Montag, 30. April 2012

Rindfleisch zum Monatsletzten

1979 war ich zum ersten Mal in Warschau - mit dem Fahrrad von Basel kommend, in kurzen Hosen. Boguś' Mutter bekochte mich zwei Tage lang in einer Wohnung in Żolibórz, danach fuhr ich weiter nach Norden.
Von 1983-1985 studierte ich in Warschau und bekam neben meinem Stipendium zu jedem Monatsersten Lebensmittelmarken. Für Zucker, Mehl, Butter, Kasza (Grütze) usw. Und natürlich für Fleisch. Die Marken drückte ich am Monatszweiten meiner Schlummermutter im siebten Stock an der Kopernikusstrasse in die Hand. Ich wusste damit nichts anfangen. Sie stand täglich irgendwo Schlange, stundenlang, und kam begeistert mit fünf Kilo Zucker nach Hause, einem Stück Suppenfleisch voller Fett und Sehnen, aber immerhin. Mehreren Pfund Butter. Unter der Woche aß ich in der Mensa an der Dobra-Strasse - dort, wo heute die supermoderne neue Universitätsbibliothek steht - und lebe immer noch.
1993 baute ich im Auftrag Helvetiens in Warschau die Schweizerische Mediathek auf.
Dazwischen und danach (nach dem ersten Mal) war ich immer wieder in Warschau. Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben in Warschau Fleisch gekauft. Frisches Fleisch. Bestes Rindfleisch ohne Knochen. Und dabei endlich das Wort gelernt. Wołowina. Rindshuft. Udziec wołowy. Für Pako und Joga.

59. Mahnwache in Meldorf

Vor dem Präsidentenpalast in Warschau trotzt eine einsame Demonstrantin der Vormittagshitze. Sie will alle "Vergifter" von "unserer Erde" vertreiben. Truciciele precz z naszej ziemi. Der Präsident habe nicht auf ihren Brief geantwortet, erzählt sie mir, deshalb stehe sie hier. Ich wünsche ihr einen guten Stand.

Am Abend findet am Wattenmeer die 59. Mahnwache statt:
18:00-18:30 Südermarkt, Meldorf

Sonntag, 29. April 2012

Mein Balkon

Der Blick von meinem kleinen Balkon auf die Weichsel, die Türme der Florianskathedrale, die Kuppel der orthodoxen Kirche, einen hässlichen Kamin (was sein muss, muss sein). Auf den blühenden Kirschbaum vor dem Haus.

O dalszych losach kotów będzie można - ze względu na polską matkę - przeczytać na polskim blogu: http://przywattach.blogspot.com/

Samstag, 28. April 2012

Pako und Joga

In Warschau herrscht hochsommerliche Hitze. Die Stadt ist voller freundlicher Menschen. Alle sind auf Urlaub und frisches Grün eingestellt. Ich werde von nun an ein Katzentagebuch führen: Pako (5 Monate alter Kellerkater) und Joga (vornehme Stadtkatze, feiert im Mai den 12. Geburtstag).

Freitag, 27. April 2012

Abschied auf Zeit

Ich habe den Rasen gemäht, den Rasen vertikutiert, den Rasen mit Eisen gedüngt. Ich habe die Tomatenpflanzen pikiert, siebenundsechzig Einzeltöpfchen aufs Fensterbrett gestellt. W. gebeten, sie regelmäßig zu gießen. Oder wenigstens täglich zu gucken, ob sie durstig sind. Ich habe die Zucchini der Erde und der frischen Luft übergeben. Die hätten mir sonst die Fensterscheibe durchbohrt. So lichthungrig waren die bereits auf dem Fensterbrett. Ich habe die Saatbänder mit den "Schneckenschrecksamen" rund um das Gemüsebeet meinem Marschland übergeben. Sollen sie laufen. Und ich habe die bunten Steine, die immer in der Garage überwintern, auf die Terrasse  geholt.
Die Felsenbirne fängt gerade an, zu blühen.
Die Kirsche ist schon schneeweiß.
Die Sonne scheint.
In der Nacht fiel warmer Regen.
Der Garten atmet auf.
Ich fahre nach Warschau.

Donnerstag, 26. April 2012

Windpferde im Baumhaus

Die Windpferde sind ins Baumhaus eingezogen. Vielleicht vertreibt ihr Leuchten die Krähen. Die Krähen vertrieben letzten Sommer mit ihrem unaufhörlichen Gelärme unsere tagsüber schlafenden Hauseulen aus den Ahornbäumen.

Mittwoch, 25. April 2012

Windpferde am Brombeerzaun

nachher
Nachher: Der Wind ist günstig, die Kletterrose gnädig. Der Zaun frohlockt. Die Pferde laufen, die Brombeeren wiehern.

Windpferde über dem Wattenmeer

vorher
Vorher: Von den Windpferden ist nichts übrig geblieben (siehe blogs vom 21.3.2010 und 9.4.2011). Zwei Jahre Halbwertzeit. Nicht der Wind hat sie in alle Himmelrichtungen über dem Wattenmeer zerstäubt. Nein, die Krähen rupften sie verbissen, bis zum allerletzten Fetzen, vom Zaun. Sie trugen die zerrissenen Windpferde in die Bäume und polsterten mit dem bedruckten Stoff die Nester ihrer diesjährigen Nachkommen aus.
Das ist gut so, sagt W. Die Pferde gehen zurück in die Natur.
Das ist nicht gut so, erwidere ich. Der Brombeerzaun weint.

Sonntag, 22. April 2012

gelandet

Der Mann ist pünktlich in Hamburg gelandet, hat als erster sein Gepäck bekommen und macht sich nun auf den Weg nach Hause. Die Frau macht sich auf in die Küche und schält Spargeln.

Samstag, 21. April 2012

Das grüne Gras

In der Nacht regnete es heftig. Und am Morgen ist endlich zaghaftes Grün zu sehen. Dort, wo letzten Herbst ein Minibagger den Garten durchpflügte. Dort, wo ich seit drei Wochen erfolglos hungrige Spatzen vertreibe. Die Rasenlöcher fangen an, sich zu schliessen. Die Rasensamen gehen auf. Und damit die Taktik der Gärtnerin. Der Duden erklärt die Welt anders und sagt mir, dass das Adjektiv grün ursprünglich "wachsend, sprießend" und "grasfarben" bedeutet habe. Grün sei verwandt mit der Wortgruppe von Gras. Heute verwenden wir grün nicht nur als Farbbezeichnung, sondern im Gegensatz zu "trocken, verwelkt" im Sinne von "frisch, jung, sprießend". Oder aber als Antonym zu "rot" (= reif) als "unreif", "unerfahren". Man denke nur an den Grünschnabel. Oder an den, der "noch grün hinter den Ohren" ist [interessant, wie hier der Schnabel (= plappern) zum Ohr (= hören) mutiert!]. Grün kann aber auch als substantiviertes Adjektiv verwendet werden und steht dann als pars pro toto für "frisches Laub" oder gar die ganze "freie Natur". Vergleiche den schönen Vorsatz fürs Wochenende: "Lass uns doch wieder einmal ins Grüne fahren". Neuerdings hat grün auch eine politische Dimension. "Umweltorientiert, die Umwelt betreffend, ökologisch" laut Duden. Und warum greift hier nicht die Bedeutung, frage ich, von "frisch, jung, sprießend", zukunftsfroh? Oder meinetwegen "unreif" und "unerfahren"?

Freitag, 20. April 2012

Seeadler bei Kutno/Polen

Endlich eine gute Nachricht aus Polen:
Im einem Wald bei Kutno ist eine Infrarot-Kamera neben einem Seeadlernest installiert worden. Über diesen link http://www.lasy.gov.pl/bielik kann man nun das Seeadlerpärchen Tag und Nacht beim Brüten beobachten. Eine weltweit einmalige Sache, sagen die polnischen Ornithologen. Vor ein paar Jahren konnte man in Estland ein brütendes Seeadlerpärchen beobachten, das Projekt wurde aber in der Zwischenzeit aufgegeben.
Das Seeadlerweibchen bei Kutno legte Mitte März wahrscheinlich zwei Eier, die Jungvögel schlüpfen voraussichtlich zwischen dem 25. April und dem 1. Mai. Das Männchen und das Weibchen sitzen abwechselnd auf den Eiern, tagsüber die Dame, nachts der Herr. Beide kümmern sich fürsorglich um die Eier. Ungefähr alle halbe Stunde werden sie gedreht, damit sie gleichmäßig gewärmt und belüftet werden. Wer nicht brütet, geht auf Futtersuche.
Also gucken, gucken, gucken ...: http://www.lasy.gov.pl/bielik
Hintergrundinformationen und Kommentare (polnisch!) sowie screenshots auf facebook: http://www.facebook.com/BielikiOnline

Donnerstag, 19. April 2012

Lee Garden

Mein Mann kämpft im Morgengrauen in seinem Apartment im 13. Stock des Lee Garden in Peking mit der Waschmaschine. Sie ziehe kein Wasser, obwohl der Hahn aufgedreht sei, berichtet er. Sie heize die trockene Wäsche auf, drehe und wende die trockene Wäsche, schleudere die trockene Wäsche. Ich, die bewährte Haushandwerkerin, kann um diese Tageszeit aus dieser Entfernung nichts ausrichten.

Mittwoch, 18. April 2012

Ein zweiter Tag im Bett

Das Radio meldet mir in mein Bett, dass heute der Internationale Tag des Denkmals gefeiert werde. Nicht zu verwechseln mit dem Tag des offenen Denkmals, an dem irgendwann im September Denkmäler betreten werden dürfen. Und nicht zu verwechseln mit dem Berliner Denkmaltag, der gestern unter dem Motto "Stadt unter Strom - das Erbe der Elektropolis Berlin" vorwiegend Vorträge und Diskussionen versammelte. Aus Anlass des heutigen Tages redet im Radio eine Restaurateurin über die nicht nur blattgoldglänzenden Seiten ihres Berufs.
Ich bin krank und nicht verpflichtet, die Welt zu verstehen.

Dienstag, 17. April 2012

Ein Tag im Bett

Nun hat mich das Sri Lanka Virus, das W. am ersten April nach Hause brachte, niedergestreckt. Zwei Wochen Inkubationszeit - ganz nach Lehrbuch. Am Sonntag wachte ich mit einem Wattekopf auf, gestern verrichtete ich tapfer meine Pflichten und heute geht nichts mehr.

Montag, 16. April 2012

57. Mahnwache in Meldorf

Gestern veröffentlichte Tepco Unterwasserfotos vom zerstörten Atomreaktor in Fukushima. Keine schönen Fotos. Keine beruhigenden Nachrichten.
Am Freitag sollen EU-Wirtschafts- und Energieminister darüber beraten, ob Subventionen für Atomstrom erlaubt werden, da, wie es heisst, "neue Atomkraftwerke anders gar nicht finanzierbar sind".
Hier kann dagegen mit einer Unterschrift protestiert werden:
www.ausgestrahlt.de/keine-atom-subvention

Heute, wie immer montags, findet in Meldorf die Mahnwache gegen Atomkraft statt
18:00 -18:30 Südermarkt


Sonntag, 15. April 2012

Eine halbe Stunde im Goldvreneliland

Meine alte Mutter (siehe blog vom 11.4.) bekam von der Schweizerischen Post die Nachricht, sie habe einer ihr unbekannten Person, wohnhaft an einer ihr nicht bekannten Adresse, eine Postvollmacht erteilt. Diese Leistung sei ab dem 1. April 2012 (kein Scherz) kostenpflichtig. Falls die Bevollmächtigte nicht gelöscht werde, würde ihr, meiner Mutter und angeblichen Vollmachtgeberin, im Juni die Jahresrechnung zugestellt.
Diese Postvollmacht, das erklärte ich heute während meines sonn-täglichen Telefonats, erteilte ich vor 19 Jahren meiner damaligen Mitbewohnerin in meiner damaligen Wohnung am Rheinufer für das halbe Jahr, das ich an der Weichsel verbringen wollte. Nach dem halben Jahr kehrte ich nur ans Rheinknie zurück, um besagte Wohnung aufzulösen, mich ordnungsgemäß von jener Postadresse abzumelden, und nach Berlin umzuziehen. Ich hatte geheiratet und trage seither den Namen meines Mannes. Die wahre Vollmachtgeberin von damals gibt es bürokratisch und zivilstandsamtlich nicht mehr. Meine Mutter hat einen anderen Vornamen als ich. Immer schon. Noch nie, seit wir beide leben, verwechselte irgendeine Behörde, irgendein Amt, irgendeine Firma uns beide. Obwohl - aber woher soll das die Post wissen? - wir uns äußerlich, dem Alter entsprechend, zum Verwechseln ähnlich sehen.

Mein Goldvreneliland und seine verdammte Geheimniskrämerei. Mein Vaterland und seine ungestillte Besitzgier. Mein edles Bankgeheimnishüterland. Mein Postgeheimnisverräterland. Mein makelloses Fluchtgeldparadies. Mein allen Despoten dieser Erde untertänigst ergebenes Hehlerdienstbotenland. Oh, heilige Helvetia, hilf!

Frohe Ostern für Nada und alle, die heute Auferstehung feiern!

Samstag, 14. April 2012

Ein Tag im Garten

Die Nacht war klar, aber unbeständig. Die Schnittläuse brachen um 4 Uhr auf. Im Stehen tranken sie einen kohlrabenschwarzen kleinen Kaffee, dann umarmten sie mich, einer nach dem anderen, küssten mich, schlugen die Türen zu, schalteten den Motor an und die Lichter ein, krochen fast lautlos aus der Einfahrt, um die Ecke und verschwanden in der Dunkelheit der Op de Wisch.
Als es hell wurde, holte ich beim Nachbarn zur Linken den Vertikutierer. Dem Nachbarssohn zur Rechten hatte ich unseren eigenen Vertikutierer vor zwei Wochen ausgeliehen. Der brachte das Gerät am Abend zurück und erklärte, er funktioniere nicht mehr. Am nächsten Tag waren alle ausgeflogen und ich musste selber gucken, was ich mit dem kaputten Ding mache. Heute füllte ich fünfeinhalb Säcke mit Moos. Harkte den Rasen hingebungsvoll einmal längs und einmal quer.
 

Freitag, 13. April 2012

Ein Tag am Wattenmeer

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr (siehe 13.1.) feiern wir einen Freitag, den Dreizehnten. Die Meldorfer Einzelhändler sind äußerst kreativ und verlocken heute mit Rabatten bis zu 31 % Kunden zu Käufen. Die Danziger Schnittläuse hingegen sind verhalten vorsichtig, meiden die Autobahn, bleiben lieber am stillen Wattenmeer. Wir fahren zweimal an die Meldorfer Bucht. Am Mittag mit leeren Bäuchen bei Niedrigwasser, Wind und Sprühregen. Nach den Spargeln am Abend bei Hochwasser und unter einer versöhnlichen Sonne. Wir beobachten mit offenen Mündern Hunderttausende von Ringelgänsen, die sich im Kronenloch nach besonderen Flugritualen scheinbar zur Ruhe niederlassen - um dann plötzlich, auf ein unsichtbares Signal hin, geordnet gesammelt aufzufliegen und in kunstvollen Formationen den Abendhimmel zu zeichnen.

Donnerstag, 12. April 2012

Bettenwechsel

W. reist am Mittag ab. Er fliegt von Hamburg über Dubai nach Peking. Am Nachmittag befreie ich die nördliche Regenrinne von Tausenden von Ahorntrieben. Da sich die vier Schnittläuse aus Brüssel verspäten (es regne in Strömen, melden sie von unterwegs) nutze ich den Sonnenschein am Wattenmeer und kratze das Moos aus den Fugen des Bürgersteigs rund ums Haus. Schnittläuse sind so etwas wie Samichläuse. Menschen, die nur selten mit Geschenken vor der Tür stehen. Polnisches Leinen bekomme ich. Zwei fliederfarbene Tischläufer. Unsere Freunde aus Danzig legen auf der Rückreise einen Zwischenstopp in Meldorf ein.

Mittwoch, 11. April 2012

Die schmelzenden Pole

Auf der anderen Seite der Glasscheibe. Die südliche Welt im Zimmer. Zucchini sprießen. Tomaten sprießen. Elefanten ziehen ihrer einsamen Wege. Eulen tauschen Tagträume aus und das Krokodil ist wachsam. Ganz zu schweigen von den Pinguinen und den schmelzenden Polen.

Meiner Mutter zum 86. Geburtstag!



Dienstag, 10. April 2012

220

Vor 220 Monaten wurde unsere Ehe im Warschauer Standesamt Nummer 1 geschlossen. Es regnet ohn' Unterlass. Ich bleibe heute gerne in Meldorf und vermelde: Seit gestern baut das Amselpärchen auf der Südseite unseres Gartens sein erstes Nest im Efeu. Seit Tagen rupfen ganze Schwärme schwarzer Raben die letzten Fetzen der tibetischen Windpferde vom Brombeerzaun, wahrscheinlich auch sie nur in bester Absicht, nämlich der Fürsorge um den Nachwuchs. Spatzen und Ringeltauben fressen mir im Morgengrauen die Grassaat weg, seit ich sie ausgestreut habe. Auf der Fensterbank sprießt das Basilikum für meinen angeheirateten Privatkoch. In Plastiktöpfchen, auf Anzuchterde, unter Plastikdeckel von leergelöffelten großen (500gr) Joghurtbechern, regelmäßig besprüht mit frischem Regenwasser, fühlen sich die Lichtkeimer offensichtlich wohl.

Montag, 9. April 2012

Hakenkreuz Schmierereien in Heide

Vor einer Woche wurden in Heide mehrere Gebäude mit schwarzer und roter Farbe beschmiert, unter anderen das Rathaus und die St. Jürgen Kirche. Offenbar aus Langeweile und "ohne politische Motivation", wie die Befragungen der mittlerweile gefassten und geständigen Täter ergaben.
http://zeitungen.boyens-medien.de/aktuelle-nachrichten/zeitung/artikel/hakenkreuz-schmierereien-in-heide-25-jaehriger-legt-gestaendnis-ab.html

56. Mahnwache in Meldorf

Mahnwache

aus aktuellem Anlass zitiere ich im Wortlaut den Aufruf von Alexander und Jan:

Liebe Freunde und Freundinnen des Peter Panter Buchladens, des Bornholdt und der Zingelstraße,

wie Ihr vielleicht in der Zeitung gelesen (oder auf den Meldorfer Straßen gehört) habt, haben bisher Unbekannte in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einen Brandanschlag auf unsere Nachbar von der Dönerstube verübt. Nach einem ersten Versuch in der Nacht auf Dienstag wurde das Feuer dieses Mal mit Strohballen verstärkt. Die Eingangstür der Dönerstube wurde stark beschädigt und muss ausgetauscht werden. Glücklicherweise ist das Feuer von Anwohnern aus der Zingelstraße schnell bemerkt worden. Diese haben umgehend Sahin und seine Familie gewarnt und die Polizei und die Feuerwehr benachrichtigt.
Die Ermittlungen der Kripo in Heide dauern an, die Brandstifter sind aber noch unbekannt. Sahin und seine Familie leben jetzt in der Angst, dass sich dieser Angriff wiederholen könnte.

Wir wissen nicht, ob dieser Anschlag rassistisch motiviert ist, wir wissen aber, dass wir mit solchen Gewalttaten in Meldorf nicht leben wollen und können.

Wir möchten Euch alle bitten, am Ostermontag ab 18 Uhr zur Mahnwache am Südermarkt zu kommen, um dann gemeinsam in die Zingelstraße zu gehen und der Dönerstube unsere Solidarität zu zeigen. Die Dönerstube gehört zu Meldorf wie der Dom.

Viele Grüße aus dem Buchladenexil von Alexander und Jan


Sonntag, 8. April 2012

Ostern

Ostersonntag. Früher Nachmittag. Meldorfer Bucht. Auflaufendes Wasser. Spaziergänger. Herumtollende Hunde. Ermattete Fahrradfahrer. Verfrühte Sonnenanbeter. In der Ferne in der Bildmitte deutlich Mittelplate, die Ölbohrinsel im Wattenmeer. Unterwegs viele Lämmer! Gemäßigter Wind von Südwest. Und ein Flugzeug am Himmel.

Samstag, 7. April 2012

Gefangenschaftsflüchtlinge

Auf Hooge sind zwei Rothalsgänse beobachtet worden. Mitten in einem Schwarm von Ringelgänsen. Ringelgänse sind zu dieser Jahreszeit häufige Gäste auf Hooge, momentan sind es schätzungsweise 15.000. Rothalsgänse kommen eher selten ins Wattenmeer. Mitteleuropa liegt gar nicht auf ihrer Reiseroute. Normalerweise fliegen sie vom Überwinterungsgebiet am Schwarzen Meer direkt nach Sibirien ins Brutgebiet.
Es können Einzelgänger sein, die sich verirrt haben. Oder solche, die sich anderen Gänsearten angeschlossen haben. Sich gerne ablenken ließen. Weil sich ihre Wege kreuzten. Weil auch sie einmal dabei sein wollen, bei den Ringelganstagen auf Hooge. Von denen die ganze Vogelwelt schon einmal gehört hat.
Oder es sind Gefangenschaftsflüchtlinge. Ziervogelhalter lieben die Rothälse mit ihrer auffälligen Zeichnung und Färbung (breiter weißer Flankenstreifen, rostroter Unterhals und Kropf). Und zu Ostern spüren auch Rothälse den Frühling und büchsen aus ihrem Ziervogelkäfig aus.

Freitag, 6. April 2012

Fensterbank

Der Mond wird voll am Abend um 21:18 Uhr (MESZ). Am Morgen im Garten die weißen Spuren des zweiten Nachtfrosts in Folge. In der Nacht sternenklarer Himmel. Blanker Sonnenaufgang. Katholischer Karfreitag. Am Nachmittag soll Regen aufziehen.
Ich habe einen halben Tag Zeit für meine Fensterbankplantage. Und säe die in Sand vorgequollenen Karotten, den bunten Mangold, die rote Beete.

Donnerstag, 5. April 2012

My husband not speaking

Ein zweites Bild aus dem Briefkasten.
Daselbst.
Ohne Worte.

My husband speaking

Bilder kommen nicht aus dem Koffer, sondern stecken im Briefkasten.
My husband speaking - am 30. März in Colombo.

Der Koffer

W. hat einen ganzen Koffer voller Geschenke mitgebracht. Tonnenweise Tee, pure oder premium ceylon tea. Aus Dimbulla. Kandy. Matale. Nuwara Eliya, Ruhuna, Uva. Seltsamerweise ist die Reihenfolge bei allen Verpackungen dieselbe. Berge von unsortierten, einzelnen Kochlöffeln, Schöpflöffeln, Rührbesen aus Kokosschalen. Tischsets aus Bambus. Teuflisch scharfe Gewürze. Zimt. Curry. Chili. Holzelefantenfamilien in allen Farben. Eine Flöte. Zwei poröse Steine vom Schildkrötenstrand. Eine struppig-stachlige Mischung aus Coriander, Dried Ginger, Pathpadagam, Katuwalbatu, und Veniwal gegen "running nose" und "body aches". Und Holzrinden, kleine Scheiben, unbeschriftet. Ich brauche Tage, um alles auszuwickeln. Anzugucken. Zu befingern, befühlen, beschnuppern. Zu entziffern. Im Haus, in beiden Haushälften, im Wohnzimmer, das beide Teile verbindet und durchlässig macht für Geräusche und Gerüche, verbreiten sich wunderliche Düfte. Ich werfe nichts weg, keine Plastikfolie, kein Packpapier, keine Tragetasche. Alles gehört dazu.

Mittwoch, 4. April 2012

Eric Whitacre's Virtual Choir 3

Verglichen damit war Lux Aurumque (siehe blog vom 5.2.12) ein Sandkastenspiel im T-Shirt und mit Turnschuhen (probably). Das Gemachte wird hier sehr viel deutlicher. Fünfeinhalb Minuten Chorgesang, sechs Minuten und zehn Sekunden Abspann mit den Namen von 3746 mitwirkenden Einzelstimmen aus 73 Ländern, unterlegt mit Orchestersoundtrack. In dieser Inszenierung ist der Dirigent überflüssig. Gemischt hat er vorher am Computer. Die esoterische Visualisierung untergräbt seine Allmacht. Ich glaube nicht, dass dieser Winzling mitten im Universum diese gigantische Masse wirklich in der Hand hat. Hier treten dreitausendsiebenhundert-siebenundvierzig Individualisten auf, die nur die Technik verbindet. 
What's next, Mr. Whitacre? 



Dienstag, 3. April 2012

Mikroplastik

Mikroplastik gehört nicht zur bildenden Kunst, sondern zu den ökologischen Gefahren. Plastik ist ein langlebiger Anteil des Mülls. Plastik wird nicht biologisch abgebaut, sondern mechanisch oder durch ultraviolette Strahlung. Plastik fragmentiert immer weiter. Nicht nur der sichtbare Plastikstrudel im Pazifik bedroht Vögel und Fische, die mit vollem Magen verhungern, weil dieser die bunten Plastikteilchen nicht verdauen, nicht weiter transportieren, nicht ausscheiden kann. Plastik im Meer bedroht auch in kleinsten Mengen, in mikroskopischen Fasern, höchstens so groß wie ein Dreihundertstel eines menschlichen Haares, sämtliche Mikroorganismen. Das wissen mittlerweile die Mikrobiologen, welche das marine Nahrungsnetz auf Plastikmikromüll untersuchen. Die Oberfläche der Plastikpartikel, stellen sie fest und es kann niemanden wirklich verblüffen, sind schadstoffreich. Filtrierende Muscheln nehmen diese Schadstoffschätze auf, sie gelangen in ihre Blutbahn, ins Gewebe und schädigen die Zellen. Auch nicht biologische Kläranlagen sind Mikroplastiklieferanten. In England hat man herausgefunden, dass Fleecetextilien  bei jeder Wäsche enorme Mengen an Mikroplastik abgeben. Dieser Plastikmikromüll gelangt in die Nordsee und ist längst auch bei uns im Wattenmeer angekommen. Denn hier wie dort sind Fleecejacken, Fleecestulpen, Fleecemützen, Fleecestirnbänder, Fleecehandschule, Fleeceschals, Fleeceskiunterwäsche, Fleecedecken, ja sogar Bettwäsche mit Fleeceanteil, Babyschlafsäcke mit Fleeceanteil usw. die beliebtesten, weil so unglaublich billigen, wärmenden, windabweisenden Konsumartikel. Auch ich decke mich mit Fleece ein, seit ich am windstärksten Ende der Welt lebe. Ich kann mir jetzt überlegen, ob ich in Zukunft darauf verzichten - oder das Zeug nie wieder waschen will.
Es schneit.

Montag, 2. April 2012

55. Mahnwache in Meldorf

Bulgarien verzichtet aus finanziellen Gründen auf den Bau eines Atomkraftwerks in Belene an der Donau und steigt aus einem entsprechenden Vertrag mit Russland aus. Es sei nicht möglich, den Bau zu finanzieren und "Generationen von Bulgaren" die Rückzahlung der Kredite aufzubürden, so Regierungschef Borissow.
Litauen hingegen hat einen Lizenzvertrag mit dem japanischen Hitachi-Konzern unterzeichnet und erhält damit die Genehmigung zum Bau der geplanten Atomanlage in Visaginas.
In Tschechien gibt es erstmals staatliche Hilfen für den Ausbau des umstrittenen Atomkraftwerks im südböhmischen Temelin.
Polen bereitet gerade seinen Einstieg in die Atomkraft vor, will bis 2020 den ersten Meiler an der Ostsee am Netz haben.
In der Schweiz wurde ein Reaktorblock im weltältesten Atomkraftwerk Beznau wegen einer Störung am Wellendichtungssystem "präventiv manuell abgeschaltet".
Die deutschen Energiegiganten E.on und RWE geben "aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen" ihre Pläne auf, in Großbritannien neue Atomkraftwerke zu bauen.

Die 55. Mahnwache gegen Atomkraft findet heute statt
18:00 - 18:30 Südermarkt Meldorf

Sonntag, 1. April 2012

Nachttöne

Unser Chorleiter hatte uns bei einer der ganz frühen Proben im Herbst oder Spätsommer prophezeit, dass erfahrene Johannespassion-sänger, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, ihre Partien fehlerfrei singen. Das wollte ihm damals kaum jemand glauben. Mittlerweile geht es mir genau so. Mühelos komme ich vor allem nachts über alle Ganz- und Halbtonschritte. Ich wache auf und vollführe Quart- und Sext-Sprünge, Dur- und Mollwechsel. Die Texte gesellen sich widerstandslos dazu. Die Wörter gehören nun den Tönen. Und die Töne gehören einer höheren Gewalt. Da hat sich etwas festgebrannt in meinem Hirn, unauslöschlich. Und schaltet sich selbsttätig ein oder aus. An jeder beliebigen Stelle der Passion, zu jeder  Zeit meines Lebens. Ganz ohne mein Zutun.

Meine polnische Kollegin Magda T. sagt, Bach ordne (im Sinne von sortieren, klären, in die richtige Schublade stecken) unsere Gefühle.

Während ich auf W. warte (er ist schon in der Luft Richtung Dubai), versuche ich, diese beiden Aussagen in Einklang zu bringen.