Mittwoch, 15. Mai 2024

Die nasse Sophie

Die kalte Sophie. Die eisige Sophie. Die Patronin der Spätfröste. Nichts davon zu sehen am Wattenmeer. Sturmböen bis Bft 7. Über 20 ° schon zum Frühstück. Trotzdem hege ich meine zarten Tomatenpflänzchen weiterhin auf dem Festerbrett im Wohnzimmer. Der heiße Wind aus Ost würde sie im Laufe des heutigen Tages zerzausen, zerrupfen, ausdörren, und ich käme überhaupt nicht nach mit gießen. Regen ist nicht in Sicht. Aus den noch unbepflanzten großen Tomatentöpfen auf der Terrasse sprießen derweil ungefragt Kürbisse. Ich hatte die Erde rechtzeitig angereichert und gut vermischt mit meinem eigenen Kompost. Und darin lebt und überlebt und wuchert nun so manches Wunder. Eisheilige hin oder her. Meeresspiegelanstieg her oder hin. Klimakatastrophe jetzt oder nie. Heute kein Schwimmen. Es ist schon wieder Halbmond und die Nippzeit beginnt.

Dienstag, 14. Mai 2024

Bonifatius von Tarsus

Bonifatius kam hier schon öfters vor, immer am 14. Mai. Der vorletzte Eisheilige. Der scharfe Ostwind nimmt täglich zu. Ich rase trotzdem am Abend zum Meer. Mit Rückenwind und zuweilen über 40 kmh. Ich will schwimmen. Bis zur Boje hinaus. Auch die Temperaturen nehmen täglich zu. Und der Übermut. Am Nachmittag erteilte ich dem Schweizer Radio ein Interview zu Lina Bögli. Über WhatsApp. Es ist alles nicht mehr so wie früher. Die Bode-Lina (nach dem "Boden", dem Ort, dem Flurstück diesen Namens hinter oder über der Oschwand, wo ihr Geburtsthaus stand und wo sie, die kleine Bögli, groß wurde) war mE weder ein gutes noch ein böses Mädchen, sondern ein viel zu braves. Auf dem Heimweg quäle ich mich sehr gegen den Gegenwind. Ich muss alle meine Muskelkräfte aufbieten. Sogar der Bordcomputer kapituliert auf halber Strecke, gibt seinen Geist erneut erschöpft auf, nachdem er gestern in der Werkstatt mit frischem Mut (einer neuen Batterie) ausgestattet wurde und sofort (aber nicht nachhaltig oder unwillig, wie sich heute zeigt) seinen Dienst aufnahm.  

Nichts ist mehr so wie früher.

Montag, 13. Mai 2024

Servatius von Tongern

In der Nacht steht der Fingernagelmond am Himmel. Die Eisheiligen (heute der Hl. Servatius von Tongern) machen sich bei uns durch scharfen Ostwind bemerkbar. Ansonsten wären die Temperaturen moderat. Gestern abend zeigte das Badewannenthermometer eines Schwimmers eine Wassertemperatur von 18° an. Er lachte und sagte, die Leute glauben alles, was das Fernsehen sagt. Das Schleswig-Holstein Magazin verkünde nämlich immer noch eine Wassertemperatur an der Westküste von 11°. Wir allein, die wir uns im Wasser räkeln, kennen die Wahrheit.

Sonntag, 12. Mai 2024

Die Hitze der Nordsee

Nach dem langen Winter endlich eine heiße Nacht. Die Hitze der Nordsee ist aufsteigend und verzögert. Sie liebt das Bett. Kommt, wenn ich endlich liege, auf dem Rücken, von den Zehen über die Fersen bis in den Nacken hoch. Eine lange nicht empfundene Wohligkeit. Mit Sonnenaufgang bin ich wieder auf den Beinen.

Samstag, 11. Mai 2024

angebadet!

Endlich! Samtweiches Wasser. Nicht kalt. Voller Quallen. Voller Menschen. So etwas gab es noch nie. Ich bin eine der Letzten. Die bunten Strandkörbe mit den Hunderternummern, sagen die anderen Badenden, kommen aus Friedrichskoog. Dort wird der Deich erneuert. Und die Strandkörbe mussten weichen. Wanderten wohl der Meldorfer Bucht entlang nach Norden. Vielleicht kamen mit ihnen auch die Strandkorbnutzerinnen? Deshalb die überraschende Übervölkerung an meinem ersten Tag. Im Wasser. Und auf dem Deich.

Mein drahtlos gesteuerter hightech Fahrradcomputer streikt auf der ganzen Strecke. Hin und zurück. Aber die Strecke bleibt auch ohne die Technik wie sie ist. 25 Kilometer lang, bei mäßigem Ostwind ist die Hinfahrt etwas leichter zu bewältigen als die Rückfahrt.

Freitag, 10. Mai 2024

ausgesungen!

Wie immer am Tag nach dem Chorauftritt pflege ich meinen Kater. Den Messiah kann ich jetzt auswendig. In english! Das ist leider immer erst post factum der Fall. Es war mein letztes Konzert mit dem Domchor. Und mein persönlich bestes! Ich habe diesen Handel (ja! ohne a-Umlaut) jetzt verstanden. Durch die Musik. Dank eines sehr gepflegten Orchesters und dank sehr engagierter Solisten. Und dank des jungen Nordfriesen am Dirigierpult.

Der Chor aber hat zu seiner alten Verwilderung zurückgefunden. Blitzartig! Von den blumigen Umschreibungen einer neuerstandenen Chorgemeinschaft, mit denen uns die Vorgängerin des Interimsvakanzverteters vor dem Winter verabschiedet hatte, ist nichts geblieben. Nichts! Zur Generalprobe erschien unangemeldet ein gutes Dutzend Primadonnen, die sich an prominenter Stelle aufpflanzten, so dass zuerst das Podest erweitert werden musste, damit der Rest auch Platz fand. 

Viel mehr ärgerten mich aber die zumeist männlichen Großmäuler, die bei (fast) jeder Probe anwesend waren und immer den Mund aufrissen, wer welchen Einsatz von wem am besten übernehmen sollte, sie wussten auch nach dem Konzert immer noch alles besser als der freundliche nordfriesische IVV (s.o.). Obwohl sie höchstselbst gerade ihren wichtigsten Einsatz verpatzt hatten. 

Never mind. Es war trotzdem mein bestes und letztes Konzert. Der Maestro hat eine große Karriere vor sich, wenn er sich dereinst aus seiner Vertreterrolle loseist sowie sich von der Westküste wegbewegt, sich aus Dithmarschen und einer vermeintlichen Kulturhauptstadt verabschiedet, und - wo auch immer in der großen weiten Welt - einen eigenen Chor leitet, den er "erziehen" darf. Und muss!

Donnerstag, 9. Mai 2024

Himmelfahrt

Es gibt noch Karten an der Abendkasse und der Dom ist geheizt. Es ist drin ungefähr so kühl wie draußen, wer das Glück hat, auf einem Heizkissen zu sitzen, wird ins Schwitzen kommen!



Mittwoch, 8. Mai 2024

Neumond

Wenn ich aufstehe, ist der Mond neu!

Am Abend im immer noch eiskalten Dom Generalprobe. Draußen Sommer, drinnen Winter. Irgendwie müssen wir da alle durch oder hin. Mit Thermounterwäsche, Lammfellgefütterten Stiefeln und dem in schwarz eingeschlagenen Notenbuch.

Dienstag, 7. Mai 2024

Waldmeister

Es ist kalt! Früh war ich nüchtern beim Hausarzt zum Blutzapfen. Natürlich nicht bei ihm selbst, sondern bei seiner professionellen Blutsaugerin. In regelmäßigen Abständen werde ich von einer der freundlichen Damen am Telefon aufgefordert, dies zu tun. Wenn ich ein Folgerezept bestelle. Für meine müde Schilddrüse. Ich fröstele den ganzen Tag, rücke am Nachmittag im Garten dem Waldmeister zu Leibe. Aber da ist es auch nicht wärmer. Kürzlich erzählte mir eine Sopranistin in der Probenpause, sie koche Waldmeistermarmelade. Nach der seien alle verrückt! Sie färbe sie mit grüner Grütze. Musst Du machen, bevor er blüht, sagt sie. Und warnt: ist sehr zeitaufwändig! Wenn er blüht verliert er das alle betörende Aroma. Meiner blüht wie ein Weltmeister. Ich schicke ein Stoßgebet in den bleiernen Himmel.

Montag, 6. Mai 2024

Klarsicht

Auf Ostern folgt traditionsgemäß der Ostermontag. Ich bin mit vielerlei Unösterlichem und Unmontäglichem beschäftigt. Ich putze in einem Anfall von Irrationalität sämtliche Fenster! Nur weil ich gestern alle Tomatenpflanzen losgeworden bin, und vorgestern einen guten Teil meiner traditionsgemäß im Sommer schmählich vernachlässigten Zimmerpflanzen, und also das Fensterbrett im Wohnzimmer plötzlich leer ist. Und die Scheibe verdreckt und verklebt. Zum besseren Durchblick einlädt. 

Ich beeile mich, bevor mir die Sonne aus meiner besten Absicht einen Strick drehen kann.

Sonntag, 5. Mai 2024

Ostern

Die Orthodoxen feiern Ostern. Auch sie feiern an diesem Tag die Auferstehung Christi. Der Krieg geht trotzdem weiter. Bei uns bricht ein kühler Sonntag mit Regen an. In der Nacht brannten nur die energiesparenden Straßenlaternen wieder. In ihren Lichtkegeln versammelten sich herumstreunende Katzen, Hasen, Igel ... Ich schlief beruhigt ein und wachte traumlos auf.

Samstag, 4. Mai 2024

Blaugrün

Ich führe mein Maranello zum ersten Mal im Mai aus. Setze den Helm auf und klappe Sonnenvisier hinunter. 

Matsch (Niedrigwasser, Ebbe) in der Meldorfer Bucht, weit und breit kein Mensch, sanfter Wind aus West. Auf dem Deich bunte Strandkörbe. Die Duschen sind bereits aufgestellt und an die Wasserleitung angeschlossen. Die grasgrünen Mülleimer stehen stramm, mit himmelblauen Müllsäcken bestückt. Auch die Warntafeln vor der Pazifischen Auster und der Rutschgefahr sind wetterfest an die Handläufe festgeschraubt. Zum Anbaden fehlt nur das Wasser!

Ich beeile mich, vor dem Regen wieder nach Hause zu kommen, um den Rasen zu düngen.

Freitag, 3. Mai 2024

Bindungsangst

Vor Ladenschluss bringe ich meine Berliner Designer-Uhr zum Dithmarscher Juvelier. Der Federsteg ist verbogen und das noch neue Designerarmband hält nicht mehr an meinem so zarten Handgelenk. Deshalb liegt die Uhr schon so lange ungenutzt in einer Ecke meines Meldorfer Hauses, dass sich die Batterie tatenlos und ganz von selbst erschöpft hat. Ich bringe also die Uhr zu Voss und erkläre, dass ich eine neue Batterie brauche, aber nur, wenn er das Original-Armband mit einem nicht Original-Federsteg wieder zur Vernunft bringt. So dass sich die Uhr wieder fest an mein Handgelenk bindet. Und ich sie nicht irgendwo in der Welt verliere. Ansonsten, sage ich, kann ich mir die Kosten und das anachronistische Tragen einer Armbanduhr sparen. Und die Uhr, wie jeden anderen Überfluss, sortiert meinen diversen Mülltonnen übergeben. So weit bin ich nämlich schon.

Die Designerfirma ihrerseits wirbt mit einem süffisanten Spruch (Bindungsangst? Einfach mal was Neues probieren? Mit unseren Wechselarmbändern kein Problem) für alles Überflüssige, um das eigenen Überleben zu sichern. Wir antiquierten Armbanduhrträgerinnen sollen jederzeit, passend zu jeder Abendrobe das passende strap einsetzen. Leder (pflanzlich gegerbt), Kork (nachhaltig, vegan), Edelstahl oder Mesh, in allen denk- und undenkbaren Farben. Um den Konsum und die Habgier anzukurbeln, werden die Uhren mit einem 10Strap-Gutschein verkauft. Damit komme ich aber hier am Wattenmeer heute leider keinen Schritt weiter.

Donnerstag, 2. Mai 2024

Morgensonne

Seit zwei Nächten brennen keine Straßenlaternen mehr. Es ist stockfinster wie auf der Hallig oder im Himalaya. Vielleicht ist das neu seit dem Ersten? Wunderbarer Sternenhimmel!

Aber gegen 5 Uhr wird es hell vor meinem Schlafzimmerfenster. Gestern fragte mich die Nachbarin, ob ich draußen geschlafen habe? Irritiert schüttelte ich den Kopf. It's not the season ... not yet! Obwohl die Nachttemperaturen es durchaus zuließen. Die Tagestemperaturen sowieso. Aber wer schläft schon tagsüber draußen im Garten? Erstmal fängt der Tag an, und ich gönne mir zum ersten Mal im Garten am Wattenmeer auf dem frisch gepflügten (vertikutierten) Feld (Rasen) Qigong am Morgen mit meinem vietnamesischen Mönch in Kalifornien. Zunehmender Wind aus Ost. Dann Rasentreten. Und Rosenbinden. Sie brechen unter ihrem eigenen Gewicht zusammen. Der Garten manifestiert in der Morgensonne eine unheimliche Kraft.

Mittwoch, 1. Mai 2024

Baumliebe

Nun folgen die ersten. Beginnend mit dem ersten Mai. Der Apfelbaum blüht! Und die Edelkastanie schießt endlich aus. Sie ist immer die letzte. Ein Nachbar fragte schon, ob sie krank sei. Nein, die Edelkastanie ist gesund! Sie fordert uns nur etwas Geduld ab. Mit schönster Regelmäßigkeit. Im Frühjahr und im Herbst. Sie bekommt als letzte von allen Bäumen rundum Blätter und verliert sie entsprechend erst dann, wenn rundum alles schon kahl ist. Aber auf den Baum ist immer Verlass! Auf die Vögel ist Verlass. Die Starenkäste sind besetzt. Die Meisenkästen ist besetzt. Und die Amseln, die Spatzen, die Sperlinge, die gelben und grünen, die Rotkehlchen sind schon lange dabei. Sogar die Eichhörnchen rupften an meinen tibetischen Gebetsfahnen, um ihren Nachwuchs in einem gut gepolsterten Nest empfangen.