Montag, 31. August 2020

gold - titan

Die Optikerin sagt, Gold sei das neue Titan. Filigrane Goldfassungen lösen endlich die monströsen schwarzumrandeten Brillen ab, die alle seit Jahren tragen. Ich grabe in meinen Schätzen, weil die Lieblingsfassung meiner Arbeitsbrille nicht mehr neu verglast werden kann. Und finde ein zartes Modell, wahrscheinlich aus Hongkong. Eigenimport. Aus einem anderen Leben. Meine Augen haben sich nicht nur coronabedingt (ständiges Zuhausesitzen) verändert, sondern im Laufe der Jahre wird die eine Sehschwäche natürlicherweise schwächer, während sich die andere verstärkt. Ganz im Gleichschlag des Höheren und Niederen.

Sonntag, 30. August 2020

einfach - doppelt

Kaiserreich am Reichstag? Und ich tüddel am Wattenmeer mit meinem todkranken Kater herum. In solchen Momenten gehöre ich nicht zu diesem Land. Als Schiedsfrau wurde ich lange vor Corona "geschult". Sensibilisiert auf aktuelle Strömungen in der deutschen Gesellschaft. Dass Reichsbürger auf den Corona-Protest-Zug aufspringen, war schon vor Wochen in kleinerem Rahmen und von der Presse weitgehend unbemerkt in Dithmarschen zu beobachten. 

In anderen Momenten gehöre ich nicht zu dem anderen Land. Wenn ich zB über eine "maßvolle Zuwanderung" (natürlich nicht mit ß) abstimmen soll. Oder über Änderungen im Jagdgesetz. Getreulich gebe ich meine Stimme ab. Per Post, weil das elektronische Sicherheitssystem Helvetiens versagt. 

Doppelte Staatsbürgerschaft bedeutet nicht Doppelte Heimat, sondern Nicht Eine Heimat. Ich switche, berufe mich auf das "eigentliche", meine Sozialisation oder betone mein Recht auf Kritik und Distanz. Einen Kaiser hatten "wir" nie! Auch keine freie Bauernrepublik. Sondern unendlich viele Kleinkriege, unendlich tapfere Soldaten in fremden Heeren. Das ist bis heute geblieben.

Die Sonne geht blutrot über dem Nebel in der Feldmark auf. Der Morgen ist frisch und der Tag verspricht heiter zu werden

Samstag, 29. August 2020

temperatur - sturz

Morgenschwimmen. Das Wasser ist um 5 Grad kälter als noch vor ein paar Tage, der Wind auflandig unbarmherzig, die Sonne bereits kraftlos. Trotzdem schwimme ich mein Dreieck. Mit kühlem Kopf und regelmässigen Arm- und Beinbewegungen sende ich eine Anfrage in den wolkenlosen Himmel, in den Kosmos, ins Getriebe der Urkräfte. Die heutige Losung sagt - und ich verstehe sie nicht, aber der Name des Protagonisten gefällt mir:

Hiskia wurde todkrank; und er betete zum HERRN. Der redete mit ihm und gab ihm ein Wunderzeichen. Aber Hiskia vergalt nicht nach dem, was ihm geschehen war; denn sein Herz überhob sich.
2. Chronik 32,24-25

Freitag, 28. August 2020

gemüse - brühe

Sintflutartiger Regen. Ich suche meinen Hausarzt auf wegen meiner Schwindelanfälle. Er fragt, wann und wie oft, misst meinen Blutdruck und sagt, der sage alles. Natürlich könnte man, gibt er zu bedenken, nun eine Reihe von Untersuchungen lostreten, deren Mühle langsam mahlen und nicht unbedingt gerecht. Er verschreibt mir nochmals Camphertropfen. Für den Notfall. Und empiehlt zur Guten Nacht eine Tasse heiße Gemüsebrühe. Ich schaffe es, in einer Regenpause nach Hause zu kommen. Der Kater empfängt mich. Seit der gestrigen Aussprache weicht er nicht mehr von meiner Seite.

Donnerstag, 27. August 2020

open - mind

Ruhe nach dem Sturm. Die Tide ist ungünstig und der Wind immer noch zu stark für einen Ausflug ans Meer. Ideal für Wäsche. Alles ist voller Haare! Herr Rasputin sonnt sich am Nachmittag auf der Bank im Garten und ich nutze die Gelegenheit, ein offenes Wort mit ihm zu sprechen. Biete an, dass wir nächste Woche in die Tierarztpraxis fahren. Er auf meinem Rücken. Ich auf meinem Fahrrad. 

Mittwoch, 26. August 2020

hoch - tief

Die erste Herbststürmerin. Kirsten. Bringt in exponierten Lagen schwere Sturmböen bis Bft 10 (=26m/s, 51 kn oder um die 95 km/h). Aus südwestlicher Richtung, dann direkt von Westen. Mal sehn, was mein Bambuszaun dazu meint. Noch ist er geschützt von mächtig wuchernden Brombeertrieben. Herr Rasputin bekommt Besuch von Mio.

Dienstag, 25. August 2020

herbst - zeitlose

Ich weiß es, alle wissen es, die länger als eine Saison hier leben: der Sommer ist immer ganz schnell vorbei. Und es folgt ihm auf den Fersen die Zeit des Endlosen. Hinundhers. Hellunddunkels. Kaltundwarms. Die Luft ist schwer und feucht. Am Vormittag noch voller Sonne. Doch dann kommt von Westen der Regen ins Land. Auf die Geest. Und H. ruft an, sie fahre zum Deich. Also schwimmen wir. Wieder im Regen. Und der Deichwärter wandert über den Deich mit einem Deichwagen. Kippt alle Strandkörbe um. Legt sie vor- und fürsorglich in den Wind, der da kommen wird. 

Montag, 24. August 2020

vor - gestern

Irgendwann werde ich sagen: Vorgestern hat es begonnen. Das Begreifen. Der Abschied. Die Trauer. Mir steht etwas bevor, das ich erst im Nachhinein bewerten kann. Eine Entscheidung dafür oder dagegen. Und ob sie richtig gewesen sein wird oder falsch, wird mir niemand sagen wollen. Aber unabhängig von einer moralischen Bewertung wird die Zeit vorbei sein, eine Revision unmöglich, ein Revisit(ed) absurd. Ich möchte Herrn Rasputin in meinem Garten begraben. Ich weiß bereits, wie tief das Grab gegraben werden muss. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich die Tierarztpraxis mit dem toten Kater auf dem Rücken verlassen und nach Hause radeln soll. Ich kann mir auch nicht vorstellen, den lebendigen Kater in den Transportrucksack zu packen, auf das Fahrrad zu steigen und am helllichten Tag durch die Felder nach Nindorf zu fahren.

Sonntag, 23. August 2020

spring - verspätung

Zur Springzeit springt das Wasser. Damit es springen kann, muss es zuerst an Masse gewinnen. Die Masse macht es aber träge. Und die Trägheit verzögert den Sprung. Der größte Gezeitenunterschied, die Springflut, kommt deshalb immer mit Verspätung. Denn eigentlich addieren sich bei Voll- oder Neumond die kosmischen Kräfte, die Anziehung zwischen Erde, Mond und Sonne. Aber wegen irdischer Materie und Trägheit, der immensen Wassermasse, hatten wir die Springflut und den Starkwind tatsächlich erst heute am Sonntag.

Samstag, 22. August 2020

stoff - wechsel

Herr Rasputin leidet seit langem an Stoffwechselstörungen. Infolge seiner Nierenschwäche. Und durch das Spezialfutter, das er bekommt zur Entlastung der kranken Nieren. Sie können nicht mehr alle Gifte ausscheiden. Deshalb werden ihm weniger zugeführt. Weniger Phosphor, weniger Proteine. Das ist auf die Dauer keine ausgeglichene Kost! Er ist zudem oft appetitlos und entsprechend mager. Aber er ist noch nie ins Koma gefallen. Die Regenbogenzeit hat begonnen. Es regnet und die Sonne scheint in einem fort.

Freitag, 21. August 2020

zettel - wirtschaft

Ich reibe mir ungläubig die Augen. Wir werden aufgefordert, eine App auf unsere Smartphones zu laden, die ständig stänkert und nie richtig funktioniert. Unter anderem auch deshalb, sagen die Spezialisten, weil sie zu wenig Menschen installiert haben. Ich gehöre zu denen, die dieses schwachbrüstige Überwachungsinstrument längst entnervt wieder deinstallierten. Und dann füllen Hunderttausende von Traumstrand- und Risokogebietrückkehrern bei der Wieder-Einreise am Flughafen (oder noch im Flugzeug beim Landeanflug auf wackliger Unterlage) oder am Hauptbahnhof, an der Autobahn (wo sind die ehemaligen Kontrollstellen geblieben?) in die Heimat mit Kugelschreiber oder Bleistift, was gerade zur Hand ist, Zettel aus. Die müssen dann sortiert werden und Kistenweise den zuständigen Ämtern übergeben. Natürlich ist heutzutage niemand mehr Papierflut und Handschrift gewachsen. Wo lebe ich eigentlich? In Dithmarschen - auf der Insel der Glückseligen!

Donnerstag, 20. August 2020

regen - schwimmen

Zum ersten Mal in diesem Jahr fahre ich mit H zum Deich im Regen. Er ist warm wie das Wasser. Das Wasser ist wild wie der Wind. Der Regen fällt sanft wie das Erwachen. Der Deich ist fast leer. 

Endlich ist es wieder so, wie es immer ist im Sommer an der Nordsee.

Mittwoch, 19. August 2020

neu - mond

Die Sonne geht bereits deutlich nach 6 Uhr auf (und deutlich vor 21 Uhr unter). Hoffnungsvoll fahre ich in die Feldmark. Der Kater wollte nicht mit vor die Tür. Er schläft seit neuestem auf meinem Kopfkissen. Und ich daneben ohne Kissen. Er ist, glaube ich, auf seine Zielgerade eingebogen. Ich weiss nur nicht, wie lange die ist. Mich empfängt draußen meterhoher Nebel. Gefühlt bis in den Himmel. Keine Sonne, keinen Dom, keine Kühe sehe ich, die Hand nicht vor dem Mund oder den Augen und ich fürchte, den einzigen Spaziergänger, der zu dieser Tageszeit immer schon unterwegs ist mit einer Wasserflasche, aus Versehen zu überfahren. Aber ein Reh springt vor mir her und warnt ihn. Der Mond war leer um 04:41 Uhr. Er nimmt nun bereits wieder zu und ist deshalb neu zu nennen.

Dienstag, 18. August 2020

ja - nein

Ein Hin und Her an Gedanken. Worten. Und Taten. Ich kaufe Fliegengitter für drei Fenster. Für das Küchenfenster finde ich eines originalverpackt bei meinem Putzzeug. Gekauft im letzten Jahr. Zum Ausprobieren. Also probierte ich es aus und staune, wie einfach das geht. Also werden nun zum Sommerende noch drei weitere angebracht. Ich bestelle einen Staubsauger bei einer Firma, von der ich bereits eine Bohrmaschine und eine Heckenschere besitze. Ich bestelle eine neue Küche, bzw einen Menschen, der mir eine einbauen kann. Was noch? Ich fahre rechtzeitig an die Meldorfer Bucht. Es läuft viel Wasser auf.

Montag, 17. August 2020

hate - speech

heit - spitsch. Wochenstart. Schulstart. Vokabellernen: doodeln, helikoptern, flugschämen. Die neuen Wörter im Duden sind diskriminierungsfrei, gendersensibel und fremsprachenfreundlich. Zum Beispiel das Gendersternchen - im Gegensatz zu Diven und anderen Sterchen, der Genderstern und der Asterisk, die Asteriske (nein, nicht Asterix). Oder Fridays for Future (wird übersetzt zu Freitage für die Zukunft) im Gegensatz zu Schulschwänzen oder Blue Monday (fehlt im Duden). Warum hate speech Eingang in den Duden findet - natürlich in deutscher Recht-, Groß- und Zusammenschreibung: Hatespeech - neben Hasskommentar und anderen Hass-Komposita wie Hasstirade, Hassbotschaft oder Hassgesang, ja sogar Hassrede ist bereits im Duden drin, seit langem, kommt mir spanisch vor. Die Bibel sagt "Hass erregt Hader" (Sprüche 10,12). Auch Hader findet sich im Duden, noch. Als "gehoben veraltend", sprich auf dem Weg aus dem Duden hinaus. Dafür wurde nun heit spitsch in den Duden gehievt, obwohl wir dort die deutsche Hassrede mit Erklärung finden: "Hass verbreitende Art des Sprechens oder Schreibens". Die Wettervorhersage sagt, dass der letzte Hitzetag am Wattenmeer angebrochen ist. Hochwasser um Elf, Weg zum Deich umweltverträglich zu dritt in einem Auto. Monday for sea (foresee).

Sonntag, 16. August 2020

moll - dur

Auch die Musik kennt Geschlechter. Tongeschlechter. Wer weist sie zu? Der Schöpfer natürlich, oder die Schöpferin. Anders als im Himmel gibt es in der Musik Komponistinnen und Komponisten, Virtuosinnen und Virtuosen, Künstlerinnen und Künstler. Und sie setzen in ihren Werken Schritte, Ganz- und Halbtonschritte. Je nach dem, wie die Leitern verlaufen, die Harmonien sich finden oder in Disharmonien enden, wird daraus Dur von durus, dura, drum - hart und herb wie männlich oder Moll von mollig, mollis, molle - weich, sanft und mild wie weiblich. Dur ist eher heiter und fröhlich (der saufende Vater), Moll eher traurig und von Schmerz erfüllt (die seufzende Mutter). Ganz schön stereo-typ!

Manche sprechen lieber von Tonvorräten - statt Tongeschlechtern. Denn Vorräte sind gleichberechtigt. Jeder Tonvorrat besteht aus sieben Tönen und basiert auf einem Grundton. Moll und Dur unterscheiden sich nur in der Lage der Halb- und Ganztonschritte. Und natürlich im Ausdruck. Auch das ist wahr.

Ein weiterer Hitzetag steht bevor. 

Samstag, 15. August 2020

cis - trans

In Bayern, im Saarland und in einigen Kantonen der Schweiz sowie im Fölmliland ist heute Feiertag. Mariä Himmelfahrt. Dormitio. Die Entschlafung der heiligen Jungfrau Maria. Oder wie? Oder wer? Neu in den Duden aufgenommen wurde unter anderem das Wort Cisgender. In manchen - katholischen - Ländern ist allein das Wort "gender" ein feuerrotes Tuch, das den Stier im Mann in Wallung bringt. Aber sicher war die u.a. vom polnischen "heiligen" Papst tief verehrte Maria auch eine Cisgender, so wie ich und die meisten von uns und euch auch. Laut Duden bezeichnet Cisgender Menschen, "deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde." 

Von wem? Von wem wird bei der Geburt das Geschlecht "zugewiesen"? Vom lieben Gott höchstpersönlich (aber erst bei der Geburt? ist das nicht etwas verspätet? Darüber, ab wann ein Menschenskind Menschenskind ist, streiten sich katholische Politiker und Hierarchen vortrefflich)? Wer hält das Neugeborene als erste/r in der Hand und übt diesen Gewaltsakt von Geschlechtsbestimmung aus? Die Hebamme? Oder doch der Himmel, Gottvater und seine Heerscharen seiner (wohlbemerkt: stets männlichen) Schutzengel? Die Geburtsklinik? Das Standesamt? Oder vielleicht die leibliche Mutter? Der leibliche Vater? Und wie war das dort im Stall? Maria wurde bereits am ersten Tag ihrer unbefleckten Empfängnis-Schwangerschaft das Geschlecht des Kindes mitgeteilt. Vom Erzengel Gabriel. Einem gestandenen Mann!

Wie auch immer. Cisgender steht im Duden im Gegensatz zu Transgender, was wiederum die LGB (auch ein Wort, das die Gemüter im katholischsten aller katholischen Länder erhitzt) auf die Palme bringt, weil "cis" = diesseits im Gegensatz zu "trans" = jenseits nicht wirklich Klarheit schafft. Geschweige denn Grenzen oder Ausgrenzung aufhebt. Die Geschlechtsidentität sagt ja beileibe (!) noch gar nichts aus über sexuelle Orientierung oder Vorliebe. Woher soll der Familienbucheintrag wissen, ob da gerade ein*e homo oder hetero, cis oder trans, bi oder inter ins gleißende Licht der Welt gestoßen wurde?

Freitag, 14. August 2020

gelb - grün

Gelbgrün ist das Sonnenblumenfeld an der Bürgerweide erblüht. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen. Gleichzeitig ist der Mais im Osten in die Höhe geschossenauf den Sonnenaufgange. Ich muss bis fast nach Hesel fahren, um den Tagesanfang zu erleben. Laut Duden könnte ich mich darüber gelb-und-grün-ärgen. Ich ärgerte mich bisher nur grün-und-blau. Grün, gelb und blau sind Nachbarn auf dem Farbenkreis und können als Intensivierung verstanden werden. Aber natürlich haben die Farben auch mit windelweichschlagen zu tun, mit Hämatomen, blauen Flecken auf der Haut, die über grün zu gelb verblassen. Die Sonnenblumen aber werden braun und trocken, starr, vor Schreck über den Farbwechsel, wenn sie denn mal verblühen sollten.

Donnerstag, 13. August 2020

schwarz - weiß

Schwarz-weiß-Maler gelten gemeinhin als Pessimisten und Panikmacher, bestenfalls als geistige Brandstifter, Alles-oder-Nichts-Denker, die die Welt nur in Extremen erfassen und weder Schattierungen, Grautöne noch Buntes zulassen. zB so: https://www.queer.de/detail.php?article_id=36711

Schwarz-weiß-Seher hingegen sind krank und nehmen aufgrund von gleich mehreren Gendefekten die Welt nur in Grautönen wahr. Sie sehen keine Farben, leiden an überhöhter Lichtempfindlichkeit und sind im hellen Sonnenschein fast blind. Achromatopsie heißt der medizinische Fachbegriff.

Eine Schwarz-Weiß-Grenze kennt nur das vergletscherte Hochgebirge. Es ist die Grenze zwischen kahlem Stein oder Fels und mit Schnee oder Eis bedeckten Oberflächen. Diese Grenze ist höchst gefährlich und aktiv, hier wird die Frostverwitterung begünstigt und die Frostsprengung verstärkt. Da bleibt nach intensiver Sonneneinstrahlung in der folgenden Nacht kein Stein auf dem anderen.

Mittwoch, 12. August 2020

vorher - nachher

Es gibt immer ein vorher und ein nachher, aber nicht immer fällt das, was dazwischen ist - das jetzt? die Gegenwart? unser Leben? - auf. Die Direktheit, mit der die Tierärztin  "jederzeit" und "kurzfristig" den finalen Termin für Herrn Rasputin anbietet, ernüchtert mich am Nachmittag. Am Abend fahre ich nicht zum Deich, weil es mir um 18 Uhr immer noch zu heiß scheint. Kurz vor Mitternacht beschließe ich, leicht verzweifelt, mich im Garten unter die Sterne zu legen, da der Kater noch aushäusig ist.

Dienstag, 11. August 2020

voll - leer

So voll wie am Wochenende habe ich den für den Badebetrieb von Schafen freigehaltenen Deichabschnitt in Elpersbüttel noch nie gesehen. Die "Angezogenen" (= Textilbadende) mussten zu den "Ausgezogenen" (= Nacktbadende) ausweichen - obwohl ihnen eh schon der größte Teil des Grasstrandes zur Verfügung steht. Aber sonst hätte wohl die Meldorfer Bucht wegen Überfüllung und Nicht-Einhalten-Könnens der AHA-Regeln (Abstand, Hustenhygiene, Alltagsmaske) geräumt worden müssen. Interessant ist, dass es die Nudisten nicht stört, neben Nichtnudisten zu liegen, oder zu schwimmen. Umgekehrt aber schon. Als bei uns Texttillosen ein paar Tage die Dusche infolge Vandalismus nicht in Betrieb war, wollten uns die Badehosenhelden um nichts in der Welt bei sich die Füße waschen lassen.

Montag, 10. August 2020

digital - analog

Überall werden wir mittlerweile aufgefordert, mit Karte zu bezahlen. Angeblich aus hygienischen Gründen. Sogar ich habe mir angewöhnt, meine Karte nicht mehr am Geldautomaten einzusetzen, sondern direkt an der Kasse, wenn ich Futter für den Kater kaufe oder Biomilch aus Witzwort für mich. Beim Tierarzt hängt ein Zettel, dass Kartenzahlung erst ab einem Mindestrechnungsbetrag möglich sei. Beim Zahnart werden die Patienten gebeten, geringe Beträge bar zu entrichten. Lange vor der Pandemie redete mir ein guter Freund zu, zu einem sicheren Messengerdienst zu wechseln. Für Sicherheit muss Mann und Frau aber bezahlen. Dazu wäre ich sogar bereit gewesen, der Betrag war gering genug. Das Problem bestand in der Zahlweise. Es wurde (warum wohl?) nur Bezahlung über Kreditkarte akzeptiert. Ich besitze seit langem bewusst keine Kreditkarte mehr. Wenn ich mir also erneut eine Kreditkarte anschaffe, nur um einen bombensicheren Kommunikationsweg zu beschreiten, gebe ich wahrscheinlich mehr persönliche Daten preis, als wenn ich über bekannt offene Kanäle mich mit H. zum Schwimmen verabrede oder A. mitteile, dass der Kater gerade Ausgang hat. Zahlungsschmerz nennen die Fachleute das, was man den Konsumenten durch mobile Geldbörsen abgewöhnen will. Das analoge Bezahlen mit Bargeld ist physisch erfahrbar und zeigt den Verlust sofort an. Schmerz eben. Man gibt große Scheine her, klaubt sie umständlich aus dem Portemonnaie aus der Gesäßtasche oder Handtasche, und bekommt bestenfalls ein paar lächerliche Centstücke zurück, die man zu Hause hortet, um wieder Platz im Gesäß oder der Hand zu gewinnen. Je transparenter der Bezahlvorgang, desto schmervoller. Kartenzahlung gibt den Banken nebst Gebühren unendlich viel Macht. Sie können unser Kaufverhalten - wann, wo, wieviel - einsehen, analysieren, vermarkten, verkaufen. Die Konsumenten lassen sich so im Handumdrehen manipulieren und wirtschaftlich "auspressen".  Die Abschaffung des Bargelds, der letzten Bastion des Zeigefingergerechten selbstgeisselnden Geldausgebens, sagt einer, der es wissen muss, sei der "Weg in die digitale Knechtschaft."

Sonntag, 9. August 2020

blau - zahn

Wahrscheinlich blamiere ich mich mit diesem Post vor aller Welt - blamieren ist etymologisch tatsächlich mit Blasphemie verwandt, und das macht die Sache nicht besser! Ich wusste nicht, dass das Logo von bluetooth - das nun in aller Munde, Augen und Ohren ist, spätestens seit Corona und allen damit verbundenen Kontroll-Apps - eine Binderune ist. Hand aufs Herz, wer von Euch weiß, was eine Binderune ist? Die Verbindung von zwei Runen. Und ich wusste nicht, dass der Name bluetooth tatsächlich auf den dänischen König Harald "Blauzahn" Gormsson zurückgeht. Also den Sohn von Gorm, dem Alten und seiner Frau Thyra, der vielleicht einen toten Zahn im Mund hatte, der sich dunkel verfärbte oder aus anderem Grunde den Beinahmen Blauzahn bekam, der nun in aller Hände ist und sich vor allem in seinem Monogramm niederschlägt. König Harald einigte und christianisierte Dänemark und Norwegen im 10. Jahrhundert. Ich habe seinen "Taufstein" in Jelling Tausend Jahre später besucht und befinde mich derzeit an meinem Schreibtisch auf einer virtuellen Reise zum sagenhaften Skagener Licht. Die Binderune, das bluetooth-logo, verbindet die Initialen Harald Blauzahns, Hagall (ᚼ) und Bjarkan (ᛒ). Das könnt Ihr auf Eurem händi überprüfen und ist nichts als die Wahrheit.

Samstag, 8. August 2020

nebligtrüb - blutrot

Die kühlste Stunde des Tages ist vor Sonnenaufgang. In der Feldmark liegen die Morgennebel und ich sichere mir das erste und einzige Frösteln des Tages! Was für ein wunderbares Gefühl! Kein Mensch weit und breit! Und dann steigt die Sonne blutrot über eine imaginierte oder tatsächliche Waldgrenze am Kanal im Ostnordosten. Ich kann aus Rücksicht auf meinen Mitbewohner, der aus gesundheitlichen Gründen Hausarrest hat, nicht im Garten schlafen. Aber ich kann pendeln in die Feldmark von Sonnenuntergang zu Sonnenaufgang.

Freitag, 7. August 2020

wahr - unwahr

Natürlich war ich gestern schwimmen. Natürlich hab ich gestern Kuchen gebacken. Manche mögens heiß. Natürlich ist längst nicht alles wahr, was ich hier schreibe. Ich kann es nicht oft genug betonen. Trotzdem neigen viele Lesende lieber dazu, an das geschriebene Wort zu glauben. Das ist einfach einfacher. Natürlich hat mich gestern der aushäusige Kater wieder auf Trab gehalten, so sehr, dass ich mir überlegen muss, wie unser Zusammenleben weitergeht. Heute fahre ich nicht zum Deich, weil ich die Strecke bei der Hitze nicht überleben würde. Heute treten wir, mein Kater und ich tatsächlich nicht vor die Tür. Denn auch er, der untergewichtige, urämische Untermieter würde seine stundenlangen Streifzüge durch die Gärten der Nachbarn nicht überleben. Sondern verdursten. Austrocknen. Verlorengehen. Ich halte zu unser beider Wohl alle Türen und Fenster geschlossen. Aber mein gezähmtes Haustier ist eine ständige Herausforderung. Es ist ihm tatsächlich im Laufe des heißen Tages mehrmals gelungen, unauffindbar im Innern des Hauses zu verschwinden und nicht auf meine Lockungen, schmeichelnden Rufe, mit oder ohne Futter zu reagieren. Herr Rasputin ist stinksauer, dass seine Klappe zu ist.

Donnerstag, 6. August 2020

schnell - langsam

Ich tauche plötzlich ab und ein ins letzte Jahr des letzten Jahrhunderts. Das mag nun in der Zeitrechnung des Universums korrekt sein oder nicht, spielt keine Rolle. Wichtig ist das Tempo, nicht die Distanz. Aus heutiger Sicht scheint mir jenes Jahr vollgepackt gewesen und in Windeseile vergangen - und vergessen! jenes Fußbad so mutterseelenallein, an einem Ort, an dem heute niemand mehr alleine seine Füße badet oder fotografiert. Damals hatte ich nicht die leiseste Ahnung, dass ich einst unweit der südlichen Grenze Dänemarks leben, die Meldorfer Bucht lieben und im Dithmarscher Watt auf der Stelle treten werde. Heute aber gehe ich nicht einmal vor die Tür. So heiß ist es. Die Luft brennt auf der Haut.

Mittwoch, 5. August 2020

oben - unten

Ich steige auf den Dachboden. Ich räume auf. Trage Dinge nach oben, die noch nicht nach unten können. Unten ist die Ebenerdigkeit. Dort stehen, draußen, im Schatten des Hauses und der Blutpflaume, die Mülltonnen. Einen Keller gibt es zum Glück nicht. Aufräumen - dieses nach oben oder unten tragen von Dingen - ist so etwas wie das Auffüllen von Zwiespalten. Der Blick in Abgründe. In längst Vergessenes. Natürlich bin ich auch auf der Suche. Das ist die Zwiespältigkeit. Ich möchte wissen, wann ich in Grenen am Strand entlang lief bis zum nordöstlichsten Punkt Dänemarks, wann ich im Badeanzug ganz allein dort im Wasser stand, wo die Wellen der Nordsee von der einen Seite an die Wellen der Ostsee von der anderen Seite schlagen, ohne sich zu vermischen.

Dienstag, 4. August 2020

heiß - kalt

Das Leben in Quarantäne ist schwierig. Vor allem an einem heißen Sommertag. Vielleicht ist es auch Hausarrest. Oder Ausgehverbot. Solange mein nierenkranker Kater den Eingang durch die Katzenklappe nicht mehr findet oder - aus welchen Gründen auch immer! - nicht mehr benützen mag, steht ihm diese kleine quadratische Öffnung auch nicht mehr als Ausgang zur Verfügung. So einfach ist die Logik der Menschen. Aber Herr Rasputin ist kein Mensch und schaut mich herzerweichend vorwurfsvoll an. Ich tröste ihn den halben Tag und fahre eine Stunde zu spät an den Deich. Aber es ist Springzeit und immer noch viel Wasser da. Viel Wolken, kaum Leute. Ich tröste ihn weiter die ganze Nacht hindurch. Leider weiß ich, wo dieses Drama enden wird - in meinem Garten! - und da läuft es mir kalt übern Rücken.

Montag, 3. August 2020

hell - dunkel

Ich kann leider Nachrichten nicht mehr hören, wie der Schulbeginn im Lande, in den Landen!, vonstatten gehen soll. Ich mag nicht einmal mehr das Wort Mund-und-Nasen-irgendwas hören, weil angeblich das Wort "Maske" geschützt ist. Oder Pflicht sei. Was auch immer. Ich habe zu beiden Seiten meines Grundstücks, im Süden und im Westen, Nachbarinnen, die gerade ein Kind einschulen. Auf den anderen beiden Seiten, im Westen und im Norden, führt zwei Straßen mit zwei Namen vorbei. Der Wind ist den ganzen Tag scharf und kalt. Ich ware trotzdem im Wasser. Am Deich kein Verweilen. Der Mond wird am Abend voll. Die Sonne geht später unter. Der Himmel färbt sich blutrot und der Mond lässt wie immer auf sich warten und verwandelt dann doch die Nacht zum Tag.

Sonntag, 2. August 2020

laut - leise

Bei uns am Wattenmeer geht es gesittet zu und her. Wenig Leute am Deich, aber fast alle davon im Wasser. Die Dusche am FKK-Strandabschnitt ist wieder montiert und funktioniert. Aus der Schweiz höre ich Echos wie vom Krieg, der die ganze Nacht getobt habe. Das ist wie alles andere auch: selbstgemacht, selbstgewollt, selbstbestimmt. 

Samstag, 1. August 2020

innen - außen

Der erste August. Nationalfeiertag der Schweiz. Der Schweizerinnen. Der Schweizer. Beim Einsingen um Neun (made in switzerland, täglich live - ein echtes Schweizer Qualitätsprodukt) wird natürlich die Nationalhymne angestimmt. Ich habe sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesungen. Tröte hier bei offenen Fenstern voller Inbrunst von den frommen Schweizern und eile danach hinaus in die Welt, ans Meer. Kater bleibt derweil drinnen. Es gelten ab sofort strenge Regeln im Hause Arlt. Ich draußen - er drinnen. Ich drinnen - er draußen.