Freitag, 30. Juni 2023

Harmonie

Endlich wieder ein Dreieck in der Meldorfer Bucht geschwommen. Die letzten Tage war die Tide ungünstig und der Wasserstand tief unter dem MHW. Ich getraue mich kaum noch, vom freien Schwimmen zu berichten. Seit Anfang der Woche wird am Morgen "22 Bahnen" vorgelesen. Ein vielsagender Titel. Die Bahnen beziehen sich auf die Geometrie eines in- oder outdoor-Schwimmbads. Ein Schwimmbadbuch. Ein Geschwisterbuch. Ein Vernachlässigkeitsbuch. Schwimmen muss immer für vieles herhalten. In Bahnen gefasst, ist es eine Sucht und gleichzeitig der Versuch, diese zu überwinden.

Seit ich an der Nordsee lebe, kann ich kein Schwimmbad mehr betreten, weder drin noch draußen und in kein chloriertes Wasser mehr steigen. An der Meldorfer Bucht am FKK-Strandabschnitt wurde gestern rund um die futuristisch anmutende moderne neue Dusche eine großzügige, rechteckige Standfläche gepflastert. Platz für mindestens 6 saubere Füße!

Donnerstag, 29. Juni 2023

Katharsis

Zwischen zwei (notwendigen) Gängen ändert sich die Welt vollkommen. Alles wird auf einen Schlag dunkel, kalt und nass. Ob das noch ein Platzregen ist, bezweifle ich (verzweifelt auf dem Fahrrad mitten im freien Feld oder freien Fall). Eher eine Sintflut. Katharsis.

Mittwoch, 28. Juni 2023

Airburst

Schon wieder: ein Meteorid verglüht über dem Süden Deutschlands. Oder über Tschechien. Oder über Europa. Wer weiß das schon. Nach Überresten am Boden (= Meteorit) wird noch gesucht. Die Leuchtspur am Himmel (= Meteor) verlief von Südost nach Nordwest, sagen die Himmelsgucker. Bis zu uns ist sie nicht gelangt. Also nichts Ungewöhnliches. Dafür Wörterbucheinträge - Lichtblicke! Sternschnuppe, Meteor, Meteorit, Meteoroid, Bolide. Von hinten: Bolide sind die hellsten Leuchterscheinungen, deshalb werden sie auch Feuerkugel oder Feuerball genannt. Sternschnuppen leuchten am schwächsten. Der Meteor ist nur das Leuchten beim Verglühen eines Meteoroiden in der Erdatmosphäre. Und wenn etwas das Licht überlebt und auf der Erde aufschlägt, ist es meist ein schwerer Brocken, ein Meteorit. Und weil es vorgestern abend auch noch in mehreren Kilometern Entfernung zu massiven Lärmemissionen wie Donnergrollen gekommen sei, nehmen die Fachleute an, dass der Meteoroid nicht nur als Bolide verglühte, sondern auch noch in einem sogenannten Airburst explodierte:

Dienstag, 27. Juni 2023

Schäferstündchenzeit

Heute ist Siebenschläfer. Ich habe wieder unter dem Dach in meinem Bett geschlafen. Sehr zur Freude von Herrn Caruso, der sich in letzter Zeit gerne eine Stunde vor Mitternacht schnurrend in meine Armbeuge legt. Deshalb der vorwurfsvolle Blick kürzlich, als ich zu nachtschlafener Zeit im Kleiderschrank nach Winterklammotten suchte, statt ihm ein weiches Ruhekissen anzubieten. Ehe er seinen wichtigen Nachtgeschäften nachgeht. Der Regen ging diesmal wie vorhergesagt mitten in der Nacht prasselnd nieder, der erste Blitz schlug pünktlich mit Sonnenaufgang ein. Wo weiß ich nicht, aber das Krachen war entsetzlich und folgte ihm auf dem Fuße. Heute gilt eine Mischung zwischen April- und Augustwetter. Hitzegewitter. Starkregen. In Schauernähe Sturmböen zuerst aus West, dann aus Nordwest bin Bft 8. Dazwischen eitel Sonnenschein und Temperaturen nicht über ein erträglich Maß.

Montag, 26. Juni 2023

Gewitterzeit

Der Regen, nun aber richtig, kam erst am Morgen. Ich war früh und frisch auf den Beinen und hatte Zeit genug, mich zu strecken und zu recken, den Kater zu füttern und meine Regentonnen zu öffnen.

Ist alles in nullkommanixx (der Balance wegen mit Doppel-x) vollgelaufen. Und nun kann ich durchs Haus laufen und alle Fenster aufsperren. Die Griffe sind immer noch so heiß, dass ich mir fast die Finger daran verbrenne.

Sonntag, 25. Juni 2023

Schlafmützenzeit

Die wärmste Nacht des Jahres folgt auf den wärmsten Tag des Jahres. Noch ist der Sommer kaum ein paar Tage alt. Und es gibt kaum richtige Dunkelheit zwischen Abenddämmerung und Morgendämmerung. Beim Bambusgießen habe ich den halben Mond gesehen. Ich will zum ersten Mal im Garten schlafen und tausend Fragen stürzen auf mich ein. Ich habe alles vergessen. Hole die Liege vom Dachboden. Hänge den Schlafsack kurz zum Auslüften auf die Wäscheleine. Aber was um Himmels willen anziehen? Schlafanzug? Wollsocken? Ein Kapuzenfleece? Thermounterwäsche? Der Kater versteht die Welt nicht mehr, was ich alles hervorkrame, statt mich einfach aufs Bett zu legen. 

Samstag, 24. Juni 2023

Kochzeit

Es kocht in der Welt und in der Meldorfer Bucht. Eine Frau misst täglich mit ihrem Badewannenthermometer die Wassertemperatur der Nordsee und verkündet: 24°. Es ist kurz nach 17 Uhr. Ich bin vernünftig. So wie die ganze Welt. Rechtzeitig die Kehrtwende eingeschlagen und losgefahren. Bei den momentanten wilden Wasserständen will ich nicht mehr bei ablaufender Tide schwimmen. Die Lufttemperatur liegt am frühen Abend knapp unter 30°. Also bedeutet das Bad im Meer immer noch eine, wenn auch geringfügige Abkühlung.

Freitag, 23. Juni 2023

Regenzeit

Von Regen zu sprechen ist geradezu lächerlich. Die schwere Schwüle nach den paar Tropfen in der Nacht ist am Morgen unerträglich. "On ne voit bien qu'avec la coeur. L'essentiel est invisible pour les yeux" (Le Petit Prince, chap. XXI). Sagt zum kleinen Prinzen der Fuchs. Es ist sein Abschiedsgeschenk. Die Offenbarung seiner Lebensweisheit.

Das ist aber leider die Wahrheit nur im Märchen.


Donnerstag, 22. Juni 2023

Tiefseezeit

Was zieht die Leute in die Tiefe? Katastrophen gibt es doch auch an der Oberfläche in Hülle und Fülle zu bestaunen. Friedhöfe haben aktuell Hochkonjunktur. Warum also die Reise zu einem Schiffswrack, das seit über hundert Jahren auf Grund liegt, auf Tiefseegrund eben. Wozu die Totenruhe von schätzungsweise Tausendfünfhundert Ertrunkenen, den Fischen zum Fraß Vorgeworfenen, stören? 

Selber schuld! Sagt der kritische Geist; Hochmut kommt vor dem Fall, die Bibel. Und der Experte erklärt: "Bei 300 Bar bleibt außer Metall nicht viel erhalten." Punkt. Nicht einmal Fischfutter. Plankton.

Ich bin heute zwei Stunden nach Hochwasser bei ablaufendem Wasser fast nicht mehr von der rechten Boje zu meiner Badetreppe zurückgekommen, so stark war der Sog. Es zog mich Richtung Büsum, trotz Westwind. So viel Wasser war noch in der Meldorfer Bucht. Es muss ja gehen, ehe es wiederkommt. Also wird irgendwann massiv Druck aufgebaut. Von der Vorsehung. Dem Sonnenstand. Der Mondphase. Das war meine Lektion.

Mittwoch, 21. Juni 2023

Wurmberg

Sommersonnenwende. Der subsolare Punkt - der Ort, über dem die Sonne genau senkrecht, also im Zenit, steht, erreicht heute, genauer: jetzt, um 16:57 MESZ seine nördlichste Position am nördlichen Wendekreis. So die wissenschaftliche Umschreibung des Sommerbeginns, des längsten Tages des Jahres auf der Nordhalbkugel. Also bei uns am Wattenmeer.

Vor fast einem Vierteljahrhundert suchten Gängster oder meinetwegen Hobbyarchäologen mit Metalldetektoren am Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt gezielt nach Wertvollem. Sie gruben eine Metallscheibe, Beile und Schwerter aus und verkauften die Teile, maximal gewinnorientiert, an Profihehler. Die Scheibe, eine grün angelaufene Bronzeplatte von ca 30 cm Durchmesser, wenige Millimeter dick, über 2 Kilogramm schwer, errang Weltruhm als Himmelsscheibe von Nebra, nachdem sie auf abenteuerlichem Wege aus den gierigen Händen der Händler in die sorgsamen Hände der Denkmalschützer gelangte. Heute glänzen auf der Bronze hinter Panzerglas in einer Vitrine des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle/Saale die Ornamente wieder gülden: eine dicke Mondsichel und eine dicke Kugel, vielleicht die Sonne (oder der Vollmond - nebst der Sichel?), außerdem 32 Sterne, von denen 7 in einer Rosette zusammensitzen. Die Fachleute deuten Letztere als die Plejaden. 

Was aber die Scheibe mit dem Fundort wirklich verbindet, wofür sie hergestellt und warum dann dort vergraben wurde, bleibt geheimnisumwittert. Gewiss ist nur, dass heute abend wie jedes Jahr zur Sommersonnenwende die Sonne - vom Fundort der Himmelsscheibe von Nebra aus gesehen - hinter dem Wurmberg im Harz untergeht und nicht, wie der Volksmund immer wieder stur behauptet, weil's halt die schöner' Gschicht wär', hinter dem Brocken. Lange wurde darüber spekuliert, ob die fast 4000 Jahre alte Scheibe dazu gedient haben könnte, zum Sommeranfang vom Mittelberg aus den Sonnenuntergang anzupeilen. Blanker Unfung, sagen die Astronomen heute. Denn die Sonne gehe tatsächlich gute 2 Grad links vom Brocken unter. Außerdem sei der Brocken, der höchste Berg im Harz, vom Fundort der Himmelsscheibe 80 Kilometer weit entfernt und auch von dem dort für den blühenden Tourismus neu errichteten, 30 Meter hohen Aussichtsturm am Horizont kaum zu erkennen.

Dienstag, 20. Juni 2023

Molchzeit

Vor ein paar Tagen fiel mir "Der Krieg mit den Molchen" aus dem Bücherregal vor die Füße. Bei mir bewegen sich die Bücher. Der erste Teil las sich nach all den Jahren erstaunlich flüssig, der zweite zäh, auf den dritten verzichte ich angesichts des Radioprogramms. Kommt morgen als Hörspiel. Eine Wiederholung aus dem Jahr 1963! So gewinnt Weltliteratur die Patina der Antike.

Die Scheuchzeri - also die Pazifischen Riesenmolche Andrias Scheuchzeri Tschudi - sind keine reine literarische Erfindung von Karel Čapek, sondern gehen auf einen Fossilienfund durch den Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer im Jahr 1726 im Steinbruch von Öhningen am Südhang des Schiener Bergs westlich des Untersees, also des kleineren der beiden Seen des Bodensees zurück. Den Fundort kennen wir schon, nicht aber Scheuchzers Schlussfolgerung: er meinte, den "Sündflutmenschen" entdeckt zu haben, das fossile Skelett einer vorzeitlichen "Menschenrasse". Gerade dieser Irrglaube mag den listigen Tschechen inspiriert haben, den zweiten Nachnmensteil Tschudi hingegen legt er einer seiner vielen Quellen in den Mund, die eine seiner Romanfiguren zufällig aus den Zeitungen ausschneidet. Eine übliche Methode der unwissenschaftlichen Materialsammlung durch zweitrangige Figuren. Tschudi stammt aus meinem Glarnerland! Der Autor bekennt, dass die "sogenannte Romanutopie" aus einem Satz entstanden sei, den er im Frühjahr 1935 zufällig bei irgendeiner Gelegenheit auf den Rand eines Notizblocks gekritzelt habe, nämlich: Wir dürfen nicht glauben, dass die Entwicklung, die unser Leben entstehen ließ, die einzige Möglichkeit der Entwicklung auf unserem Planeten war. Und schon war es um mich geschehen, schiebt er nach. Und weiter: "Ich schrieb meine Molche, weil ich an das Volk dachte, und ich wählte zum Gegenstand meiner Allegorie die Salamander gerade darum, weil einmal tatsächlich der Abdruck eines fossilen tertiären Salamanders für den Abdruck eines Vorläufers des Menschengeschlechts gehalten wurde. Die Molche waren mir jedoch nur ein Vorwand dazu, Menschliches zu schildern." (Karel Čapek)

Montag, 19. Juni 2023

Quallenzeit

Hitze in der Nacht. Hitze in den Füßen, an den Oberschenkeln, an den Waden, in den Kniekehlen. Gestern haben mich Quallen geküsst in der Meldorfer Bucht. Der Deich war voll und das Wasser warm wie an der Adria. Nun fallen ein paar müde Regentropfen, die in der heißen Luft verdampfen, noch ehe sie den ausgetrockneten Boden erreichen. Am meisten Geduld, sagte am Freitag, nachdem der schnelle Schuttstrom in der Nacht sein Dorf verschont hatte, der Brienzer Gemeindepräsident, legten die Geologen an den Tag.

Sonntag, 18. Juni 2023

Pflanzzeit

Neumond. Hitze am Wattenmeer. Heute abend, genau um 23:07 Uhr - da ist es auch bei uns schon fast ganz dunkel - beginnt nach einem der diversen Bauernkalender die Pflanzzeit. Dieser Volks(aber)glaube richtet sich nach der Stellung des Mondes: im Sternbild Zwillinge erreicht er heute Nacht seine höchste Stelle am Himmel. In den nächsten zwei Wochen sinkt seine Bahn kontinuierlich ab, bis er am 3. Juli morgens um halb 4 im Schützen die Talsohle erreicht. Damit endet dann die Pflanzzeit besagter Pflanzer. Es scheint mir ein bisschen vermessen, nur in der zweiten Junihälfte anpflanzen zu wollen. bei uns im Norden würden so die Kohlköpfe nie rund und groß ... Andere (Bauern-)Regeln berufen sich eher auf die Mondphasen und raten, bei zunehmendem Mond zu pflanzen. Bei meinen Tomaten hat sich letzteres bewährt. Für ersteres fehlen mir die Erfahrungswerte. Ich kann jeweils nicht bis in den Juni hinein mit der Aussaat meiner Baselbieter Röteli warten. Da wär ich ja längst verhungert!

Nun ist der Mond neu ist und bis zum Abend bereits wieder am Zunehmen, also deckt sich gerade die eine Regel mit der anderen.

Samstag, 17. Juni 2023

Der Gast

Ein Opfer forderte der Berg: Gino Mäder erlag gestern Vormittag seinen Verletzungen, die er sich am Donnerstag kurz vor dem Ziel der 5. Etappe der Tour de Suisse zugezogen hatte. Er stürzte bei der Abfahrt vom Albulapass in eine steinige Schlucht, wurde im Bachbett geborgen und sofort reanimiert, ins Churer Krankenhaus geflogen und dort intensivmedizinisch behandelt. Es half dem jungen Radsportler leider nicht mehr. Vor zwei Jahren sagte er in einem Interview, er sehe sich "als Gast auf der Erde".

Die 6. Etappe der Tour de Suisse wurde abgesagt. Die Fahrer fuhren als Hommage an ihren verunglückten Kollegen nur die letzten 30 Kilometer der eigentlich geplanten Strecke nach Oberwil-Lieli.

Freitag, 16. Juni 2023

Die schlüpfrigen Felsen

Ich höre das Betzeit- oder Morgenläuten von Sankt Calixtus. Also steht die Kirche noch und der Glockenturm wird immer noch mit Strom versorgt. In der Nacht ist ein Teil des "Brienzer Rutschs", ein Teil der sogenannten Insel abgerutscht. Die Geologen vermuten einen sehr schnellen Schuttstrom, weder einen Fels- noch Bergsturz. Der Hilferuf, das Stoßgebet auf der Glocke wirkt immer noch: «Lubrica saxa manu retine caliste potenti! Atque tuere tuum sancte patrone locum.» Die "schlüpfrigen Felsen" sind wenige Meter vor dem alten Schulhaus stehen geblieben, dort türmen sie sich im Morgengrauen mehrere Meter hoch auf. Ob aber nun alles unten ist, was nach unten will, kann zu dieser frühen Stunde niemand sagen. Am Nachmittag mehr, verspricht ein Gemeindesprecher.

Ganz nah an das Dorf sind die Felsmassen gekommen. 

Foto: Keystone 

Die Straße nach Lenz/Lentsch ist verschüttet. Noch in der Nacht wurde die Phase Blau ausgerufen, also die Verbindungen von Tiefencastel nach Surava und Lenzerheide sowie die Albula-Linie der Rhätischen Bahn gesperrt. Die heutige Etappe der Tour de Suisse muss verlegt werden. Gestern sind die Radler noch um die Gefahrenzone herumgeradelt, heute ist die Strecke von La Punt über den Albulapass auf die Lenzerheide nicht befahrbar.

Der Berg hat alle überlistet, auch die Webcam. Er kam in der Nacht, als die Geologen, die Vögel, die Grillen, die Winterfutter produzierenden Bauern und Handmähmaschinen schliefen. Die Kamera hat nur Schwärze aufgezeichnet sowie ein höllisches Gerumpel. Und der Berg riss alle neu angebrachten Spiegel, die perfekt ausgerichteten Reflexionspunkte mit sich und nahm dem Georadar, dem Steinschlagradar und dem GPS auf einen Schlag - oder Rutsch! - jede Orientierung. Gut gemacht! Der Krisenstab war natürlich wach und im Dienst, evakuierte 3 Familien und 4 Kühe, musste aber ansonsten die Nacht, wie es heißt, im "Blindflug" verbringen, bis der neue Tag Licht ins Dunkel bringt und die Glocke von St. Calixtus ihren Weckruf ins Tal schickt.

Donnerstag, 15. Juni 2023

"Wollen Sie ..."

Unruhe in der Luft. Immer noch viel Wind. Ich höre am Abend vorgelesen. Effie Briest. Abends ist es einfacher zuzuhören als morgens. Was ich nicht (mehr) wusste, weil es möglicherweise meinem übervollen Gedächtnis über die Jahre wieder entfallen ist: dass Thomas Mann den Namen Buddenbrook in Fontanes Roman gefunden hat. Buddenbrook (ohne Vorname, ohne Titel, ohne ersichtliche gesellschaftliche Stellung, sondern nur ein "gewisser" Freund) ist der Sekundant des Majors Crampas. Buddenbrook hat im Roman Effie Briest nur die Aufgabe, die Regeln des Duells mit dem Geheimrat Wüllersdorf, dem Sekundanten des Barons von Innstetten abzusprechen, die Regeln des Duells, bei dem sein Freund und einstige Geliebte Effies auf der Stelle erschossen werden wird. Buddenbrook, der Freund des sterbenden Majors, kann nicht einmal verhindern, dass dem die letzten Worte im Halse stecken bleiben müssen, siehe oben ("Wollen Sie ..."). Das ist zuviel des Schlechten, ein Mordopfer nicht ausreden zu lassen!

Mittwoch, 14. Juni 2023

Mittzeit

Die Sommerzeit hat die Störung nicht behoben, sondern nur auf den heutigen Morgen verschoben. 6A leuchtet weiterhin, daran ändert der reset Knopf nichts. Ich rufe die Heizungsfirma an und das Büro verspricht mit zum Mittag einen Techniker. Vorher radle ich zum Hochwasser und verplappere mich an der Hafenchausee. An der Meldorfer Bucht hat bereits die Mittzeit begonnen. Das Wasser läuft einen halben Meter niedriger als das Mittlere Hochwasser auf. Ich beeile mich und am Deich will mir einer, der zum ersten Mal hier badet, weismachen, ich sei nicht zu spät, sondern zu früh. Sein Smartphon, er hält es mir zum Beweis unter die Nase, sagt HW für 11:35 an. Das BSH sieht die Sache ganz anders, entgegne ich und springe ins Wasser, solange es noch da ist. Der Typ hat sich veräppeln lassen von einer App, die keine MESZ kennt!

Dienstag, 13. Juni 2023

6 A

Die Heizung brummt in der Früh eigenartig. Eigentlich muss sie ja nicht mehr heizen. Aber die Nächte sind noch so frisch am Wattenmeer, dass die Anlage zu Betriebsbeginn ihr gewohntes Tagewerk beginnt. Mir heißes Wasser bereitet und ein bisschen Wärme produziert. Ich öffne die Klappe. Die elektronische Textanzeige sagt "Störung" und die rote Nummernanzeige zeigt 6 A. Ich möge bitte die Heizungsfirma kontaktieren, lese ich. Also tue ich das auf der Stelle. Stante pede. Der Chef persönlich meldet sich und seine erste Reaktion auf die rote 6 und das rote A (so etwas wie "oha") klingt nicht beruhigend. Aber er beruhigt mich sofort, stante pede, ich solle erstmal den reset Knopf drücken. Vielleicht kriege sie sich wieder ein. Das dauere ein bisschen. Und danach könne ich mich wieder melden. 

Ich drücke mehrmals auf reset. Bis das Hochwasser abläuft und die Außentemperaturen auf Sommer steigt. Jetzt zeigt die Heizung keine Störung mehr, sondern Sommerbetrieb.

Montag, 12. Juni 2023

Die Gerade

Ungünstige Tide und wenig auflaufendes Wasser. Also zu Hause bleiben und nachdenken. Eine Gerade bringt wenig, wenn wir den Zeugen des Weltalls Glauben schenken. Zm Beispiel den kürzlich in Elmshorn niedergeprasselten gewöhnlichen Chondrioten des Typen H. Die Planetologen verkündeten doch bei der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse, dass weitere Untersuchungen der Gesteinsbrocken möglicherweise neue Erkenntnisse über "Kollisions- und Bildungsprozesse im frühen Sonnensystem" liefern könnten. Also können erst durch Kollisionen, Brüche, Zerstörungen, Zermalmungen bis zur Unkenntlichkeit neue Gebilde, Gefüge, Zusammenhänge, Bindungen, haltbare Verbindungen, neue Formationen entstehen. Eine Gerade Linie in der Evolution bringt nichts. Keine Verbesserung. Keine Evolution. Gebannt ist mein Blick immer noch über das Geriesel über Brienz / Brinzauls gerichtet.

Sonntag, 11. Juni 2023

Das Wiederblühen

Wiederblühende Pflanzen blühen mehrmals im Jahr. Meist lieben sie nach der ersten Blüte den radikalen Rückschnitt. Der brutale Eingriff der Hobbygärtnerin mit einem scharfen Instrument, der gut geschliffenen Rosenschere befördert den natürlichen Frucht- oder Blühzyklus. Das gilt auch für Himbeeren und Erdbeeren. 

Diese Blumen und Beeren nennt man in der Fachsprache remontant. Das Wort ist aus dem französischen entlehnt, wie viele schöne Namen für schöne Rosen auch (Adèle, Adèle Courtois, Adèle Pavi oder A Feuilles de Chanvre, Albéric Barbier ... usw im Alphabet). remonter bedeutet einfach noch einmal hochkommen, re-monter, den Kopf noch einmal heben.

Praktisch und prägnant. Es ist ein Rosenjahr, meine Rosen blühen um die Wette. Und es ist ein Herbstjahr. Die Blätter der Felsenbirne (Amelanchier) fallen schon rot und gelb, ehe die Fürchte reif sind.

Samstag, 10. Juni 2023

Nippzeit

Ende der Springzeit. Beginn der Nippzeit. Die Zeiten am Wattenmeer sind anders als anderswo. Der Halbmond, abnehmend, ist schon vor Stunden untergegangen. Wir haben schönes Abendlicht zum Abendschwimmen. Es werden nun täglich mehr im Wasser und auf dem Deich. Die Schafe müssen sich auch erst wieder gewöhnen an die Nackedeis.

Freitag, 9. Juni 2023

Das Dreieck

Das erste Dreieck der Saison. Die erste spiegelglatte Nordsee. Rein. Treppe, erste Boje, zweite Boje, Treppe. Raus. Die ersten Quallen. Das erst prickelnde Brennen in den Kniekehlen und unter den Achseln. Der erste milde Abend am Deich. Die ersten alten Bekannten. Im Wasser und rund um die Strandkörbe auf hellen Badetüchern. Manche mit Bürsten und Lappen bewaffnet. Säuberungsarbeiten. Der Sommer beginnt mit Spinnweben und toten Mücken. Die erste fröstelfreie Rückfahrt. Sonne im Rücken.

Donnerstag, 8. Juni 2023

Der Elmshorner Meteorit

Über Elmshorn gingen am 25. April kurz nach 14 Uhr Gesteinsbrocken nieder. Ja, die Welt bröckelt allüberall, nicht nur über Tiefencastel und am Piz Linard, dem Kleineren. In Elmshorn gab es Einschläge auf Dächern und in Gärten. Nach dem nachmittäglichen Feuerball am Himmel wurden am Boden Steine von "einigen Hundert Gramm bis zu mehreren Kilogramm Gewicht" eingesammelt wurde. Nun stellt sich heraus, dass es Himmelsgestein ist. Meteoriten aus dem Weltall. Also nicht Sand vom Meer oder Schiefer aus dem Engadin. Sondern Zeugen der Ewigkeit. Aus der Gruppe der "gewöhnlichen Chondriten" Typus H, einer Gruppe von Meteoriten mit besonders hohem Metallgehalt. Teilt das Institut für Planetologie der Uni Münster mit. Ungefähr viereinhalb Milliarden Jahre alt, also aus der Urzeit des Sonnensystems. Der analysierte Brocken war ca 40 Gramm schwer und wurde in 30 Mikrometer dünne Scheiben zersägt. Sogenannte Dünnschliffe. Die interne Struktur zeichne sich durch eine intensive "Brekziierung" aus - was bedeute, dass der Meteorit bereits eine oder mehrere Kollisionen im frühen Sonnensystem und im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter absolviert haben müsse und deshalb aus verschiedenen Bestandteilen, also ursprünglichem und unverändertem sowie durch starke Erhitzung verändertem Material bestehe. Er ermögliche nun, sagen die Forscher, Einblicke in die Geschichte des Universums, in Kollisions- und Bildungsprozesse. 

Ein Teil des Elmshorner Meteoriten wurde für weitere Untersuchungen pulverisiert. Ich mähe Rasen statt schwimmen. Und denke nach. Über Brienz / Brinzauls wird der Berg gerade auch pulverisiert. Vielleicht ist das der Gang der Dinge.

Mittwoch, 7. Juni 2023

Die Vernunft

Ja, ich fahre jeden Tag zum Deich und schwimme einmal Boje retour. Ja, ich friere jeden Tag erbärmlich. Beim Anziehen. Verkrieche mich hinter einen lottrigen Strandkorb, den niemand will und der nur mäßig Schutz bietet. Vor dem bissigen Nordwest. Ja, ich schlottere auf dem halben Rückweg, bis mir endlich wieder warm wird. Auf der Brust und ums Herz.

Heute nehme Vernunft an und packe einen windbreaker ohne Kapuze (weil mit Helm unterwegs) ein.

Dienstag, 6. Juni 2023

Die Vögel

Die Live-Kamera, die auf den bröckelnden Berg über Brienz / Brinzauls gerichtet ist, zeichnet seit bald einem Monat nicht nur die Bilder vor einer zu erwartenden, möglicherweise eintretenden oder auf immer und ewig drohenden Katastrophe auf. Immer wieder hörren wir das Poltern hinabstürzender, -rollender, größerer oder kleinerer Felsbrocken. Die Spur ist man meist nicht zu sehen oder erst danach. Wenn der Stein längst unten ist. Im livestream folgt dem fliegenden Stein auf dem Fuß flugs die Wolke und hüllt den Harten, Kantigen ein. Überrollt ihn, wird größer, viel mächtiger als der potentielle Unglücksverursacher. Die Wolke hängt immer länger am Hang, als der Stein rollen kann. Sie zieht mal hierhin, mal dorthin, bis sie sich irgendwo niederlässt. Als Staub oder Sand. Die Kamera zeichnet auch alle anderen Geräusche der menschenleeren Gegend auf. Kirchenglocken (die hatten wir schon), Erkundungshelikopter und: Vögel! Grillen. Getier. Wind. Regentropfen, Regenvorhänge, Regenschauer, Regenwände. Nicht immer sind die Geräusche eindeutig zu trennen. Regen hört sich an wie rieselnder Berg. Morgennebel wie Sturm auf hoher See. Nur die Glocken sind untrennbar mit dem Kirchturm verbunden. Eindeutig wie das Schicksal.

Ein Mitarbeiter der Vogelwarte Sempach hat zu den diversen Bildern folgende unverdrossen fröhlich zwitschernden Vögel erkannt (in alphabetischer Reihenfolge und mit link auf den entsprechenden Eintrag auf vogelwarte.ch): die Amsel, die Bachstelze, den Berglaubsänger, den Bluthänfling, den Buchfink, den (bei uns seltenen und gefährdeten) Hausrotschwanz, die Mönchsgrasmücke, die Rabenkrähe und last but nor least meinen Lieblingsvogel, den Zilpzalp. In den Abendstunden, zur guten Nacht, je undeutlicher das Bild, desto deutlicher die Grillen. Gryllus campestris, Feldgrillen. Kein Grillen, keine Festwiese, keine Blasmusik.

Montag, 5. Juni 2023

Die Füße

Auch das habe ich über den langen Winter vergessen: dass in der Nacht, wenn ich am Tag in der kalten Nordsee war, Hitze aus den Füßen aufsteigt. Wie die Nordsee höchstpersönlich. In Wellen. Wie Wärmewellen. Wenn ich im Bett liege, verbreiten sie sich zuerst über die Fußsohlen, von den großen und kleinen Zehen bis zu den Fersen. Ein unbeschreibliches Gefühl, warmen Fußsohlen! Sie entschädigen mich für alles. Ein Heizkissen ist ein Witz dagegen, auch eine Sonnenliege. Dann laufen die Wellen weiter, aber nicht in der Senkrechten, sondern in der Waagerechten. Wie im Watt. Ich liege auf dem Rücken. Auf dem Meeresboden. Den Kopf am Deichfuß. Die Wärmewellen wälzen sich über Waden, Oberschenkel, Pobacken in den unteren Rücken hinein. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als aufsteigende Wärme. Mit diesem Gedanken schlafe ich meist ein. Erschöpft und getröstet.

Bis mich die aufgehende Sonne wieder weckt. Nebel heute. Gang durch das taufeuchte Gras auf bloßen Füßen.

Sonntag, 4. Juni 2023

Vollmond

Sonntag. Der Mond wird kurz nach dem frühen Sonnenaufgang bei uns voll. Ich fahre am Mittag zum zweiten Baden. Das ist schon nicht mehr anbaden, sondern bereits Gewohnheit. Einmal Boje hin und zurück. Schwimmen. Die Bojen liegen anders, bilden ein neues schräges Dreieck. Im Watt ändert sich alles über den Winter durch die Stürme. Und andere Bewegungen. Im Meeresboden. Dennoch bleibt die Welt hinterm Deich ewig gleich gestreift. In meinem Paradies gibt es keine Schlange. Nur die Pazifische Auster, vor der an der Badetreppe eine Tafel mit einem unangebrachten Wort warnt: Verletzungsgefahr. Austern schwimmen nicht. Die kleben irgendwo an den Steinen am Ufer fest. Dort wo ich nie bin.

Samstag, 3. Juni 2023

Angebadet

Endlich! Angebadet, kurz angelehnt (an die Rückseite von Strandkorb 6) und geknipst. Der Wind kommt kalt aus Nord, das Wasser warm von West. Die Welt am Wattenmeer ist wieder in Ordnung: geometrisch gerade von links nach rechts gestreift!

Freitag, 2. Juni 2023

Die Beine

An die Frage von gestern schließt sich die Frage von heute: wie konnte sich die Schlange ins Paradies "einschleichen"? Wenn wir dem Wort der Schrift Glauben schenken, hat der "vollends gute Gott" die Schlange ihrer Beine entledigt, nachdem sie die Bewohner des Paradieses erfolgreich in Versuchung geführt hatte, nachdem die so Verführten die Frucht vom Baum der Erkenntnis gekostet hatten, also erst nach dem Sündenfall: "Und Gott der Herr sprach zu der Schlange: Weil du dieses getan hast, sollst du verflucht sein vor allem Vieh und vor allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens." (Genesis 3, 14)

Zwei Fragen schließen sich an: 1. die praktische: Wie kam Luzifer, der gestürzte Engel als Fürst der Hölle in Gestalt einer Schlange ins Paradies hinein? Auf seinen zwei Beinen? 2. die moralisch-theologische: Warum kann und muss das Böse (personifiziert als bereits besiegter und bestrafter, vom Himmel in die Hölle abgestürzter Engel Luzifer) noch einmal verflucht werden?

Zoologen haben nachgewiesen, dass Riesenschlangen wie Boa und Python einige "unnütze Knochenstückchen" im Leib haben und diese als im Laufe der Evolution verkümmerte Reste verlorengegangener Hinterbeine deklariert. Das ist Wissenschaft versus Aberglaube.

Donnerstag, 1. Juni 2023

Die Schlange

Ich denke über die Schlange nach. Wie kommt sie ins Paradies? Sie, der Inbegriff des Bösen, oder zumindest des Urspungs desselben? Wie oder warum hat das Böse nicht nur Eingang ins Paradies gefunden, sondern übt dort soviel Macht aus, dass es Menschen aus diesem Paradies ausschließen kann? Eine durchaus zeitgenössische Fragestellung. Wer hat das Recht, andere zu hintergehen, sogenannt subversive Handlungen vorzunehmen, damit unschuldige Geschöpfe ohne Harm vertrieben werden? Wer hat sich diese kompositorische Hinterlist ausgedacht?

Die Schlange, höre ich von den Herren Pastores, soll das Symbol des Aufbegehrens gegen Gott sein, das Symbol für Überheblichkeit und Ungehorsam, Stolz und Hochmut. Nun denn. Wer hat ihr aber die Tür geöffnet zum Paradies? Die Theologie, lese ich, brauche "die satanische Schlange", sie sei ein "unverzichtbarer Trag- und Eckstein der Heilsgeschichte". Upps. Wie in jedem Groschenroman: was nicht da ist, wird erfunden, behauptet, erdichtet. Die Kirchenväter - in Erklärungsnot, warum denn ein vollends guter Gott auch das Böse erschafft - konstruierten, sagen die Theologen von heute, aus verschiedenen, "teils apokryphen Schriftstellen" die Erzählung vom Engelssturz: Luzifer, der strahlendste und höchste Engel erhob sich angeblich noch vor der Erschaffung der Welt gegen Gott und wurde daraufhin vom Erzengel Michael bekämpft, besiegt und erniedrigt, wie es niedriger nicht geht. Sprich: in die Tiefe der Hölle geschickt. 

Und nun folgt die halsbrecherische Konstruktion: dieser Höllenfürst soll sich, offenbar nach der Erschaffung der Welt, in Gestalt der Schlange ins Paradies eingeschlichen haben. Und dort weiter seines angestammten Amtes gewaltet, in den Menschen nämlich (Adam und Eva) die Begierde geweckt zu haben, Gott gleich zu sein ... 

Natürlich ist jede Schrift frei, zu erfinden was sie erfinden kann. Natürlich sind die Väter frei, alles in die freie Schrift und ihre Erfindungen hineinzuinterpretieren oder aus ihnen herauszulesen. Heute nähme ihnen die Mühe der Argumentation die KI brillant und verblüffend überzeugend ab. KI ist aber nicht die Stolperfalle. Die Stolperfalle liegt in der Schöpfung selbst. Die Welt ist von Anbeginn verheerend gestrickt, wenn eine Schlange ihre Macht ausgerechnet im Paradies ausüben darf und dort über Bleiberecht und Aufenthaltsstatus bestimmt.

Wer ist denn eigentlich übriggeblieben im Garten Eden? Nur die satanische Schlange?