Mittwoch, 31. August 2016

Wasser

Wasser einmal anders. Sprache einmal anders. Farbe einmal anders. Der Bündner Wasserbotschafter und sein blaues Wunder:

Dienstag, 30. August 2016

Zaumzeug

Heute ein bisschen Ungarisch: „kantár“ heißt in Budapest „Zaum“, das Zaumzeug zum Zügeln von Pferden. Passt irgendwie zu dem Land.
Im Deutschen ist die „Kandare“ die Gebisskette oder Gebissstange am Zaumzeug. Und die Redensart Jemanden an die Kandare nehmen / bekommen / bringen oder Jemanden an der Kandare halten / haben meint genau das: streng sein zum anderen, ihn in seine Schranken weisen und unter Kontrolle haben wollen, seine Freiheit einschränken.
Die Hallig Hooge ist, wir wissen es, das gelobte Land und liegt weit ab vom Geschütz. Hier legen tatsächlich nur konkrete Kutscher ihren konkreten Pferden die konkrete Kandare an. Ganz unzweideutig. Und auch das nur während der Sommermonate. Im Winter sind die Kutschen und Pferde auf dem Festland. Hier wird das ganze Jahr über niemand gemaßregelt. Keine/r überschreitet je die Grenzen des Glücks des/der Anderen.

Montag, 29. August 2016

Hallig, dreimal neu

Montag. Ferienende. Schulanfang auf Hooge. Das schönste zur Hallig kommt von meiner Freundin Sheila. Sie ist wie ich eine Neudithmarscherin, eine Wahlmeldorferin mit Migrationshintergrund. Mir hört man diesen fremden Grund an, ihr sieht man ihn an. Shiela ist vor langer langer Zeit aus Ruanda vor dem Bürgerkrieg geflohen und hat mich kürzlich auf der Hallig Hooge besucht. Immer, wenn sie mir schreibt, schickt sie die besten Grüße auf die "Heilige Hooge". Hooge also als Neu- oder Wahlwundertäterin. Die Hallig als Altar. Erhoben über dem Boden der Wirklichkeit. Erhaben über Kleines und Nichtiges. 

Sonntag, 28. August 2016

Hallig, zweimal neu

Zur gestrigen Ausführung - und vielleicht auch zur heutigen - passt die polnische Halbinsel Hel, vor Danzig in der Ostsee gelegen. Auch wunderschön windig, sprich: gut durchlüftet das ganze Jahr über!
Die sogenannte Siedlungsinselform (wer sich nur dieses Wort ausgedacht hat!?!) "Hallig" könnte aber auch aufgrund einer gemeinsamen indogermanischen Wurzel *kel- für "ragen", "hinausragen" mit dem englischen "hill" (= Hügel) verwandt sein. Oder einen Bezug haben zu halha = Bucht. Und so doch wieder im übertragenen Sinne bei "gut gewürzt" landen. Die Hallig wird regelmäßig überspült von der salzigen Nordsee und ist in der Tat eine Salzniederung - oder eher eine Salzerhöhung. Maritimes Marschland also. Diese Marsch aber ist weiblich und hat nichts zu tun mit dem Marsch, der mir vor dem Frühstück am Sonntag militärisch männlich entgegen schreitet: Stechschritt. Die Marsch ist eine geomorphologische Landschaftsform: Schwemmland.

Samstag, 27. August 2016

Hallig, einmal neu

Jeder hat seine Meinung. Das ist ja auch legitim. Die einen sagen, das Wort "Hallig" habe die germanische Wurzel *hel-/*hal- was "Abhang, Neigung, Schräge" bedeute. Davon leite sich auch das Wort "Saline" ab. Deshalb die Konnotation mit Salz, die aber auch auf eine rekonstruierte germanische Wurzel *hallan für (Salz-) Kruste zurückgehen könnte. So soll althochdeutsch halasalz ein aus Sole gewonnenes Salz meinen, merisalz hingegen Meersalz und erdsalz Steinsalz, bzw. aus der Erde stammendes Salz, sowie lûtarsalz - nicht Luthersalz, sondern natürliches Laugensalz.
Im etymologischen Diskurs wird betont, dass auch die Ableitung zu "Halle" als überdachtem Bau oder Sudhaus möglich sei, halhûs und salasutî war einmal gleichwertig für "Salzsiedeanlage". Außerdem werde meist nicht das (am Hang, im Berg gelegene, schräge) Abbaugebiet selbst, sondern der Ort in der Talsohle als Saline benannt. In meiner Jugend gab es die Saline Schweizerhalle und dort, im Land meiner Herkunft am Rheinknie, wird Salz als "weißes Gold" bezeichnet. Das Wort "Schweizerhalle" ist aber mittlerweile anders gefärbt und erinnert an den Großbrand in einer der größten Chemiefirmen, ausgelöst vom leicht entzündlichen Agro-Markier-Farbstoff Berliner Blau bzw. infolge fahrlässig verantwortungslos unsachgemäßen (man kann auch sagen: schlampigen) Hantierens mit einer Schrumpfpistole beim Verpacken desselben. In der Nacht zum 1. November 1986 gelangte ein bis heute undefinierter Giftmix in die Luft, den auch ich eingeatmet haben muss. Die Feuerwehr rückte natürlich an und bekämpfte den Brand auf ihre Weise. Das Löschwasser war blutrot und floss aufgrund nicht vorhandener Auffangbecken (sprich: schlampiger Bauweise der Lagerhallen) ungehindert in den Rhein ab. Es rottete die gesamte Aalpopulation aus und stellte das ökologische Gleichgewicht des Flusses nachhaltig auf den Kopf. Das reicht für heute. Mir schwindelt!

Freitag, 26. August 2016

Japsand, immer wieder

Gestern war der heißeste Tag des Jahres. Heute marschieren wir zum Japsand. In der größten Mittagshitze kann man nicht baden, nur auf dem Meeresboden herumlaufen. So sind nun mal die Spätsommertage auf Hooge. Ich schwimme am Morgen am Landsende, latsche am Mittag durchs Watt und nehme die Welt aus einer immer wieder neuen Perspektive wahr, und schwimme am Abend zum Sonnenuntergang am Süderdeich.
Hooge kommt von "hoch", die erhöhte Stelle im Watt oder im Meer. Und Hallig vielleicht vom Salz oder von der Salzgewinnung. Die Halloren sind die Haller Salzsieder, die Salzwirker oder Salinenarbeiter aus Halle an der Saale. Die Halurgie ist die Salzwerkskunde - die Lehre von der Gewinnung von Kochsalz, aus dem Steinsalzbergwerk oder aus dem Meer - ein Teilgebiet der Montanistik also, der Montanwissenschaften, der Bergbaukunde. Und das mitten in der Nordsee! Ich kapituliere für heute, meine Sohlen brennen, der Japsand steigt wie immer am Abend in den Kopf.

Donnerstag, 25. August 2016

Seeadler

Bei Schwimmen fliegt der Seeadler über meinen Kopf, halligauswärts, nach Südosten, geradewegs auf den alten Pellwormer Kirchturm zu, flankiert, gefolgt oder verfolgt von zwei aufgeregten Möwen. Der wird sich doch nicht ernsthaft von zwei Möwen von der Hallig scheuchen lassen, denke ich und er schwenkt auf Ost. Oder Nordost. Mich blendet die Morgensonne. Vielleicht will er nach Habel.

Mittwoch, 24. August 2016

Morgenflut

Man stelle sich eine deutsche Familie vor mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9, die um 8 Uhr den Zug nach Irgendwo nehmen müssen, weil sie eine unaufschiebbare Sache erledigen müssen.
Auf Hooge wohnt eine afghanische Familie mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9. Sie müssen heute früh um 8 Uhr die Fähre nehmen, weil sie einen wichtigen Termin auf dem Festland haben. Bis zum Anleger brauchen sie zu Fuß mit dem Kleinen auf dem Arm oder im Kinderwagen mindestens 20 Minuten. Ich klopfe um 7:15 Uhr an ihre Wohnungstür. Die Mutter öffnet. Die Stille in der Wohnung lässt mich vermuten, dass der Rest der Familie noch schläft. Die Mutter lacht und sagt, ja, ja. Komm herein! Teetrinken! Nein, nein, sage ich, dazu ist jetzt nicht die Zeit. Steht ihr mal auf!
Damit ist mein Auftrag erfüllt und ich fahre, weil der Morgen so schön ist, zum Landsende. Ich habe vor mir einen Tag am Schreibtisch mit Wattrinnen und Treibsandteppichen für mich allein. Mit Wasser habe ich um diese Morgenstunde nicht mehr gerechnet, bin aus dem Gleichklang der Tide gefallen durch einen einzigen Kopfschütteltag. Ich habe kein Handtuch dabei. Aber das macht jetzt auch nichts mehr, denke ich und stelle mir keine deutsche Familie vor mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9 ... , sondern ziehe mich aus und springe in die Nordsee.

Dienstag, 23. August 2016

Kopfschütteln

Gestern abend knallte ich mit dem Kopf auf die Betonplatten auf dem Warftabhang vor meiner Wohnung. Das Fahrrad kam auf dem nassen Grasschnitt in Schieflage. Ich konnte es nicht mehr auffangen. Und so ergaben wir uns demütig der Schwer- und Fliehkraft. Erfuhren das Besondere eines unerwarteten Bodenkontakts im Regen. Hinter meinem linken Ohr krachte es. Die Brille blieb unversehrt.
Heute muss ich den ganzen Tag Kopfschütteln, Gedanken sortieren, Wundpflaster suchen. Äusserlich ist nichts zu sehen, unter dem Haar nichts zu ertasten. Die Erschütterung hat nur nach innen gewirkt. Der Tag wird milder, je länger er andauert. Ich fahre schließlich zum Süderdeich schwimmen und sitze eine Stunde in der Abendsonne. Die Haut ist, wie bei Kindern, nur oberflächlich am Ellbogen und Knie aufgeschürft. Linderung kommt nach Sonnenuntergang. Nebel steigt rasant aus dem Halligboden und nimmt ihm sofort alles Harte, alles Unerbittliche. Die Kühe beginnen zu schwimmen, die aufgerollten Heuballen schweben wie auf Watte, der entfernte Klowagen und die Strandkörbe tanzen. Schließlich verschwinden die Wege, die Straßen, die Priele. Und igendwann geht auch das letzte Licht. Und ich lebe immer noch.

Montag, 22. August 2016

Halm um Halm

Die Netstaler Rautispitzostwand auf Hooge! Heute 20:00 Uhr Vernissage der Bilder von den Norddeutschen Halligen und den Schweizer Alpen. Analoge Fotografien von Hannes Hübner, schwarz-weiß, klassisch, gekonnt von Hand belichtet und aufgezogen.
Am 13. September präsentiere ich ihm Rahmen der Ausstellung Texte aus meinem Manuskript, das zT auf der Hallig entsteht. Über das Fragile von Landschaften, auch der Seele. Und unter anderem über die Arbeit von Regentropfen an eben dieser Rautispitzostwand, die ab heute in Uns Hallig Hus auf Hanswarft hängt.

Sonntag, 21. August 2016

Springverspätung

Es ist immer so, lese ich und staune nach dem neunten Vollmond in Folge auf der Hallig, dass um den Vollmond das Hochwasser in die Nachmittagsstunden fällt. Es ist immer so, lese ich, dass um den Vollmond Spingtiden eintreten, manchmal um ein paar Tage verzögert oder ein paar Tage lang, das ist dann die Springverspätung, logisch. Das Wort hat aber nichts mit einer auf den Deich springenden Welle zu tun. Das Wasser läuft allerdings bei Vollmond immer höher auf als normal. So konnte ich vorhin - und es war über eine Stunde nach Höchststand - immer noch nicht stehen im Wasser an meiner Badestelle am Landsende. Ich wäre jämmerlich ertrunken in den hohen Wellen, wenn ich nicht schwimmen könnte. Kein Mensch war weit und breit zu sehen! Im Sommerhalbjahr ist immer die Abendflut höher als die Morgenflut, die beiden Wasserhochstände können sich an einem Tag um bis zu 2 Meter unterscheiden. Und was viel höher aufläuft, muss entsprechend tief fallen. Deshalb treten im Sommerhalbjahr am Morgen die Hohlebben ein, die bis zu 2 Meter unter Normalnull liegen können. Unvorstellbar wo das Wasser dann eigentlich hingeht! Und doch klar: dann trifft eine mail der Disposition der Fährgesellschaft auf meinem Bildschirm ein, aufgrund des gemeldeten Niedrigwassers fahre die Fähre am nächsten Morgen eine oder zwei Stunden früher aufs Festland. Wehe dem, der nicht lesen kann und verschläft!
Im Winter ist alles umgekehrt. Ich muss noch viel lernen hier.

Samstag, 20. August 2016

Hören

Das Wort, das mich bei der heutigen Halligkrimilesung stört, heißt "darling". Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann auf der Hallig seine Frau so anspricht. Der Autor erklärt es im anschließenden Gespräch damit, dass der Mann in seinem Buch Engländer sei. Dann hätte er den Namen seiner fiktiven Figur entsprechend anglisiert aussprechen müssen, meine ich. Das wollte der Vorleser nicht, da er Sorge hatte, sich zu blamieren.
Der Name des Engländers deutsch ausgesprochen ist das zweite, was mir unangenehm aufstößt. Klingt leider, mit Verlaub, nicht authentisch. Und sein Hobby - das dritte. Als "Massaker" vom Autor angekündigt, ist es nur eine harmlose Ablenkung. Wer hat von Halligbewohnern gehört, die tote Vögel, Ringelgänse, Austernfischer, Seeschwalben, Zwerg- und Lachmöven vom Deich einsammeln, nach Hause tragen und ausstopfen? Um sie für sich und für die Ewigkeit zu präparieren?
Haben wir nicht jahraus jahrein genug lebendiges Fluggetier um die Ohren, die Augen, die Köpfe?
Bis vor noch nicht allzulanger Zeit gab es auch auf Hooge richtige Hetzjagden auf durchziehende und rastende Vögel, Enten und Gänse. Nordische Pfeifenten galten als Delikatesse, Krickenten, Brachvögel, Regenpfeifer und natürlich Ringelgänse wurden mit Stellnetzen oder Laternen des nachts gefangen, gescheucht, geblendet, erschossen oder mit dem Gewehrkolben erschlagen. Abgehangen, ausgenommen, gekocht. Und nach dem Sonntagskirchgang verspeist.

Freitag, 19. August 2016

Sehen

Ich sehe nur mit Fingern. Vermeide sogar den Blick auf den Bildschirm. Richte mich, wie ich das in guten Zeiten immer tat, nur nach der Tastatur. Ich habe in meinem ganzen Leben nie von Hand geschrieben! Und nun ist die Lust, ja die Gier, von mir abgefallen wie die Kruste über der Wunde, alles auch optisch einfangen zu wollen. Ständig den Blick aus meinem Fenster fotografieren zu müssen. Oder ans Landsende zu laufen und das kommende oder gehende Wasser aufhalten zu wollen. Ich fotografiere kaum noch. Um die Kamera mache ich einen großen Bogen. Wie um einen wunden Punkt. Meine Abkehr von Bildern. Meine plötzliche Furcht vor Abbildung.
R. verbringt ihren heutigen Geburtstag in der Augenklinik in Berlin und schreibt, sie fühle sich wie neu geboren. Die Operation sei unumgänglich gewesen und habe das rechte Auge vor dem Erblinden gerettet. All the very best for you, Rosita!

Donnerstag, 18. August 2016

Augustvollmond

Ich bin auch auf einen Voll- und Neumond-Newsletter abonniert. Irgendwie muss man sich ja bei Laune halten und seine Tagesdosis an unsinnigem Wissen konsumieren. Das August-Memo hat seltsamerweise gar nichts mit dem Stand des Mondes am Himmel zu tun, sondern handelt nur von schnödem irdischem Gleichmaß: würden alle 7,4 Milliarden Menschen dieser Erde sich in Deutschland versammeln, behaupten die Vollmond-News-Macher, stünde jedem Einzelnen ein Plätzchen von immerhin 48 Quadratmetern zur Verfügung! Der Rest der Erde wäre menschenleer (und jeder, da bin ich sicher, würde sofort dorthin abhauen wollen).
Dies ist insofern erstaunlich, als ich auf der Hallig derzeit eine 30 Quadratmeter große Wohnung bewohne. Ich hätte also, wenn sich alle Erdenbürger gleichmäßig auf Deutschland verteilten, plötzlich mehr Raum zur Verfügung - aber: wie viele Menschen stünden auf der momentan von einer Herde glücklicher brauner und schwarzweißer Pensionskühe besetzten Fenne vor meinem Fenster?

Mittwoch, 17. August 2016

Das normale Leben

Der Sommer ist zurück. Die Zugvögel auch. Frieda, die Allererste, die Schuhmachermutter und Schuhmachertochter, feiert heute im Schuhmacherhaus im Fölmliland ihren 94. Geburtstag. Bei bester Gesundheit und in angenehmer Gesellschaft, nur weiter so! Herzlichen Glückwunsch!
Im Wattenmeer ist derweil ein weiterer Irrgast aufgetaucht. Im Lister Hafen wurde ein Zwergwal angespült. Tot und ohne Kopf. Aufgebläht, mit aufgerissener Haut, offener Bauchhöhle, ohne innere Organe. Angetrieben wahrscheinlich von weither durch die starken Nordwestwinde der letzten Tage.

Dienstag, 16. August 2016

Wasserprobe

Ich gehe mit der offiziellen Wasserprobe ins Wasser am alten Anleger. Halte als Hikra (Hilfskraft) das Thermometer zehn Minuten so tief unter Wasser wie mein Arm lang ist. Es zeigt tatsächlich nur 16° plus! Das entnommene Nordseewasser ist glasklar. Erstaunlich! Und kommt in die blaue Kühlbox mit der amtlichen Aufschrift, die ich vor einem Jahr schon fotografiert habe (http://amwattenmeer.blogspot.de/2015/07/mittagspause-3.html). Von weitem sehen wir, der WPE (Wasserprobenentnehmer) und seine Hikra, aus wie Urlauber, die ihr Mittagessen auf den Deich getragen haben. Dann muss das Thermometer noch zehn Minuten auf dem Deich liegen, also auch wir. Auch für Außentemperatur, Windrichtung und Windstärke gibt es freie Felder auf der Liste. Wir verlassen uns auf den Augenschein (die flatternde Wäsche auf Backenswarft), die Wasseroberfläche (leicht gekräuselt) und den gesunden Menschenverstand (übervölkerte Badestelle, außer uns eine Familie mit Kind und eine ohne).

Montag, 15. August 2016

Christusmonogramm

Heute ist der wichtigste Feiertag in Polen. Mariä Himmelfahrt. Polen ist das katholischste Land in Europa. Katholischer als die Vatikanstadt. Und die Jungfrau Maria ist die Königin Polens. Regiert absoluter als der Papst. Angeblich auf eigenen Wunsch, den sie am Vorabend ihrer Entschlafung, am 14.8.1608 dem italienischen Jesuiten Giulio Mancinelli kund getan hatte: http://sanctus.pl/index.php?module=aktualnosci&id=2494
Und ich stehe am Anleger auf Hooge und warte vergeblich auf die Rückkehr meiner Privatschüler. Ich habe genug Zeit, die Wolken am Himmel zu studieren, das Ablaufen des Wassers zu verfolgen und schließlich den einfarbig bemalten Asphalt zu bewundern. Ein halbfertiges (oder ungeschickt hingeworfenes) Christusmonogramm:
Das älteste Christussymbol überhaupt. Die Ligatur von X und P - die Verschleifung der Anfangsbuchstaben von griechisch Χριστός (Christus). Angeblich noch vor dem Kreuz entstanden. Irrtümlich übertragen ins Lateinische als PAX (Frieden) und nun ins Hooger Platt: Parken, nein danke.

Sonntag, 14. August 2016

Sonntag

Die Sonne ist heute genau um 6 Uhr aufgegangen und wird 2 Minuten vor 21 Uhr untergehen. Dadurch dauert die Nacht länger. Ich laufe im schönsten Morgenlicht los. Noch habe ich keinen Mut für die Kamera. Für Bilder. Keine Kraft. Mich zu entscheiden. Hier oder hier nicht. Zu gucken. Jetzt oder nicht jetzt. Wer will Unschlüssiges? Unstetes? Ich würde ständig stehen bleiben müssen und schließlich den ganzen Sonntag brauchen, um die Hallig zu umrunden. Im Westen entdecke ich die ersten Ringelgansscharen und von Süden trifft Regen ein. Das Wasser läuft mir an den nackten Beinen hinunter in die Laufschuhe. Vor einer Woche waren nur vereinzelte, verirrte, junge da. Mit einem noch blassen weißen Ring um den Hals. Sie müssen zurückgekehrt sein, denn auf der Hallig brüten diese Gänse nicht, also wachsen auch keine Jungvögel heran. Ich entledige mich meiner letzten Zweifel und ziehe mir die triefenden Strümpfe am Landsende von den Füßen. Die Sohlen färben, aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Ich steige ins Wasser und friere wie noch nie. Also wird es doch Herbst.

Samstag, 13. August 2016

Ruhrtriiiennale

Und das sollte sich jede und jeder zur guten Nacht zu Gemüte führen, die Festspielrede der diesjährigen Friedenspreisträgerin Carolin Emcke (wer es nachhören kann, tue es - Emcke liest noch eindrücklicher als sie schreibt):
https://www.ruhrtriennale.de/de/blog/2016-08/vom-uebersetzen-festspielrede-von-carolin-emcke

"typisch schweizerisch"

Salez-Sennwald wird genausowenig in die Geschichte eingehen wie Menznau oder Zug. Die Schweizer mögen ihre Amokläufer nicht. Die Strategie ist immer dieselbe: Gras darüber wachsen lassen. Möglichst nicht reflektieren, nicht zu viel analysieren. Dass eine Stunde nach der Tat bereits die Mitteilung um die Welt geht und bis zu mir auf die Hallig kommt, dass der mutmaßliche Täter einen "typisch schweizerischen Namen" trägt, ist nur ein trauriges Beispiel dafür, wie sicherheitsbedürftig die helvetischen Gemüter mittlerweile sind. Es ist die Informationspolitik, die (auf-)rechte Populisten durchgesetzt haben, die sich u.a. dafür einsetzen, dass Straftäter mit Migrationshintergrund, egal ob mit oder ohne Schweizer Pass, ohne Wenn und Aber und vor allem ohne Rücksicht auf Menschenrechte auszuschaffen sind.
Was machen die Biedermänner nun mit einem "typisch schweizerischen" Brandstifter, Messerstecher, Mörder, Totschläger, Kindsmisshandler?

update vom 15.8.: Das kann man zum Beispiel machen:
http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/falsches-taeterbild-kursiert-in-den-sozialen-medien/story/15646114

Freitag, 12. August 2016

Herbst

Für Herbst ist es zu früh und für Sommer zu spät. Die Schwalben schwirren mir um den Kopf und um die Fahrradräder und ich verstehe ihr Anliegen nicht. Neuerdings stochern auch Miesmuschelfresser wie Austernfischer in den frisch gemähten Warftwiesen vor meinem Fenster herum. Auf der Suche wonach? Nach ganz normalen Regenwürmern?

Donnerstag, 11. August 2016

Frühfarben

Ich habe seit einigen Tagen eine Kamera, mit der ich die Hallig festhalten soll. Ihre Farben. Ihre Bewegungen. Ihre Träume. Ihre Regungen. Ihre Räume. Zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. Aber erstens kann ich mit der Kamera noch nicht umgehen. Ich habe immer nur mit Wörtern gespielt. Zweitens sind die schönsten Impressionen unaufhaltsam und unabwendbar. Nicht zu greifen, weder zu begreifen noch anzutasten. Weder mit Gedanken noch mit Händen. Wie soll ich die Farben beim Frühschwimmen am Landsende aufnehmen? Wenn ich im eiskalten Wasser liege, hinausschwimme bis zu den Warnbaken und von dort aus den Sommerdeich gelbgrün leuchten sehe, die drei Strandkörbe blendend weiß (so viel Unschuld!), dahinter die ganze Ockenswarft von einer lieblichen Morgensonne (oh ja, genauso romantisch!) umspült. Und von Südwesten drängt das Schietwetter, schiebt sich drohend eine rabenschwarze Unwetterwolke heran. Der Pellwormer Kirchturm steht bereits im Regen und ich eile trockenen Fußes nach Hause.

Mittwoch, 10. August 2016

Die Schnapsidee

Nur im Deutschen, behauptet heute meine Tagesration "VerstehenSieDeutsch", existiert ein Wort für völlig bekloppte Ideen, die ua - aber natürlich nicht nur - "nach erhöhtem Alkoholgenuss" im menschlichen Hirn aufkommen. Interessant. Alle anderen mir bekannten Sprachen benützen dafür Adjektive wie dämlich, bescheuert, doof, blöd- oder unsinnig, verrückt, abgefahren, hirnrissig. Gerade letzteres ist eigentlich die adäquateste und anschaulichste Umschreibung einer Schnapsidee: der Riss im Hirn. Aber po polsku: wariacki pomysł (verrückte Idee); in english: hare-brained idea (hirnverbrannter Blödsinn); in italiano: idea balorda ("balordo" = Schafskopf); en francais: idée loufoque (abgefahrene Idee); po russkij: strannaja ideja (verrückte Idee); in nederlands: zotte inval (affiger Einfall). Un op platt? Bekloppt!

Dienstag, 9. August 2016

Kommen und gehen

Die eine geht, die andere kommt. Geschiebemergel heißt das im Gebirge. An verendenden Gletschern. Abgelagert als Grundmoräne. Ein "feinkörniges, sandig bis schluffiges, ungeschichtetes" kalhaltiges Sediment.
Kri fragt aus Meldorf, was ich zum "neuen Sedimentmanagement im Wattenmeer" sage. Nichts. Es kommt wie es geht. In einem Strategiepapier lese ich, dass die "vor Sylt in den vergangenen Jahrzehnten aufgespülten Sandmengen (...) vermutlich bereits zur Stabilisierung des nordfriesischen Wattenmeeres beigetragen" haben. So weit so gut. Nichts geht verloren. Obwohl nicht alles bleibt, wo es hingekippt wird. Sand ist extrem beweglich. Auch Müll. Ich muss jetzt in die Küche.

Montag, 8. August 2016

kleines landunter

Kleines Landunter am Landsende. Meine Badestelle am Abend. Ich war zum Glück schon bei der Morgenflut im Wasser.
Am Nachmittag rief mich jemand an, der sich wunderte, dass sich Hooge eine Halligschreiberin "leiste". Und ich musste herzhaft lachen. Von "leisten" kann überhaupt keine Rede sein. Ich bringe alles selber mit. Vom Bleistift bis zum Taschengeld. Aber natürlich, was der Anrufer denkt, ist das Normale! Der Blick von außen. Jede Stadt, die einen Stadtschreiber oder eine Stadtschreiberin hat, leistet sich die oder den. Das ist von Willisau über Krems bis Krakau so. In solchen Momenten wird mir der Spagat bewusst. Die schöne neue Welt, die irgendwo draußen beginnt. Die Diskrepanz im Innern. Die ganz andere Wirklichkeit auf meinem Schreibtisch. Die Schwierigkeit in der Wort- und Selbstfindung. Stottern, sagt der Stotterer - und er weiß, wovon er redet - sei das allerbeste Synonymfindungstraining. 

Sonntag, 7. August 2016

Stoßgebet

Alle Jahre wieder. Bin ich verletzt. Beleidigt. Natürlich. Davon oder darüber, zum Beispiel, wie mich meine Nachbarinnen behandeln. Niemand mag es, ausgeschlossen und ausgegrenzt zu werden. Ins offene Messer zu laufen.
Noch behalte ich die taktische Oberhand und träume Bambusbilder. Kürzlich bügelte ich tatsächlich meine Taschentücher. Und am Sonntag bin ich Putzfrau und lasse mir keinen einzigen Gedanken an den Herrgott entlocken.

Samstag, 6. August 2016

Tautrekken

Schleusenfest. Tautrekken - Tauziehen. Die Meerjungfrauen werden gnadenlos von den Männern weggezogen, deren sportlicher Teamname ich bei dem Schlachtgeheul akustisch nicht abspeichern kann. Natürlich siegen die Mannen über die schwachen Jungfern. Da ist schon in der Bibel so. Trotzdem hätten die Herren es etwas zivilisierter angehen lassen können. Sie hätten sich überhaupt nicht anstrengen, keinen Schweiß vergießen, keine Urschreie ausstoßen müssen. Aber sie tun es! Vor aller Augen und Ohren! Denn es geht um die Demonstration ihrer Mannhaftigkeit, nicht um den Sieg über die Schwachen. Die Damen sind nicht leider nur schwächer, was ja nachvollziehbar ist, sondern einfach weniger entschlossen, weniger geschlossen, weniger angespornt, weniger willig, weniger feurig. Das sprichwörtliche An-einem-Strang-ziehen geht ihnen offensichtlich nicht so leicht von der Hand wie den Männern.

Freitag, 5. August 2016

Zu Fuß um die Hallig

Foto: Manuela A.
Die Füße, sagt meine Schuhmacherin, werden am Wattenmeer mehr beansprucht als im Fölmliland. Sie habe, sagt sie, ihre Füße noch nie so gespürt wie auf der Hallig. Ist das gut oder schlecht? Einen Körperteil anders, schmerzhaft, wahrzunehmen? Wir laufen mit der Uhr im Kopf um die Hallig. Im Sinne der Uhr. Nach Westen und dann Norden. Der Wind bläst uns überall kalt ins Gesicht. Die Füße werden breitgetreten. Am Landsende zu guter Letzt ist soviel Wasser aufgelaufen, dass wir schwimmen können. Und die Füße atmen endlich auf.

Donnerstag, 4. August 2016

Japsand am Morgen

Mit der Schuhfrau. Ohne Schuhe. Mit viel Wind. Wenig Regen. Viel Sand. Scharf an den Knöcheln. Und überall im Rucksack. Einem kurzen Regenbogen. Vorsichtig vor schwarzen Wolken. Was für ein Gefühl, vor dem Mittag schon wieder zu Hause zu sein.

Mittwoch, 3. August 2016

Die Affenschande

Ich bin abonniert auf einen "VerstehenSieDeutsch"-newsletter, damit ich trainiere, womit ich arbeite. Mein Deutsch. Meine Sprache. Jeden Tag wird mein Hirn und mein Verstand aufs Neue gefordert. Heute ist es die Affenschande. Die hat gar nichts mit den Primaten zu tun, zu denen wir Menschen auch gehören. Sondern die kommt nun ausgerechnet aus dem Plattdeutschen, das ich ja auch zu lernen angehalten werde. Die Affenschande geht wahrscheinlich auf das plattdeutsche "apenbar" (=offenbar) zurück. Die Affenschande ist eine "apenbare" also offenbare oder offene Schande. Wie erholsam schön an diesem Regentag auf der Hallig!

Dienstag, 2. August 2016

Die Halligschreiberin hat gelesen

Foto: Manuela A.
Für alle, die gestern nicht dabei sein konnten bei dem verbalen Feuerwerk auf Backenswarft - hier ein Trostpflästerchen:

"Strömungsarme Stellen wachsen bereitwillig. Sie liegen zwischen den vorgelagerten Inseln, Halligen, Sandbänken und dem Festland. Zweimal täglich trägt die Flut tonnenweise fein gemahlenes Gebirge auf die Watt­fläche. Sedimente der ganzen westlichen Welt dicken das Wattwasser ein und versinken erst dort, wo die Strömung nicht mehr fließt.
Strömungsarme stellen Fallen, betten organische Überreste wie Sterbende zur Ruhe. Geschiebemergel oder Gletschermilch. Sand aus der Wüste Sinai oder vom Berg Ararat. Strömungsarme stellen keine Fragen, weder nach der Staatsangehörigkeit noch nach der morphologischen Struktur. Partikel oder Abtönung. Luftsäulen beherbergen aufsteigende Naturtonreihen. Strömungsarme Stellen nutzen den Stillstand ohne Widerrede. Wachsen ihre Ablagerungen über das Mittlere Tidehochwasser hinaus, entstehen Marschen. Jungmarschen, Rohmarschen, Salzmarschen. Seemarschen erreicht das ankommende Wasser kaum noch. Die Augustsonne trocknet das neu gewonnene Land aus und schichtet die bodennahe Luft labil. Dann tanzt der Sandteufel auf. Ungestüm wie Willy-Willy errichtet er aus nichtigem Grunde kleinräumige Damenumkleidekabinen."

© Judith Arlt 2016

Montag, 1. August 2016

Die Halligschreiberin liest

Schweizer Nationalfeiertag - traditionsgemäß mit Frieda! Wo immer auf der Welt ich mich gerade aufhalte:
Ich lese aus dem den Schuhmacherheiligen, den fünf Willisauer Crispins, gewidmeten Schuhmacherroman "Die Fölmlis" sowie unveröffentlichte Halligtexte aus der Sammlung "Handschlag der Tide". Frieda und ich freuen uns auf viele interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer!

19:30 im Hallig-Café "Zum Blauen Pesel", Backenswarft
Eintritt frei, um eine Spende wird gebeten

Der Roman "Die Fölmlis" kann vorab in der Galerie "Hooger Bernstein" auf Hanswarft käuflich erworben werden, Natürlich wird das Buch auch bei der Lesung angeboten und auf Wunsch signiert.