Mittwoch, 30. November 2022

Schlangenträgerzeit

Der Himmel ist auch nachts trüb, seit ich mich beschwert habe, dass er  nachts klar ist und tagsüber nicht. Wäre er nicht bedeckt, könnten wir Sommersternbilder sehen. Das scheint irgendwie absurd, ich verstehe vom Himmel, wie bereits gesagt, nicht wirklich etwas. Mich begeistert nur die Anwesenheit von Sternen. Die Sonne, wir merken es täglich mehr, ist auf der absteigenden Bahn. Bei mir zeigte sie sich den ganzen Tag nicht. Trotzdem soll sie heute die Grenze zum Ophiuchus, dem Schlangenträger überschritten haben. Und bis sie den wieder verlässt, ist sie schon fast an ihrem Tiefstpunkt angelangt. Die Tageslänge am Wattenmeer ist in diesem Monat um 1 Stunde und 36 Minuten geschrumpft.

Dienstag, 29. November 2022

Garzeit

Gestern abend Probe in Marne. Wir üben in Anwesenheit des Komponisten die rollenden R's des plattdüütschen Wiehnachtsoratoriums. Achtung: nicht Weihnachts...! Es ist wie mit dem Schweizerdeutschen, von dem es ungefähr so viele Varianten gibt wie Schweizerinnen und Schweizer. Jede und jeder spricht und schreibt, wie ihr oder ihm der Schnabel gewachsen ist. Oder der Griffel. Mit rollendem R bitte!

In der Sternzeit höre ich etwas über Alexander Friedmann, den Russischen Mathematiker, der bestimmt das rollende R beherrschte. Er berechnete oder errechnete vor hundert Jahren das "pulsierende", das expandierende, nicht statische Universum. Er selbst hat sich gar nicht viel dabei gedacht, tat, was Mathematiker eben so tun. Rechnen! Danach wandte er sich anderen Dingen zu, stellte ua bei meteorologischen Messungen einen Höhenrekord im Ballon auf, nebenbei und unbemerkt stieg er in 10 Stunden auf  7400 Meter. Kurz danach starb er, erst 37, an Typhus. Infiziert hatte er sich vermutlich während eines Urlaubs auf der Krim (damals noch Крым, heute Крим) an ungewaschenem Obst. Angeblich einer Birne. Груша.

Montag, 28. November 2022

Regenzeit

Es nieselt, nebelt, novembert (so lange das noch möglich ist). Meine Edelkastanie hat seit einer Woche kaum Blätter verloren. Wo soll das hinführen? Ich erledige Montagsdinge. Verlasse nach 15 Jahren meine Ökoenergielieferanten und wechsle zum lokalen Anbieter um die Ecke. Mit zunehmendem Alter scheue ich lange Wege. Es gab einmal das Sprichwort, das sinngemäß besagte, dass man wahre Freunde in der Krise erkenne. Gilt vielleicht auch heute noch, für Menschen jedes Geschlechts, Partner jeden Geschäfts. Der Kater leckt seine Wunde.

Sonntag, 27. November 2022

Adventszeit

Adventskranzzeit. Adventskerzenzeit. Adventskranzkerzenzeit. Der Erfinder, lese ich, war Johann Hinrich Wichern, nach dem ein Haus in Meldorf, im Schatten des Doms benannt ist. Dort hat das Rentamt Dithmarschen seinen Sitz, also die Verwaltung des Ev.-Luth. Kirchenkreises. Diese Verwaltung erledigt Verwaltungsgeschäfte. Herr Wichern (vielleicht war es auch seine Frau Amanda, Mutter von 9 gemeinsamen Kindern) soll den ersten Adventskranz um 1830 um ein Wagenrad "geflochten" haben. Um die Ungeduld seiner Missionsschüler zu stillen. Wichern platzierte auf dem Wagenrad 24 Kerzen, für jeden Werktag eine rote und für jeden Sonntag eine weiße. Wenn alle brannten, war endlich Weihnachten. Das verstanden die Kinder! 

Im Laufe der Jahre und Jahrhunderte wurde der Advent auf 4 Sonntage und 4 Kerzen reduziert. Drei sollten ursprünglich violett sein und eine rosarot. Violett für den ersten, zweiten und vierten Adventssonntag zum Zeichen der Buße, der Einkehr, Umkehr, Abkehr. Der Entbehrung. Des Fastens. Zur rosaroten später mehr.

Heute ist alles anders. Adventskränze sind reine Deko und Adventskalender überbieten sich an merkantiler Originalität. Laden zur Ungehemmtheit ein. In jeder Beziehung.

Herrn Carusos Schramme eitert. So etwas passiert immer an einem Sonntag.

Feuerzeit

Heute Mittag wieder Nebel. Statt Mahlzeit Zeit für die Ohren. Eine Rahmentrommlerin im Radio berichtet von ihrem "globalen Ohr". Herr Caruso kommt mit einer blutigen Schramme über der Rübe nach Hause. Musste sich wieder mit dem Nachbarn fetzen, statt seiner Wege zu gehen. Oder umgekehrt. Ich hatte Herrn Baron tatsächlich vorhin auf unserer Seite gesichtet. Die Welt der Musik, sagt die Rahmentrommlerin, sei größer als der Fellradius ihres Instruments. Größer als alles Fassbare. Und müsse unaufhörlich neu gefüttert werden. Nachschub her. Gier befriedigen. 

Dann zitiert sie sinngemäß Thomas Morus. Tradition bedeutet nicht, die Asche zu bewahren, sondern das Feuer weiterzugeben. Also: Feuerzeit! Und Fellradius unserer Freigänger.

Freitag, 25. November 2022

Auszeit

Kaum zu glauben, was sich Astronomen so alles erlauben am Himmel. Einer wollte aus purer Liebe zu den sogenannten Samtpfoten, dass eine Katze mit ihren Krallen "auf den Sternkarten scharrt"! Eine andere Version derselben Geschichte besagt, dass der Himmelsgucker mit der scharrenden Katze im Weltall posthum Voltaire ärgern wollte. Der mochte nämlich die an Möbeln kratzenden Viecher nicht und hatte sich angeblich in einer seiner philosophischen Schriften erfreut darüber gezeigt, dass die Katze nicht zu den himmlischen Tieren gehöre. Wie auch immer. Der Katze oder lateinisch Felis bekam ihren Platz auf der Karte. Tief am Südhimmel liegt sie griesgrämig und aufgeplustert zwischen den Sternbildern Wasserschlange und Luftpumpe. Letztere geht auf das Konto desselben Komikers, der die Pendeluhr ins Universum nagelte. Felis war unglücklich, es gab nichts zu fressen und sie vermisste ihre Schnurrkumpel. Also verkrümelte sie sich alsbald. Ihre schwach leuchtenden Sterne verglimmten und was übrig blieb, verschlang die Wasserschlange oder pumpte die Luftpumpe hinfort.

Donnerstag, 24. November 2022

Zinkzeit

Die letzten Nächte waren alle erstaunlich sternenklar. Die Tage, die darauf folgen sind hingegen lichtlos, unklar. Neblig. Trübe. Feucht. Grau. Schwer. Ich frage mich jeden Morgen, wo die Klarheit der Nacht hin ist. Kürzlich hörte ich einen Zinkenisten. Einen leidenschaftlichen Zinkbläser und begeisterten Schütz-Interpreten. Der Zink ist ein Blasinstrument aus Holz. Und Turmbläser spielten früher meist den Zink, weshalb auch sie Zinkenisten genannt wurden. Damals, erzählt der heutige Zinkenist im Radio, mussten die Bläser in Leipzig vom Turm der Thomaskirche täglich stundenlang Choräle blasen. Und die Stadtpfeifer mussten morgens um 10 und abends um 6 vom Turm des Rathauses Instrumentalmusik spielen. Deshalb, weil die Pfeifer in vielen Städten, nicht nur in Leipzig, ihren täglichen Verpflichtungen nachkommen mussten, blieb der Zink der Welt als Instrument noch lange erhalten, als er längst aus der Mode gekommen war. Der Zink sei nicht mehr verbesserungsfähig gewesen, sagt der Zinkenist heute. Das Instrument erfüllte perfekt die Anforderungen der Musik des frühen 17. Jahrhundert in der mitteltönigen Stimmung. Also für Melodien in Tonarten mit ein oder maximal zwei Vorzeichen. Als die Komponisten mehr wagten, drei B's oder fünf Kreuze zum Beispiel, sei es für die Zinkenisten schwierig geworden, kamen andere Blechbläser mit neuen Blechblasinstrumenten zum Einsatz. Es gäbe bei diesem Instrument keine enharmonischen Verwechlungen, deshalb sei es schwierig; eine chromatische Linie zu spielen - behauptet der moderne Zinkenist und macht es vor. Nicht ganz sauber und absteigend! Ab ca Minute 17.

Mittwoch, 23. November 2022

Neumond

Grad noch so schafft es der Neue Mond in den Alten Tag am Wattenmeer. Nun steigen die Temperaturen wieder und das Leben bekommt neue Energie. An Schlaf ist da nicht zu denken, obwohl sich die Nacht ungewöhnlich finster präsentiert. Die Stadt dimmt endlich auch die Straßenbeleuchtung.

Dienstag, 22. November 2022

Pendeluhr

Die Pendeluhr ist über dem Wattenmeer nie zu sehen. Sie ist ein Sternbild des Südhimmels. Ein französischer Astronom kam einst auf die umwerfende Idee, die Pendeluhr aus seiner Sternwarte über den Nachthimmel pendeln zu lassen. Er fasste alle Sterne der Südhalbkugel zu neuen Bildern zusammen, die er nach technischen Gerätschaften benannte. Wie Telescopium, Microscopium, Reticulum, Norma, oder eben: Horologium [damals mit dem Zusatz: Oscillitorium] - eine Kette unscheinbarer, eher lichtschwacher Sterne, die von Menschen, wenn überhaupt, von bloßem Auge nur südlich des 20. Breitengrades gesichtet werden kann. Am besten dort irgendwo auf einen Berg steigen und die klare Luft einatmen. Geduld üben. Irgendwann schlägt das Pendel am Firmament bestimmt in die richtige Richtung aus.

Montag, 21. November 2022

Aberrationszeit

Eine noch frostigere Nacht endet am frühen Morgen mit der noch schmaleren Mondsichel am Himmel immer noch im Südosten. Die Aberrationszeit ist die Zeit, sagt das Lexikon, "die das Licht aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit benötigt, um von einem Himmelskörper zur Erde zu gelangen".

Aberration kommt von lat. aberratio - Verirrung, Abirrung, Abweichung. Ab-Error! In der Optik ist die Aberration ein Abbildungsfehler. Eine Täuschung? Eine sphärische Aberration ist ein Schärfefehler. Lichtstrahlen, die vom gleichen Objekt auf einer Achse ausgehen, haben nach dem Durchgang durch ein System nicht mehr die gleiche Schnittweite und laufen nicht mehr zu einem Punkt zusammen. 

Was ich in einer klaren Nacht am Himmel sehe, wirft mehr Fragen als Antworten auf.

Sonntag, 20. November 2022

Mondzeit

Eine frostige Nacht endet am frühen Morgen mit der hellen schmalen Sichel hoch am Himmel im Südosten. Die Zeit des Novembermondes neigt sich dem Ende zu. Ein sonniger Sonntag nimmt Anlauf. Ich habe ein immenses Bedürfnis nach Wärme und backe Kuchen. Nebenher höre ich ein Gespräch mit einem Physiker und Klimafolgenforscher. Der sieht alles als reine Mathematik. Die ganze Welt und all unsere Fehltritte. Und sagt, das größte klasssische, noch nicht gelöste Problem der Physik sei die Turbulenz. Der Wirbel. Die Frage, wie sich die Wirbel in der Turbulenz verhalten. Kaskaden von Luftverwirbelungen, die ich zum Beispiel erzeuge, wenn ich Fahrrad fahre, oder der Lokführer, der eine Schmalspurbahn durch malerische Berge zieht, diese Wirbel erzeugen Energie, Wärme. Und könnten uns eigentlich erlösen von jeglichem Kraftaufwand. Tut sie aber nicht. Die Suche der Universalität in der Turbulenz dauert an.

Samstag, 19. November 2022

Endzeit

Japanische und russische Meteor-Experten haben präzise vorausberechnet, dass die Erde in den frühen Morgenstunden des 19. Novembers 2022, also heute, ungefähr jetzt, vor Beginn der Morgendämmerung, durch eine "staubige Splitterspur" zieht, die der Komet 55P/Temple-Tuttle vor rund 200 Jahren, genau im Jahre 1733 im All zurückgelassen hat. Mit etwas Glück, sagen diese Experten, könnten auch "größere Brösel" dabei sein, also erbengroße! Und die würden beim Eintritt in die Erdatmosphäre wie ein Feuerball aufgehen und mehrere Sekunden nachleuchten. Sprich: bei klarem Himmel sind ungewöhnlich helle Sternschnuppen zu sehen!

Am Abend, lange nach Sonnenuntergang, singen wir ein besonderes Requiem, ein dieser traditionellen Liturgieform konzeptuell nachgebildetes Konzert. Innovativ. Befremdend. Aber nicht ohne Trost. 

In Paradisum - Requiem zum Ende des Kirchenjahres
 
Werke von Arvo Pärt, W.A. Mozart, J.S. Bach, John Cage u.a. und Improvisationen. 
Texte von Rainer Maria Rilke, Hildegard von Bingen, Meister Eckhart und Hans Sahl.
Mitwirkende:
Meldorfer Domchor
André Wittmann, Live-Elektronik & Percussion
Fabian Luchterhandt, Orgel
Rainer Luxem, Rezitation
 
Leitung: Anne Michael

Meldorfer Dom, Beginn 19:30 Uhr

Freitag, 18. November 2022

Zeitlos

Generalprobe im Dom. Kalt. Open End. Wir hören zum ersten Mal, was um uns herum akustisch geschehen wird. Beim Konzert. Angefangen vom Lektor, der von der Kanzel herab ua Meister Eckharts Predigt "Vom Tod" verkündet. Über die Orgel. Bis hin zur Elektronik, die uns das "Inferno der Gleichgültigkeit" präsentiert. Bevor wir alle in paradisum enden. Natürlich ist es angebracht, dem geneigten Publikum die Posaunen des Jüngsten Gerichts in einer der heutigen Zeit und der heutigen Gesellschaft angepassten Inszenierung um die Ohren zu hauen. Die Grabeskälte im Kirchenraum lähmt uns alle etwas.

Donnerstag, 17. November 2022

Hundewetter

Ich kaufe regelmäßig Futter für Herrn Caruso. Ich besitze nur für das Futterhaus eine Kundenkarte. Für mein eigenes täglich Brot brauche ich keine dieser nervigen Rabattmöglichkeiten. Manche Kassiererinnen fragen trotzdem jedesmal nach - Herrn Carusos Lieblingsfutter gibt es nämlich nicht im Futterhaus, weshalb ich ab und zu den benachbarten Supermarkt aufsuche, wo aber seit Wochen im Tierfutterregal gähnende Leere herrscht. Weshalb sich mein Hauptmieter gerade an Biofutter gewöhnt! Im Futterhaus werde ich immer kompetent und freundlich beraten, wenn ich ein Problem habe. Kürzlich brauchte ich ein weiches Leckerli, mit dem ich den Kater, der leichte Entzündungswerte im Harn zeigte, überlisten konnte, seine Antibiotika einzunehmen. Eines, das groß und weich genug war, dass ich die bittere Pille hineindrücken konnte, ohne dass sie am anderen Ende wieder herauskam, und ohne dass das schmackhafte Gebilde in meinen Händen zerbröselte.

Die Verkäuferin empfahl mir zwei Katzenleckerlis, sowie eine Hunderolle. Letztere sei zwar für Hunde, sagte sie, würde aber dem Kater in dieser minimalen Dosierung sicherlich nicht schaden. Da sei ja dasselbe drin. Und der Vorteil: ich könnte nach Bedarf portionieren. Das überzeugte mich. Und ich nahm alles mit. Für alle Fälle. Seither - es ist ja nun fast genau ein Monat her - bekomme ich täglich (!) Hundewerbung in meinen Spamordner. Hundefutter. Hundeschulen. Hundebetten. Hundeleinen. Hundeleben. Hundelohn. Hundewetter. 

Ich habe Herrn Caruso die Hunderolle nicht verfüttert, weil es mit den Katzenleckerlis prima klappte. Eine Woche lang, zweimal täglich, als amuse-gueule morgens und abends vor dem eigentlichen Futter auf meiner Handfläche präsentiert, schluckte mein bissiges Raubtier begeistert eine scheusslich schmeckende Tablette hinunter. Die Gier war immer stärker als die Erinnerung. 

Die Hunderolle behalte ich erstmal. Sie ist unangeschnitten noch fast ein Jahr lang haltbar. Vorräte für alle Eventualitäten schaden gerade nicht. Zu Weihnachten oder Ostern bekommt sie der Neuzugang der Nachbarn, ein kleiner weißer Kläffer, der erst noch erzogen werden muss.

Heute Sturm. Morgen Schnee! Werbung für Katzenfutter oder Katzenerziehung bekomme ich übrigens nie. Und Herr Caruso ist geheilt von seiner Blasenentzündung.

Mittwoch, 16. November 2022

Tiefstand

In der DLZ ist zu lesen, dass wir (der Meldorfer Domchor) "zum Beispiel" (nebst anderen, Beispielen oder Werken) eine "Doppelchor-Motette von John Cage, einem zeitgenössischen Komponisten aus den USA" vortragen (beim Konzert zum Ende des Kirchenjahres). Cage würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn ihn dort die Dithmarscher Landeszeitung erreichte. Er ist seit 30 Jahren tot und wurde vor 110 Jahren geboren. Zeitgenössisch mag trotzdem gelten. Aber Motette? Und doppelchörig? 

Tatsächlich singen wir eine doppelchörige Motette von Johann Sebastian Bach. Wie sich das gehört für einen Domchor. Und von Cage, wie bereits gesagt, Four Two. Mag sein, dass die englische 2 in die Irre führt, vor allem wenn sie hochgestellt wird: Four2 

Cage meinte aber mit diesem Titel einfach seine zweite Komposition für 4 Stimmen. Er liebte es, eins zum anderen zu zählen! Und meinte nicht, dass die vier Stimmen hoch zwei, also doppelt genommen werden sollen. Das ist zugegeben mathematisch reichlich konfus.

Noch konfuser wird es, wenn wir die Linguistik mitreden lassen. Sprachwissenschaftler behaupten, die Motette käme etymologisch von "mot" (frz für Wort) oder "motto" (lat für Spruch), in ihrere Logik liegt einer Motette ein Bibelspruch wie ein Motto zugrunde. Und was macht Cage? Er unterlegt "Four Two" mit den Buchstaben des Namens des Staates OREGON. Warum und wozu? Das weiß kein Mensch!

Dienstag, 15. November 2022

Hochzeit

Schätzungsweise 8 Milliarden Menschen leben heute auf der überhitzten Erde! Eher eine Handvoll mehr als weniger. Vor einhundert Jahren waren es ungefähr zwei Milliarden und vor zweihundert eine. Grob gerechnet. Aber einigermaßen erschreckend, oder? Damals war das Klima noch etwas kühler. Ich glaube nicht an den Weltuntergang. Wo soll die Welt denn hin? Wenn sie untergehen will? Ich glaube eher an Implosion oder Explosion. Wir - bzw ungefähr Erbsengroße Brösel all unserer Errungenschaften - werden dereinst als Sternschnuppen in anderen Atmosphären verglühen. Und dort denjenigen geheime Wünsche erfüllen, die noch nicht wunschlos glücklich sind.

Montag, 14. November 2022

Laubzeit

Der erste richtig kalte Tag am Wattenmeer! Ich muss mich ranhalten und entferne bei bereits abnehmendem Tageslicht mit dem Rasenmäher eine weitere Schicht Laub von meinem Rasen. Die Bäume sind immer noch voll! Die Edelkastanie, der Apfelbaum, die Blutpflaume, der Kirschbaum. Trotzen den sinkenden Temperaturen und den kürzeren Tagen. Geschlechtergerecht alternierend. Wie sich das heute gehört.

Sonntag, 13. November 2022

Bildzeit

Das Haar der Berenike hingegen ist ein Katasterismos. Das hat nichts mit dem Kataster zu tun, dem Register aller (na ja, fast!) Flurstücke auf Erden. Der Kataster geht auf griechisch katástichon zurück, der Liste, dem Geschäftsbuch oder eben Register. Und der Katasterismos birgt im Kern den Stern - aster. Katasterismos ist eine literarische Textsorte, die sich nur mit der Entstehung von Sternbildern beschäftigt. Also darüber werweißt, spintisiert oder spekuliert, wie die Leuchtkörper am Himmel entstanden sind, warum sie sich zusammengefunden oder voneinander entfernt haben und woher sie ihre manchmal doch sehr wunderlichen Namen haben.

Das Haar der Berenike soll das einzige aller heute bekannter Sternbilder sein, das seinen Namen von einer historischen Person erhalten hat, von Berenike, der Frau des ägyptischen Königs Ptolemaios. Natürlich nicht von ihr selbst, sondern von diversen männlichen Astronomen. Allen voran von ihrem eigenen Hofastronom Konon. Und von ihrem eigenen Hofdichter Kalimachos, der einen lyrischen Katasterismos verfasste, in dem er das Haar poetisch in eine Locke verwandelte und diese erzählen lässt, wie sie den Aufstieg vom Kopf der Königin ans Himmelszelt geschafft hat. Hier in lateinischer Übersetzung von Catull nachzulesen.

Samstag, 12. November 2022

Windzeit

Eigentlich wollte ich heute noch einmal über Wolmersdorf und die nun brachen Felder nach Windbergen radeln. Zum Gongkonzert. Mit 5 neuen Gongs. Den Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Aber dann bot sich mir eine Mitfahrgelegenheit auf 4 Rädern an. 

Erst auf dem Rückweg wird mir klar, wie halsbrecherisch die Fahrt mit dem Fahrrad hätte enden können. Mit Sonnenuntergang steigt dicker Nebel aus dem Boden und wabert. Hoch oben am Himmel das wunderschönste Abendlicht. Und die Planeten! Unten, bis ungefähr 1 Meter über NN Sichtweise praktisch Null.

Freitag, 11. November 2022

Urzeit

Mein vietnamesischer Mönch bietet seit einigen Wochen am Freitag Qi Gong Kurse online an. Er ist jetzt in Kalifornien und startet um 6:30 California time. Bislang war das bei mir am Wattenmeer 15:30. Letzte Woche sagte mir das Video um 15:30, der livestream habe vor 59 Minuten begonnen. War also bereits zu Ende. Macht ja nix, es ist ja heutzutage alles immer und für alle Ewigkeit verfügbar. Trotzdem war ich slightly verwirrt. 

Diesen Freitag will ich mich vorsehen. Clicke auf das Symbol der Glocke und hoffe, der Alarm werde mich rechtzeitig erinnern. Tut er nicht. Ich kontrolliere seit dem Mittag jeweils zur halben Stunde, ob sich etwas tut in der virtuellen Welt. Nichts. Konsultiere mehrere timezones Seiten. Und werde nicht klüger als ich schon bin. 

Pünktlich um 15:30 fängt der Bildschirm an zu reden mit mir: " ... hopefully you are happy and well this morning ..." 


Donnerstag, 10. November 2022

Handstreich

Auch die Hand des Zwillings ist ein Fehler am Firmament. Sie hat es trotzdem in die Literatur geschafft. Und wartet wahrscheinlich immer noch ausgestreckt am Straßenrand. In The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy - Per Anhalter durch die Galaxis.

Die Hand des Zwillings ist nicht nur ein Schreibfehler. Sie ist auch ein Stellungsfehler. Sie befindet sich im Sternbild Orion. Ungefähr dort, wo der Orion an das Sternbild Zwilling grenzt. Aber eher mit dem Fuß  ... Per Fußtritt durch das Weltall? 

Diese Hand oder dieser Fuß am Himmel hört auf den unaussprechlich schönen deutschen Namen Beteigeuze. Sie oder er ist aber im Arabischen auf Yeteigeuze getauft, yad al-gauza. Was wörtlich übersetzt eben die Hand des Zwillings wäre. Aber da die Silben YA und BA sich im Arabischen wohl zum Verwechseln ähnlich sehen, entsprang der Hand irgendeines irdischen Abschreiber eines Tages die Beteigeuze statt der Yeteigeuze.

Mittwoch, 9. November 2022

Heißzeit

Dazu passt das Fremdwort des Tages: echauffieren. Sich vor Wut und Ärger selbst erhitzen. Ich kaufe mir eine lange Lammwollunterhose. Morgen abend proben wir im Dom zu Meldorf für das Konzert zum Ende des Kirchenjahres. Open end! Es wurden keine Angaben zur Kirchenraumtemperatur gemacht. Kürzlich hörte ich ein Feature zum Themenschwerpunkt Heißzeit. Nach den Grashalmen waren die Gletscher an der Reihe. Unser aller Alptraum. Es ging weniger um wissenschaftliche Fakten des schmelzenden Eises als um deren klangliche Umsetzung. Ich besitze bereits das Requiem  auf einen Gletscher von Julia Calfee. Nun höre ich den Klang des Rhonegletschers von innen. Auch er wird über kurz oder lang verschwunden sein von der Erdoberfläche. Ob nun das Geschwafel in Ägypten oder akustische Meditationen über die Entstehung einer Schneeflocke etwas ändern an der Sache an sich? Seltsamerweise bin ich seither süchtig nach Videos über kollabierende Eisberge. Das Überwältigendste darin ist immer die gezeigte Geschwindigkeit. In Echtzeit oder nicht! Zuerst langsam, langweilig, öde, und dann Wummms! Rasend schnell. Mit verheerenden Folgen.

Dienstag, 8. November 2022

Schattenzeit

Der Mond wird gerade voll auf seiner Wanderung durch den Schattenkegel der Erde. Lange bevor er diese Wanderung beginnt, lange bevor er zuerst die Tür zum Halbschatten, dann zum Kernschatten öffnet und mutig hineinschreitet, ist er bei uns bereits vom Himmel verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt! Wir bleiben also schattenverschont am Wattenmeer und sehen keinen Blutmond, keine Totale Finsternis. Ist das nun gut oder schlecht? Hier ist alles nachzusehen.

Montag, 7. November 2022

Kaltzeit

In der Probe in Marne erklärt uns der Chorleiter, dass die Kirche aus Kostengründen nur noch auf +10° geheizt würde. Auf dem Heimweg im Anruftaxi, das mich als einzige Passagierin am ZOB an Bord nimmt und fast bis vor die Haustür fährt, da seine nächste Bestimmung Nindorf ist, versuche ich mir vorzustellen, ob ich das aushalte. Bei 10° plus am zweiten Advent das Wiehnachtsoratorium in Plattdüütsch zu singen. Musikalisch nicht anspruchsvoll. Sprachlich transparent. In Konzertkluft im Stehen in Konzertschuhen.

 

Sonntag, 6. November 2022

Lichtjahre

Arabisch fum al-hawt (= wörtlich Maul des Fisches) ist ein Stern, der 25 Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Einer der hellsten Sterne am Himmel, obwohl er von einer gigantischen Staubschicht umgeben ist.

Als ich am Nachmittag den Kopf hebe, steigt gerade der schon fast volle Mond durch eine Lücke der Dächer der Nachbarn übern Horizont. Es ist bloß ganz kurz und noch ganz blass zu sehen. Die Sonne ist noch nicht untergegangen. Und er zieht sich sofort hinter eine schützende Wolkenwand zurück. Es ist einer dieser Sonntagsmomente, wo ich mich im Nachhinein irritiert frage: hab ich ihn nun gesehen oder nicht? Hab ich ihn mir nur eingebildet oder nicht? "Nur" erfolgreich gewünscht? Aus eigener Kraft hervorgeholt? Ich nage am Bleistift. Eigentlich war ich mit meinen Gedanken gerade ganz wo anders und absolut überrascht, fühlte mich fast ein bisschen überrumpelt oder ertappt, obwohl ich nichts Verbotenes ausbrüte, dass der Mond über meine Schulter auf mein Blatt Papier äugt.  

Die Deutschen haben das Maul des Fisches falsch übersetzt. Eingebildet. Haben einfach die arabischen Laute fum al-hawt nachgebildet und sind auf Fomalhaut gekommen. Ungebildet!

Samstag, 5. November 2022

Echtzeit

Was ist Echtzeit? Ich weiß es nicht! real-time im Englischen. Manchmal hilft ja ein Ausflug in die Fremde. Dort, in jenem Sprachraum, gibt es auch near-time (meist Daten). Near-time Daten kommen zum Beispiel aus dem Weltraum. Echtzeit ist eine Größe der Informationsverarbeitung, hat aber nichts mit dem Tempo derselben zu tun. Höchst verwirrlich für meinen armen Geist ist die Unterscheidung von harter (hard real-time), weicher (soft real-time) und fester Echtzeit.

Nur der Duden definiert Echtzeit auch als "simultan zur Realität ablaufende Zeit", also so etwas wie unser täglich Brot.

Freitag, 4. November 2022

Lichtzeit

Es ist immer Glückssache, ob der Mond zu sehen ist oder nicht. Tagsüber hat es ständig geregnet. Aber wie so oft, klart der Himmel gegen Abend auf. Also momentan so zur Mitte des Nachmittags. Er kredenzt uns sogar einen Regenbogen. Und der Mond kommt püntklich, bereits zu Jupiter vorgerückt. Der ist viel heller als Saturn. Der hellste Lichtpunkt weit und breit (mal abgesehen von den Straßenlaternen).

Donnerstag, 3. November 2022

Probezeit

Der Kater ist extrem hungrig. Sein Lieblingsfutter ist seit Wochen ausverkauft. Die Verkäuferin, die ich darauf anspreche, zuckt mit den Schultern. Es käme derzeit zu den seltsamsten Lieferengpässen. Und wie sag ich's meinem Raubtier? Der Sturm hat meine Gebetsfahnen zerzaust. Das ist nicht weiter schlimm, sondern sogar gewünscht. Aber er hat so sehr an der Leine, an der sie hängen, gerüttelt, dass sie zerriss. Das ist schlimm und ich rette, was zu retten ist. Am Abend Domchor. Unsere junge Kantorin ist ungeduldig. Die Zeit drängt und das ist nichts für schwache Nerven. Als noch genau 7 Minuten verbleiben, klatscht sie in die Hände. So und nun noch Cage! Der dauert tatsächlich nur 7 Minuten, aber bis wir uns neu sortiert haben und die Töne finden ...

Mittwoch, 2. November 2022

Sternzeit

Die gibt es im Radio. 105 Sekunden täglich. Ein Stück oder eine Geschichte vom Himmel. Heute erzählt sie von der ISS, die auf den Tag genau seit 22 Jahren dauerhaft von Menschen besetzt ist. Anders herum betrachtet: seit 22 Jahren sind nie mehr alle Menschen gleichzeitig auf der Erde. Ein paar - anfangs mindestens drei, dann mindestens zwei, mittlerweile meistens sieben, bei Schichtwechsel aber auch elf und während des Besuchs nerviger Touristen aus den USA entsprechend mehr - schweben immer über oder unter uns im himmlischen Außenposten. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht und diese frappierende Einsicht kommt ausgerechnet heute, an Allerseelen über mich. Aus dem Radio.

Dienstag, 1. November 2022

Halbzeit

Der Mond, wie mit dem Beil auseinandergehauen, leuchtet im Süden, bevor die Sonne untergeht. Ein paar wenige Grade links über ihm Saturn! Nun wird es am Nachmittag rasant dunkel am Wattenmeer und am Himmel irrlichtert es mächtig. Ich muss mich ranhalten mit dem Laub unter meinen Bäumen.