte Küche. Suchen einen neuen Platz für den schwarzen Tisch. Tragen den Zweiplätzer nach oben. Verteilen Stühle im ganzen Haus. Was übrig bleibt, verbannen wir in die leere Garage. Im März soll wieder Sperrmüll abgeholt werden. Das rote Sofa lassen wir nächste Woche bringen und quer in das halbe leere Wohnzimmer stellen. Foto folgt nach Lieferung.

Mittwoch, 23. Januar 2008

Die Woche der Birkenfäller

Vorgestern kamen sie bei strömendem Regen und störten meine Nachmittagsruhe. Mit entsetzlichem Getöse. Kreissäge! Motorsäge! Mit blinkenden Warnlichtern, ihren leuchtenden Sicherheitsjacken und Regenhüten. Das ganze Straßendreieck war abgesperrt, Eckernförder, Flensburger und Schleswiger. Bis ich am Fenster war, lag bereits die zweite Birke auf dem Boden und wurde gerade in handliche Stücke zersägt. Die Männer warfen sich die Kaminholzstücke einzeln zu und stapelten sie auf ein Wägelchen der Stadt. Die dünnen Äste steckten sie in den Schredder eines andern Wägelchens. Der Mann mit der Motorsäge war der Boss und verschwand nach getaner Arbeit im Innern des größten Autos. Die anderen Männer standen noch lange im Regen herum, grell wie Warnfeuer, und warteten. Nur die Scheibenwischer an den Windschutzscheiben bewegten sich noch in meiner Welt.

In der Nacht auf gestern hatte es heftig geschneit und die Birkenfäller wagten sich nicht aus ihren Hütten. Wir schaufelten am Morgen zum ersten Mal Schnee. Hielten einen Gehweg rund um unsere Häuser eis- und schneefrei. Am Nachtmittag fuhr ich mit dem Fahrrad zum Meer. Kinder schlittelten auf der Rückseite der Deiche. Ein scharfer Nordwind hatte den Himmel blank gefegt. Auf der Vorderseite grasten ungerührt die Schafe. Ich konnte keine Spuren von Birkenfällern entdecken, als ich bei Einbruch der Dämmerung zurückkam und kontrollierte, ob der Weg um unsere Häuser rutschfest ist.

Heute früh nahmen sie ihre Positionen ein, als es noch dunkel war. Und warteten. Auf den Boss mit der Säge und dem Südwester auf dem Kopf. Kurz nach acht lag bereits die nächste Birke am Boden und bevor die Lesung von Bariccios „Oceano Mare“ im Radio begann, war alles, die Männer, der Lärm, die Signalfarben bis auf ein einziges Handwägelchen wieder aus meiner Welt verschwunden. Ich fürchte, nur zum luftholen und frühstücken.

Freitag, 18. Januar 2008

Der Schuhauflagenabstand

Auf der Suche nach den Unwörtern der letzten Jahre stoße ich auch auf die Wörter der besagten Jahre. Und auf die Grenzen im deutschsprachigen Raum. Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz prämieren ihre eigenen Wörter und Unwörter. Die Unterschiede sind frappant. Für das Jahr 2007 zeichnet Deutschland „Klimakatastrophe“ zum Wort des Jahres aus, während Liechtenstein „Klimahandel“ und die Schweiz „Klimakompensation“ zum Unwort des Jahres erklären. Österreich geht mit „Komasaufen“ (Unwort) und „Bundestrojaner“ (Wort) eigene Wege.

Ich frage mich nun, was das Wort vom Unwort unterscheidet. Wann ein Wort zum Unwort wird - so wie die Tat zur Untat, der Dank zum Undank oder das Glück zum Unglück. Das Wetter zum Unwetter. Die Schuld zur Unschuld. Der Fall zum Unfall.

Ist das Wort ein Vermögen und das Unwort ein Unvermögen? Oder ist das Verhältnis von Wort zu Unwort eher mathematischer Art, so wie das der Summe zur Unsumme, der Menge zur Unmenge? Was ist monströser, die „Klimakatastrophe“ oder der „Klimahandel“, bzw. die „Klimakompensation“?

Ich bin verwirrt und gucke in die Vergangenheit. Im Jahr 2005 kürte Deutschland ein weibliches Kompositum, die „Bundeskanzlerin“ zum Wort des Jahres; Österreich hingegen eine männliche Variante davon, den „Schweigekanzler“ und Liechtenstein ein politisches Unding, das „Koalitionsharakiri“. Die Schweiz hatte in jenem Jahr keine Führungsprobleme und prämierte mutig eine nicht dudenkonforme Substantivierung, die „Aldisierung“ zum Wort des Jahres.

So weit, so gut. Erst die Gegensätze machen den Reiz einer Geschichte aus. Das Wort und das Unwort. Wie die Ehre und die Unehre, oder der Stern und der Unstern, das Wissen und das Unwissen, der Friede und der Unfriede. Deutschland stellt dem Wort „Bundeskanzlerin“ das Unwort „Entlassungsproduktivität“ zur Seite, Österreich dem „Schweigekanzler“ die „Negativzuwanderung“, Liechtenstein dem „Koalitionsharakiri“ die „Auberginenfürze“ und die Schweiz der „Aldisierung“ die „erlebnisorientierten Fans“.

Was ist an der „Aldisierung“ qualitativ anders als an den „erlebnisorientierten Fans“? Oder umgekehrt gefragt: was wertet die „erlebnisorientierten Fans“ ab und die „Aldisierung“ auf? Die Schweizer Jury beeilt sich, ihre noch junge Tradition der Wörter und Unwörter zu festigen. Das Wort, schreibt sie, sei treffend und erhelle einen Sachverhalt, erzähle eine ganze Geschichte, entlarve. Das Unwort tue das Gegenteil davon, es verdrehe, verschleiere, verdunkele und beschönige. Das ist etwa so, scheint mir, wie mit der Tiefe und der Untiefe, wie mit dem Wesen und dem Unwesen oder der Rast und der Unrast. Erhellt der österreichische „Schweigekanzler“ im Gegensatz zur „Negativzuwanderung“ einen Sachverhalt? Erzählt das Schweizer Wort des Jahres 2007, „Sterbetourismus“ im Gegensatz zum Unwort des Jahres 2007 „Klimakompensation“ eine ganze Geschichte? Beschönigen die „Auberginenfürze“ etwas, während das „Koalitionsharakiri“ nichts beschönigt? Was ist am Wort des Jahres 2007 in Deutschland, der „Klimakatastrophe“ so entlarvend und am Unwort des Jahres 2007 in Deutschland, der „Herdprämie“ so verschleiernd? Fragen über Fragen. Halsbrechen über Halsbrechen. Es gab immer schon Arten und Unarten. Segen und Unsegen. Geschick und Ungeschick. Lust und Unlust. Rat und Unrat. Recht und Unrecht. Ruhe und Unruhe. Wert und Unwert. Wille und Unwille.

Die Nulltoleranz gehörte zu den wichtigen Wörtern in der deutschsprachigen Schweiz im Jahr 2005. Die Nulltoleranz, lese ich, sei nicht nur ein Wort aus der Eishockey-Welt, sondern stehe auch für eine neue Grundhaltung der Gesellschaft. Ob Nichtraucherzüge, Flughafenkontrollen, Skibindung- und Schuhauflagenabstand, Leinen- oder Maulkorbzwang, Stallpflicht für Geflügel, Tempoüberschreitung, Asylwesen oder Promillegrenze – die Toleranz tendiere überall Richtung Null.

Ist das nun gut oder schlecht? Darauf weiß ich keine Antwort. Ich arbeite mit den Händen. Es ist mir gelungen, ein paar Komposita mit Seltenheitswert einzusammeln. Und einen neuen Absatz für meinen Schuhroman zu finden. Der Schuhauflagenabstand. Es gibt auch Texte und Untexte. Band und Unband. Hold und Unhold. Glimpf und Unglimpf. Getüm und Ungetüm. Glaube und Unglaube. Land und Unland. Sitte und Unsitte. Treue und Untreue. Zeit und Unzeit.

Montag, 14. Januar 2008

Die Feldsalatpause

Wörter können heimtückisch sein. Sie überfallen einen aus dem Hinterhalt, in einer ruhigen Minute auf dem Sofa, oder beim Öffnen der Haustür. Seit ich das Jahr 2008 zu meinem persönlichen Jahr des deutschen Kompositums (die polnische Sprache, zum Beispiel, lässt diese Wortform nicht zu) erklärt habe, springen mich die Komposita von allen Seiten an, als hätten sie nur auf meinen dummen Einfall gewartet.

Heute Mittag klingelte es und die erste Biokiste (auch eine Art Kompositum, wobei nicht klar ist, ob es sich beim ersten Teil des Wortes um ein eigenständiges Substantiv handelt – wenn ja, welchen Geschlechts? das Bio? der Bio? die Bio? –, eine Straßenbezeichnung oder den Namen eines Fernsehkochs) steht vor der Tür an der Schleswiger Straße. Ich beäuge sofort ihren Inhalt. Und greife hinein. In der Biokiste befinden sich nicht nur Biomöhren, Bioäpfel, Biowinterbirnen Passacrassana (die Königin der Winterbirnen), Bioblumenkohl, Biopetersilie, Biomixsalat (Minzua, Tatsoi, Rucola und Radicchio), Bioramiropaprika (sehr reich an Vitamin C), ein Biobrot und eine Auswahl an Biohart- und weichkäse sondern auch die schriftliche Mitteilung, dass in dieser Woche der Norden Feldsalatpause hat.

Ich trage die Kiste in die Flensburger Küche. Nicht nur eine Rechnung steckt darin, sondern auch Rezepte, Prospekte, Preislisten, Bestellzettel, aktuelle Angebote von Himbeer-Rhabarber Joghurt fettarm im 500 g Glas bis zu Apfelsaft von Streuobstwiesen mit ausgewogenem Fruchtzucker- und Säurespiegel, nützliche Informationen wie „die Umverpackung ist kompostierbar“ oder „die Petersilie hält sich in einer Plastiktüte im Kühlschrank länger als im Wasserglas in der Küche“. Und eben die Feldsalatpause. Wohin mit ihr? Frage ich mich und öffne alle Einbauschränke. Sie steht im ersten Absatz der „Obst- und Gemüseinfo“. Die ist gedruckt auf, wie mir scheint, umweltfreundliches Papier. Kürzlich entnahm ich dem Werbeprospekt einer Supermarktkette, dass dieses Papier nun „Klimaerwärmungspapier“ genannt wird. Was immer diese Wörter bedeuten. Sie kommen, weil ich sie rufe. Deutsche Komposita. Also trage ich die Feldsalatpause und das Klimaerwärmungspapier unter das noch nicht isolierte Dach über meinem Schreibtisch.

Sonntag, 13. Januar 2008

Housewarming 1

Seit Tagen stehe ich in den Küchen und bediene meine Backöfen. Ich habe vier Rüblitorten gebacken und drei Apfelkuchen. Jeweils eine Torte und einen Kuchen mit Fruchtzucker für Diabetiker. Die Äpfel von unserem Apfelbaum, in dem jetzt Schwiegervaters Vogelhäuschen hängt, lagern in der Garage. Wir besitzen ja kein Auto.

Anfang November verlor ich in Tschlin im Unterengadin den Glauben an mein gutes altes Berner Kochbuch. Seither gelingt der Kuchenteig für den Apfelkuchen immer. Zu kaufen, wie in der Schweiz, gibt es hier so etwas nicht, ausgerollt, auf Backpapier, in Variationen für süß, salzig, bio oder sonstwas. Ich knete den Teig wie zu Großmutters Zeiten selbst. Stelle ihn aber nicht mehr kühl. Er wird sonst hart wie Alpengranit und will sich nicht mehr auswallen lassen. Außerdem ersetze ich einen Teil des Mehls durch Speisestärke, Maismehl oder Kartoffelmehl. Und füge ein bisschen Backpulver dazu. Lasse das Ganze zugedeckt und unbeachtet über Nacht in der Küche stehen.

Wir haben die Nachbarn zum Kaffee eingeladen. Es ist Sonntag, der Dreizehnte. Apfelkuchen ist kein großes Geheimnis. Aber die Rüblitorte:

5 Eier
250 g Zucker
1 Zitrone
1 Prise Salz
300 g geriebene Mandeln [ich nehme 150 g Haselnüsse, 150 Mandeln]
300 g geriebene Rübli (= schweizerdeutsch für Karotten)
60 g Mehl
½ Paket Backpulver
1 kl Glas klaren Schnaps

Zucker und Eigelb schaumigrühren, Zitronensaft und –rinde [die Rinde lasse ich weg, da ich auch zu Biozitronen kein Vertrauen habe], Salz, die feingeriebenen Mandeln/Haselnüsse und Rübli, das gesiebte Mehl und Backpulver sowie den Schluck Schnaps beifügen, alles gut vermischen. Dann den geschlagenen Eierschnee leicht darunterziehen. Die Masse in eine mit Fett ausgestrichene und mit Mehl ausgestäubte Form geben und sofort im vorgewärmten Ofen bei schwacher Hitze backen. Backzeit: 1 bis 1¼ Stunden.

Ich backe immer 2 Tage im Voraus und lasse den Kuchen auf dem Kuchengitter ruhen und „trocknen“. Man kann die Rüblitorte mit Zuckerguss überstreichen, dazu bin ich meist zu faul. Sie sieht auch schön winterlich aus nur mit Puderzucker bestäubt und Marzipanrüblihälften verziert.

Jahrelang suchte ich in Berlin vergeblich Marzipanrübli. Gestern fand ich sie in Meldorf in einem Regal bei Wandmaker (demnächst Sky).

Samstag, 12. Januar 2008

Das Hahnanschlussstück

In unserem Haus verschwindet Wasser. Genauer gesagt: in unseren beiden Häusern verschwindet Wasser. Wir haben die beiden Doppelhaushälften miteinander verbunden, indem wir im Innern eine Brandmauer einreißen ließen. Wir haben die beiden Grundstücke miteinander verbunden, indem wir sie im Grundbuch zusammenlegen ließen. Aber noch immer werden beide Hälften von ihrer eigenen Heizung beheizt. Wir haben zwei gesonderte Heizkreisläufe. Im einen Haus hängt in der Garage ein Micromat. Im anderen Haus hängt neben der Sauna eine Kesseltherme. Beides sind Gas-Zentralheizungen. Und aus beiden Kreisläufen verschwindet Wasser. Wohin, das wissen wir nicht. Warum, das wissen wir nicht. Aber wir wissen, denn die Vorbesitzer sagten es uns, dass dies immer so war. In der Garage, die wir nicht benützen, ist ein Schlauch vom Wasserhahn zum Ventil am nächstgelegenen Heizkörper fest installiert. Den dreht W. einmal im Monat auf, wartet bis der rote Zeiger am Thermo-Manometer zitternd 2 bar erreicht und dreht ihn dann wieder zu. Fertig. Die Kesseltherme hängt zwischen Sauna und Dusche, die wir beide regelmäßig benützen. Auch eine Toilette befindet sich im Raum, die wir je nach Bedarf benützen. Aber wir können weder mit dem Wechselduschkopf noch mit der Toilettenspülung das im Heizkreislauf verschwundene Wasser nachfüllen.

Also maßen wir die Distanz vom Heizkörper mit Ventil zum nächst gelegenen Wasserhahn. Das war noch im letzten Jahr. Und kauften vor fast genau einem Monat bei Nilsson zehn Meter Gartenschlauch. Wieder zu Hause angekommen, mussten wir erkennen, dass der Gartenschlauch am Anfang und am Ende offen war und sich nie und nimmer an eine Wasserleitung anschließen lassen wollte. Geschweige denn an ein Ventil am Heizkörper. Wenn wir dieses nämlich öffneten, zischte sofort böse Wasser heraus, statt hinein. Gartenschlauch hin oder her. Zehn Meter lang oder nicht.

Gestern machten wir uns erneut auf zu Nilsson. Draußen regnete es. Aber der rote Zeiger am Thermo-Manometer zwang uns, zu handeln. Ein freundlicher Verkäufer hörte sich die Geschichte geduldig an und verkaufte uns zwei Gardena Wasserstopp und zwei Hahnanschlussstücke. W. fuhr daraufhin nach Heide in sein Büro. Ich fuhr nach Hause. Dort angekommen, musste ich erkennen, dass das eine Anschlussstück an das Ventil passte, das andere aber nicht an den Wasserhahn. Also fuhr ich am Nachmittag nochmals zu Nilsson. Draußen regnete es immer noch. Ich hatte den ganzen Wasserhahn abgeschraubt und auf den Gepäckträger geschnallt. Derselbe freundliche Verkäufer lief damit etwa zehn Minuten kreuz und quer durch den Laden. Ich trabte hinterher. Guckte ihm wie ein Pferd über die Schulter. Schließlich war es mein Wasserhahn. Dann drehte er endlich ein Stück auf das andere und sagte: „Bitte!“. Ich fuhr durch den Regen zurück, kaufte unterwegs Milch und Klopapier, schraubte in der halben Garage, die in Kürze zu W’s Fitnessraum umgestaltet wird, den Wasserhahn mit dem doppelten Hahnanschlussstück wieder an die Wasserleitung.

Heute füllten wir den zweiten Heizkreislauf mit Frischwasser auf. W. stand am Heizkörper und drehte das Ventil auf. Ich stand zehn Meter entfernt und drehte den Wasserhahn auf. W. rief begeistert, der rote Zeiger bewege sich. Aber dann schrie er bereits „stopp!“. Schade, es war gerade so schön.

Wohin aber das Wasser läuft, wenn es verschwindet, wissen wir immer noch nicht. Warum uns das Wasser verlässt, verstehen wir nicht. Wir erklären es so, dass es uns nicht mag und darum wegläuft. Warum das aber so bleiben soll, für alle Ewigkeit, werden wir wohl nie erfahren.

P.S.: W. besteht auf einem Postscriptum in indirekter Rede. Er wisse, sagt er, wohin das Wasser verschwinde, es verdampfe nämlich. Ach, sage ich, das wusste ich nicht. Aber, fährt er fort, er könne sich nicht erklären, wie Wasser in einem geschlossenen System verdampfen könne. Ich auch nicht, sage ich.

Dienstag, 8. Januar 2008

Die Daumentante

In Bologna findet seit Jahrzehnten im Frühling eine Kinderbuchmesse statt. Davon wusste ich bis eben gar nichts. Im Rahmen dieser Messe versammeln sich – logisch eigentlich, wenn man einmal anfängt, sich darüber Gedanken zu machen – auch Kinderbuchillustratoren. Es gibt Ausschreibungen, Wettbewerbe, Auswahlverfahren, Ausstellungen, Auszeichnungen und so weiter, und so fort.

Da die Nachrichten in den letzten Tagen immer mit einer Unwetterwarnung enden, Sturmböen über Dithmarschen, heißt es da, mit Angabe von Windstärken, dass einem Hören und Sehen vergeht, verlasse ich momentan das Haus nicht. Da aber gleichzeitig das Jahr unerbittlich voranschreitet und ab und an das Telefon klingelt, merke ich plötzlich, dass ich noch keinen Kalender für das neue Jahr besitze. Ich mache mir Notizen auf fliegenden Zetteln. Das ist gefährlich im Winter an der Nordsee.

Ich berichte W. von meinen Nöten und er lacht mich aus. In der zweiten Schublade von oben, links unter seinem Schreibtisch läge ein Kalender für mich. Er hat aufgeräumt zwischen den Tagen und schenkt mir ein „appointment diary“. Herausgegeben vom taiwanischen Regierungsinformationsamt. Illustriert mit Zeichnungen taiwanischer Künstler, die in den letzten zwanzig Jahren an der Kinderbuchmesse in Bologna gezeigt wurden.

„Eine Zeichnung“, lese ich im Grußwort – der erste Kalender meines Lebens mit einem Grußwort! – „ist eine Welt für sich“. Das Erzählen in Bildern spricht andere Reize an als das Erzählen mit Wörtern. „Die Daumentante“ heißt die Zeichnung des erst 23-jährigen Inca Pan aus Taichung, welche die erste Hälfte des Monats April in meinem neuen Jahr illustriert. Mir gefällt das Wort, weil es ein ungewöhnliches Kompositum ist. Aber ich verstehe seinen Sinn nicht. Auch nicht, wenn ich die Zeichnung betrachte. Ich sehe keine Tante, keine Daumen. Die chinesischen Zeichen helfen mir nicht weiter. Der halbe Kalender, das halbe Jahr, die halbe Zeit ist unverständlich beschrieben und beziffert. Da die Taiwanesen aber wie alle Asiaten fleißig sind, gibt es auch englische und französische Übersetzungen: „Thumbelina“. Die Daumentante. Im Grußwort finde ich einen Hinweis darauf, dass Inca Pan die „Daumentante“ 2005 zum Wettbewerb anlässlich des 200. Geburtstages von Hans Christian Andersen eingereicht hatte. Der Wettbewerb stand unter dem Motto „Des Kaisers neue Zeichnungen“. Mein neuer Kalender steht unter dem Motto „wir alle werden älter“ – aus dem Däumelinchen ist die Daumentante geworden.

Donnerstag, 3. Januar 2008

Das neue Jahr

Das neue Jahr ist bereits ein paar Temperaturstürze alt und die Nächte an der Nord­see sind nicht mehr frostfrei. Noch beobachte ich stundenlang die Erlenzeisige im Garten und schweige. Wir haben rechtzeitig Schwiegervaters Futterhäuschen in den Apfelbaum gehängt. Seit die beiden Schleiereulen tagsüber nicht mehr in unseren Weißtannen schlafen, wagen sich die Erdfinken, Strumpfwirker und Leineweber wieder aus ihren Verstecken.

Im Radio läuft ein Bericht über die Kartoffel. Aus aktuellem Anlass. 2008 ist zum Jahr der Kartoffel erklärt worden. Von wem und warum, weiß ich nicht. Ich habe es entweder überhört. Oder, was viel wahrscheinlicher ist in diesen Tagen, gleich wieder vergessen. Weil die freche Drossel und zwei blasse Tauben Wildsämereien vom gefrorenen Boden picken.

Ich erkläre 2008 zu meinem persönlichen Jahr der Komposita. Aus aktuellem Anlass. In Meldorf steht an der Ecke Hafenchaussee / Jungfernstieg der meines Wissens weltweit einzige Kartoffelautomat. Die Kartoffel und der Automat. Wenn wir passend in den Geldschlitz drei oder fünf Euro einwerfen, fällt uns zu Füssen ein Sack mit fünf oder zehn Kilo Kartoffeln. Erntefrisch, frostfrei, festkochend. Auch die Hafenchaussee ist ein Kompositum, bestehend aus Hafen und Chaussee. Genauso der Jungfernstieg, die Erstbesteigung, der Reiskocher, die Abwasserabgabe, der Brotkorb, die Mango­schwemme, der Blattlausbefall, der Schwärzepilz, die Knollenfäule oder das Ingwer­messer und andere Wörter des alltäglichen Gebrauchs.

Die Weltnaturschutzorganisation IUCN und der Weltzooverband WAZA haben 2008 zum Jahr des Laubfrosches ausgerufen. Zum Baum des Jahres wurde die Echte Walnuss erkoren, zur Orchidee des Jahres das Übersehene Knabenkraut, zur Arznei­pflanze des Jahres die Gewöhnliche Rosskastanie, zur Spinne des Jahres die Große Winkelspinne, zum Weichtier des Jahres das Mäuseöhrchen, zur Flechte des Jahres die Wolfsflechte, zur Staude des Jahres die Sonnenbraut, zum Boden des Jahres die Braunerde, zum Pilz des Jahres der Bronzeröhrling, zum Moos des Jahres das Hübsche Goldhaarmoos, und so weiter, und so fort. Alles zusammengesetzte Substantive. Wildtier des Jahres ist der Wisent, polnisch Żubr. 2008 ist nämlich auch das Jahr der Sprachen. Auch nicht zusammengesetzte Substantive finden Eingang in die Zeit: 2008 ist das Jahr der Mathematik, das Jahr des Planeten Erde, das Jahr des Riffs, das Jahr des Interkulturellen Dialogs und schlicht, angeblich auf Initiative der EU-Verteidigungsagentur, das Jahr der Rüstung.

Die Ritterrüstung. Die Abrüstung. Die Aufrüstung. Die Entrüstung. Der Rüstungswettlauf und die Rüstungsindustrie. Die Rüstungs­kontrolle. Das Rüstungs­kontroll­abkommen. Der Rüstungs­kontroll­abkommen­kommissions­vorsitzende. Die Rüstungs­kontroll­abkommen­kommissions­vorsitzenden­wahl. Die Rüstungs­kontroll­abkommen­kommissions­vorsitzenden­wahlordnung. Das Rüstungs­kontroll­abkommen­kommissions­vorsitzenden­wahlordnungsdebatten­protokoll.

Nicht nur frostfreie Nächte an der Nordsee sind stilistisch verhängnisvoll . Auch die Eröffnung des Herbert-von-Karajan-Jahres in Salzburg.