Samstag, 31. Dezember 2022

P-Überfluss

Nun ist auch der (emeritierte) Papst gestorben. Nach Pelé. Es geht also auch so, auf natürlichem Wege und ganz im Einklang mit der Vorsehung. Eine geordnete Abberufung von dieser Welt. Im Alphabet unter P wartet nur noch einer.

Ich las dieser Tage - oder besser Nächte - "Im Reich des Goldenen Drachen". Von Isabel Allende. Ein altes Buch, es harrte meiner originalverpackt im Bücherregal. Nachdem ich seinen Stehnachbarn, die "Stadt der wilden Götter" bereits befreit hatte, statt Weihnachten zu feiern. Der Drachen langweilte mich von den ersten Seiten, da 1:1 identisch konstruiert wie die Götter. Ich wusste sofort, wer der Bösewicht (die Bösewichtin) war, oder der "Spezialist" wie die Person im Buch konsequent bis auf die letzten Seiten genannt wird. Die junge schöne Frau natürlich, die allen Protagonisten männlichen Geschlechts den Kopf verdreht und als Botanikerin mit holländischen Tulpenbzwiebeln den Garten des Königs im verwunschenen Reich im Hochland Tibets verschönern will. Dort, im Amazonas war es die junge schöne Frau mit derselben Anziehungskraft, die als Ärztin die Indianer mit (verseuchtem) Impfstoff behandeln will. Aber, was mich nach quälend langen, rein retardierenden Proberitten und -Flügen durch die Unter- und Oberwelt doch letztlich belohnt hat, ist der Goldene Drache an und für sich. Der ist nur Hülle, leere Haut, Versuchung für das Auge und das habgierige Herz. Der Stein der Weisen, das eigentlichen Orakel, liegt unscheinbar und unentdeckt darunter. Die Unerleuchteten trachten nach dem Glanz, nicht nach dem Wesen. Die dreckigen Soldaten im Dienste eines geheimnisvollen New Yorker Sammlers, des zweitreichsten Mannes der Erde, der von der Superlativgier getrieben, der reichste zu werden, nichts unversucht lässt, in den Besitz eines angeblich die Börsenkurse vorhersagenden Goldenen Stieres zu kommen. Moses lässt grüssen vom Berg Sinai! 

Damit - mit dem Wunsch, alle Unerleuchteten mögen grandios scheitern in ihrer Gier - verabschiede ich mich für heute.

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Bindewortverzicht

Ich glaube, ich tendiere schon seit langem auch zum Verzicht auf Bindewörter. Auf Wörter, die etwas verbinden. Äpfel und Birnen. Auf sogenannte Fügewörter, die etwas zusammenfügen, das vielleicht gar nicht zusammengehört. Am Baum hängen sowohl reife wie auch unreife Früchte (soll vorkommen). Konjunktionen, die etwas kausal verknüpfen oder erklären. Ich schlafe, weil ich müde bin. Ich jetzt schon müde, bevor ich [den ganzen Tag, zwei Stunden in der Mittagshitze] [im Garten, auf dem Bau, in der Fabrik] gearbeitet habe. Die Klammerinhalte sind beliebig erweiter- oder eliminierbar. Ich schlafe, denn ich bin krank. Auch das gibt es. 

Mir würde in allen aufgezählten Beispielen ausreichen zu sagen: Ich schlafe. Oder er oder sie schläft. Je nachdem, welches Geschlecht meine Romanfigur gerade gewählt hat. Waum er oder sie schlafen muss, geht vielleicht aus dem Kontext - aus einem anderen, weder unter- noch nebengeordneten Satz, aus einem Hauptsatz - hervor. Oder die Leser, die Leserinnen müssen selber eine Erklärung dafür finden, warum auch eine literarische Figur mal schlafen muss. Und kann!

Was bedeutet es aber, auf Subjunktionen und Konjunktionen zu verzichten? Inhaltliche Abhängigkeiten nicht mehr deutlich zu machen? Zerfällt dann das Gefüge? Löst sich der Sinn auf? Wenn ohne wenn und aber nur noch Fakten, Farben, Formen aneinander gereiht werden. Ohne warum und wozu und weshalb überhaupt?

Genitivverzicht

Die gerade aufstehenden Himmelstore schärfen die Sinne in vielfältiger Weise. Diese Himmelstore erheben sich nicht gerade nach der verdienten Nachtruhe aus dem Bett, wie wir Menschern, sondern sie sind gerade, das heißt konkret: seit 4 [und noch in den nächsten 8] Nächten sperrangelweit offen und fluten das Universum und uns Irdische mit allem, was durch sie hindurchpasst. Mir ist nun plötzlich beim Aufstehen vor dem Spiegel klar geworden, was wohl schon seit Jahren, Jahrzehnen in meinen Stirnhirnwindungen herumpoltert, ohne Gehör zu finden: dass ich am liebsten genitivlos leben (= sprechen, schreiben, träumen usw) würde. Am meisten stört mich an diesem Kasus im Satzfluss das S, das sich manchmal zu einem ES aufbläht und dann an Schwerfälligkeit nicht mehr zu überbieten ist. Ich nehme mir also vor, im Deutschen - in anderen Sprachen verhält sich die Sache ganz anders - Genitivverzicht zu üben. Ab sofort und so lange wie möglich.

Mittwoch, 28. Dezember 2022

90° an- und abgewinkelt

Über dem Dach der Nachbarn steht der schon wieder mächtig zunehmende Mond am Himmel! Die Tore sind offen, die Raunächte in vollem Gange und ich bin immer noch mit Reinlich- und Räumlichkeiten beschäftigt. In meinem Fundus finde ich zu meiner großen Überraschung ein mehrteiliges Set für Küchen- und Badarmaturen. Eine Armaturenbürste, eine Überlaufbürste 90° abgewinkelt, eine Ausgussbürste und  eine lange, dünne, spindeldürre Siphonbürste, die ich sicherlich problemlos aus jedem Abflussrohr wieder herausziehen könnte, falls sie sich selbstständig machen wollte und mir aus nassen Fingern in den Abgrund entfleuchte. Der Schwerkraft entgegen. Next time! Auch zum Vorschein kommen zwei Tierpflegehandschuhe, mit Noppen, zum zweihändigen beidseitigen Streicheln und Enthaaren in einem. Für mein Haus-Raub-Tier. Zu meinem übergroßen Erstaunen gefällt das Herrn Caruso! Er hält freudig hin, stupst mich sogar an, hebt den Kopf, reckt das Kinn, guckt mit steinerweichend bittenden Augen, da am Hals noch ein bisschen mehr, und hinter dem linken, leicht zerzausten Ohr auch, extra für Dich um 90° angewinkelt ... angeblich sollen während der Raunächte Tiere sprechen können. Quod erat demonstrandum!

Dienstag, 27. Dezember 2022

Fensterstürze

Bei all den Meldungen über "unerwartet" und "plötzlich" verstorbene Menschen, aufgefunden erhängt in hauseigenen Garagen oder leblos treibend in ebenso hauseigenen swimmingpools, oder auffällig gehäuft nach Fensterstürzen in hässlichen Blutlachen vor fremden Hochhäusern wie Hotels oder Kliniken, zumeist in weit entlegenen Gegenden dieser Welt - warten wir doch alle, Hand aufs Herz, auf den ultimativ unerwartet Toten! 

Mich betrüben insbesonders die Fensterstürze, denn: so massenhaft auftretend und medienwirksam inszeniert schmälern sie leider das Andenken an wahre Helden wie etwa den Taubenfütterer Bohumil Hrabal. Auch in seinem Fall, über 25 Jahre ist's schon her, war es so, dass letztlich das Leben die Literatur an Originalität wider Erwarten doch noch übertraf! Heute ordnen tschechische Historiker Hrabals Ableben als 4. Prager Fenstersturz ein.

Montag, 26. Dezember 2022

Sprung an den Deich

Wir wagen einen Sprung an den Deich und werden bis auf die Haut nass. Das Wasser läuft gerade auf und der Wind nimmt zu. Regen setzt ein, kaum haben wir die ersten Schritte getan. H. hustet noch und ich noch nicht. Wieder zu Hause entledige ich mich der nassen Klamotten und klingle beim Nachbarn. Er befreit mit zwei Handgriffen das Siphon (!) von der himmelblauen Bürste mit den einst knallorangen Borsten. Manche mögen's eben bunt. Ich koche Kaffee und er erzählt mir, dass er glücklich sei.

Sonntag, 25. Dezember 2022

Die versenkte Zahnbürste

In Vorbereitung auf die Raunächte putze ich zwei Fenster, lange vernachlässigte, unbeachtete, links liegen gelassene. Das Küchenfenster und das Fenster des japanischen Zimmers. Und ich reinige endlich, auch lange missachtet, den leicht verstopften Abfluss am Waschbecken im Bad. Mit einer alten Zahnbürste, mit viel Hingabe am Weihnachtsmorgen, während aus dem kleinen Batterienbetriebenen Radio die Weihnachtspredigt aus Rom ertönt. So fügt sich das eine zum anderen. Und dann, noch vor dem Segen urbi et orbi, als eigentlich alles bereits wunderbar schmutzbefreit glänzt und ich fertig bin, aber noch einen kleinen unansehnlichen Rest wegschrubben möchte, einfach der Perfektion wegen, rutscht mir natürlich die hellblaue Zahnbürste aus den nassen Fingern. Fällt hinein in das Rohr. So weit hinunter, dass ich sie nicht mehr greifen kann. In den oder das Syphon, von dem der Duden sagt: "Bei diesem Wort handelt es sich um eine Falschschreibweise." Die richtige Schreibweise ist Siphon und das ist ein diverses Substantiv, nämlich männlichen oder neutralen Geschlechts. Im Französischen heißt siphon Heber - also das glatte Gegenteil einer versenkten Zahnbürste. Lateinisch sipho, griechisch síphō für Wasserröhre oder einfach nur Röhre oder Weinheber! Weinschlauch? "Wohl lautmalend" meint der Duden und ich schalte das Radio aus, um mich besser kontentrieren zu können.

Samstag, 24. Dezember 2022

Der Karrieresprung

Heute in der DLZ:

Wie jedes große Tier habe ich eine Persönliche Assistentin. Sie hält mir den Rücken frei. Unter Euch Menschen gibt es Große Tiere, die führen diesen Titel völlig zu Unrecht. Denn es sind Krisenmanager, Chefdirigenten, Bergsteiger, Halsabschneider, Steingartenbesitzer . Ungeachtet des Auftretens auf zwei oder vier Beinen eint uns aber der freie Rücken! Bankdirektoren oder Kaufleute nannten ihre Persönliche Assistentin früher Fröilein oder Tippse, und verbannten sie ins Vorzimmer. Bittsteller, die nicht vorgelassen wurden, gaben dann die Schuld diesen Drachen. Meine Assistentin braucht kein Vorzimmer. Das rote Sofa ist mein Thron, und zum Diktat setzt sie sich neben mich. Ich teile alles mit ihr, das ganze Haus. Niemand beschimpft sie. Sie ist loyal, intelligent und multilingual. Sie kann nicht einfach blind mit allen zehn Fingern auf einer Tastatur herumhämmern, sondern muss humanverträglich formulieren.

Kürzlich also brachte sie ein Buch nach Hause, außer sich vor Freude! Sie ging auf die Knie, wie sich das gehört vor einem großen Tier, wedelte mit dem Ding vor meiner Nase und wiederholte etwa eintausend Mal: „Guck mal, guck mal ein Geschenk! Das Papier roch unangenehm. Angewidert stieg ich durch die Klappe ins Freie. Als ich von meinem Spaziergang zurück kam, stand mein five-o-clock-snack nicht bereit! Sie hockte mit angezogenen Knien in der Sofaecke, die Nase tief im stinkenden Geschenk vergraben! Ich kenne das, wenn sie so ein Blätterzeug in die Hand nimmt, vergisst sie sämtliche Pflichten mir gegenüber. Es kommt vor, dass sie, ohne den Blick von der aufgeschlagenen Seite zu heben, mit dem Buch in der Hand die Treppe hochsteigt. Wie eine Schlafwandlerin! Um sie zur Räson zu bringen, springe ich sie dann von hinten an und Zack! Zwicke ihre Wade. Das bringt mir allerdings nie den erhofften Futternapf, nur ein heftiges Donnerwetter. Wenn ich die Zähne einsetze, wird sie fuchsteufelswild. Ich versuchte es also diesmal mit Sanftmut. Legte mich schnurrend neben sie. Nichts. Rieb meinen Kopf an ihren Zehen. Nichts. Rollte mich um ihre Füße. Nichts. Sprang auf die Rückenlehne und stolzierte um ihren Hinterkopf. Nichts! Stupste sie in den Nacken. Nichts! Nur ein unverständliches Gemurmel. Ich drehte eine letzte Schmeichelrunde um ihren Hals. Nichts! Also haute ich rein! In die linke Schulter! Die ist selten genug in Reißnähe. Es war kein richtiger Biss, eher ein Kuss. Kein Tropfen Blut floss! Die Canini hatten ihre Haut durch den Pullover hindurch nicht einmal geritzt! Trotzdem heulte sie auf wie eine Sirene und jagte mich vom Thron, aus dem Zimmer, warf die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zu! Danach blieb es stundenlang still. Ich hockte im finsteren Flur. Alles Kratzen und Jammern half nichts. Sie ließ nicht locker. Halb verhungert schlich ich schließlich durch die Klappe und ging auf die Jagd.

Jene Nacht musste sie mit dem Buch auf dem roten Sofa zugebracht haben. Ihr Bett im Obergeschoss war am Morgen unberührt, als ich das Haus inspizierte. Es war schon heller Tag, als sie endlich aus der Tür trat, mir gedankenverloren über die Ohren strich und zum Telefon griff. Nach dem Frühstück bestellte sie mich zur Lagebesprechung auf den Thron ein. Ich war perplex! Normalerweise bestimme ich den Tagesablauf! Aber ich fügte mich und sie eröffnete mir, dass ich am Nachmittag einen Arzttermin habe. Sie mache sich Sorgen um meine Gesundheit. Ich gähnte. Ich hatte eine aufreibende Nacht hinter mir und wollte schlafen. Sie faselte etwas von einem alter ego, meinem Namensvetter Errico, der viel zu früh, genau in meinem Alter gestorben sei! Ich könnte eine genetisch ungünstige Veranlagung geerbt haben. Lauter wirres Zeug. Wenn Menschen nachts nicht schlafen, verlieren sie am Tag den Verstand. Ich kenne diesen Kerl nicht. Er soll gesungen haben, dass einem Hören und Sehen verging. Sie griff nach dem Buch und las mir den Autopsiebericht vor, lauter unverständliche Wörter. Subphrenischer Abszess. Abgekapseltes Empyem im linken Lungenflügel. Flüssigkeitserguss in die Pleura. Postoperative Komplikation nach abdominellem Eingriff. Ich bin kerngesund! Protestierte ich. Septische Peritonitis, fuhr sie fort. Fieber, Luftnot, gebrochenes Herz. Unter dem Vesuvio verschieden, mit dem Namen seiner Liebsten auf den Lippen: „Doro, Doro, Doro …“ Das reichte! Mit einem Satz verließ ich den Thron und verschwand durch die Klappe. Ich kenne einen verlassenen Strandkorb in der Nachbarschaft. Dort würde ich meinen verdienten Vormittagsschlaf finden.

Der Hunger trieb mich zur gewohnten Zeit nach Hause. Sie hatte nur auf mich gewartet und gab sofort das Futter her. Während ich es begeistert verschlang, verschloss sie hinter meinem Rücken die Klappe! Nach der siesta überlistete sie mich zudem mit einem Nachtisch und sperrte mich in den Korb, den ich aus gutem Grunde fürchte. Sie schnallte uns, mich und den Korb, auf ihr Fahrrad und radelte trällernd durch die Feldmark nach Norden. Ein bisschen beschwichtigte mich ihre gute Laune. Aber in der Praxis fauchte ich alles an, was mir zu nahe kam. Es waren viele Handschuhe, viele Handtücher. Eine Nadel drang durch mein Fell in den Bauch. Es tat kurz weh, dann verlor ich das Bewusstsein. 

Als ich aufwachte, lag ich auf meinem Thron. Die Assistentin saß neben mir. Ich war sehr hungrig, aber die Pfoten versagten mir den Dienst und das Zimmer drehte sich um mich. Die Assistentin lud mich ein, auf ihrem Schoss noch ein bisschen zu ruhen. Sie rührte sich nicht vom Fleck, bis ich die Augen wieder aufschlug und mich zu putzen anfing. Das gefiel ihr und sie lobte mich. Ich sei soo tapfer, sagte sie, sie sei sooooo stolz auf mich, ich sei sooooooo gesund! Von den vielen o’s wurde mir wieder schwindelig. Sie kraulte mich an meiner Lieblingsstelle unter dem Kinn und berichtete, dass ich ein Blutbild habe wie ein junger Hüpfer, ein gesundes Herz, gesunde Zähne, gesunde Augen, gesunde Ohren, gesunde Nieren, eine gesunde Leber, gesunde Milz, gesunde Verdauung ... Ich streckte mich und sperrte das Maul weit auf. Sie sagte nichts Neues! keine Läuse, keine Zecken, keine Milben, keine Würmer, keine Parasiten, keine … Todesmutig wagte ich den Sprung auf den Boden. Der blieb, wo er immer war, auch die Wände und Türen. Sie verstand und kredenzte ein lukullisches Mahl. Wer so fressfreudig ist wie ich, kann nicht krank sein. Sie hätte sich die Kosten für das geriatrische Profil sparen können!

Etwas hat sich aber seither verändert. Die Narkose bugsierte mich womöglich ins nächste Leben. Ich besitze ja deren mehrere! Vielleicht schlüpfte ich tatsächlich in die Inkarnation jenes Maestros der Neapolitanità. Ich kann jetzt nämlich singen! Jedenfalls behauptet das meine Assistentin, und sie muss es ja hören. Sie reagiert nie mehr missmutig, wenn ich sie an die Fälligkeit von Rechnungen oder Futterrationen erinnere, sondern zeigt sich heiter gerührt, wenn ich `O Sole mio oder Vieni sul mar anstimme.

Zu gerne wüsste ich, wie vielen Immobilienhaien und Salonlöwen fleißige Bienchen in den Vorzimmern auf die Sprünge helfen. Aber ich kenne keine einzige Geschichte darüber. Vielleicht sind diese Großen Tiere einfach zu groß

© Judith Arlt 2022

Freitag, 23. Dezember 2022

Neumond

Nun wird auch noch der Mond neu, so kurz vor Weihnachten! Der Himmel klart gerade freundlich auf und man könnt' meinen, es wollt' Frühling werden. Ich bin gerade über Tesla gestolpert. Dieser Name weckt in mir keine freundschaftlichen Gefühle! Aber es ist Nikola Tesla (nach dem, wie ich jetzt erkannt habe, die mir so unsympathische Firma benannt ist), ein Spinner, Tüftler, Erfinder und Genie in einem. Aus der serbischen Provinz oder der kroatischen Militärgrenze, ein Landstich auf der Kartem, der damals, als Nikola als Sohn eines serbisch-orthodoxen Popen zur Welt kam, egal wie man die Gegend nannte, Teil der k.u.k.-Monarchie war. Gestorben ist Tesla hochbetagt, immer noch hochbegabt, aber einsam und verarmt im New Yorker Hotel "New Yorker" in New York. Es gibt ein einziges Ölportät Teslas, für das er sich die Mühe und Zeit nahm, zu sitzen. Wahrscheinlich in Erwartung des Nobelpreises - der aber immer seinen Rivalen zugesporchen wurde. Das Gemälde galt lange als verschollen, niemand wollte es haben, es verblieb im Besitz der Malerin. Mittlerweile ist es ausgerechnet bei uns an der Nordseeküste, in Husum zweifelsfrei entdeckt worden. Als Teil der Kunstsammlung Ludwig Nissen im gleichnamigen nordfriesischen Museum. Tesla selbst war bestimmt nie in der grauen Stadt am Meer! Aber sein Porträt (das blaue genannt, weil er mit einer elektrischen Lampe Licht auf sein Gesicht und die Hände richten ließ) kam über die Nachlassverwaltung der Malerin mit der Sammlung Nissen in meine Nachbarschaft.

Gestolpert bin ich im world wide web, weil ich - und jede und jeder andere auch - nach dem Nikola Tesla Code 3-6-9 - täglich meditieren soll: 3 Minuten am Morgen, 6 Minuten am Mittag, 9 Minuten am Abend. Just try and get the key to the Universe ...

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Ursiden

Der Himmel war zu in der Nacht. Er hatte auch reichlich Zeit dazu. Die Ursiden haben trotzdem ihr Maximum erreicht. Es muss geregnet haben, denn Herr Caruso stellt sich gerade tropfnass zum Frühstück ein. Heißhungrig! Sein Kollege aus der Innenstadt ist vor ein paar Tagen an Rattengift fast krepiert. Es gab Zeiten, da liefen die Ratten am hellichten Tag munter in die Geschäfte unserer Gehstraßen - von denen es mindestens zwei gibt, denn die eine gabelt sich vor dem Rathaus Richtung Dom direkt und Richtung Dom auf minimalem Umweg. Die Ratten kennen natürlich diese Laufstege und heften sich zu den üblichen Ladenöffnungszeiten frech an die Fersen der Kundinnen und Kunden. Schlau! So brauchen sie des Nachts keine unnötige Kraft aufzuwenden, um geschlossene Türen durchzunagen und können sich gleich über die üppig gefüllten Regale hermachen. Dieser Plage versucht das Ordnungsamt seit längerem mit nicht zu hochdosiertem Gift beizukommen. Damit die Viecher nicht auf der Stelle tot umfallen, ihren Artgenossen zur Warnung! Dies hat nun zur Folge, dass auch gutgenährten Hauskatzen tagelang speiübel ist und sie sich, um ihre Menschen nicht zu sehr zu betrüben, zuweilen bereits auf den Weg über die berühmte Brücke machen.

Noch sind nachts alle Tore zu. Die Ursiden haben trotzdem ihr Maximum erreicht. Bis zu zehn Sternschnuppen pro Stunde wären zu sehen gewesen - und wie alles ist auch diese Zahl reichlich relativ. Bescheiden zu den 120 der Geminiden, die im gleichen Zeitraum von nur einer Stunde vor gut einer Woche über den Nachthimmel zischten. Und üppig im Vergleich zu stillen, Sternschnuppenschauerfreien Nächten.

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Wintersonnenwende

Für einen Moment sah ich vorhin aus dem Badezimmerfenster eine Eule! Sie flog vom Kastanienbaum in den Apfelbaum und wartete dort, bis ich nicht mehr guckte. Dann verschwand sie im Morgengrauen, im Bambus oder im Nebel. Ich habe heute viel vor. Alles, was vor dem Winter und nach dem kurzzeitigen Schneeeinbruch noch oder wieder erledigt werden kann und muss. Es sind endlich alle Blätter unten, in der Regenrinne, auf dem Rasen, auf der Straße.

Dienstag, 20. Dezember 2022

Folie à famille

Es gibt die Folie à deux und die Folie à trois. Es gibt den Pas de deux und den Pas de trois. Es gibt die Ménage à trois, natürlich auch die Ménage à deux, aber die ist wenig spektakulär. 

Und es gibt die Folie à famille, die den meisten Menschen im Abendland gerade bevorsteht. Es regnet und in meinem Garten tummelt sich ein junges Blässhuhn. In den Schneeresten, in der Vogeltränke, deren Inhalt wieder aufgetaut ist. Es putzt sich wie wild, als ob es nirgends sonst in der Umgebung Wasser fände. Es muss ein junges Tier sein (aber woher kommen um diese Jahreszeiten Jungtiere?), das hier ganz allein seiner Folie frönt. Sauberkeitswahn! Vielleicht hat es seine Familie verloren. Oder ist aus gutem Grunde abgehauen. Die Blässe über der Stirn ist noch nicht ausgeprägt blütenweiß, sondern schmal, grau durchscheinend.

Montag, 19. Dezember 2022

Tauwetter

Die ganze blendende Schönheit fließt dahin. Vom Dach, von den Bäumen, von der Straße. Nicht nur, dass der Schnee schmilzt, die Temperaturen rasant steigen, es regnet auch noch hinein in die tauende Suppe. Meine Solarpanele produzieren wieder minimal Strom, nachdem sie die Schneelast auf meine Terrasse abgeworfen haben. Wums. Oder besser Rums. Ich will mich nicht des plagiierens verdächtig machen. Tauwetter (Оттепель), übrigens, ist ein Roman von Ilja Ehrenburg (Илья Григорьевич Эренбург), den ich mir jetzt gerade wieder zur Brust nehme. Aus aktuellem Anlass. Übersetzt von meiner Russischlehrerin Wera R.

Sonntag, 18. Dezember 2022

Gestrichen

4. Advent - und Weihnachten noch so weit. Wie das wohl Herr Wichern seinen Sonntagsschülern erklärt hätte? Und wo er die zusätzlichen Kerzen hergenommen und wie auf dem Wagenrad platziert hätte? Der Advent kann frühestens am 27. November beginnen, wie in diesem Jahr - und spätestens am 3. Dezember, wie im nächsten Jahr. Glaubt mir und freut Euch! Am Wattenmeer geht endlich wieder einmal die Sonne auf, wenn auch reichlich spät. Der Horizont über den Dächern im Osten begann schon vor einer Stunde zu glühen - und ist jetzt bereits wieder verblasst. Aber klar. Je frostiger die Nacht, desto lebhafter die Farben am Morgen. Gleichzeitig endet heute die Schlangenträgerzeit, obwohl der Schlangenträger kein kanonisiertes Sternbild ist. Wohl weil auch im Universum die Zwölferteilung gelten soll. Wie in unseren Köpfen und elektronischen Terminkalendern. Der Mensch ist ein Untier. Kartografisch, lese ich, läuft die Sonne heute zum letzten Mal durch den Schlangenträger. Astrologisch befindet sie sich aber im Schützen. Und ich zitiere weiter: "Die Tierkreiszeichen richten sich also nach den Eckpunkten im Jahreskreis aus. Mit den Sternbildern haben sie nichts zu tun, auch wenn sie meistens „Sternzeichen“ genannt werden."

Samstag, 17. Dezember 2022

Geputzt

Ich glaube, bin aber nicht (mehr) sicher, dass im Land meiner Kindheit, wenn eine damals noch traditionelle Glühbirne in einer traditionellen Hängelampe über dem Esstisch aufhörte zu glühen (= Licht zu verbreiten), was meist aus Altersgründen und sicher immer im dümmsten Moment geschah, weil die Brenndauer abgelaufen, der Glühdraht durchgebrannt, gerissen oder "geplatzt" war, man oder frau oder die ganze Familie mit Kind und Kegel sich grün und blau ärgerte wie überall auf der Welt. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hieß das aber bei uns und nur bei uns: "S'het d'Biire putzt!" Je nach Feiertagslaune ausgeschmückt mit einem mehr oder weniger harschen Fluch vom harmlosen gopf, wie gopfertoori, gopferglemi, gopfridschtutz bis hin zum deftigen gopfertami! Für Rechtschreibung garantiere ich nicht. Was gopf wirklich bedeutet, weiß wahrscheinlich heute niemand mehr, genauso wie was die Glühbirne mit einer Williamsbirne, einer Guten Luise, Conférence oder Doyenné du Comice gemein hat. Warum eine stufenlos dimmbare LED-Stiftsockellampe oder ein Halogenreflektor irgendwo im geistigen oder realen Hinterstübchen doch immer noch "Birne" heißt, wird eines der ungelösten Rätsel für eine Generation bleiben, die Licht ständig mit sich herumträgt, wie Empfang.

Also: die (Glüh-)Birne hat's geputzt. Sie ist nicht sauber geworden, sondern im Gegenteil unansehnlich schwarz. Jedenfalls damals im entfernten Land meiner Kindheit. In ganz besonderen Fällen ist sie auch zersprungen, explodiert, in 100 000 spitze Teilchen zersplittert - wie gestern der riesige Aquadom im Schatten des richtigen Doms in Berlin. 

Ich habe geputzt (nicht: mich hat's geputzt, denn dann könnte ich nicht mehr putzen). Ich bin, seit Herr Caruso sein Designer-Klo benützt, ständig mit dem Staubsauger unterwegs. Denn das Öko-Klumpstreu, zuverlässig geruchsbindend aus nur nachwachsenden Pflanzenfasern, das ich fürsorglich dort reinstreue,  haftet überall in seinem Fell, vom Schwanz bis zu den Ohren. Manchmal dreht er sich nur unschlüssig etwa zehnmal um sich selbst und verlässt das schönsaubere Örtchen unverrichteter Dinge wieder, sitzt lange ebenso unschlüssig vor seiner Katzenklappe und steigt dann die Treppe hoch, sucht das zweite Katzenklo im Haus auf, in dem es nach Wald und Holz riecht, weil ich es, um Abwechslung bemüht, mit Holzstreu aus 100% Holzrestrecycling befülle. In allen Katzenratgebern wird dringend empfohlen, den Samtpfoten genügend Samtpfotentoiletten zur Verfügung zu stellen. Nach der Faustregel: Tier + 1. Ein Kater = zwei Katerklos. 3 Katzen = 4 Klos. Und wo weiter.

Freitag, 16. Dezember 2022

Geplatzt!

Das Wort des Tages: Geplatzt. Der Traum. Die Blase. Der Ballon. Einfach geplatzt! Eine Million Salzwasser in die Berliner Gosse gekippt und etwa 1500 zumeist tropische Fische der Berliner Luft ausgesetzt. Der Aquadom ist geplatzt! Das höre ich seit dem frühen Morgen. Immer wieder "geplatzt". Als ob es kein anderes Wort für diesen Zustand gäbe. Zersprungen, kollabiert, zerrissen, zerbrochen, zersplittert, geborsten. Kaputt gegangen! Und niemand kann sagen, warum. Materialermüdung? Was für ein Wort! Aquadom! Was für ein Wort! Dom ist immer verdächtig. Hier könnt Ihr gucken, wann, wie, woraus und wohin (in die Nähe des Berliner Doms nämlich) das Monsteraquarium gebaut wurde. Und warum? Um Schaulustige, vulgo Touris anzuziehen. Es war schon damals, lange vor Mister T., so eine Art make a... great a...: https://www.youtube.com/watch?v=E3KjGJ8AZzI

Bei uns Schnee, den ganzen Tag Schnee. Er fällt und ich schippe ihn vom Bürgersteig. Immer wieder. Geht alles seinen normalen Gang. Der Fall. Vom Himmel. Auf Erden. Sehr kontemplativ. Und frischluftintensiv. Kommunikativ. Freundliche Vorweihnachtsworte über die Straße hinweg. Alle Nachbarn versammeln sich draußen. Am Nachmittag taut es leicht, nun zieht der Frost aber wieder an. Sehr beruhigend. Ein Freitagabend zu Hause. Auch der Kater fühlt sich in Sicherheit und schläft. Er weiß, dass die Welt am Wattenmeer in Ordnung ist. Hier platzt nichts.

Donnerstag, 15. Dezember 2022

Schnee

Und heute schneit es fast den ganzen Tag. Als ob der Himmel und das Universum, die ganze Welt zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde und Fegefeuer und Hölle und Paradies, etwas zu verbergen hätte(n). Fallen flauschige, dicke, fröhliche, putzige und puttige (puttenartige), pausbäckige Flocken, tanzen und decken im Nu alles zu. Wie im Märchen. Oder im Traum.

Mittwoch, 14. Dezember 2022

Geminiden

Derzeit hagelt es jede Nacht Sternschnuppen. Je mehr der Mond abnimmt, desto besser werden sie zu sehen sein. Also nicht verzagen, sondern weiter in den Südosthimmel gucken mitten in klirrendkalten Nächten. Das Maximum der flammenden Geminiden mit bis zu 120 träge trudelnden Meteoren pro Stunde war bis gerade eben am besten zu beobachten, lese ich übereinstimmend in mehreren Quellen. Ich habe das Glück verpennt. Kann aber noch nachtragen, dass die Geminiden ihren Namen vom Sternbild Zwilling (lateinisch Gemini) erhalten haben, dem sie zur Zeit am Himmel zu entspringen scheinen. Aber tatsächlich sind es Staubkörnchen des Asteroiden Phaeton und sie sind relativ langsam unterwegs, nur halb so schnell wie Perseiden im August. Aber immer noch mit 125.000 Kmh! Hier gibt es mehr dazu.

Ich konnte nicht einschlafen, weil ich mich irdische Gedanken beschäftigten. Ich habe gestern abend ein Feature über ukrainische Leihmütter gehört. Und was ich hörte und verstand, verstörte mich nachhaltig. Auch und vor allem, weil ich gerade vorgestern gehört habe, was vielleicht gar nicht wahr ist, sondern nur ein bösartiges oder mutwilliges Gerücht in der Vorweihnachtszeit, und die zeitliche Koinzidenz mit der Wiederholung eines preisgekrönten Features (Prix Italia 2022) aus dem letzten Jahr ist auch rein zufällig, dass eine "Person des öffentlichen Lebens", nennen wir sie mal neutral so, also eine Person unseres sensationslosen Dithmarscher Provinzlebens, 3 Kinder hat und alle drei von Leihmüttern. Zwei sind allerdings Zwillinge (s.o.) - aber das gereicht auch nicht zur Ehrenrettung.

Dienstag, 13. Dezember 2022

Reventador

Dienstag der Dreizehnte. Ich lade auf mein Smartphone die Vulcanoes & Earthquakes app. Auch in Nicaragua rumort es ständig. Der Masaya ist schon seit zwei Monaten aktiv. In Kolumbien neu der Nevado del Ruiz. In Ecuador Reventador. So können mir Peles Schritte nie mehr entgehen, nicht einmal im Schlaf. Bei uns Dauerfrost. Jeden Tag etwas mehr, und jede Nacht etwas frostiger. Die Blätter sind immer noch nicht alle unten und Herr Caruso benützt seit einigen Tagen und Nächten für sein Verdauungsgeschäft das Designer-Klo im warmen Haus. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass draußen der Boden hart gefroren ist.

Montag, 12. Dezember 2022

Popocatépetl

Nahe der Pazifikküste, etwas außerhalb der Stadt Técpan, ca 500 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, bebte heute früh die Erde. Auch Mexiko liegt am pazifischen Feuerring, dem Laufsteg der Feuergöttin Pele. Und richtig: Popocatépetl spuckt seit vorgestern schon Asche. Immer mehr und immer höher. Er ist einer der beiden Hausvulkane von Mexiko-Stadt, zu denen es eine rührende Legende gibt. Sein für uns so unaussprechlicher Name bedeutet in der Sprache der Azteken einfach rauchender Berg.

Und das hier hab ich entdeckt:


 

Sonntag, 11. Dezember 2022

Gaudete

3. Advent. Heute also soll die einzig rosafarbene Kerze unter den drei violetten am Kranz angezündet werden. Denn diese zartere Farbe verkünde Freude. Vorfreude. Warum an den anderen Adventssonntagen keine - oder weniger? - Freude verkündet wird, verstehe ich natürlich nicht. Aber nicht fragen, sondern Gaudete: Freut Euch! Im Kirchenlied freut man sich heute schon, dass Christus geboren ist. In diesem Jahr dauert das aber noch! Der Gaudete-Sonntag soll ja "bloß" das Augenmerk auf die wachsende Freude - den wachsenden Bauch? - werfen. 

In Guatemala ist der Feuervulkan - Volcán de Fuego! - ausgebrochen. Pele sei Dank! Spuckt Lava und Asche. Zwei seiner Kollegen sind bereits aktiv: der Santiaguito und der Pacaya. Alle drei rund um Guatemala-Stadt. Wie prakltisch. Wie ein Adventskranz mit drei brennenden Kerzen. Freut Euch!

Samstag, 10. Dezember 2022

Lascar

Chile. Anden. Peles nächster Streich. Sie hat den Vulkan Lascar aufgeweckt. Er murrt und schleudert eine 6000 Meter hohe Rauchsäule, Asche und Gase in den Himmel, stampt mit seinen Klumpfüßen und löst ein paar Erdstöße aus. Die Behörden verhängen im Umkreis von fünf Kilometern um den Krater ein Betretungsverbot. Auch für Touristen, die sich dort gerne aufhalten, auf dem Weg in die Atacama-Wüste, dem trockensten Ort der Erde! Ich nutze den Rest von Tageslicht und wälze den Monsterkatalog. Bewege mich optisch zwischen Fossil, Corn, Ice, Sand, Fjord und Golden Crops.

Freitag, 9. Dezember 2022

Chott

Ich denke an den nächsten Hitzesommer und habe den Markisenmann bestellt. Die Markise über meiner Terrasse ist baufällig. Die Gewindestange verrostet, die Gelenkarme krumm und schief, der Stoff zerfetzt. Seit Jahren fürchte ich jeden Sommer, dass mir die schwerfällige Konstruktion eines heißen Mittags den heißen Kopf zerschmettert.

Der Markisenmann bringt mir ein Musterbuch mit Stoffbeispielen. Damit könne ich mich das ganze Wochenende beschäftigen. Er lacht, weil er weiß, wovon er redet. Wie schwer es seinen Kundinnen fällt, sich zwischen goldgelbgestreift und 3DVulkanschwarz zu entscheiden. Ich möchte Mut beweisen. Mut zur Farbe. Zum Pazifikblau oder Saharastaub. Allerdings käme auch die Wüste Gobi, die Taiga oder Cliffs in Frage. Und so fängt es an. Das Ruhelose. Rosopsida. Was ist das? Wiki sagt: eine Dreifurchen-Zweikeimblättrige. Ladakh (einst unabhängiges Königreich). Chott (größter Salzsee Tunesiens) ...

Donnerstag, 8. Dezember 2022

Marsfinsternis

Der Mond ist voll und steht der Sonne fast exakt gegenüber, sagen die Himmelsgucker. Bei mir ist noch finstere Nacht. Die Abweichung betrage nur gerade zwei Grad, erklären die Himmelserklärer weiter, und deshalb erscheine der Vollmond in besonderem Glanz, viel viel heller als sonst, sogar heller als alle vermeintlichen Supermonde des zu Ende gehenden Jahres. Also wieder ein Mythos geplatzt! 

Die Unregelmäßigkeiten auf der Mondoberfläche werfen für unsere Augen diesmal keine Schatten, sondern streuen das Sonnenlicht perfekt und maximal. Siehe Seeliger-Effekt. Oder Oppositions-Anstieg. Der Oppositionseffekt sei so etwas wie ein Heiligenschein, lese ich ausgerechnet im Lexikon. Um ihn zu entdecken, muss der Betrachter die Sonne im Rücken haben. Das ist mir neu. Die Heiligenscheine, die ich kenne, sind durchwegs künstlicher Natur, mit Ölfarbe aufgemalt. Beim Opposisionseffekt handele es sich um einen "trockenen" Heiligenschein, lese ich weiter, das Objekt im Gegensonnenpunkt verberge seinen eigenen Schatten (engl. shadow hiding wird wie zum Beweis in Klammern angefügt). Ich assoziiere Schattenverluste mit teuflischen Intrigen. Wie auch immer. Der Nachthimmel kennt keine schwarzen Buben. Der Vollmond strahlt in der Tat gerade zehnmal so hell wie der Halbmond - was er eigentlich aus rein mathematischen Gründen nicht dürfte. Und von bloßem Auge erkennen wir das alles im Detail natürlich gar nicht. Aber glauben dürfen wir, an den Heiligenschein und andere Märchen, und in den Morgenhimmel staunen. Auch unbestritten ist, dass sich der volle Mond - von der Erde aus gesehen - gerade vor den Mars schiebt, denn der steht praktischerweise der Sonne gerade auch fast exakt gegenüber. So kommt es, dass sich der Mars für etwa eine Stunde tatsächlich hinter dem Mond befindet. Marsbedeckung. Planetenfinsternis. Am Ende der längsten Vollmondnacht des Jahres.

Mittwoch, 7. Dezember 2022

Der Röstigraben

Die Schweiz hat eine neue Bundesrätin und einen neuen Bundesrat in ihrer siebenköpfigen Kollegialbehörde. Die neue Bundesrätin ersetzt eine vorzeitig aus dem Amt scheidende Bundesrätin und der neue Bundesrat einen vorzeitig aus dem Amt scheidenden Bundesrat, beide mit dem selben Parteibuch ihrer Vorgängerin bzw seines Vorgängers. So what? Die Aufregung ist riesengroß, und die Emotionen in meinem sonst so beherrschten Heimatland schäumen. "Ein Armutszeugnis" heult ein Kommentator, seien diese Bundesratswahlen. So etwas habe die Schweiz nicht verdient! Nämlich was? Eine Jurassienne? Nein, die Tatsache, dass die "urbanen" und "finanzstarken" Kantone nicht mehr in der "obersten leitenden und vollziehenden Behörde des Bundes" vertreten seien. Sondern nur noch cretini und maladroits. Dass die Regierung sich nun mehrheitlich aus Welschen (einer Jurassierin!) und Ticinis zusammensetze. Dass die deutschsprachige Schweiz "östlich von Bern" nur noch eine einsame Dame aus "der Kleinstadt Wil" repräsentiere. Welche Schande! 

Mich irritiert aus der Ferne eher, dass heute ausgerechnet ein Politiker mit dem Namen "Rösti" in den Bundesrat eingezogen ist. Ob er sich auf das internationale Parkett vorwagt, und wie er dort wohl angesprochen werden wird?  Ob er von seinem Vorgänger das EFD übernehmen wird, ist (mir) überhaupt nicht wichtig. Denn mit Herrn Rösti ist nun der Graben zwischen "östlich von Bern" und dem Rest der klein(kariert)en Schweiz aufs Herrlichste personifiziert. 

PS: Rösti ist ein Schweizer Nationalgericht, am Vortag in der Schale gekochte, abgekühlte, gepellte und fein geriebene, in viel Fett goldbraun gebratene Kartoffeln. Der frisch gebackene Bundesrat erklärt, sein Name habe nichts mit Kartoffeln zu tun, sondern komme vom Adjektiv "rösch" - berndeutsch für knusprig oder spröde. Das Idiotikon sagt mir noch anderes (u.a. rasch, hurtig, von Frauenzimmern resolut, von Männern eher rüstig, lebenskräftig und lebenslustig, "etwa auch mit einem Stich ins Erotische"). Zum Röstigraben siehe einschlägige Nachschlagewerke.

Dienstag, 6. Dezember 2022

Schleudergang

Ich reibe mir die Augen, so blau ist plötzlich der Himmel. Am hellen Mittag wage ich einen Sprung in die Waschküche, die ich gar nicht habe. Die Waschmaschine steht in der Ecke der Gästetoilette, die es auch nicht mehr gibt, seit der Vorbesitzer seine Sauna eingebaut hat, die nun mir gehört. Das einzige, was die nun in einer Ecke des Saunaraumes laufende Waschmaschine mit der Küche verbindet, ist die Sicherung. Das habe ich vor zwei Jahren herausgefunden, als der Küchenstrom abgestellt wurde, bis die neue Küche eingebaut war und der Elektriker den neuen Herd angeschlossen hatte. Da konnte ich plötzlich nicht mehr waschen. Und kochen natürlich auch nicht. Ich fastete ein paar Tage lang und wurde hellsichtig: nach eingehender Kontemplation über dem Sicherungskasten erkannte ich das Naheliegende, die Logik in der Stromverteilung: Die Waschmaschine hängt an derselben Sicherung wie der Kochherd. Der Elektriker hörte sich meine Erkenntnis gelassen an. Er zuckte mit den Achseln und brummte etwas wie "Ja, wenn das immer so war ..." Alles andere hätte Arbeit bedeutet. Viel Arbeit. Ich wasche und koche seither nicht mehr gleichzeitig und koche und wasche nicht mehr gleichzeitig. Quelle différence! Mein Mittagessen muss warten, bis die Waschmaschine ihren Schleudergang beendet hat. Manchmal muss auch die Kochwäsche warten, bis ich meine Suppe ausgelöffelt habe.

Montag, 5. Dezember 2022

Feuerspu(c)kspiele

Pele ist auf dem Vormarsch, dribbelt (trippelt?) über den pazifischen Feuerring bis fast vor unsere Haustür. Schickt Feuerbälle, Asche- und Lavalawinen, ganze Kraterteile vom Mauna Loa, Semeru und Stromboli. Löst Tsunamiwarnungen in Japan für die Inselketten Miyako und Yaeyama, und am Thyrrenischen Meer aus. What's next?

Ich habe die Stimme verloren, hüte das Bett und werde in Zukunft Kälteinseln (ungeheizte christliche Kirchen in der Adventszeit) meiden. Gucke neverending Feuerspu(c)kspiele: live stream USGS

Sonntag, 4. Dezember 2022

Sündag, clock viev

Wiehnachtskunzert
Plattdütsches Wiehnachtsoratorium op.103 vun Hartwig Barte-Hanssen.
Kantorei Marn, Niefelder Heerschourn und de niege Philharmonie Hamborg.
Karin Pawolka: Sopran und Patrick Scharnewski: Bass
Leitung: Peter Heeren

In veele Karkengemeenden ward in de vörwiehnachtliche Tied regelmäßig dat Wiehnachtsoratorium vun Johann Sebastian Bach oder Camille Saint-Saens opföhrt. In Marn erklingt dütt Johr dat „Plattdüütsche Wiehnachtsoratorium“ op.103 vun Hartwig Barte-Hanssen, de Kantor ut Wilster. De bekannte Wiehnachtsgeschicht no Lukas ward in Barte-Hanssens Wiehnachtskomposition ni in latiensche, engelsche oder düütsche Sprook to höörn ween, sondern dat Plattdütsche bild de textliche Grundloog, de Pastor Karl-Wilhelm Steenbuck in sien Libretto schaff hett. Musikalisch hett de Komponist de Tonsprook vun de Romantik wählt.

Sündag, 04.12.2022, clock viev (17 Uhr) in de Marner Maria-Magdalenen-Kark  

Intritt frie, Spend willkomen

Samstag, 3. Dezember 2022

Lichtspiele

Den Römern galt Jupiter als derjenige, der Zeus den Griechen war: der Himmelsvater. Und Saturn entspricht Kronos, dem Vater des Zeus. Und Juno der Hera, der Frau und Schwester des Zeus. Und so weiter und so fort.

Im bereits erforschten Weltraum ist Jupiter ein Planet und Juno eine NASA-Sonde auf Entdeckungsreise. Diese Juno hat kürzlich Europa, einen der vier Galileischen Monde des Jupiter aus nächster Nähe, also aus etwa 350 Kilometern fotografiert. Dieses Europa ist von einem Eispanzer überzogen, der sich offenbar immer wieder verändert, weil - wie man annimmt - unter der Eisschicht Wasser hin- und her schwabbelt und ab und an neugierig irgenwo als Eismatsch hervorquillt. Um dann an der frostigen Oberfläche sofort wieder zu gefrieren. So etwas können wir in Eiswintern auch am Wattenmeer, am nicht mehr auf- oder abfließenden Wasser - in natürlich bescheidenerem Ausmaß - beobachten   

Nun stellt die NASA Neugierigen und Kreativen die von Juno geschossenen Bilder zur Verfügung mit der Bitte, sie beliebig zu bearbeiten. Denn, so der listige Hintergedanke, durch Veränderung der Kontraste oder der Farbgebung könnten Details der Rohdaten besser veranschaulicht werden. Interessant, dass eine Verfälschung mehr Einsicht bringt! Aber guckt bitte selbst: https://www.missionjuno.swri.edu/junocam/processing?featured=1

Freitag, 2. Dezember 2022

Feuerzauber

Die Feuergöttin Pele ist unzufrieden, böse. Sie hat den Krater Moku‘āweoweo des größten Vulkans der Erde, Mauna Loa auf  Big Island, der größten Insel Hawaiis geöffnet und schleudert Lava in die Luft. Mauna Loa erhebt sich über Viertausend Meter hoch, über das Meer, über den Pazifik. Über die steilen Felsen stürzen die Lavaströme flugs und flink nach unten, ereilen alles und jeden. Mauna Loa steigt über Fünftausend Meter in die Tiefe, unter die Meeresoberfläche des pazifischen Ozeans. Die Feuergöttin Pele hat unermesslich viel Material zur Verfügung, um ihre Wut und ihre Macht der ganzen Welt vor Augen zu führen. 

Die schamanistische Energiebotschaft für Dezember besagt, dass nun Ordnung einkehre auf der Erde und im Kosmos. Dass alles, was je aus den Quellen des Lichts geschöpft wurde und sich im Guten oder Schlechten verwoben und verworren habe, demnächst, nach und nach, sorgfältig entwirrt und gereinigt werde und in die göttliche Ordnung zurückkehre. Und zwar mittels einer großen Doppelhelix, einer doppelgängigen Schiffsschraube, zweier umeinanderlaufenden Lichtspiralen - oder Feuerströmen? - einfacher Helices, die sich durch alles hindurch bewegen. Wir sollen, rät sie, unser inneres Feuer ruhig heftig auflodern und dann lange brennen lassen. 

Nun denn, Aloha Pele!

Donnerstag, 1. Dezember 2022

Wintersternbilder

Die Nächte werden länger. Um Mitternacht versammeln sich die hellsten Sterne des ruhelosen Universums. Orion. Großer Hund. Kleiner Hund. Zwillinge. Fuhrmann, Stier. Mars. Jupiter in Habachtstellung neben dem zunehmenden Halbmond! Diese aufgeregten Wintersternbilder verschwinden aber rechtzeitig vor dem Morgen, fliehen in den Westen und gehen unter. Und dann glimmen - behaupten die, die es wissen wollen - im Süden bereits Frühlingsfiguren auf, und mit ihnen die Hoffnung, dass auch der längste Winter einmal zu Ende geht. Er hat noch gar nicht angefangen!