Samstag, 31. Dezember 2016

Die Nacht

Das Neulicht ist jetzt in der Abenddämmerung ca eine Stunde da. Auch wenn wir es nicht sehen, mit Blindheit geschlagen vor einem Spiegel stehen und uns schön machen für die letzte Nacht des Jahres. Den ganzen Tag über herrschte mehr oder weniger dicke Luft, sprich: dicker Nebel und feuchtes Nieseln über Meldorf. Trotzdem ist das neue Licht des neuen Mondes da. Kommt alle gut in den Morgen! Oder in das Morgen?

Freitag, 30. Dezember 2016

Winter

Eine glasklare Nacht über Dithmarschen geht zu Ende. Endlich Frost und Sterne zum Greifen nahe. Die Glut am Himmel zwischen Nacht und Tag wird die aufgehende Sonne löschen, so ist das immer. Die Helligkeit frisst die Farben der Dämmerung, das Lodern, die Energie an den Übergängen, das Übergreifen der Ränder. Das Licht kennt keine zweite Dimension.
Die Hede aber ist ein wirres Knäuel, ein Synonym für Werg. Aus Liebe zur übertragenen Bedeutung im Verb "verheddern" bevorzuge ich die Hede. Die Hede ist meist voluminöser als die gereinigten und gebürsteten Fasern von Hanf, Flachs oder Leinen. Nebel ist auch dicker als klare Luft. Die Hede beansprucht viel mehr Platz in der Welt, als die zu einem flachen Stück Stoff ordentlich versponnenen Fäden. Ein Papierkorb ist größer als jedes gedruckte Buch. Die Rastvögel verheddern sich in den von Menschen aufgespannten Netzen und meine Gedanken verheddern sich in den Schlingpflanzen des Unvorstellbaren. Sobald alle Reste der Nacht verschwunden sind, fahre ich auf meine Haushallig.

Donnerstag, 29. Dezember 2016

Neumond

Heute ist Neumond, volkstümlich der "leere Mond". Nicht vorhanden am Himmel, egal, ob der klar oder bedeckt ist. Trotzdem macht gerade der Dezemberneumond kurz vor Jahresende Mut, denn er garantiert uns das Neulicht, volkstümlich den "Fingernagelmond", noch im alten Jahr.

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Helmsand

Der Wind ist so gnädig, die Tide, die Sonne, das Wolkenwabernde Türkis - dass ich bei auflaufendem Wasser bis nach Helmsand komme und die äußersten Ränder der Zivilisation abschreite.

Dienstag, 27. Dezember 2016

Die Hooger Menagerie

Ja, die Zeit lädt gerade ein zum Revuepassieren. Auf Hooge gibt es eine wahre Fliegenplage. Die Hooger Fliegen beißen. Und die Hooger Fliegen scheißen alles voll. Ab Mittsommer ist die ganze Hallig schwarzgepunktet. Mücken dagegen sind vergleichsweise harmlos. Sie schwirren einem höchstens in den ungelegensten Momenten, zum Beispiel, wenn man auch in einer mondhellen Nacht endlich einschlafen will, um den Kopf. Die meisten Vögel sind Zugvögel, nur die bunten versucht man in Volieren zu sperren - zu denen gehörte auch ich, aber ich befreite mich aus eigener Kraft! Elefanten hingegen sind zahm und frei. In Ermangelung eines richtigen Porzellanladens trampeln sie auf dem platten Land alles platt, was ihnen unter die Füße kommt. Aber es gibt auch Löwen, Rothirsche und andere Brunftschreier oder zu groß geratene Katzen. Auch richtige Katzen natürlich, launische, beleidigte oder erniedrigte, sowie getretene Hunde, Füchse, die auf schlau machen und doch ewig falsch bleiben. Diebische Elstern. Giftige Schlangen. Hälsereckende Giraffen. Radschlagende (nicht ratschlagende) zierliche Pfauen. Mit einem Wort: Eine höfische Menagerie - wie zu Zeiten Heinrichs des Dritten von England im Tower of London.
Allein, es fehlt das gekrönte Haupt, the King of Kings! Der Sitz, das Schloss, der Thron, die Insel, die deutschen Eichen, die Sommerfrische, das ausgelassene Treiben eines Sanssouci, Fasanenjagd oder Fruchtbarkeitssymbolik à la Hohenzollernscher Weinbergterrassen!

Montag, 26. Dezember 2016

Auf dem Leim

Vogeljagd kann brutal sein. Das hab ich auf Hooge mit angesehen und finde ich heute unvermutet wieder, gebeugt - in ganz anderer Sache - über den Duden: Die Redensart "jemandem auf den Leim gehen" (=  im heutigen Sprachgebrauch "sich von jemandem täuschen lassen") kommt tatsächlich davon, dass früher Leim an bekannte oder beliebte Vogelrastplätze geschmiert wurde, so dass die armen Dinger über Nacht kleben blieben und bei Sonnenaufgang keinen Ausweg mehr fanden.
Im Watt vor den Halligen wurden früher Krickenten, Brachvögel, nordische Regenpfeier und Ringelgänse das ganze Jahr über gejagt. Laternenschießen nannten die Halligleute das Verfahren. Mit Laternen wurden die Vögel in der Nacht angelockt oder verblendet und erschossen. Nichtnett! Oder man spannte hohe weitmaschigen Stellnetze, scheuchte die schlafenden Gänse auf und ließ sie sich in den Maschen verheddern. Den Hals drehte man ihnen erst am nächsten Morgen um, da waren sie in ihrer Panik schon halb krepiert. Auchnichtnett! Heute ist das alles verboten. Die Jagd auf Seevögel, Enten oder Gänse hat sich auf deren Eier verlagert. Entgegen aller Bestimmungen des NABU holen Hooger Frauen - Männer hab ich keine gesehen - den Bodenbrütern die Eier aus den Nestern und backen Kuchen damit! Nicht, weil es auf der Hallig keine Hühner gäbe, die Eier legen. Sondern weil die Weiber die Viecher hassen! Wen kümmern da draußen im Wattenmeer buntgescheckte Listen, die sogenannten "Fieberkurven des Naturschutzes". Die Damen fühlen sich vom Gekreisch der Austernfischer in ihrer Nachtruhe gestört. Oder die Ringelganskacke allüberall geht ihnen auf den Wecker. Zwar behauptet der Verantwortliche der Schutzstation, er würde jeder, die er beim Eiersammeln erwische, wie eine Perlenkette die Klage an den Hals hängen. Aber wie das so ist auf Hooge, da guckt man eben in die andere Richtung. Dies ist eine weitere meiner unzähligen Nussschalen - my small Hooge universe in a nutshell! Die übergebe ich nun den Dithmarscher Sturmböen. Denn endlich frischt der Wind auch bei mir auf. Bis Mitternacht laufen die Nordfriesischen Halligen voll. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das Niedrigwasser ist jetzt gerade so hoch wie sonst das Mittlere Hochwasser. Bis zu zwei Meter höher als normal wird die Flut bis Mitternacht auflaufen. Gehabt Euch wohl, Ihr Lachmöven- und Seeschwalbeneier-kuchenbäckerinnen!

Sonntag, 25. Dezember 2016

Dem Wind entlang

Mein Weihnachtsspaziergang führt mich dem Wind entlang durch die Feldmark. Auch hier werden Gräben ausgebessert, ausgehoben, von Wildwuchs, ganzen Bäumen befreit. Nicht heute natürlich, aber in den letzten Arbeitstagen. "Niederungen", las ich kürzlich, "sind die Leidtragenden beim Klimawandel." Mit einem "aus Serbien stammenden, angemieteten" Spülbagger würden Gräben "abgeflacht". Um die ansteigenden Regenwassermengen "zu beherrschen". Na ja. Mir gefällt diese Sprache nicht und der Wind ist mir immer noch zu lau. Zwei Rehe üben Weitsprung über die abgeflachten Gräben. So hat alles sein Gutes. Die gierigen Raben hocken auf dem frisch aufgeworfenen Schlick. Ansonsten kein Lebewesen weit und breit.

Samstag, 24. Dezember 2016

Auf dem Holzweg

Statt den Weihnachtsbaum zu schmücken, bin ich auf dem Holzweg. In der Nacht hörte ich die ersten zögerlichen Versuche eines Sturmtiefs über meinem Kopf. Ich war sofort hellwach und wusste endlich - hörte es! - , was mir seit drei Monaten fehlt: Der Wind über dem Dach. Sein unaufhörliches Rauschen, Sausen, Brüllen, Rütteln, Zausen, Zaudern, Zögern, Atemholen und da capo mit neuer Kraft ... nächtelang, tagelang, wochenlang. Im Halbschlaf aß ich vom Baum der Erkenntnis! Leichtsinnig wollte ich am Morgen gleich aufs Fahrrad steigen und ans Meer fahren. Aber ich säge nicht an dem Ast, auf dem ich sitze. Mit dem ersten Tee kommt auch die Unwetterwarnung aus dem Radio, Böen von Westsüdwest bis 100 kmh, Starkregen. Ich öffne vorsichtig die Haustür und es verschlägt mir den Atem. Also setze ich mich an den Schreibtisch und lasse mich belehren, dass "sich einen Ast lachen" bedeutet, dass man sich halbtot lacht, dass man sich krümmt vor Lachen. Und dass dieser Ast nicht ein Teil des Weihnachtsbaumes ist, sondern des menschlichen Knochenapparates. Früher war "Ast" ein Synonym für Buckel. Wenn man nicht an sich halten konnte vor Lachen, den Rücken nach vorne beugte vor Lachen, machte man einen Ast bzw. Buckel. Das ist astrein. Und hochpreisig!

Freitag, 23. Dezember 2016

Die Würde der Kieselalge

Ich bekomme erstaunlich viele Weihnachtskarten. Auf Papier. Per Post. Von Hand geschriebene Adressen und Wünsche. Die bisher schönste erreicht mich aus Todenbüttel. Auf dem Umschlag eine Briefmarke der Deutschen Post aus der Reihe Mikrowelten. Eine Kieselalge - 600-fach vergrößert, wie ich sie im Watt nie gesehen habe. Die Mikroflora ist von bloßem Auge kaum zu erkennen. Kieselalgen werden im Extremfall höchstens wenige Zehntel Millimeter groß und kitzeln doch im Sommer die Zehen der Wattwanderer auf dem Weg zum Japsand. Es können aber auch Geißelalgen sein. Blaualgen, Blaugrünalgen, Schaumalgen und wie sie alle heißen. "Jede Kieselalge", erklärt die Deutsche Post, "ist von einem Kieselgehäuse umgeben, das aus zwei Teilen besteht, die perfekt aufeinander passen. Wie bei einer Pralinenschachtel ist der Deckel dabei stets größer als der Boden. Die Gehäuse haben oft prächtige Formen, geziert durch ein Rippen-, Streifen-, Spitzen- oder Lochmuster." So fühlt sich Weihnachten an!

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Wintersonnenwende

Es dauert noch mindestens zehn Tage, bis die Tage tatsächlich und erstmal unmerklich, minimal länger werden. Heute sind Null Sonnenstunden vorausgesagt, dafür ein konstant bedeckter Himmel und viel milder Regen. Deshalb jage ich nun oben eine geballte Ladung Licht ins Layout. Denn hier liegt alles in meiner Hand. Ich bin eine Frau! Dazu nochmals ein Zitat:
Fragt eine Journalistin Louise Bourgeois: "Sind Sie Feministin?"
Antwortet sie entrüstet: "Wozu? Ich bin eine Frau!"

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Die Schönheit der Steine

"Das Material ist mein Medium. Seine Aufgabe ist es, mir zu dienen, und nicht umgekehrt. Ich bin nicht auf der Welt, um die Schönheit der Holzmaserung auszudrücken. So etwas kann mir gestohlen bleiben. Mich interessiert die Schönheit der Steine nicht. Die setze ich voraus! Das soll nicht heißen, dass ich meinem Material keinen Respekt zolle." (Louise Bourgeois - die ihr Leben lang an Schlaflosigkeit litt) - Gehört im Feature: "Ich vergebe nicht, ich vergesse nicht."
http://www.ndr.de/ndrkultur/Ich-vergebe-nicht-ich-vergesse-nicht-Louise-Bourgeois,kulturforum556.html

Dienstag, 20. Dezember 2016

Adventseinteiler

Aus professionellem Interesse guckte ich gestern abend den Gotthard-Film auf dem laptop - ich wollte wissen, wie man einen heimatverbundenen "Adventszweiteiler" macht - und wurde danach mehr oder weniger ungewollt Zeugin, wie das ZDF die ersten Nachrichten vom Berliner Breitscheidplatz an das Publikum weitergibt. Ich lebe seit mindestens 15 Jahren Fernsehabstinent. Muss man angesichts eines solchen "Geschehens" (wie es die Polizei zur Stunde noch nennt) die Sendezeit tatsächlich totschlagen mit Erklärungen zur touristisch-merkantilen Bedeutung der Westberliner Innenstadt und des Weihnachtsmarktes an und für sich im christlichen Abendland?

Montag, 19. Dezember 2016

Sonntag, 18. Dezember 2016

Das Konzert

Heute! Endlich! Der wichtigste Tag des Jahres. Es wird großartig (ich weiß das, denn ich stehe mittendrin):
17 Uhr, St. Jürgen-Kirche Heide: The glorious Messiah - Händels Oratorium in englischer Sprache.
 

Heider Kantorei und Camerata Flensburg mit den Solisten: Marret Winger, Sopran (Hamburg); Tobias Hechler, Altus (Bremen); Nicholas H. Smith, Tenor (London); Jonathan Zaens de la Paz, Bass (Berlin).
Leitung: Sebastian Schwarze-Wunderlich

Das Konzert dauert ca. zwei Stunden ohne Pause.


Restkarten sind an der Abendkasse noch zu haben. Kurzentschlossene sollten sich aber gleich bei Einlass um 16:00 Uhr am Kirchentor anstellen.

Samstag, 17. Dezember 2016

Die Generalprobe

Marathon. Musik. Pur. Heute mit fotoshooting. Deshalb erscheinen alle in schwarz. Die Generalprobe beginnt stufenweise. Nur einer ist von Anfang bis zum Ende dabei. Der Chef. Zuerst proben die Solisten solo. A capella. Dann kommt das Orchester dazu. Und schließlich der Chor. Dann beginnen die ersten schon wieder zu gehen, aus arbeitsökonomischen Gründen singen wir zuerst die Stücke mit den Pauken und Trompeten. Damit die Pauker - nein! Die Paukisten natürlich - und Trompeter nach Hause oder in die Kneipe verschwinden können. Und wir bleiben. Bis zum letzten Ton. 

Freitag, 16. Dezember 2016

Die Klavierhauptprobe

Die Steigerung beginnt an den Füßen. Mit der heutigen Probe betreten wir die St. Jürgen-Kirche und besteigen die Stufen des Holzpodests im Altarraum. Die Steigerung beginnt mit den Händen. Der Dirigent steht heute uneingeschränkt nur dem Chor zur Verfügung. Die Korrepetitorin spielt das ganze Orchester am Klavier. Die Orchestermusiker und die Solisten haben frei oder feilen verzweifelt allein an ihren eigenen Schwachstellen. Die Klavierhauptprobe ist die wichtigste Probe für uns Chorsänger und unseren Chorleiter. Er dirigiert endlich. Und nur uns!
Am Morgen die letzte Portion "Cox" mit einer höchst erstaunlichen Wendung. Ich bin traurig, dass es zu Ende ist. Aber ich besitze ja das Buch und kann jederzeit lesen. Nachlesen. Wo die Zeit stecken geblieben ist. In der Hand des Kaisers, die den alles entscheidenden "Glaskegel" im alles entscheidenden Moment "behutsam in die seidene Kuhle zurück" legt (S. 298). Berührt, ja in meinen durch nichts mehr ins Wanken zu bringen geglaubten Grundfesten erschüttert, hat mich das Wort "behutsam" an dieser Stelle, im letzten Satz, auf der allerletzten Zeile.

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Die Eselsbrücke

Die Eselbrücke ist eben nicht die Brücke für Esel oder die Brücke der Esel. Die Eselsbrücke ist beileibe nicht die Brücke, welche den Eseln gehört, oder die sie lieben, bevorzugen, herbeisehnen, verherrlichen in heimlichen Gedichten und Gesängen! Oh nein, die Eselsbrücke ist gerade die Brücke, welche die Esel fürchten. Esel trotten nicht gerne über Brücken, zB eine Holzbrücke, durch deren Boden, die Bretter oder Latten, sie den Abgrund darunter, den reißenden Fluss oder einfach nur die tiefe Schlucht erspähen, erahnen, erfürchten können. Davor schrecken Esel zurück und das ist nur natürlich. Ich würde an ihrer Stelle genauso reagieren. Ich, die die Berge hasst, fürchtet, flieht, weil es dort alles verschlingende Schlünde gibt!
Die Eselbrücke ist also die Brücke, über welche Eselstreiber ihre Tiere mit List oder Nachsicht hinübergeleiten: sie legen eine Binsenmatte über die Löcher.
Heute gibt es Eselsbrücken ganz ohne Esel. Meist werden sie an Schulen gehandelt als Lernhilfe für begriffsstutzige große oder kleine Kinder.

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Messias

Die Woche vor dem Konzert gehört der Musik. Nebelschwaden draußen und stehende Feuchte. Vom Vollmond, vom Himmel, ja von der Sonne den ganzen Tag keine Spur. Drinnen bei elektrischem Licht muss dringend das Klavier gestimmt werden. Ich radiere unnötige Bleistiftstriche aus den Noten wieder aus. Versuche die Jungfräulichkeit des Händelschen Urtextes wieder herzustellen, weiß um die Vergeblichkeit, um die Vergänglichkeit und singe trotzdem tapfer meinen Part einmal täglich durch. Mit capella am Computer und wechselnder Begleitung.
Im Kopf heute den ganzen Tag "Cox" vom Morgen - wie der Kaiser schreibt: "... an einem murmelnd dahinziehenden Fluß, an dessen Ufer der Kaiser an anderen, sonnigen Morgen Kalligraphenpinsel ins Wasser tunkte und damit Gedichte auf die glatten Steine schrieb. Die Worte verdampften unter der aufsteigenden Sonne und gaben den Stein wieder frei. So schrieb der Kaiser und sah, wie alle Schrift verschwand. Und schrieb weiter." (Christoph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit, S. 212).  

Dienstag, 13. Dezember 2016

Einladung

Auf der Zielgeraden zum 4. Advent möchte ich Euch zu einem kurzen Innehalten der besonderen Art einladen: heute liest meine Kollegin und Freundin Annette Güldenring im Rahmen der offenen Lesebühne in der Meldorfer Kulturkneipe Bornholdt ihre Kurzgeschichte Möchtegernmädchen.
Annette Güldenring setzt sich in ihrem Beruf wissenschaftlich mit der Vielfalt von Geschlechtlichkeit auseinander. Sie hat an die Hundert Fachvorträge im In- und Ausland gehalten, war 2013 nominiert für den Hamburger-Pride-Award – hat aber noch nie ihre literarischen Texte der Öffentlichkeit vorgetragen. Meldorf kommt also wieder einmal in den Genuss einer Welt-Uraufführung!
Mir hat sich, als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal Texte von Annette Güldenring lesen durfte, eine neue Welt aufgetan: sprachlich, thematisch, formal. Ein inneres Leuchten durchzieht diese Texte – trotz einer oft unauflöslichen Tragik der Figuren – das man nie wieder vergessen kann!
Ich möchte alle Literaturinteressierten ermuntern, am Dienstag zur Dezember-Lesebühne ins Bornholdt zu kommen und ein offenes Ohr mitzubringen. Außer Annette Güldenring werden lesen E. H. Beilcke und Jürgen Christian Schaper (Hamburg, stellen ihr Buch "Seesäcke - Geschichten für Segler und Freunde des Meeres" vor), Dirk-Uwe Becker, Ellen Balsewitsch-Oldach, Britta Cordts, Marianne Hahn und Sebastian Pawlick. Wie immer darf bei der anschließenden Diskussion Kritik und Lob offen ausgesprochen werden! 

Offene Lesebühne im Bornholdt - jeden zweiten Dienstag im Monat, ab 19:30 Uhr
Zingelstrasse 14, 25704 Meldorf / Fon 04832 – 7907 / www.bornholdt-meldorf.de
Zuhörer sind willkommen – was wären wir Schreibende ohne Euch?
Solidarbeitrag: 2 €

Montag, 12. Dezember 2016

Mahnwache in Meldorf

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Davor, von 8.30 -9:00, die nächste Folge "Cox" im Radio.
Danach, von 19:30-22:00 die letzte normale Montags-Messias-Probe in Heide vor dem Konzert.
Die wichtigstes Woche des Jahres beginnt.

Das Zitat des Tages aus "Cox" - Zur Erfüllung der Wünsche, Betrachtung Nummer 3: "Der Kaiser hatte seine englischen Gäste mit Weißgold, Platin und Rotgold, Silber, Brillanten und Rubinen und was immer sie als Werkstoff gefordert hatten, überschütten lassen, und sie, in diesem Überfluss noch fremd, hatten gedacht, aus diesem Strom von Kostbarkeiten entstehe die Verpflichtung, mit all ihren Kräften an der Erfüllung eines allerhöchsten Wunsches zu arbeiten. Dabei muss ihnen wohl entgangen sein, dass einer, der alles besaß, auch das Kostbarste einfach vergessen konnte, ohne dass er etwas vermisste ...." (Christoph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit, Frankfurt a.M., 2016, S. 148-149)

Sonntag, 11. Dezember 2016

Der Herrscher triumphiert über die Wünsche

Was aber passiert, wenn "ein Mensch am Hof des Erhabenen" einen Wunsch ausspricht, der nicht erfüllt wird? Verwandelt sich der Wunsch dann in eine Anmaßung? Eine Übertretung? Muss der Wunsch dann nicht, statt in einen Befehl zu münden, der "unverzüglich zu befolgen war", das Höchstmaß einer Bestrafung nach sich ziehen, die sofort zu vollstrecken war? Bei Cox habe ich die Antwort auf diese Frage noch nicht gefunden.

Auf dem Weg zum Deich (viel Wind von West, wenig Sonne, viel großartiges Grau am Himmel und im Watt) fand ich die Antwort selbst: der Mensch "am Hof des Erhabenen" unterwirft sich vollkommnen, wenn er keinen Wunsch äussert, nicht mal einen solchen im Herzen hegt oder unausgesprochen in die Tiefe seiner Seele versenkt, den der Erhabene nicht zu erfüllen gewillt ist. Dies ist das Ziel des absoluten Herrschens: unerwünschten Wünschen seiner Unterworfenen vorzubeugen.

Samstag, 10. Dezember 2016

Das Erzählen triumphiert über die Zeit

Das Erzählen triumphiert überhaupt über alles, wenn es einmal in Gang gesetzt ist. Über den Tod. Über das Leben. Über die Hoffart. Die Niedertracht. Das Unwissen. Die Habgier. Auch über Ebbe und Flut und die zerstörerische Wucht des Agulhasrückstroms. Und natürlich: über die Zeit!
An jedem Morgen der vergehenden Woche las mir Christoph Ransmayr im Radio einen weiteren Teil aus seinem neuen Roman "Cox oder der Lauf der Zeit" vor. Heute fehlt er mir. Samstag und Sonntag ist das Programm auf Wochenende eingestellt, egal ob es die Zuhörer auch sind. Heute also fehlt mir die raue Stimme des Autors, sein gemäßigtes Österreichisch, das gemächliche Erzählen, die Ruhe und der Triumph über alles. Heute fehlt mir die halbe Stunde versprachlichter Arbeit des Londoner Uhrmachermeisters Alister Cox in der Verbotenen Stadt, am Hof des Kaisers Qianlong, des vierten Kaisers der Qing-Dynastie. Ich bin nach fünf Tagen bereits süchtig nach dieser Geschichte, nach dieser Sprache! Qualvolle Entbehrungen während eines regenreichen Wochenendes vorhersehend, beeilte ich mich deshalb gestern, das Buch bei den Buchhändlern meines Vertrauens, bei den ausgezeichneten Pantern in Meldorf zu kaufen. Und heute suche ich ersatzweise den einen Satz, der mich nach der gestrigen Lesung den ganzen Tag nicht mehr losließ. Er steht tatsächlich auf Seite 129, nämlich: "Denn was immer ein Mensch am Hof des Erhabenen erbat - wurde ihm gewährt, was er wollte, verwandelte sich sein Wunsch in einen Befehl, der unverzüglich zu befolgen war."

Freitag, 9. Dezember 2016

Hunderttausend und eine Nacht

Aus dem Schlaf reißt mich zu dieser Stunde der Hunderttausend und erste Click! Hunderttausend und eine Nacht hab ich nun in diesem blog verbracht. "Am Wattenmeer". Hunderttausend und ein Seitenaufruf! Seit Anbeginn aller Zeiten. Gestern spät auf dem Heimweg endlich die Erleuchtung: stadtauswärts durch die Feldmark und unten auf der Bürgerweide stellt sich vor Mitternacht unweigerlich das "Halliggefühl" ein. Stockfinstere Nacht. Am Horizont das Geisterschiff im Nebel. Ich habe eine neue LED-Fahrradlampe. Die alte hat nicht der Marder, sondern der Rost zerfressen. 40 oder 60 Lux oder Lumen. Ich kann mir so etwas nicht merken. Der Luchs ist kein Marder und lumen, luminis eine Erinnerung an Lorbeer. Oder: nicht lange fackeln. Aufstehen!

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Einführung in Händels "Messias"

Nur für Dithmarscher: Heute 19 Uhr Einführungsveranstaltung zu Händels Messias in der St. Jürgen Kirche in Heide.

Traditionell findet vor dem Adventskonzert der Heider Kantorei eine Einführungsveranstaltung statt. Erfahrungsgemäß ist dies eine launige, heitere und lehrreiche Sache. Unser Dirigent ist nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern kann auch mit Sprache umgehen. Sein Wissen lässt er uns Sängerinnen und Sängern in homöopathischen Dosen (zuviel ist zuviel!) sorgfältig formuliert bei allen Proben zukommen. Heute Abend darf die interessierte Öffentlichkeit eine geballte Ladung davon erwarten.
Die stellvertretende Pröpstin des Kirchenkreises Dithmarschen, Astrid Buchin wird zu den theologischen Aspekten von Händels Messias sprechen, der Kirchenmusiker und Leiter des Konzerts, Sebastian Schwarze-Wunderlich wird uns die musikgeschichtliche Bedeutung dieses Werks näher bringen. 
Im Anschluss kann man sich bei einem kleinen Umtrunk persönlich mit den Referenten und den anwesenden Mitgliedern der Heider Kantorei unterhalten.
Der Eintritt ist frei.


Restkarten zur Aufführung von Händels Oratorium in englischer Sprache am vierten Advent sind noch zu haben:
Im Reisebüro Biehl, Friedrichstrasse Heide
oder online: http://www.reservix.de/
direkter link: http://www.reservix.de/reservation/plan_reservation_back.php?PHPSESSID=4797647966a15d93fd9386d7444e5e2e&eventID=915436&eventGrpID=213905&presellercheckID=3

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Werkzeugwörter

Flegel, Zweck, Nagel - alles Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Einen Nagel auf den Kopf trifft man sprachgeschichtlich nicht mit dem Hammer, sondern mit dem Schießeisen (dem verbalen Lieblingsmordwerkzeug der Hooger, wir erinnern uns). Früher befestigten die Sport- und Profi-(Armee-)Schützen die Zielscheiben, auf die sie zum Zweck der höheren Treffsicherheit regelmäßig trainigshalber schossen, mit einem Holznagel in der Mitte. Wer den Nagel auf den Kopf traf, hat die Mitte getroffen, das Übungsziel erreicht, die Diensttauglichkeit unter Beweis gestellt.
Der Zweck hingegen stammt ursprünglich aus Menznau, aus der Schuhmacherwerkstatt der Antons und Friedas. Nur Schuhmacher können "aufzwecken" oder "aufzwicken", "nachzwicken", "einzwicken", nur Schuhmacher besitzen "Zwickstifte" - die im Gegensatz zu Schwillen nicht im fertigen Schuh verbleiben. Mit den Zwickstiften fixierte Anton der Erste "den Schaft, die Fersen- und Gelenkteile, die Hinter- und Steifkappen auf die Brandsohle" (Die Fölmlis, S. 66). Die Rekruten stahlen den Schustern irgendwann das Wort und nannten den Holznagel in der Mitte der Übungszielscheibe "Zweck" oder "Zwecke". Wer den Nagel auf den Kopf, also die Mitte traf, zielte auf - oder erfüllte den - "Zweck". Ein Flegel ist, der sich rühmt, einer Frau "am liebsten" in den Rücken schießen zu wollen. Der Flegel gehört der Getreideernte, dem Herbst und der Hand des Bauen. Mit dem Flegel schlugen sie, ehe die Mähdrescher erfunden waren, die Körner vom Stroh. Und seit Erntemaschinen im Einsatz sind, ist der Flegel im Duden Mensch geworden. Einer, der sich sehr schlecht benimmt. 

Dienstag, 6. Dezember 2016

Reiner Tisch

Nikolaus und Winterbild. Weil keine geputzten Stiefel vor den Türen standen, und ich aus Gründen der Diskretion die Adressen besagter Türen nicht benütze, bat ich das Gemeindebüro, allen Hoogerinnen und Hoogern meinen Text "Der Glockenschlag von Sankt Nikolai" in den virtuellen Schuh - das E-Mail-Postfach - zu stecken. Wer von den gut Hundert Halligbewohnern heute mein Geschenk dennoch nicht überreicht bekommt, kann es über das Kontaktformular meiner Website direkt anfordern.
"Reinen Tisch machen" bedeutet nicht tabula rasa. "Reinen Tisch machen" meint Ordnung in etwas bringen. Nicht umgekehrt! Nicht etwas in Ordnung bringen, sondern Ordnung in etwas. Früher glättete und säuberte man vor dem Essen das Wachstuch über den Holztafeln, an denen man die Speisen zu sich nahm. Zum Schutz des Holzes und aus hygienischen Gründen lag über dem Holz Wachs. Heute speist kein Mensch auf Holz, sondern aus Pappe an der Würstchenbude auf dem Weihnachtsmarkt.
tabula rasa hingegen meint eigentlich das unbeschriebene, leere Blatt oder die mit dem Schwamm gereinigte Schiefertafel. Übertragen bezeichnet tabula rasa die Seele in ihrem ursprünglichen Zustand, "rein" und "leicht", unbeschmutzt und unbeschwert. In dem Zustand also, in dem sie war, bevor sie Eindrücke von der Außenwelt empfing. Ein erstrebenswerter Zustand, der leider - im Gegensatz zum reinen Tisch - nicht einfach mit einem feuchten Putzlappen und einer fahrigen Handbewegung täglich aufs Neue wieder herzustellen ist.

Montag, 5. Dezember 2016

Sonntag, 4. Dezember 2016

Vorschau

Für unser Konzert am 4. Advent sind noch Karten zu haben - wer zuerst bucht, hat den besten Platz!

Georg Friedrich Händel: Messiah - Händels Oratorium in englischer Sprache

Sonntag, 18. Dezember 2016, 17:00 Uhr St. Jürgen-Kirche, Markt 28, 25746 Heide

Händels Oratorium in englischer Sprache
Heider Kantorei, Camerata Flensburg, Solisten: Marret Winger, Sopran (Hamburg); Tobias Hechler, Altus (Bremen); Nicholas H. Smith, Tenor (London); Jonathan Zaens de la Paz, Bass (Berlin).
Leitung: Sebastian Schwarze-Wunderlich
 

Beim diesjährigen Dezemberkonzert der Heider Kantorei wird der berühmte Messias von Georg Friedrich Händel in der englischen Originalsprache zu hören sein. Ein hochkarätiges Solistenensemble, ein Orchester aus Mitgliedern des Landesorchesters aus Flensburg und nicht zuletzt die Heider Kantorei unter Leitung von Sebastian Schwarze-Wunderlich garantieren einen großartigen Konzertgenuss.
Das Konzert dauert ca. zwei Stunden ohne Pause.

Vorverkauf: Reisebüro Biehl, Friedrichstrasse Heide
oder online: http://www.reservix.de/
direkter link:  http://www.reservix.de/reservation/plan_reservation_back.php?PHPSESSID=4797647966a15d93fd9386d7444e5e2e&eventID=915436&eventGrpID=213905&presellercheckID=3

Der letzte Schrei

"Le dernier cri" - wahrscheinlich das Marktgeschrei französischer Markthändler auf französischen Märkten - wurde irgendwann ins Deutsche übertragen. So und anders. Der letzte Schrei. Munch, Mode, Foodporn, Pegida, Flüchtlingskinder. Im Kultur- und Bürgerhaus in Marne ab heute der Titel der aktuellen Ausstellung. Gruppenausstellung mit, wie es heißt, 22 Künstlern des Hauses. Das heißt: alle Künstlerinnen und Künstler, die 2016 im Kulturhaus einzeln ausgestellt haben, bildenzum Jahresende eine Gemeinschafsausstellung zu einem neuen, vorgegebenen Thema. Also kein globalisierter Hype. Sondern Marner Trend. Der letzte Schrei! Dithmarschen!.
Der zweite Advent. Ich habe eine Mitfahrgelegenheit und schaue / höre / tue mir das an.
Die Ausstellung wird um 16 Uhr von Wolf Eismann eröffnet, musikalisch begleitet, mit eigenen Stücken, die eigens für den heutigen Abend zum heutigen Thema - der letzte Schrei! komponiert wurden von Moxi Beidenegl & Melanie Mehring.
http://www.boyens-medien.de/artikel/dithmarschen/marne-der-letzte-schrei.html

Samstag, 3. Dezember 2016

Die Täuschung

Zum Beispiel der Bär: Jemandem einen Bären aufbinden, bedeutet nicht, dass diese Person fortan mit einem Bären auf dem Buckel herumläuft. Es handelt sich hier offenbar nicht um einen Übersetzungsfehler, wie so oft bei Luther selig. Sondern um einen Verständnisfehler. Oder eine in die Irre gegangene Verständigung. Eine Fehlinterpretation. Eine falsche Übertragung. Mitteldeutsch "Bäre" = neudeutsch "Last". Jemandem einen Bären aufbinden, müsste also heißen, jemandem eine Last aufbinden. Ein Bär kann ja durchaus eine Last sein. Aber das heißt es nicht. Der Volksmund meint damit "jemanden [nicht mit böser Absicht] täuschen, hinters Licht führen". Listig, mit Augenzwinkern.
Gestern fuhr ich zum Sonnenuntergang an die Meldorfer Bucht, ohne Bär und ohne List auf dem Gepäckträger, aber mit einem Stück Schokolade. Für alle Fälle. Um 15 Uhr steht die Sonne schon tief über dem Wattenmeer. Es war Flut und das Abendlicht am Nachmittag die reinste Erleuchtung!

Freitag, 2. Dezember 2016

Wie kommen eigentlich ...

... all die Tiere in die Sprache? Freiwillig? Bewerben sie sich? Gibt es eine Auswahljury? Ein Honorar, eine Aufwandsentschädigung, ein Verwertungsrecht und eine Verwertungsgesellschaft, die dieses Recht mit bürokratischer Verve verwaltet? Jemandem einen Bären aufbinden, eine Eselsbrücke bauen, Krokodilstränen vergießen, die Katze im Sack kaufen, den Stier bei den Hörnern packen, sich in die Höhle des Löwen wagen, wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt werden, sich am liebsten in ein Mäuseloch verkriechen, stehlen wie eine Elster, Eulen nach Athen tragen, dem Wolf im Schafspelz begegnen, den Fleischwolf suchen, das beste Pferd im Stall sein, Scheuklappen vor den Augen haben, jemandem eine Laus in den Pelz setzen, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, bekannt sein wie ein bunter Hund, mit Kanonen auf Spatzen schießen, eine lahme Ente sein, ein Pechvogel sein, jemanden zur Schnecke machen, seine Fühler ausstrecken, mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen haben, seine Schäfchen ins Trockene bringen, Katzenwäsche machen, auf den Hund kommen, ein alter Hase sein, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn, Federn lassen oder sich mit fremden Federn schmücken, Schwein haben, sich fühlen wie der Fisch auf dem Trockenen oder im Wasser, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, eine große Schnauze haben, jemandem ins Gehege kommen, auf das falsche Pferd setzen, jemandem die Hörner zeigen, heilige Kühe schlachten, schlafende Hunde wecken, kleine Fische fangen, mit der Herde laufen oder gegen den Strom schwimmen, glatt wie ein Aal sein, wie ein begossener Pudel dastehen, Hahn im Korb sein, ein Wendehals sein, alle Viere von sich strecken, ein dickes Fell haben und störrisch wie ein Esel sein, da liegt nämlich der Hund begraben und kein Hahn kräht nach Sonnenuntergang danach.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Der schneeweiße Punkt

Der schneeweiße Punkt im Bild oben stammt von einem kleinen i. Es ist der obere runde Teil eines ansonsten ziemlich geraden Buchstabens. Das berühmte Tüpfelchen auf dem ... schwimmt plötzlich ohne das ... mit mir bei Hochwasser in der Meldorfer Bucht!
Aber es ist kein deutsches i-Tüpfelchen sondern ein polnisches. Das kann nur ich erkennen und behaupten. Der schneeweiße Punkt stammt aus meinem eigenen Text und ist ein Teil des Wortes "und" in einer fremden Sprache!
Im Polnischen bedeutet ein alleinstehendes "i" (egal ob groß oder klein geschrieben - aber nur das kleingeschriebene besitzt besagten Punkt) "und". Als Instrumentalendung hängt es an unzähligen Wörtern, egal welchen Geschlechts, welcher Deklinationsguppe oder welcher syntaktischen Sorte. Deshalb kommt dieses "i" im Titel meines Textes "Stół z powyłamywanymi nogami" (Der Tisch mit den ausgerissenen Beinen) nur als Flexionsendung und nicht als eigenständiges Wort vor. Hildegard S. und ich stellten einst in Krakau im Goetheinstitut den "Tisch des Schriftstellers mit UND-Klumpen" aus und besprachen ihn. Das heißt: ich belas und beschwörte ihn polnisch und Hildegard stellte ihre création, den Tisch mit dem Klumpen, beide bestehend aus lauter weißen, unbedruckten Puzzleteilchen, der Tisch wackelig auf vier schiefen Beinen, deutsch in eine Ecke. Zu seinem Schutz. Damit er ein bisschen Halt an der Wand fand und vom Publikum nicht umgestoßen werden konnte. Hildegards Tisch + Klumpen - die eigentlich meine sind, denn ich bin die Schriftstellerin, und nicht Hildegard - war 2004 Teil ihrer Berliner Installation "und" (http://www.hildegardskowasch.de/german/projekte/und2004.html). Und ich schrieb zu diesem Berliner Tisch mein polnisches Zungenbrecherepos. Darin kam ich zum Schluss, dass das schlanke polnische "i" sich viel besser als das schwerfällige deutsche "und" eignet, Dinge aller Art zu verbinden. Und nun liegt mein polnischer i-Punkt - oder ist es Hildegards von den Gezeiten zur Kugel geschliffener UND-Klumpen? - adrett im Bild, schneeweiß im goldenen Schnitt unter meinem Blogtitel "Am Wattenmeer". Er ist mir gefolgt!

Mittwoch, 30. November 2016

in nuce 2

Gestern war Neumond. Und heute ist der letzte Tag des Monats. Hey! Hooger Dieb! Deine Frist ist um Mitternacht endgültig abgelaufen. Nun gehörst Du uneingeschränkt mir und wirst in die Weltliteratur eingehen. So, wie ich es will. So wie ich Dich forme und verforme, gestalte und verunstalte. Mit oder ohne Bart. Mit oder ohne Tarnkappe. Mit oder ohne Rückgrat. Du bist nur noch ein Requisit in meiner Rumpelkammer und landest bei Bedarf auf meiner Werkbank unter einem meiner Werkzeuge. Dort wird gehobelt! Und Du wirst mir ohne zu murren gehorchen müssen, schamlos jedes weitere Verbrechen begehen, das ich Dir ins Hirn und in die Hände diktiere! Das Recht auf Selbstbestimmung hast Du verwirkt, Dein Gewissen an der Pforte abgegeben. Zu guter Letzt werde ich Dich in eine Nussschale - the nutshell! - setzen, und den Winterstürmen übergeben. So wie ich jedes andere auf der Hallig gesichtete Mini-Universum irgendwann in nuce abbilden werde. Jeden paradiesischen Sonnenaufgang. Jedes phänomenale Licht. Jeden unendlich gnädigen Himmel. Aber auch jedes verborgene Monstrum. Jeden Abgrund hinter der lackierten Lattenzaunfassade. Jeden vermeintlichen Elefanten, der sich bei näherem Hinsehen nur als Eintagsfliege erweist. Einer Armada gleich werden meine poetischen Miniaturen - the nutshells - eines Abends bei Hochwasser und energischem Wind nach Westen, in den Atlantik ausschwärmen ...

Dienstag, 29. November 2016

A Glacier's Requiem

Oh - das sind Räume, in denen Kunst Sinn macht. Requiem für einen Gletscher! Julia Calfee verbrachte den Winter 2008/2009 in einer Hütte unterhalb des Läntagletschers (Graubünden, an der Grenze zum Tessin), um dessen Verschwinden zu dokumentieren. Mit einem Mikrophon und einem Fotoapparat. Und jetzt, 7 Jahre später - dies sind die Dimensionen künstlerischen Werdens - ist ihr Fotoband mit Text und Musik (auf Vinyl!), der Läntagletschersymphonie erschienen. Was will sie zeigen? Mit diesem und allen anderen Lebensprojekten? "The augmented realities of disappearing worlds" - "die überdimensionierten  Realitäten verschwindender Welten". Oh! Stephan H., hörst Du das?
Hier das Vimeo zum making of, grandios:https://vimeo.com/juliacalfee

Montag, 28. November 2016

Mahnwache in Meldorf

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Die Schweizer sagten Nein zur Atomausstiegsinitiative der Grünen. Das war anders nicht zu erwarten, und der Bundesrat, die Wirtschaft, Panikmacher und Populisten zeigten sich entsprechend erleichtert. Die Schweiz, triumphieren sie nun die ganze Nacht, sei in ihrer Unabhängigkeit von Stromimporten "gestärkt" aus der Volksabstimmung hervorgegangen.

Sonntag, 27. November 2016

Brücken

Brücken am Morgen, Radiogottesdienst aus der Cristofori-Kirche in Wrocław / Breslau, der einzigen evangelischen Kirche der Stadt. Und Sonne! Wrocław ist die Stadt der Brücken, nicht nur die Oder sondern noch 6 andere Flüsse durchqueren sie und - wie der Pastor sagte: "Wer etwas sucht in Breslau, was auch immer es sei, braucht in jedem Fall eine Brücke".
Ich fahre ans Meer. Da capo. Ausgewechselte Welt. Entfesseltes Licht. Wind von Nord. Ich komme bis Warwerort. Dort setze ich mich auf eine verwitterte Bank und trinke meinen Tee. Das Wasser ist bereits am Ablaufen und ordnet die Welt streifenförmig. Blendet. Sortiert geometrisch. Die Sonne steht tief, der Himmel schräg. Es ist kühl. Lange Sitzen geht nicht. Ich kehre um und habe wenigstens für den ersten Teil den Wind im Rücken. Zu Hause mache ich reinen Tisch. 

Samstag, 26. November 2016

Rilke

Rilkes "Cornet" am Morgen, diese Feier der unauflöslichen Verbindung von Liebe und Tod. Und dann lese ich in der Zeitung, dass die Polizei gestern in SPO einen im Nebel ohne Orientierung herumirrenden Spaziergänger rechtzeitig vor dem auflaufenden Wasser aus dem Watt gerettet hat. Unverstand und Unvernunft. Da hat sich einer in den Kopf gesetzt, zur Böhler Sandbank zu laufen, komme, was wolle. Bei aufkommendem See- und Landnebel, der alles verschluckt! Ich werde keine Fotos mehr posten, um meinen gleißenden Raum nicht mehr zu stören, nicht zu vergiften, der sich nun um die Blogeinträge aufs Wunderbarste geöffnet hat. Die knisternde Stille. Die der verbalen Phantasterei nicht mehr im Wege steht. Überhaupt will ich allem Überflüssigen entsagen und, nachdem das auf der Hallig nicht möglich war, in Meldorf ein asketisches Leben führen. Ich habe mich gestern nicht verirrt, auch die Orientierung nicht verloren. Ich war schon fast in Büsum und kurz versucht, die Bahn zu nehmen. Dann aber führte mich die wasserseitige Asphaltgrenze am schon düstergrünen Deich entlang spät aber sicher nach Hause.

Freitag, 25. November 2016

Nebel

Windstill. Ich nehme meinen Mut zusammen und fahre durch den Speicherkoog zum Deich. Nebel. Immer dickerer Nebel. Solange ich mit dem Fahrrad auf dem Asphalt bleibe, kann mir nichts passieren. Ich halte mich rechts vom Seglerhafen. Die Schleuse ist zu, im Becken schwelt Brackwasser, die Stege sind leer. Kein einziges Boot. Kein Verbot, keine Einbahnstraße. Keine Warnung vor dem Ertrinken. Mit den bunten Segeln sind auch die Menschen verschwunden. Kein Auto, weit und breit, kein Wohnmobil, keine Parkgebühr, kein plärrendes Radio, kein verlorenes Kind, kein Fischbudengestank, kein streunender Hund. Die Klos sind geschlossen, der Strom abgestellt, der Müll entsorgt. Ich keuche die landseitige Böschung hoch. Oben auf der Deichkrone sehe ich, dass kein Wasser ist. Nur Nebel. Nichts als Nebel. Das ist nichts Neues. Das hat mir die Wetterkarte zu Hause auf meinem Laptop gezeigt. Schafe strecken neugierig ihre Köpfe aus dem Nebel. Auf sie ist immer Verlass. Der Nebel tropft aus meinen Haarsträhnen, trotz Mütze. Die Arisdörferin hockt auf dem Gepäckträger und den Hooger Dieb ziehe ich am Schlafittchen hinter mir her. Die beiden haben nichts miteinander zu tun, sie kennen sich nicht einmal. Aber seit Frau Regenass die Regie führt, habe ich nichts mehr zu sagen. Meine blauen Handschuhe sind bereits mit Reif überzogen. Das Schlafittchen ist kein Schneewittchen. Ich lasse mich auf die Wasserseite fallen und radle gen Norden. Das Schlafittchen steht heute im Duden auf der Liste der rechtschreiblich schwierigen Wörter, es geht zurück auf frühneuhochdeutsch Schla[g]fittiche - die Schwungfedern von Gänse- und Entenflügeln. 

Donnerstag, 24. November 2016

Neues Design

Nebel und Bodenfrost. Die Sonne geht so klirrend auf wie ein Fenster zu Bruch. Das behält seinen Reiz auch in einer bebauten Umgebung und aus der Perspektive einer geheizten Stube. Mir fehlt nach wie vor der unverstellte Blick, dafür habe ich meine innere Ruhe wieder gewonnen und kann schreiben. Mein Meister pflegte in lakonischer Kürze zu sagen "coś za coś". Zawsze jest coś za coś. Wörtlich: immer ist/hast du etwas für etwas. Immer gibst du etwas ab, wenn du etwas annimmst. Oder bekommst etwas geschenkt, wenn du etwas hergibst. Du tauschst einen Vorteil gegen einen anderen. Immer. Oder umgekehrt einen Nachteil gegen einen anderen. Die Prägnanz klarer Gedanken am frühen Morgen nach einer durchgearbeiteten Nacht. Statt zu schlafen, zauberte ich mir den freien Blick in meinen blog! Hier ist alles erlaubt. Das Foto oben zeigt im Vordergrund mich, nackt, mit ergrautem Haarschopf beim Abbaden in der Meldorfer Bucht, bei fast totaler Stille - nur ich störe die absolute Ruhe im Raum, im Bild, im Blau, in der Luft, im Wasser. Im Hintergrund, am Horizont rechts ein Dampfer, links die Mittelplate, das größte Ölförderfeld Deutschlands, bzw deren Bohrtürme. Aufgenommen hat das Bild die Überwachungskamera im September letzten Jahres, kurz bevor ich mich "für immer" nach Hooge aufmachte. Drei Tage vor dem Tod meiner Mutter, von dem damals niemand etwas ahnte. So hat alles sein Gutes. "Coś za coś".

Mittwoch, 23. November 2016

"Kuss im Regen"

Frau Regenass hat mich fest im Griff! Seit es hell ist, sitze ich mit Hundertwassers "Kuss im Regen" an den Füßen auf dem Parkettboden meines Wohnzimmers und warte auf mein einäugiges Pferd.
Eine Bumerangferse ist kein Steigbügel. Zwei Bungerangfersen sind nicht zwei Steigbügel. Sie liegen Kopf an Kopf. Oder Stirn an Stirn. Zur Seite gekippt, bereit zum gemusterten Gebet, der gestreiften Meditation, die Zehen aufgerichtet und nach Süden gewandt. Bestimmt ist alles falsch an dieser Haltung. Erwartungshaltung. New Holland liegt in Pennsylvania und mein adoptierter Großvater ist seit zehn Jahren tot. Er hat das einäugige Pferd gepflegt, gefüttert, ausgeritten und schließlich geheilt. Er hat sein Stirnfellhaar geglättet und den linken Augapfel getröstet, bis die Haut darüber fahl wurde und spröde. Er musste Verletzungen der Kranzgefäße vorbeugen, die Stirn durfte nicht aufplatzen, die Äderchen nicht bluten. Die Haut musste weichen und zuerst den stacheligen Pferdewimpern Platz machen. Das einäugige Pferd erschrak, als die Sonne plötzlich im Osten aufging. Das Licht spiegelte sich tausendfach im glänzenden Augapfel. Das Pferd raste vor Schmerz, warf seinen alten Pfleger ab und galoppierte auf und davon.

Dienstag, 22. November 2016

Regenassgeschichten

Ich wache auf, plötzlich elektrisiert: ein Buch! Die Heißmangelfrau, die ich in den letzten Tagen im Schweiße meines Angesichts ins Leben gerufen habe, steht vor meinem Bett, hält meine eigene, von mir selbst ausgebügelte weiße Bluse in der Hand und fordert ihr Recht: ein Buch! Ich wende ein, dass die Bluse noch nicht gewaschen sei, und ich sie auch nur ein paar Stunden kürzlich am Abend getragen habe ... davon will sie gar nichts wissen. Ein Buch, wiederholt sie nur und verschwindet mitsamt meiner besten Bluse. Ich reibe verdutzt die Augen, rufe den Verleger an und setze mich im Schlafanzug an den Schreibtisch. Ein Buch! Ich habe unzählige Regenass-Geschichten geschrieben. Ich muss sie nur finden, formatieren und in die richtige Abfolge bringen.

"Einen eigenen Text las Judith Arlt vor. Die Schriftstellerin war gerade nach Monaten, die sie als Halligschreiberin auf Hooge verbracht hatte, nach Meldorf zurück gekehrt. Ihre Kurzgeschichte „Der Glockenschlag von St. Nikolai“ hatte sie erst wenige Stunden vor der Lesung fertiggeschrieben. Es geht darin um Frau Regenass und ihre Bügelwerkstatt, die sie morgens um 6 Uhr öffnet, wenn die Glocken von St. Nikolai zum ersten Mal am Tag läuten. Aus gegebenem Anlass hatte Judith Arlt sich mit einer gut gebügelten weißen Bluse bekleidet, um sich so ihrer Protagonistin anzunähern. Die erfährt durch die Hemden, Blusen und Wäsche, die sie täglich bügelt, alles über ihre Kunden und führt darüber in einer geheimen Sprache Buch. Ihr doppeldeutiges Motto lautet: „Ich bügel’s für Sie aus!“ Judith Arlt zeigte mit diesem brandneuen Text wieder einmal ihre wortschöpferische Begabung und ihre Spezialität, klangvolle Wortreihen zu bilden. Außerdem ist sie eine hervorragende Leserin ihrer Dichtung." (Anneliese Peters, DLZ 21.11.16 Auszug aus dem Artikel "Von der Satire bis zur biblischen Geschichte. Abwechslungsreiches Literaturprogramm beim Vorleseabend im Bornholdt")

Montag, 21. November 2016

Mahnwache in Meldorf

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Wenn ich das Wort "Japsand" lese, egal in welchem Kontext, ob mit oder ohne tote Eissturmvögel, Gänsegrippe oder DMS (Dimethylsulfid, macht Plastikmüll besonders schmackhaft für alle Plankton fressenden Kleinstkrebse, Würmer, Wale und Vögel), wo auch immer, zufällig auf fb, könnt' ich heulen.

Sonntag, 20. November 2016

Kleines harmonisches Labyrinth

Meine Entdeckung zum Ewigkeitssonntag:
 
Ein Zitat aus der musikwissenschaftlichen Erklärung:
"Der eigentliche kompositorische Vorwurf des Stückes besteht darin, mit harmonischen Möglichkeiten zu experimentieren, die sich aus der Vieldeutigkeit des verminderten Septakkordes, enharmonischen Verwechslungen und Akkordrückungen ergeben. Dieses Feld - erst seit Einführung der temperierten Stimmethode voll beschreitbar - war damals bei weitem noch nicht so abgegrast wie für uns, die wir das 19. Jhdt. hinter uns haben. Bei solcher Harmonik gerät die Musik über gänzlich unerwartete Modulationen und Trugschlüsse in die abgelegensten Tonarten und es entsteht in der Tat ein irreführendes Labyrinth."

live zu hören - nebst anderem, abendfüllendem - heute in St. Jürgen, Heide, ab 17 Uhr, gespielt von Sebastian Schwarze-Wunderlich.

Samstag, 19. November 2016

Das Blendbrett

Hey! HOOGER DIEB! Du bist ein störrischer Ochse! Der Bauer hängt so einem Tier im Stall oder auf der Weide ein Blendbrett vor den Kopf, vor die Augen, um es gefügig zu machen. Damit es zB einen Schritt vor und nicht zurück macht. Damit es nicht mehr abgelenkt wird von der großen weiten Wiesenwelt. Sondern sich auf seine Aufgabe besinnt.
Ich bin keine Bäuerin. Sondern eine Wörtnerin. Ich beschäftige mich mit Bügelvokabular und Hundertwasserspiralen. Der Volksmund aber guckt dem Bauern auf die Finger und übernimmt das Brett vor dem Kopf  frohlockend für beschränkte Menschen ohne jede Weitsicht.

Freitag, 18. November 2016

Spätlese

Bundesweiter Vorlesetag - "Spätlese" in Meldorf:
(c) Peters
Wir lesen aus Lieblingsbüchern oder eigenen Texten:
Judith Arlt
Annette Eckhardt
Johanna Hell
Elko Laubeck
Sven Methner
Dr. Jutta Müller
Stefan Oing
Uwe Peters
Erfahrungsgemäß ein sehr vergnüglicher Abend!
Ich werde eine eigene Geschichte vortragen: "Der Glockenschlag von Sankt Nikolai".
Herzliche Einladung!
Ab 19:30 Uhr
Kulturkneipe Bornholdt, Zingelstr. 14, Meldorf
Eintritt frei
Speisen und Getränke serviert das Personal gerne

Donnerstag, 17. November 2016

Nachhilfe 2

Zur Ästhetik des Morbiden: Wenn man alle künstlerischen Schöpfungen von Trauer und Tod, Transzendenz und Ewigkeitswünschen, zuversichtlichen Jenseitsgedanken, Höllenängsten, Paradiesvorstellungen, Komossehnsüchten aus dem Diesseits verbannen würde, bliebe ein ziemlich armseliges Häufchen merkantilen Gedankenguts zurück.
Hier ein klassischen Beispiel: Johann Sebastian Bach. Liebster Gott, wenn werd ich sterben, BWV 8
Coro: Liebster Gott, wenn werd ich sterben
Aria Tenor: Was willst du dich, mein Geist, entsetzen
Recitativo Alto: Zwar fühlt mein schwaches Herz
Aria Bajo: Doch weichet, ihr tollen, vergeblichen Sorgen
Recitativo Soprano: Behalte nur, o Welt, das Meine
Coral: Herrscher über Tod und Leben

Deborah York, soprano
Ingeborg Danz, alto
Mark Padmore, tenor
Peter Kooy, bajo

Collegium Vocale
Philippe Herreweghe

Mittwoch, 16. November 2016

Lepton

Lückenbüsser, Lästermaul und Langmut - um beim L im Alphabet zu verweilen - haben wir auch Luther zu verdanken. Der hat freimütig oder friedfertig die Bibel übersetzt und dabei so manches verbockt. Ein "Lepton" war die kleinste Münze in der Spätantike, eine Kupfermünze, die nicht durch den eigenen Materialwert gedeckt war. Luther machte daraus deutsch "Scherflein". Ein "Scherf" (der scharfe oder halbe Pfennig) war eine geringwertige sächsische Münze und Herrn Luther war sie nicht klein genug, er verringerte sie zusätzlich durch die Diminutivendung. So ist es bis heute geblieben: Wer sein Scherflein beiträgt, leistet seinen (meist geringen) Beitrag. Aber: die griechischen Eurocentmünzen überwinden im 21. Jahrhundert endlich den Reformator und seine Fehlübersetzung. Feiern sich als comeback der alten Scheidemünzen, geprägt mit λεπτό für 1 Cent, bzw λεπτά ab 2 und mehr Cents. Guckt doch mal selbst!

Dienstag, 15. November 2016

Nachhilfe

Nochmals Plinius. Der Ältere. Nochmals optische Täuschungen. Respektive das Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit. Von Kunst, Kitsch und Krempel. Von Formzwang und Formfreiheit. Von Barrieren am Bahnsteig und in den Köpfen nicht nur Bahnreisender.
Die Redensart, diese milde Zurechtweisung Schuster bleib bei deinen Leisten, meint, salopp gesagt: misch Dich nicht in Dinge ein, die Du nicht verstehst. Angeblich hat der Hooger Bürgerschnack über meine posts in meinem blog disputiert. Ohne mich dazu einzuladen. Ohne mich zu informieren. Ohne mich zu fragen. Wie üblich. Saß man zu Gericht hinter dem Rücken eines vermeintlich Angeklagten. Ganz ohne Anklage. Das ist auf Hooge nicht weiter schlimm, passiert ständig allen und jedem. Das ist der Konsens, auf den man sich offenbar traditionell stillschweigend geeinigt hat, um überhaupt auf Gedeih und Verderb auf einer Hallig mitten im Wattenmeer sozialverträglich gegeneinander existieren zu können. In meinem Fall aber war die Sache delikat und - wie sich zeigt (s.u.) - komplex: Verwaltungsfachangestellte und Leute ganz ohne jedes Fach versuchten, Sätze von mir wie "Ich möchte auf Hooge sterben" zu analysieren. Um mich loszuwerden, waren sie bereit, sofort den Seenotrettungskreuzer oder den Nachtflugrettungshubschrauber zu ordern, Polizei, Notarzt und Amtsrichter vom Festland einfliegen zu lassen. Dann fiel ihnen aber zum Glück noch rechtzeitig auf, dass der Satz ungefähr ein Vierteljahr alt ist und die meisten von ihnen bereits zuviel Alkohol im Blut hatten.
Plinius der Ältere berichtet ungefähr 63 vor Christus, dass ein Schuster auf einem Bild des Malers Apelles einen falsch gemalten Schuh beanstandete. Der Maler berichtigte draufhin den Fehler. Als aber der Schuster auch noch das falsch gemalte Bein kritisieren wollte, soll Apelles ihn in die Schranken gewiesen haben: "Nicht über die Sandale hinaus, Schuster!"
Für Frieda, meine Schuhmacherin!

Nachtrag: mein Suchprogramm findet besagten Satz nicht. Ich nehme an, es ging der Hooger Opposition um diesen post: http://amwattenmeer.blogspot.de/2016/07/reden.html - die Vorbereitung zu meinem zweiten Auftritt in derselben unseligen Sache bei Sandra Maischberger.

Montag, 14. November 2016

Mahnwache in Meldorf

Mahnwache in Meldorf. Supervollmond am Himmel. Probe in Heide. Die NOB fährt immer noch nicht auf der Strecke Itzehoe - Heide. Ich gehe zu Fuß! Den Supermond sehen wir in Norddeutschland nicht. Und das Leben am Montag ist eine reine optische Täuschung. Die Vollmondphase tritt 14:52 ein und etwa drei Stunden vorher soll der Mond der Erde so nahe kommen wie schon lange nicht mehr. Also jetzt gleich. 50 Tausend Kilometer näher als üblich. Diese Differenz ist von bloßem Auge weder zu erkennen noch einzuschätzen. Oder wertzuschätzen, abzuschätzen. Die Niedertracht! Ob 356 Tausend Kilometer weg oder 400 Tausend. Wen schert's. Außerdem steht die Sonne hoch am Himmel. Ich mache mich schon mal auf den Weg. Ich kann endlich wieder laufen. Und schreiben!
Zur Erinnerung: 18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Sonntag, 13. November 2016

Kitsch am Sonntag ...

... Morgen über Dithmarschen. Das Rosa verblasst schnell zu einem bleiernden Grau. Immer noch Dauerfrost. Aus dem Rest meines Olivenhains schnitze ich Ölgötzen. Auch dieser Spott Wie ein Ölgötze dastehen geht auf die Reformatoren zurück. »Dann es stat manicher ölgötz auff die Cantzel vnd wil den Luther mit seinen guten buchern außrichten«. Luther und Zwingli verspotteten die Holzbilder der Katholiken und die mit Öl gesalbten Priester als Ölgötzen (»das aber der Bapst odder Bischoff salbet ... mag eynen gleysner und ölgötzen machen« Luther 1520). Der Volksmund aber meint damit Laternen- und Lichterträger, die schön geschnitzten, schlafend dargestellten, etwas dümmlich aus der Wäsche guckenden Apostel Johannes und Paulus aus dem Ölberg. Lechterknecht, Lüchterpiep, Pickpahl, Trangötze. Also so etwas wie Kerzenständer. Sinntragende Halterungen für Holzstäbe, die zur Beleuchtung angezündet wurden. Die Schwaben sagen "dastehen wie ein Bildstock" und unser Gottfried Keller widmet es pekuniär um zu "dastehen wie ein Opferstock". Die Siebenbürgen hingegen haben ihren "hölzera  Johannes" - der ist steif und plump. Ich schnitz mir meine eigenen, dummdämlichen, nicht sehr willensstarken Götzen. Aus Dithmarscher Olivenhainholz.

Samstag, 12. November 2016

Kerbholz

Gestern fällte ich Bäume, rodete meinen privaten Olivenhain. Und heute ritze ich Kerbhölzer. Für jedes Ungemach eines. Für jeden Unmenschen eines. Deine - Hey, HD! - Untat haue ich in den Strunk, den ich, sobald es hell geworden ist, spalte! Dein Vergehen wird ewig in meinem Garten stehen bleiben und nur langsam verrotten! Außer Du bekennst. Und sühnst. Dann bestelle ich nächste Woche den Gärtner mit der Stuppenfräse und schütte, wenn er mit seiner Arbeit fertig ist, Muttererde darüber. Im Frühjahr säe ich Wildrasen an.
Das Kerbholz ist der vorsintflutliche aber fälschungssichere Nachweis einer Straftat. Man schnitt Kerben in ein Stück Holz, die für das Vergehen, zB eine Geldschuld standen. Dann wurde es entzweigehauen, die eine Hälfte behielt der Gläubiger, die andere bekam der Schuldner. Keiner konnte die Kerben verändern (manipulieren, würde man heute sagen), ohne dass es sofort ins Auge gefallen wäre bei der Überprüfung, beim Wiederzusammenfügen der beiden Hälften. Umgekehrt konnte jeder die Schuld des Andern zweifelsfrei beweisen - durch dieses Zusammenfügen, gegebenenfalls vor Zeugen. So kommt es, dass bis heute im Volksmund einer, der zum Beispiel gestohlen hat wie der HD, etwas auf dem Kerbholz hat.

Freitag, 11. November 2016

Martini

Wonderful ...: die NOB fährt heute den ganzen Tag gar nicht. Zwischen Niebüll und Westerland verkehrt ein "Zugnotverkehr der Deutschen Bahn". Die kleinen Pendelzüge von Itzehoe nach Heide und zurück fallen komplett und ersatzlos aus. Um 11 Uhr fährt ein "Busnotverkehr" von Husum nach Itzehoe und um 13 Uhr ein ebensolcher von Itzehoe nach Husum. Beide können die "Zwischenhalte" zwischen Heide und Itzehoe "nicht bedienen". Ich frage nicht, warum nicht - sondern sage die Messias-Probe ab. Übe allein für mich. Counselor ... The Mighty God ... und widme mich meinen Kontemplationen zum Heiligen Martin. Dieser soll, bevor er heilig gesprochen wurde, ein bescheidener Mann gewesen sein. Als er von seiner Wahl zum Bischof erfuhr, versuchte er sich aus Scham in einem Gänsestall zu verstecken. The Everlasting Father ...: Das waren noch Zeiten, Mister Donald president-elect! Die Gänse aber verrieten den Martin durch ihr Geschnatter. The Prince of Peace ...: Und so musste der sein Amt annehmen - und die Gänse büßen es seither an Martini mit dem Leben! Ihnen wird der Hals umgedreht, sie werden gerupft, gebraten, gefüllt und verzehrt. Nur heute in Schleswig Holstein nicht. Aufgrund der Geflügelpest ist Freitagskost angesagt. Spiegelei mit Spinat.

Donnerstag, 10. November 2016

Hans Dampf

Dauerfrost. Gestern fielen fast alle Blätter von meiner Edelkastanie. Ich watete den halben Nachmittag knietief im knisternden Laub und füllte sieben Säcke. Dann, todmüde, zum Einschlafen Simplicissimus. Grimmelshausen war ein Zeitgenosse Luthers und sein Roman bekommt nun im Schatten des Reformators gemäßigte Aufmerksamkeit kurz vor Mitternacht im Norddeutschen Radio. Hans Dampf, der Protagonist, ist der Sohn des Vaters, des Herrn Bürgermeisters Dampf.
Aber eigentlich hievte erst Zschokke - der alte Wahlschweizer Heinrich, nicht der sanfte Berner Zeitgenosse Matthias - Hans Dampf auf den Sockel der Denkmäler der Weltliteratur und legte ihn dem Volk in den Mund. Einhundertfünfzig Jahre nach Luther, weswegen Zschokke derzeit nicht im Nachtradio läuft und ich mich gezwungen sehe, ihn aus dem Internet hervorzaubern, wo er zu Beginn seiner Erzählung den Ort des Geschehens, den "Freistaat Lalenburg" folgendermaßen charakterisiert: 
"Es ist immer gut, wenn die Bürger eines auch noch so kleinen Freistaates groß von sich selber denken. Um so seltener werden sie kleinlich handeln. Denn großer Rat und kleine Tat mahnt nur an Don-Quixoterie und Gasconade. Auch liegt ja die wahre Größe eines Staates nicht im Umfang seiner Besitzungen, sondern in der Kraft und im lebendigen Geist seiner Bewohner oder zuletzt derer, die den Stab der Herrschaft führen. Völker sind an sich nichts als Nullen; nur die Obrigkeit die Zahl, welche voran steht und jenen erst Bedeutung gibt. Hans Dampf war der Sohn des verstorbenen Bürgermeisters Peter Dampf, eines der größten Staatsmänner seines Jahrhunderts. ..." (Heinrich Zschokke, Hans Dampf in allen Gassen 1814).
Mehr hier: http://gutenberg.spiegel.de/buch/hans-dampf-in-allen-gassen-4093/1

Mittwoch, 9. November 2016

genau 2

Seit das Resultat bekannt ist, sprechen alle deutschen NachrichtensprecherInnen von einem "überraschenden" Sieg des neuen US-Präsidenten. Bei zwei Kandidaten gewinnt immer nur einer, woher also die Überraschung? Nur weil die versammelte Weltpresse und alle mit archaischen Mitteln und Daten arbeitenden Meinungsforscher dachten, wenn sie den Kopf nur tief genug in den Sand steckten, würde das Grauenhafte nicht eintreten. Aber das Volk, genau! will es! Das Grauenhafte! Genau so!

genau

Schuttensprache: auf allen Wanderungen zum Japsand kam in allen Erklärungen unzählige Male das Wort "genau" vor. Auch dort, wo es überhaupt nicht passte. Genau! Hier bitte, genau!, gerade gar nicht. Ich dachte immer, genau!, das gibt eine Generation an die andere Weiter. Genau, genau genau. Die lernen ihre Texte auch nur auswendig. Genau! Und plappern auch nur nach, genau! Ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Ohne überhaupt, genau! zu denken.
Aber guck an. Martenstein, der seit längerem Probleme mit der Länge seiner Kolumne hat, er füllt sie nämlich nicht mit Füllwörtern - das wäre ja noch zu ertragen! - sondern mit Füllgeschichten, klärt mich auf. "Genau"! ist Jugendsprache. Hat "krass" abgelöst, ist sozusagen das neue coole "äh":
http://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/martenstein/index.html
Übrigens: Die Ringelgänse sind auch hier! In der Meldorfer Feldmark. In Scharen.

Dienstag, 8. November 2016

Webfehler

Draußen: der erste Versuch von Schnee! Drinnen: Gedanken über Schaftgewebe. Ermöglicht, laut Werbung: "Musterungen wie der Himmel mit tausend Sternen". Wer einen Webfehler hat, gilt als verrückt. Hundertwasserwolle ist teuer und qualitativ hochwertig. Aber viel wichtiger: sie ist so eingefärbt, dass nie zwei identische Strümpfe entstehen. Wer Hundertwasserwollsocken trägt, hat immer zwei verschiedene Füße in den Schuhen. Das sind aber keine Fehler, weder Web-, noch Muster- oder Färbfehler. Oder Strickfehler. Noch ein Hirndefekt. Das ist im Gegenteil ein kreativer Umgang mit Kunst und Alltag, eine innovative Verbindung von Kommerz und Seelennot.

Montag, 7. November 2016

Meldorfer Mahnwache

Wie jeden Montag:
18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Ich fahre zur Probe nach  Heide. Bei den Wochenendproben (insgesamt 8 Stunden gesungen, ein kompletter Arbeitstag, verteilt auf Samstag und Sonntag) habe ich einiges auf- und nachgeholt. Zwar bewege ich zuweilen noch durch die Koloraturen wie ein Filtrierwurm durchs Watt. Mit Paddelfüßchen und Borsten zum Graben. Aber immerhin bewege ich mich und komme vorwärts.

Sonntag, 6. November 2016

Das Tal der Maronen

Heute wieder einmal eine Verbindung von Helvetischem und Wattenmeer. Val Bregaglia - das Tal der Maronen - und die Edelkastanie in meinem Meldorfer Garten. Ich habe meine diesjährige Ernte eingebracht, von Hand wie immer, mit Hilfe eines einzigen unscheinbaren Werkzeugs, der Maronenzange. Meine winzige Maronen-Manufaktur. Der Ertrag wird mich über den Winter bringen.
Nach Einschätzung des Feature-Autors wären das Tal der Maronen, das Val Bregaglia ohne die Maronen vielleicht nie besiedelt worden. Andererseits lässt er die Sprecherin den Satz sagen "Idylle macht leider nicht satt". Die Schwelle zum Paradies macht im Gegenteil offenbar hungrig, in anderen Teilen der Welt sogar gefräßig.
http://www.ndr.de/info/Kastanienernte-im-Bergell,audio301264.html

Samstag, 5. November 2016

Unterschied 2

vorher:










nachher:










Was ist passiert? Ein Meldorfer Handwerker war hier, kurzfristig, am Samstagvormittag! Hat ein bisschen gestaubt und gelärmt, aber das geht ja bei dem Wetter.
Jetzt kann ich beruhigt singen gehen. Den ganzen Nachmittag Messias-Probe!

Victor Hase

Lektion 1 des Anstandsbuches:
"Mein Name ist Hase" hat nichts mit "Kopf-in-den-Sand-stecken" zu tun. Sand würde man auf einer Hallig eh vergeblich suchen. "Mein Name ist Hase" ist auch kaum mit den 3 Affen von Nikko zu vergleichen "nichts hören, nichts sehen, nichts sagen". Eigentlich sind es vier. Der vierte hat die Hände im Schoss gefaltet: "nicht handeln". Ich hab sie von Angesicht zu Angesicht gesehen! Die Asiaten haben einen anderen Umgang mit dem Dämonischen und mit dem Göttlichen als wir. Als ich.
Herr Hase aber war Heidelberger Jurist und hieß mit Vornamen Victor, manche sagen Viktor und verleihen ihm noch ein adliges "von". Wie auch immer. Während seines Studiums verweigerte Herr Hase vor Gericht die Aussage, zum Schutz eines Kommilitonen. Er gab nur Auskunft zu seiner Person: "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts." Geschehen 1854.

Freitag, 4. November 2016

Schuld und Sühne

Hey! HOOGER DIEB! Klauen gehören den Zehenspitzengängern. Und Saufen ist Deine Sache. Aber: dass Du Dich über einen Monat lang bei mir nicht entschuldigst, kann ich nicht akzeptieren. Ich setzte Dir nun eine Frist: Bis ich das nächste Paar Hundertwasserwollsocken gestrickt habe, hast Du Zeit die Entschuldigung nachzuholen und darfst damit rechnen, dass ich sie annehme. Beeile Dich oder zermartere Dein Hirn, um herauszufinden, wie lange die Uhr tickt. Wenn Du bis zur Fertigstellung inklusive Vernähen aller Fäden Deine Charakterlosigkeit überwindest, winkt Dir ein satter Gewinn, wie beim Preisausschreiben oder Adventsrätsel. Wenn nicht, erwartet Dich hier eine lang angelegte öffentliche Rückgratschulung!

Unterschied

Wer sieht den Unterschied?
vorher:










nachher:










Was ist passiert? Ein Techniker der Telekom war pünktlich zum vereinbarten Termin da!

Donnerstag, 3. November 2016

Die unsichtbare Loge

Die erste Meldorfer Frostnacht. Die beiden Oleander gestern Abend rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Mein Smartphone hatte mich gewarnt. Die Sterne stehen immer noch klar am Himmel über Dithmarschen. Aus dem Radio kommt das Wort zum Tag. Der Tag zum Wort. "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können" (Jean Paul, Die unsichtbare Loge). Ich schreibe eine Geschichte über das Absolute am Beispiel der Heißmangel. Um Zehn kommt der Heizungsmann, um zu warten. Worauf? Mich wird er zur ersten Pause erlösen.

Mittwoch, 2. November 2016

Schwung und Horn

Allerseelen im Schwarzbubenland. Mein Schneebesen ist zerbrochen. Ein letztes Relikt aus Helvetien. Hat vor dem Alter kapituliert. An der Sollbruchstelle. Nach mindestens einem Vierteljahrhundert Einsatz. Unermüdlich sangen wir Mit dem Schneebesen aufs Matterhorn ... Mein Schweizer Schneebesen und ich! Er litt am Wattenmeer so sehr wie ich es liebe. Ich dachte an Mutter, wenn ich ihn in die Hand nahm. Obwohl er kaum ein Geschenk von ihr gewesen sein kann. Dass er ausgerechnet heute, nachdem er tapfer neun Jahre lang dem Salz in der Lust (!) standgehalten, aufgibt, bekümmert mich mehr als die immer noch nicht freigeschaltete Telefonleitung. Kein Anschluss unter dieser Nummer.  Der Rost hat den Metallstiel im Holzgriff unerkannt zerfressen. An Allerseelen. Als Mutter immer über die Halbkantonsgrenze fuhr. Auf das Grab der Eltern, dann auch auf das des Bruders, und schließlich noch der Schwägerin. Sie war die Letzte.

Dienstag, 1. November 2016

Sitz und Kunst

Zaduszki in Polen, Allerheiligen in Rom. Sitzgelegenheiten auf dem Meldorfer Rathausplatz. Zeit zum Verweilen. Bei jedem Wetter. An jedem Tag. Bei jeder Gelegenheit.


Montag, 31. Oktober 2016

Meldorfer Mahnwache

Wie jeden Montag:
18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Nicht wie jeden Montag:
Probenfrei. Reformationsfest. Reformationsjubiläum. Empfang für Ehrenamtliche (dazu zählen wir Sängerinnen und Sänger). Einläuten des Lutherjahres.

Sonntag, 30. Oktober 2016

black moon

Interessant. Wir gewannen in der Nacht endlich die im Frühjahr verlorene Stunde Zeit wieder zurück. Und am Himmel steht am Abend ein Phänomen, das wir gar nicht beobachten können: der zweite Neumond dieses Monats. Der zweite Oktober-Neumond. Der erste war am Ersten. Und der Zweite, der sogenannte "black moon" kommt heute, am Vorletzten. Tag! Des Monats! Oktober! Um 18:38. Es wird schon stockdunkel sein, da es ab heute eine Stunde früher dunkel wird. Trotzdem wird niemand den "black moon" sehen. Black moon, black sky, das ist immer so bei Neumond.
Ich denke übers "ausbügeln" nach, das mir am Tag des ersten Neumonds in Bredstedt entgegengekommen war: schnell, zuverlässig, freundlich. Die Heißmangel war geschlossen. Es war Samstag, später Nachmittag und Frau Mair im verdienten Wochenende. Was macht sie mit den Falten, mit dem ganzen Knitterzeug, das sie freundlich ausbügelt?

Samstag, 29. Oktober 2016

Meldorfer Rathauspost

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Bürgermeisterin! Weiterhin viel Sitzleder, aber auch gutes Stehvermögen!

Tadeusz 2

Mein Meister hilft mir, wenn ich Hilfe benötige. Nach wie vor. Nicht, wenn ich ihn darum bitte. Sondern wenn er merkt, dass ich einen Wink mit dem Zaunpfahl brauche. Oder einen Tritt in den Hintern.
Ich bin immer noch dabei, anzukommen. Das Haus wieder in Besitz zu nehmen. Die eine Hälfte, die ich als meine betrachte. Weil S. kam, putzte ich gestern Nachmittag auch die andere Hälfte. Die Putzfrau ertrage ich noch nicht im Haus. Ich trug Bettzeug hin und her. Wühlte in Dingen, die ein Jahr lang herumlagen. Wusch das eine und das andere. Und dann durchfuhr mich plötzlich die Erkenntnis - wie der Blitz aus dem berühmten heiteren Himmel: ich weiß nun und verstehe, weshalb ich, die Ex-Halligschreiberin, am Dienstag Mittag auf Hanswarft so heftig beschimpft wurde vom obersten Halligbewohner. Weil ich schreibe. So einfach ist manchmal die Wahrheit. Weil ich schreibe. Weil das mein Beruf ist. Weil ich nichts anderes kann, nichts anderes tue, nichts anderes will. Nur schreiben. Aber: Schreiben! Er wollte mich degradieren. Demütigte mich ständig, indem er mich bei jeder Gelegenheit als "Hand-gegen-Koje" bezeichnete, mich diversen hohen Gästen so vorstellte. Ich sprach ihn mehrmals darauf an, er hatte immer eine andere Ausrede. Weil er meinte, wenn er mich nicht lese - er blähte sich am Dienstag regelrecht vor mir auf, als er verkündete, meinen blog NIE angeklickt zu haben - , schreibe ich auch nicht. Das ist ungefähr so wie mit dem Hasen in meinem Garten, der die Augen schließt und denkt, ich sehe ihn dann nicht. Ich aber schreibe. Und sehe den Hasen. Ich liebe den Hasen und werde ihn durch den Winter mit Karotten füttern, wenn er kein frisches Grün mehr in meinem Garten findet.

Freitag, 28. Oktober 2016

Tadeusz

Heute hätte mein Meister Namenstag. In gewissen Ländern sind Namenstage wichtiger als Geburtstage. Manchmal, nicht immer, fällt der Namenstag auf den Geburtstag, oder umgekehrt, gilt der Geburtstag als Namenstag, weil manche Mütter und Väter der Ansicht sind, das Kind bringe mit der Geburt nicht nur das Geschlecht, sondern auch seinen Namen mit. Wie auch immer. Es ist gut, dass mein Meister, der heute Namenstag und nicht Geburtstag hätte, rechtzeitig gestorben ist und die politischen Umwälzungen in seinem Land nicht mehr miterleben muss. Aber: er wäre stolz auf die Polinnen und ihre "schwarzen" Proteste!

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Matka Boska

Die Zugriffszahlen schnellen gerade in die Höhe. Endlich lesen die Hooger meinen blog!
Ich sause mit meinem kleinen Akkurasenmäher kurz vor Sonnenuntergang über den Rasen. Nicht um zu mähen, sondern um das über den Tag getrocknete Laub zusammenzufegen. Mein kleiner Rotak zerhäckselt die Blätter und ich schütte sie auf mein vom Unkraut befreites Gemüsebeet. Morgen werde ich das Gemisch ordentlich untergraben und gut is. Bis die nächste Portion Herbst vom Himmel fällt. Wie schön, zu Hause sich abrackern zu dürfen für den eigenen Grund und Boden. Und nicht mehr ohne Dank in fremden Diensten zu stehen, moderne Sklaverei zu verkörpern. Vor dem Einschlafen ein, zwei Kapitel aus "Matka Boska" von Cécile Ines Loos. Ein gewaltiges Buch. Endlich kann ich wieder lesen!

Mittwoch, 26. Oktober 2016

"diese sich zunehmend verrohende Welt"

Carolin Emcke, die frischgebackene Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels, sagte am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche, jeder Einzelne "kann sprechend und handelnd eingreifen in diese sich zunehmend verrohende Welt".
Die Verrohung fängt mit der Sprache an. An den entlegensten Orten der Welt. Auch wenn sie quasi ganz nah an der Schöpfung sind. Oder mit den Gedanken. Wenn ein Mann auf der Hallig von einer (nicht seiner) Frau sagt, die könnte er von hinten erschießen, dann ist das rohe maskuline Rohheit, verbale Gewalt. Ein mentales Kapitalverbrechen.
Wenn eine Frau am Sonntag nach dem Gottesdienst auf Kirchwarft steht und über die ankommenden Sonntagstouristen sagt, die könnte sie alle erschießen, dann ist das rohe feminine Rohheit, verbale Gewalt. Ein mentales Kapitalverbrechen.
Worin besteht der Unterschied? Der Mann bezieht sich auf eine einzige, ihm bekannte Person. Die Frau geht pauschal gegen eine ganze Gruppe Unbekannter vor. Der gemeinsame Nenner ist die Waffe. Das Schießeisen.
Meine Aufgabe ist und war es nie, die Welt hymnisch zu besingen. Meine Aufgabe ist es, die Welt zu sehen und ihre Abgründe zu benennen.

Dienstag, 25. Oktober 2016

Hooger Blau

Ja, der Himmel über Hooge ist nach wie vor unbeschreiblich schön. Klar. Weit. Tagsüber ablaufendes Wasser. Trockenfallendes Watt. Ruhe! Ich gehe meiner ganz eigenen Wege. Treffe meine ganz eigenen Basler Freunde und höre ganz nebenbei, die Halligschreiberin habe Hooge aus Langeweile verlassen.

Montag, 24. Oktober 2016

Meldorfer Mahnwache

Wie jeden Montag:
18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Sonntag, 23. Oktober 2016

Samstag, 22. Oktober 2016

Maronenernte

Drei Kilo brutto habe ich verarbeitet, zweieinhalb netto rausbekommen. Das ist von der Menge her nicht schlecht. Vom Aufwand wird es von Jahr zu Jahr schwieriger. Schmerzhafter. Meine Rhizarthrose entwickelt sich mit mir zusammen. Wird im Gleichschritt älter.
Ein Kilo ungefähr liegt noch im kalten Wohnzimmer und wartet auf einen ruhigen Moment.

Freitag, 21. Oktober 2016

Fahrradstreik

Das Hinterrad blockiert. Die Bremse lässt sich nicht mehr lösen. Bringt mich zur Weißglut! Wie komm ich jetzt auf die andere Seite der Bahnlinie zu meinem Fahrradmechaniker? Meldorf ist nicht durch eine Mauer sondern durch die Marschbahn geteilt. Geteiltes Leid ist in diesem Falle doppeltes Leid!

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Fadenzähler

Überall Schneiderhandwerkswörter. Nach Strich und Faden. Sich verhaspeln. Die Haspel ordnet Fäden, fasst sie zu Strängen zusammen. Warum wird die Rede als ein Faden verstanden, der sich tüchtig verwirren kann?
Die Weber prüfen ihre Stoffe auf die Anordnung der Fäden, auf die Qualität der Fäden. Dazu brauchen sie eine Lupe wie andere zum Lesen. Das ist keine Leselampe sondern ein Fadenzähler.
Und der Erzähler? Oder die Erzählerin? Verliert den Faden. Es regnet.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Wahrsprechen

In der Nacht Dauerregen. Der Morgen trieft. Ich höre ein Gespräch mit Carolin Emcke. Sie sagt unmissverständlich, dass man + frau den Mut zur Wahrheit haben muss, wahrsprechen soll gegenüber der Macht. Foucault lässt grüßen. Wir dürfen uns nicht beirren lassen, sagt Emcke heute Mittag aus dem Radio zu mir und nur zu mir. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, uns nie Unrecht als Recht verkaufen lassen. Der Nebel hält sich hartnäckig. Online bin ich am offenen Fenster, rittlings auf der Fensterbank wie auf einem Pferd. Oder auf dem Rathausplatz. Neben dem Kunststein. Oder der Steinkunst.



Dienstag, 18. Oktober 2016

Fadenscheiniges

Gegen Mittag bricht die Sonne durch den Nebel. Ich grabe mein Gemüsebeet um, das in diesem Jahr gemüsebeetfrei hatte. Die wunderlichsten Kräuter haben sich verbreitet. Spinnen als Äquivalent oder Ausdruck des Verrücktseins geht tatsächlich auf das Spinnen als Handwerk zurück. Man spinnt nicht nur den Faden, sondern auch eine Erzählung. Spinnerinnen sollen sich früher bei der Arbeit gerne Märchen oder andere verrückte Geschichten erzählt haben. Sie spannen (ja!) Verworrenes, verworrene Fäden. Und irgendwann verkürzte sich alles, als nicht mehr so viel wahrhaftige Fäden gesponnen wurden, galt spinnen einfach nur noch als "verrückt"! Auch das Fadenscheinige einiger Argumente geht auf eine ähnliche Materie zurück, diesmal auf Gewebtes. Gute Argumente müssen dicht und klar gemacht sein wie ein guter Mantelstoff, schlechte hingegen sind durchsichtig wie eine abgenutzte Hose. Ich spinne meine eigenen Fantasien. Im Garten hauste mindestens ein Hase, mehrere Katzen und leider auch ein Hund.

Montag, 17. Oktober 2016

Meldorfer Mahnwache

Mahnwache in Meldorf. Chorprobe in Heide. Und meine Entdeckung heute: Obertonsingen! Phänomenal. Cantate Domino ... - Singet dem Herrn! Ein neues Lied! So kann die Schöpfung, muss die Schöpfung besungen werden, will man ernsthaft an einen Schöpfer glauben.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Vollmond

Der erste Meldorfer Vollmond seit langem tritt freundlicherweise ganz kurz aus den Wolken in dem Moment, als ich zwischen dem ersten und zweiten Saunagang zum Spaziergang durch den Garten aufbreche.

Samstag, 15. Oktober 2016

Der Dauerlauf

Ich kann endlich wieder arbeiten. Endlich kommen wieder Wörter wie Zopfholz und Sprockholz und finden ihre kreativen Umwege in den 144-er Verbund. Mein persönliches formales derzeitiges Nirwana! Ich habe meine innere Ruhe wieder und meinen inneren Rhythmus, meine innere Zuversicht. Zufällig stoße ich nach Jahren auch aufs Latein und lasse es gelten: Amicus certus in re incerta cernitur. Angeblich von Cicero. Wie schön klingt das! Die Polen usurpieren alles, auch die Antike. Mickiewicz machte daraus "Prawdziwych przyjaciół poznajemy w biedze". Und ich, ha! - schuf einmal in einer grammatikalischen Verwirrung meine eigene Version von Mickiewiczs Cicero-Adaption mit dem Finale "... w biegu": "Prawdziwych przyjaciół poznajemy w biegu" - Wahre Freunde erkennen wir im Dauerlauf!

Freitag, 14. Oktober 2016

Zopfholz

Über allen Gipfeln ist Ruh / in allen Wipfeln spürest du / kaum einen Hauch ...
Goethe kann jetzt schlafen gehen. Ich habe heute ein neues Wort gefunden, bei den Förstern im Wald und meiner Fee im Garten: diese Fachleute bezeichnen den oberen Teil eines Baumes, also auch meiner mittlerweile mächtigen Edelkastanie, als Zopf. Und das Bearbeiten, Zurückschneiden der Äste, des Wipfels als Zopfen. Gute Nacht, alter Poet!
Auch Bäume neigen zur Vergreisung. Und in meinem eigenen Text lese ich, dass Steinschlag Waldgesellschaften vor Inzucht bewahrt. So hat alles sein Gutes und ich bin immer noch off the line, also neben der Spur.

Donnerstag, 13. Oktober 2016

offline

Ich rode einen Wald von Topinamburpflanzen. Hole dicke Stämme aus der weichen Erde. Ernte einen Eimer voll Essbares. Schütte ihn, den Eimer, auf dem Gartentisch aus. Auf ein paar Seiten aus einer verblichenen ZEIT. Die ist mir verblieben. Denn über Nacht hat man mir Telefon und Internet abgestellt. Unglaublich! Was der Garten in meiner Abwesenheit getrieben hat.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Der Steigbügelhalter

Nein, ich bin weder eine Steigbügelhalterin noch ein Steigbügelhalter. Schon wieder bleibe ich hängen bei der Nickenden Distel. Endlich wieder Wind im Garten. Ich muss mich beeilen, wenn ich nicht alle Maronen den hungrigen Raben opfern will. Die Ernte fällt mager aus. Auch die Nashibirnen faulten fast alle am Baum. Steigbügelhalter hat einen noch bittereren Nachgeschmack als das Kreidefressen. Weil der gebeugte Rücken zu sehen ist.
Der Duden sagt, der Steigbügelhalter sei ein "sehr unterwürfiger Diener". Denn derjenige, der früher anderen den Stegreif oder den Steigbügel hielt, damit er aufs Pferd steigen kann, war immer eilfertig. Warum? Weil derjenige, der aufs Pferd wollte, es eilig hatte? Warum kommt die Sprachfärbung von oben nach unten?

Dienstag, 11. Oktober 2016

diabolus in musica

"Unglaublich" schöne Musik, lese ich, könnten wir heute nicht hören, wenn sich alle Komponisten an die Maßregeln eines Nuncius aus dem Jahr 1613 gehalten hätten. Es tut also gut, auszubrechen. Aus Festgefahrenem.
Besagter Nuncius (Johannes N. Görlitz) warnte vor dem "Gegeneinandersetzen von weichen und auch harten Stimmen", da dieses "die Ohren beleidigt". Bei einem diatonischen Halbton (h und c) gilt der untere Ton als hart und der obere als weich. Das kommt von der Geige oder anderen Saiteninstrumenten, wo die Saite des Stammtones b gegenüber der Saite des Stammtons h weicher bzw. die h-Saite gegenüber der b-Saite härter gespannt ist. Deshalb galten chromatische Halbtonschritte, übermäßige Quarten, verminderte Quinten, übermäßige Oktaven in den Kompositionen als "Teufel der Musik" - diabolus in musica.
Solches und ähnliches erfahre ich in einer Probe mit der Heider Kantorei.
In Händels Messiah singen die Soprane so ein ungewöhnliches Intervall, der Spring nach oben in "Since the man came death ...", von Takt 17 zu Takt 18. Tritonus oder Halboktave. Umfasst drei Ganztöne und klingt wunderbar!

Montag, 10. Oktober 2016

Meldorfer Mahnwache

Sie sind immer noch dabei, jeden Montag vor dem Bäcker, den es nun nicht mehr gibt an der Ecke. Nur ich habe die Übersicht verloren. Die 238. Mahnwache hielten wir am 23. November 2015 ab. Danach war ich aushäusig. Jetzt muss ich, nebst allen anderen liegengebliebenen Dingen, auch das noch erledigen: nachzählen. 

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Sonntag, 9. Oktober 2016

in nuce

Von Plinius dem Älteren bis Stephen Hawking versuchen alle, die Welt, die dargestellte, erahnte, erfahrene, befürchtete ... in einer Nussschale unterzubringen. Also auch ich.
Hooge in nuce, das kann man sich bildlich vorstellen als eine mit Pech und Schwefel ausgestrichene leere Walnussschalenhälfte in der tosenden Nordsee. Aber nein. Es ist Sonntag und NDRinfo überträgt den katholische Gottesdienst aus der Pfarrkirche St. Cyriakus (Schutzpatron der Winzer, weil er vor Frost und schlechtem Wetter schützen soll, aber auch vor Versuchungen, Besessenheit und bösen Geistern!) in Krefeld-Hüls und ich höre als erstes göttliche Musik!
"Wo man singet ..." rät der Dichter (Johann Gottfried Seume) "... lass dich ruhig nieder
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singet, wird kein Mensch beraubt
Bösewichter haben keine Lieder."
Tja. Beraubt wurde ich und ein Sinn-Sing-Bild geht mir nicht mehr aus den Augen:
Während der Probe am Dienstagabend im Pastorat auf Kirchwarft ("gemeinsames Singen") stellt sich eine Sängerin konstant mit dem Rücken zu allen anderen in eine Ecke und hält sich beide Ohren zu. Wenn ich Euch höre, sagt sie, kann ich nicht singen. Meine Nussschale - the small Hooge universe in a nutshell.

Samstag, 8. Oktober 2016

Neue Ernte

Neuer Text.
Gartenarbeit. Die erste Handvoll Maronen ist gefallen. Ich dachte schon, es gibt in diesem Jahr keine reifen bzw. bestäubten Nüsse.
Ich schneide die Hausecke, die eine Hausnummer, ein Fenster sowie das blaue Anzeigetäfelchen für die Wasserleitung, die hier in der Tiefe entlangrauscht, aus dem Efeu frei. Das Efeu, habe ich auf der Hallig gelernt, greife das Mauerwerk nicht an. Im Gegensatz zum lockenden Wein mit seinen Pfropfen an den Füßchen.
Danach steige ich auf die Leiter und vertraue auf meine Standfestigkeit. Hole mehrere vertrocknete Vogelnester aus den Dornen. Auch die Blaumeisen kommen nächstes Jahr wieder. Da bin ich sicher und zerre die entfesselten Kletterrosen aus der Dachrinne. Der Dachdecker kommt nächste Woche. Der Rosenbogen ist unrettbar verrostet. Ihn werde ich vor dem nächsten Sturm mit Zange und Hammer bearbeiten, damit er in die Mülltonne passt. Allmählich tau(ch)t das Haus wieder auf.