Donnerstag, 31. August 2017

erfolgt

Mission completed. Ich fahre ein letztes Mal zum Abendschwimmen, zum Sonnenuntergangsschwimmen. Bin Mutterseelenallein. Das Wasser ist gnädig und sanft, wärmer als die Luft. Die Rückfahrt ist kalt. Sobald die Sonne weg ist, wird es tatsächlich Herbst. Der Himmel tröstet über das Wetter, bunt aufgetürmt und mehrschichtig. Was Wolken ausmachen! Nächstes Jahr fahre ich mit Bleistift und Papier zum Schwimmen, nehme ich mir vor, und schreibe ein Horizonttagebuch. Das Licht am Fahrrad funktioniert, ich habe es den ganzen Sommer über nie gebraucht. Der Abpfiff dieser entsetzlichen Präfixsammlung erfolgt kurz vor Mitternacht. Ich schlafe dann schon, mir sitzt das Fieber der Nordsee im Blut, in den Füßen, in den Waden, auf der Brust, in den Armen und im Kopf.

Mittwoch, 30. August 2017

erheischen

Ästhetisch erbauender als das Buddeln nach Eisbergen in Krankenhausarchiven und auf Friedhöfen ist das erhaschen, ersuchen, erspüren, ergreifen, errichten des Verschwindens. Die kreative Sicht auf Naturereignisse. Darüber berichtete ich bereits am 29.11.16 http://amwattenmeer.blogspot.de/search?q=glacier. Julia Calfees Requiem für den Läntagletscher. Auch im Graubünden. Aber etwa 50 km Luftlinie nordwestlich vom Pizzo Cengalo. Das von Julia Calfee gespeicherte Tröpfeln des Gletschereises ist nicht verantwortlich für den jüngsten Bergsturz über Bondo.
Es gibt weltweit mittlerweile Versuche, das Verschwinden der Gletscher zu beweinen. So wie die Barockdichter den Tod ihrer Kinder beweinten, beschwören heute Ton- und Bildkünstler die Veränderung eines Aggregatzustandes, das Tauen! Zum Beispiel Paul Walde: Requiem for a Glacier https://www.indiegogo.com/projects/requiem-for-a-glacier#/
Oder das Ensemble Tétraflûtes: Gletscher-Requiem - Requiem des glaciers
https://vimeo.com/201130259
Hier eine Vorankündigung, wer einen der beschränkten Plätze im Luzerner Gletschergarten ergattern will, kann sich heute schon anmelden:

Ein Klagelied des schmelzenden Gletschers.
Ein Multimediales Konzert mit dem Ensemble Tétraflûtes:
Dienstag, 21. November 2017 um 18:30 Uhr im Gletschergarten Luzern.
Werke von: Andreas Zurbriggen, Doina Rotaru, Dorothea Hofmann, Dai Fujikura, Joseph Lauber
Videoproduktion: Stephan Hermann
Ausführende: Ensemble Tétraflûtes
Platzzahl beschränkt, Anmeldung empfohlen. Alle Informationen im Überblick finden Sie im Flyer Gletscher-Requiem (PDF)

Dienstag, 29. August 2017

enthemmt

Gestern Nachmittag traf eine mail von "guestbooking" der DW, englischer Dienst mit dem Betreff "Television Interview Request August 28th, 2107" ein. Zukunftsvision? Nein. Jahreszahlendreher. Corey schreibt: "I am looking for the daughter in law of one or the murdered patients of Niels H."
Als erstes googelte ich Niels H., den ich leider kenne, mit dem ich aber nichts zu tun habe. Tatsächlich gab es am Vormittag eine Pressekonferenz, auf der "die Spitze des Eisberges" - 84 bis 90, je nach Quelle, von Niels H. getötete Patienten - präsentiert wurde. So etwas re-aktiviert, re-elektrisiert die gefräßige Presse immer sofort (siehe zB hier: http://www.tagesspiegel.de/politik/niels-h-soll-90-patienten-getoetet-haben-der-totmacher/20250326.html).
Als zweites antwortete ich Corey: "My father-in-law has been murdered by Irene B.", und verwies auf mein Buch.
Machen Sprache, Geschlecht, Buchstaben und Initialen irgendeinen Unterschied? Nein. Eisbergspitzen gibt es überall. Man muss sie nur erkennen wollen. Genauso wie das enthemmte Töten in Kliniken an sich. Das Krankenhaus ist der perfekte Tatort der neuesten Neuzeit.
Corey ließ nicht locker. Er oder sie (als drittes googelte ich ein zweites Mal: ich wollte wissen, ob Corey ein Frauen- oder Männervorname ist - ich traue aber getreu meinem angeborenen und dankt "dieser Sache" übersteigerten Misstrauen dem Ergebnis nicht) wollte mich tatsächlich am Abend im Berliner Studio der DW an der Voltastraße haben.
Als viertes antwortete ich Corey ein zweites (und letztes, wie ich mir fest vornahm) Mal: "I'm living by the Wadden Sea, about 400 km from Berlin and this evening, during your English shows, I must swim at high tide".

Da wir hier nicht immer Wasser im Meer haben, richtet sich mein Leben seit zehn Jahren nach der Tide. Das ist meine einzige kleine Freiheit, die ich aus "dieser Sache" (wie der Vorsitzende Richter im Honeckersaal des Berliner Amtsgerichts während des Prozesses gegen Irene B. zu sagen pflegte) gewonnen habe.

Montag, 28. August 2017

Sonntag, 27. August 2017

entgletschern

Die ganze Nordflanke des Piz Kesch im Engadin ist heute entgletschert, sagen die Schweizer Permafrostforscher, und dies sei einer der Gründe für den Bergsturz 2014 gewesen. Gleichzeitig betonen sie aber, dahinter stehe genauso wie aktuell am Piz Cengalo, eine "mehrere tausend Jahre lange Entwicklung, die durch vorstoßende und abschmelzende Gletscher geprägt" sei. Irgendwann kommt jede Entwicklung zu ihrem Finale. Irgendwann ist die Entgletscherung vollzogen. Es gibt derzeit Felsbewegungen in der Moosfluh an der Flanke zum Aletschgletscher. In der Ostflanke am Jungfraujoch steigen die Permafrosttemperaturen. Beobachtet werden u.a. ständig das Matterhorn, der Schafberg bei Pontresina, der Gemsstock bei Andermatt und der Kärpf in meinem herrlichheimatlichen Glarus! Deutsche Experten sagen voraus, dass bis zum Jahr 2080 der Permafrost auf der Zugspitze verschwunden sein könnte.
Permafrost wird gefährlich ab einer Temperatur von -1,5°. Darunter kittet er den Fels, darüber löst er ihn auf. Ironie des Schicksals: Südhänge sind heute stabiler, da es dort immer schon weniger Permafrost gab. Das SLF in Davos hat eine "Permafrosthinweiskarte" erstellt, die aber wenig aussagekräftig ist, da sie auf bloßen Vermutungen basiert, weil die Untergrundtemperaturen sich ständig verändern. Eine "zuverlässige Fels-Stabilitäts-Karte herzustellen" sei ein Ding der Unmöglichkeit, sagen die Davoser Schnee- und Lawinenforscher.
Wir wissen es aus anderen Bereichen des Lebens: absolute Sicherheit gibt es nicht. Soweit das Wort zum heutigen Sonntag.

Samstag, 26. August 2017

entgeistert

Als ich vor ungefähr genau einem Jahr auf Hooge aus meinem Mammutmanuskript las, unterbrach mich mittendrin ziemlich rüde eine seit einigen Jahren auf Hooge residierende Frau. Sie fand, und drückte das auch unverblümt entgeistert so aus, was sie höre, sei "so" oder "zu" "bedrohlich". Daraufhin entspann sich erfreulicherweise eine fruchtbare Diskussion über die Aufgabe von Literatur oder Kunst überhaupt. U.a. wurde ich bzw. mein Text verteidigt von zwei zufällig auf der Hallig anwesenden Schweizer Gästen. Und der australischen Erzieherin.
Was dieser Tage in Bondo im graubündnernisch-malerischen Bergell (siehe zB hier: Bericht von gestern https://www.nzz.ch/panorama/kurzmeldungen/felssturz-im-bergell-erneuter-erdrutsch-in-bondo-ld.1312746) passiert, ist ungefähr das, was ich beschreibe: ins Tal purzelnde Dreitausender. Fürs Wattenmeer habe ich entsprechende Wasservisionen. So what?
Heute: Hafenfest im Meldorfer Speicherkoog im Rahmen der Nationalparkwoche bei idealen Wetterbedingungen. Fast windstill, die Flut läuft erst am Nachmittag auf, auch heute wieder mindestens einen halben Meter über MHW, dh die Zeit zum Schwimmen verlängert sich insgesamt um eine gute Stunde, nach meiner Prognose steht man und frau am Badestrand Elpersbüttel von 15 bis 18 Uhr brusthoch in der Nordsee!
10:00 Uhr Wattwanderung
14:00 Uhr Hafenfest für groß und klein
ab 18:30 STAY live
https://www.nordseetourismus.de/veranstaltungen/meldorf/e-meldorfer-hafenfest

Freitag, 25. August 2017

entmannen

Der Westwind ist so stark, dass das Wasser über die Badetreppe aufläuft. Schwimmen ist schwierig bei dem Wellengang, aber schaukeln schön. Zum Präfix ent- entbietet der Duden ungefähr zwei Kilometer Erklärungen. Ich zitiere hier nur die erste: "ent-: 1. drückt in Bildungen mit Verben aus, dass etwas wieder rückgängig gemacht, in den Ausgangszustand zurückgeführt wird." Punkt. Als Beispiele nennt er dazu die Alltagsverben (Hand aufs Herz, wer benützt sie nicht täglich? mein Rechtschreibprogramm hingegen beanstandet sie alle drei!) "entbürokratisieren, entnuklearisieren, entproblematisieren." Wer selbst nachlesen will, bitte hier: http://www.duden.de/rechtschreibung/ent__befreien_von
Natürlich sind heute nur Frauen ohne Männer (= entmannte Weiber?) am Badestrand Elpersbüttel anzutreffen. Und ich bin die Jüngste.

Donnerstag, 24. August 2017

entfesselt

Wenn Felsen weinen. Entfesselte Natur - Murgang, Bergsturz, Erdbeben der Stärke 3,0 am Piz Cengalo über Bondo, Graubünden:
http://www.n-tv.de/panorama/Acht-Menschen-nach-Bergrutsch-vermisst-article19999221.html
https://www.youtube.com/watch?v=tsrL1p5oxDA
Bondo before - after: https://www.youtube.com/watch?v=Ar-1KhbexvU
Die Arbeitsgruppe Naturgefahren des Kantons Bern berichet: "Wenn sich der Permafrost im Felsen zurückbildet, werden neue Trennlinien aktiv. Wenn sich Gestein ablöst, gibt es neue Fließwege für Wasser und neue Druckverhältnisse, die den Fels zusätzlich destabilisieren." Die Bürgermeisterin von Bondo sagt, die Wassermassen haben alle überrascht. Niemand habe mit soviel Wasser gerechnet, das vier Millionen Kubikmeter Gestein ins Tal geleitet. Eine weitere Million Kubikmeter Fels ist noch am Berg in Bewegung.  

Mittwoch, 23. August 2017

ermahnen

Ermahnen ist im Gegensatz zu ermannen ein weibliches Verb. Wer wagte es schon, sich als Frau zu ermannen. Ermahnen hin gegen gehört zum täglichen Brot der armen Mütter und Hausfrauen. Und ist meist kaum von dem Erfolg beschieden, den der Duden der er-Vorsilbe zuschreibt.
Heute aber ein anderes Beispiel: ein Ü-60-Sohn ermahnte seine Ü-80-Mutter, sie solle beim Baden aufpassen, die Strömung sei so stark, dass sie sie bis Büsum abtreiben könnte. Mir U-60 erzählte die Ü-80 es lachend im Wasser. Wir treffen uns seit zwei Monaten täglich beim schwimmen. Der besorgte Sohn hingegen ist ein Schönwetternachmittagsgast am Deich.

Dienstag, 22. August 2017

ermannen

Ich schlage im Duden nach, was die Vorsilbe "er-" bei der Bildung von Verben eigentlich bedeutet. Ich ersuche die Sprache, mir ihr Bauprinzip zu erklären. So wie andere sich den Prinzipien eines Baumarktes ergeben und seine Bauklötzchen mitsamt Bauanleitung erwerben. Oder wiederum andere (vielleicht auch dieselben) dem Fernsehprogramm das Recht erteilen, die Gestaltungshoheit über ihre Freizeit zu erlangen. Lauter er-Verben.
 "er-" sagt also der Duden knapp und prägnant "drückt in Bildungen mit Verben aus, dass etw. erfolgreich abgeschlossen wird, zum gewünschten Erfolg führt, dass jmd. eine Sache bekommt, erreicht: ersingen, erspurten, sich erklatschen."
Hmm. Und was ist mit erahnen? ersehnen? erhoffen? Oder was passiert, wenn ich in dem oben aus dem Duden zitierten Satz den "gewünschten Erfolg" zum erwünschten Erfolg mache? Ist er dann genauso sicher? oder sogar sicherer? Kann oder muss der Duden das auch erwähnen? Muss er meine Eigendynamik (die Ermannung, das Sichselbstermannen) nur erdulden, oder auch erlauben?
Letzteres führt mich zur Vorsilbe "ent-" und meinem Sprachspiel des laufenden Monats: warum bedeutet erlauben etwas ganz anderes als entlauben? Genauso zB erlassen - entlassen, oder eben ermannen - entmannen?

Montag, 21. August 2017

noch einmal: Mahnwache in Meldorf

18:00-18:30 Meldorf, Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg 

und wieder: Neumond am Abend, der nicht zu sehen ist. Und eine totale Sonnenfinsternis, die bei uns auch nicht zu sehen ist. Am besten zu beobachten ist ihr maximaler Punkt um 18:25:32 (UTC) in Hopkinsville, Kentucky, USA.

Sonntag, 20. August 2017

Entsetzen

Das Entsetzen ist immer riesengroß. Heute früh liquidierte ich als erstes mit einem Tastendruck die Arbeit von zwei Wochen. Und da ich nicht linear schreibe, von A nach Z, sondern Wildwuchs betreibe am und im Text, ist das eine mittlere bis größere Katastrophe. In der Panik reagierte ich völlig verkehrt und schloss die Datei (in der Hoffnung, die Änderung sei noch nicht gespeichert - sie waren es aber, warum verstehe ich nicht), statt zu versuchen, den Schritt oder die Schritte rückgängig zu machen. Seither bin ich mehr oder weniger gelähmt. Starre fassungslos in den Regen und frage mich, wozu das gut ist. Für den flow, den besseren drive? Als ob ich jedes zerstreute und hinterwäldlerischste Wort nun in einem glatten Tortenguss rekonstruieren könnte. Oder aus dem Ärmel schütteln, den ich im Sommer nicht trage.

Samstag, 19. August 2017

erfrischt

Auch in Berlin und auf Maui gibt es Geburtstagskinder. All the very best, Rosy! Fresh surf from the Badewannenmeer!

Freitag, 18. August 2017

erfreut

Zum Fünfundneunzigsten Glückwünsche ins Fölmliland! Alles Gute, Gesundheit und frohe Stunden. Auf dass täglich der aufrechte Gang weitergeht im Reich der Schuhmacherinnen.

Donnerstag, 17. August 2017

ersetzen

Natürlich kann heutzutage alles ersetzt werden. Alles ist Ersatz und Versatz oder alternativ Müll und Schrott. Brauche ich eine Hausratversicherung, die zB "Diebstahl von Sachen aus Kraftfahrzeugen" umfasst, wenn ich das Kraftfahrzeug, aus dem meine Sachen gestohlen werden könnten, gar nicht besitze? Brauche ich eine Versicherung für "Diebstahl von Sachen aus Krankenzimmern, am Arbeitsplatz, in der Schule, beim Studium oder im Umkleideräumen bei Sporteinrichtungen", wenn ich weder krank bin, noch einen Arbeitsplatz habe, noch studiere und beim Schwimmen an der Meldorfer Bucht keinen Umkleideraum vorfinde, sondern - wie alle anderen Frühschwimmerinnen - mich schnell entkleide und einen unordentlichen Haufen auf dem Deich hinterlasse? Brauche ich eine Versicherung für "Diebstahl von Kinderwagen" wenn ich weder Kinder noch Großkinder habe? Für "Diebstahl von Krankenfahrstühlen, Rollatoren und Gehgestellen", wenn ich noch gut zu Fuß oder zu Rad bin? Für "Räuberische Erpressung" (Himmelnochmal, wo leben wir?), "Trickdiebstahl" (was ist das denn?) oder "Gefriergutschäden bei Stromausfall", wo ich doch "Gefriergut" eher als Gefahrengut einschätze, denn als unersetzliches Gut und deshalb keine entsprechend stromfressende Truhe besitze, sondern es vorziehe, mir mein Essen täglich höchstselbst frisch zuzubereiten?

Mittwoch, 16. August 2017

entwischt

Eigentlich muss heute hier der Titel "ermordet" stehen. Vor elf Jahren wurde mein Schwiegervater ermordet. Entwischt passt aber genausogut, außerdem tönt es das gestrige erwischt klug ab. Der Kontext ist so wichtig wie der Subtext. Ein, zwei Buchstaben decodieren die Norm. Die zehn Gebote. Du sollst nicht töten. Die Mörderin wurde nicht gleich erwischt, sondern verließ die Klinik seelenruhig. Elf Jahre ist das nun her, ohne dass etwas anderes geworden wäre. Elf Jahre, seit sich eine Krankenschwester routiniert eines weiteren Patienten entledigte. Damit sie bei Dienstschluss ihr Tagessoll erledigt hatte, den Leichnam entfernt, das Zimmer entleert, das Bett erfrischt. Sie hatte Spätschicht. Es war früher Abend, so wie jetzt. Sie rechnete damit, dass sie, ehe sie nach Hause entwischen konnte, noch den Angehörigen die Hand reichen und ein Wort des Beileids aussprechen musste. Was sie selbstverständlich auch tat.
Ich fahre zum Deich, das Wasser läuft auf.

Dienstag, 15. August 2017

erwischt

Die Ameisen fliegen. Und Tausende Lach- oder Sturmmöwen. Über den Salzwiesen versuchen sie in wundersamen Kunstflügen mit vorgereckten Hälsen und in seltsamen Verrenkungen die Paarungsbereiten auf dem Hochzeitsflug zu erwischen. Und zu fressen. An der Vermehrung zu hindern. Den eigenen Hunger zu stillen. Wieviele Ameisen muss eine Möwe erwischen, um satt zu werden?
Wir baden kurz nach Sonnenaufgang auf der Höhe des Angelteichs. Und lassen uns auf dem Grasdeich trocknen. Kopulierende Jungköniginnen nutzen unsere Haut sofort als abwaschbare Unterlage. 

Montag, 14. August 2017

Sonntag, 13. August 2017

erhaben

Zur Erbauung meiner armen Seele lese ich auf dem Badewannenrand Josef Freiher von Eichendorff. Ahnung und Gegenwart. "So hatte auch heute Friedrich den ganzen Tee versalzen. Keiner konnte das künstlerische Weberschiffchen, das sonst, fein im Takte, so zarte ästhetische Abende wob, wieder in Gang bringen. Die meisten wurden mißlaunig, keiner konnte oder mochte, wie beim babylonischen Baue, des anderen Wortgepräng verstehen, und so beleidigte einer den anderen in der gänzlichen Verwirrung."

Samstag, 12. August 2017

enthoben

Im Mittelhochdeutschen bedeutete entheben befreien. Des Amtes enthoben oder von einer Aufgabe/Verpflichtung/Bedrohung (?) befreit. Der Nordsee enthoben. Niemand braucht hier übers Wasser gehen zu können. Ich sitze im Trockenen. Und warte, bis die Sonne aufgeht. In einer knapp 38 Quadratkilometergroßen Badewanne ohne Wasser. Ungefähr einen Meter unter Normalnull. Ein 8 Meter hoher Deich schützt mich und die andern vor dem natürlichen Untergang. Wenn ich baden will - es ist gerade Morgenhochwasser - muss ich über den Badewannenrand klettern.

Freitag, 11. August 2017

entfernt

Ich entferne mich (klingt absurd, ist aber grammatikalisch korrekt) und fahre auf die Insel, für die ich noch nicht reif bin. Meine Birnen faulen am Baum, eh sie reifen können. Schorf, sagt mein Gärtner des Vertrauens. Pilzsporen. Wahrscheinlich eine Folge der Witterung. Und empfiehlt: abpflücken und vernichten. Also auch entfernen.

Donnerstag, 10. August 2017

erschossen

Das war schon. Übrig bleiben Leichen. Berge. Dolche. Meuchelmörder. Die Niederungen der menschlichen Natur. Erschossen. Erdolcht. Erstickt. Erwürgt. Erdrosselt. Erhängt. Erledigt (war auch schon). Oder: verschossen. Farblos oder rot über beide Ohren. Oder geschossen. Das Foto. Verwackelt oder scharf. Mit Zoom gezielt. Das Zielfernrohr. Getroffen oder nicht. "Frank oder frei" - ging die Rede im GG, lese ich in einem furchtbaren Buch. Die Abrechnung von Niklas Frank mit seinem Vater. Jeden Tag eine halbe Stunde auf dem Deich nach dem Schwimmen. Zum Trocknen. Mehr geht nicht.

Dienstag, 8. August 2017

entrückt

Noch so ein Wort zum Verrücktwerden: entrückt. Abwesend. Gedankenverloren. Weltvergessen. Wohin en-trücken, ver-rücken, wenn der Himmel tatsächlich endlos ist und die Nordsee hoffnungslos zerwühlt?

Montag, 7. August 2017

entschieden: Meldorfer Mahnwache

18:00-18:30 Meldorf, Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg 

Danach wird der Mond voll und geht bei uns um 21:00 etwas "angeknabbert" auf, wie die Himmelsbeobachter voraussagen. Eine partielle Mondfinsternis findet statt, die leider auch bei klarem Himmel über Dithmarschen kaum zu sehen ist, da der Mond bei uns zu spät übern Horizont kommt. Um 21:18 tritt er bereits wieder aus dem Kernschatten der Erde, da steigt er gerade schräg vor meinem Fenster im Südosten über die Dächer der Nachbarn.
Die alles entscheidende Montagsfrage: Lohnt es sich, zum Sonnenuntergang resp. Mondaufgang an Deich fahren, um das schnelle Verschwinden eines Schattens am Himmel zu beobachten?

Sonntag, 6. August 2017

entledigt

Ich bin erledigt, aber nicht entledigt. Ich entledige mich einer Sache, eines Auftrags, meiner Sorgen usw. Meiner alten Schuhe oder einer von Läusen befallenen Zimmerpflanze.
Ich entledige mich eines Mitwissers oder einer Mitwisserin - oder ich erledige einen Mitwisser, eine Mitwisserin. Erfordert beides raffinierte, intrigante oder eben kriminelle Energie.
Bevor ich das Duell mit dem steifen Wind von West aufnehme, gucke ich in den  Duden: entledigen hat etymologisch tatsächlich mit ledig zu tun; erledigen is slightly different (if you know what I mean). Mittelhochdeutsch geht erledigen (= frei machen, in Freiheit setzen) ebenso wie entledigen (= frei machen) auf ledig zurück: einer Sache oder einer Person ledig sein = frei von etwas, besonders von Verantwortung oder von jemandem sein. Ledig sein oder bleiben. Jemanden seiner Sünden ledig sprechen. Usw.
mhd ledic ist etymologisch wahrscheinlich (sagt immer noch der Duden) verwandt mit Glied und bedeutet also eigentlich gelenkig. Flexibel würde man heute sagen. Ledig = flexibel. Es ist Zeit für mich und mein täglich Bad in der Nordsee.

Samstag, 5. August 2017

erledigt

Es gibt dumme und dümmere Sprüche. Deutschlernende haben den Vorteil, dass sie unbedarft an die ihnen fremde Sprache herangehen. Das geht anderen nicht anders mit anderen Sprachen. Risiken und Nebenwirkungen sind bekannt. Hier ein Paradebeispiel:
"Wenn man jemanden, der nicht verheiratet ist, ledig nennt, nennt man dann einen Verheirateten erledigt?" (Zitat von fb, Deutsch mit Spaß - Hervorhebung von mir, ebenso Korrektur der Grammatik.)

Donnerstag, 3. August 2017

Ergebnis

Die Ausbeute vom letzten Samstag: MEIN NAME!
ARLT als Kompilation von ART und ALPHABET!

Mittwoch, 2. August 2017

erschließen

Morgenschwimmen. Es gibt immer einen Tag in der Woche, an dem das Ritual kippt. Wenn die Flut am Abend zu spät aufläuft, kommt sie am Morgen zum Zug. Für die Tagesschwimmerinnen. Eine Frau fragt heute morgen besorgt, ob ich gestern abend wirklich ganz alleine da war: "Du könntest ja gestohlen werden ..."
Ich kann nicht gestohlen werden.
Ich kann nicht einmal ertrinken.
Der Unterschied von verbaler und nonverbaler Kunst erschließt sich mir, wenn ich die "Wort-Vitrine" love letters (2001) von Bethan Huws und das "gemalte Video" The Greeting (1996) von Bill Viola vergleiche: love letters (2001) spielt höchstens noch mit der Bedeutung des englischen Wortes "letter" (= Buchstabe oder Brief) - und hält ansonsten die Buchstaben des Alphabet hinter Glas unter Verschluss. The Greeting präsentiert die wortlose Begegnung dreier Frauen (inspiriert von Pontormos Heimsuchung Mariä aus dem Jahr 1529). Die in der realen Welt 45 Sekunden dauernde Szene hat Viola auf 10 tonlose Minuten aufgebläht. Im wahrsten Sinne des Wortes! Wir sehen die Figuren sprechen, hören sie aber nicht. Wir erfahren aus ihren Blicken und Gesten viel mehr als uns ihre Worte je vermitteln könnten. "Die genaue Bedeutung des Geschehens kreist als mehrdeutige, spekulative Geste im Raum" (Bill Viola).

Hier ein Auszug, 27 Sekunden der 10 Minuten: https://www.youtube.com/watch?v=Dg0IyGUVXaQ

Dienstag, 1. August 2017

ertrinken

Abendschwimmen. Seit ich die Videos von Bill Viola, va Surrender (2001), und The Messenger (1996) in den Deichtorhallen gesehen habe, gehe ich anders in die Nordsee. Heute bin ich um diese Zeit ganz allein. Seit ich gelesen habe - im Erklärungstext zu The Messenger, dass Bill Viola als Sechsjähriger fast ertrunken wäre, erschließt sich mir die Omnipräsenz, ja die Auto-, Monothematik des Wassers in seiner Kunst neu. Anders. Die "Nahtoderfahrung" soll "durchaus nicht nur schreckliche" sondern auch "unglaublich schöne" Momente enthalten haben. Die offenbar nachwirken. Durch das ganze Leben. Und das ganze Werk.