Die am Ostersonntag Neugetauften durften früher - ja wann? In der frühen Kirche! - in der Woche nach ihrer Taufe nicht baden und trugen die weißen Taufkleider bis zum ersten Sonntag nach Ostern. Deshalb wird der heutige Sonntag heute noch Weißer Sonntag genannt. In oder von der katholischen Kirche. Die Evangelische Kirche nennt ihn Quasimodogeniti (quasi modo geniti infantes- wie die neugeborenen Kindlein). Dass katholische Kinder am Weißen Sonntag das erste Mal die Heiligen Kommunion empfangen, das nach der Taufe zweite Initiationssakrament, Erstkommunion als Erneuerung der Taufe, soll ein Schweizer Brauch sein. Das war mir damals, vor gefühlt hundert Jahren, festlich ausstaffiert mit zurechtgeschneiderten Resten des Hochzeitskleides unserer Mutter, natürlich nicht bewusst. Wer in starre Traditionen hineingeboren wird, kann sich lange Zeit kaum, manchmal auch seiner Lebtag nie vorstellen, dass die Welt anderswo anders funktioniert.
Unsere Mutter wäre heute 95 Jahre alt geworden. Sie ist am ersten Sonntag nach Ostern, am Weißen Sonntag oder Quasimodogeniti - quasi modo geniti infantes! - geboren worden. Vor 95 Jahren verhielt sich am und im Himmel alles exakt so wie im Jahr 2021. Vollmond, Ostern, die wunderliche Auferstehung nach einer fragwürdigen Verurteilung und brutalen Bestrafung. Die Osteroktav oder Weiße Woche ging schon damals mit dem 11. - ihrem Geburtstag - zu Ende. Und schon damals lag der 31. März - der Todestag ihrer Erstgeborenen - außerhalb des Leidenstriduums.
Unsere Mutter ist vor fünfeinhalb Jahren gestorben. Wenige Monate vor ihrem 90. Auch meine letzte Glarner Tante ist letzten Herbst wenige Monate vor ihrem 90 gestorben. Dieses Zeitmuster gehört wohl zu dieser Generation von Frauen. Meine Schwester hingegen hat, Patriciahighsmithähnlich, wenig Zeit gehabt, ein Leben ohne Mutter zu leben. Aber vielleicht wollte sie das gerade nicht?