Freitag, 31. Oktober 2008

Der Hauensteiner Kastanienschuh

Da der "Keschdemonat" (am helvetischen Hauenstein heißt er "Cheschdenemonet") seinem Ende entgegen geht und nun auch die Edelkastanie in unserem Garten alle Blätter fallen lässt, mache ich auf ein Unikum in der Geschichte des Arbeitsschuhs aufmerksam:
http://www.museum-hauenstein.de/p/d1.asp?artikel_id=1129

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Die Vorletzte Eule

Ich wunderte mich heute früh, dass ich die Letzte Eule vom Schlafzimmerfenster aus sehen kann. Dass sie sich nur noch in Deckung zur Straße bringt. Und mir den unverstellten Rücken, wie zum Abschuss bereit, darbietet. Vielleicht ist sie verzweifelt, denke ich, lebensmüde, absturz- oder selbstmordgefährdet, und laufe in Panik auf die Straße. Vielleicht hat sie strategisch und taktisch bald keine andere Möglichkeit mehr in den blassen Blättern, als in den Tod zu springen. Der Baum wird kahl und kahler. Alles, was die Eule tagsüber zum Überleben braucht - Schutz vor Feinden, damit sie zur Ruhe kommen und schlafen kann -, fege ich seit Tagen, Wochen ungerührt am Boden zusammen. Berge von feuchten, faulenden Ahornblättern türmen sich um meine überquellende Biotonne und bestimmt auch um die unseres Nachbarn, der die gegenüberliegende Straßenseite sauber halten muss.
Vielleicht sollte ich zum Wohle unserer Letzten Hauseule endlich dem Vorschlag meines Kollegen Nazar H., Performativdichter (siehe http://www.leykamverlag.at/www/shop/detail.php?ID=533) und bis vor kurzem Stadtschreiber in Graz (siehe http://stadtschreiber.mur.at/ - nur für literarische Feinschmecker!), folgen und die gefallenen Blätter an Seidenfäden auffädeln und zum Trocknen zurück in die Bäume hängen.

Als ich außer Atem unten ankomme, keuchend und mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stehe, wundere ich mich nicht mehr. Eulen wissen sich selbst zu helfen, das sehe ich sofort und lasse meine hilfsbereiten Arme sinken. Eulen sind nicht auf die skurrilen Ideen ost- oder westeuropäischer Dichter und Denkerinnen angewiesen. Unsere Dienstälteste Eule hat nach zwei Tagen Einsamkeit, Schmollerei oder Liebeskummer (was wissen wir schon von Waldohreulenkummer?) ihren Wächter wieder einbestellt. Die Kleine Eule, die Vorletzte - der Partner, Geliebte, Sohn oder untertänige Diener - sitzt ein paar Äste tiefer, richtet die Ohrpinsel auf, Federbüschel, die nichts mit ihrem Hörempfinden zu tun haben, und beäugt argwöhnisch alles (mich!), was sich unten auf der Straße bewegt, damit die Dame oben mit entblößtem Rücken ungestört weiter träumen kann.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Die Letzte Eule

Ich kann nur noch eine einzige einsame Eule im fünffingrigen durchsichtigen Ahornlaub entdecken.

Montag, 27. Oktober 2008

Ein Jahrhundert Schuhe

W. ist 20 Grad über dem Äquator gelandet und schickt als erstes ein Foto von einem glatten Jahrhundert (1900 -2000) Schuhe in Mexiko City. Oder von Schuhen im Alter von Einhundert Jahren und jünger, bis hin zu Minderjährigen und solchen im Schuljungen-, Kleinkind- oder Kindergartenalter, ausgestellt in einer Hotelvitrine. Vielleicht sind das lauter vergessene und stehengebliebene Hotelgästeschuhe? Angeblich war das Haus einmal das Beste am Platz, es muss also mindestens so alt sein, wie die Schuhe, die es einsammelt. Churchill, Marilyn Monroe, Marlon Brando, Charles Lindbergh ua sollen hier genächtigt (= ihre Schuhe abgestreift) haben.

Sonntag, 26. Oktober 2008

Der Warnlagebericht

Für Dithmarschen gilt heute bis 16 Uhr eine Wetterwarnung. Wie der Deutsche Wetterdienst so präzise voraussagen kann, wann die Sturmböen (Windstärke 8, bis 74km/h) an der Küste vom gelben in den grünen Bereich abflauen, wann im Binnenland die Binnenböen (Windstärke 7, bis 60 km/h) an Kraft verlieren, wann der Wind von Südwest auf West dreht, wann die Gefahr herabstürzender Äste oder anderer, etwa von Dächern herabfallender Gegenstände gebannt ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wetterwarnung ist längst nicht so schlimm wie Unwetterwarnung. Aber es gibt auch Warnungen vor markantem Wetter, lese ich. Die Unterschiede sind in den Graphiken und auf den Landkarten jeweils farblich gekennzeichnet. Was diese Farben für den Himmel über dem Wattenmeer oder meinen Garten, unsere Bäume, das Laub und die verbliebenen Eulen bedeutet, sagt mir niemand.

Gestern schien die Sonne und ich mähte zum letzten Mal in diesem Jahr Rasen. Wir füllten 6 Säcke mit Straßenlaub für die AWD, fegten das Laub vom Apfelbaum und Kastanienbaum zu einem gartengerechten Laubhaufen zusammen und hoffen, dass sich nun ein Igel bei uns einquartiert. Aber auch die Amseln, Meisen und Rotkehlchen werden uns dieses Schlemmerparadies danken. Ganz zu schweigen von den Regenwürmern, Spinnen, asiatischen Marienkäferchen und Spitzmäusen. Die letzteren setzen wir den Eulen zum Fraß vor. Gestern sichteten wir noch 5 im großen Ahorn. Über Nacht ist die Zeit umgestellt worden, der Baum noch kahler geworden und W. nach Mexiko geflogen. Heute früh klammern sich nur noch 3 an den fast nackten Stamm: Die beiden kleineren, aufmerksamen, die sich immer putzen und immer gucken. Und die eine alte, dicke, träge, aufgeplusterte, die Dienstälteste, die wie seit Monaten ganz oben ganz ungerührt aller Windstärken und Regenmengen ganz tief schläft.

Wetterwarnung ist längst nicht so schlimm wie Unwetterwarnung oder Vorwarnung zu Unwetterwarnung oder Warnung vor extremem Unwetter. Täglich gibt es einen Warnlagebericht, der Warnereignisse und Wetterthemen zusammenfasst, auch wenn gar keine Warnungen am Horizont stehen und es weder Wetter noch Unwetter gibt.

Montag, 20. Oktober 2008

Die Kotztütensammlung

Außer Ansichtskarten sammle ich auch Kotztüten. Nach dem morgendlichen Besuch beim Orthopädietechniker, der meinem rechten Daumensattelgelenk eine Orthese anpasste, die fast bis zum Ellbogen reicht, empfinde ich ein unüberwindliches Bedürfnis nach taktiler Betätigung. Ich teste die Fingerfertigkeit beider Hände und sortiere meine Kotztüten. Vornehmer ausgedrückt sind das Spuckbeutel. Auf den Außenseiten dieser wasserdichten, innen beschichteten Papierbeutel finde ich globalisierte Bezeichnungen wie "airsickness bag", "Wastebag", "disposal bag", "clean bag" und so weiter.
Ich sortiere ohne Sinn und Verstand. Erstmals nach noch existierenden Fluggesellschaften und nach nicht mehr existierenden Fluggesellschaften. Die Kotztüten der Letzteren müssten eigentlich an Wert gewinnen - gäbe es eine Kotztütensammler- und tauschbörse. Die gibt es aber meines Wissens nicht. Also sortiere und bewerte ich die zumeist von W. nach Hause mitgebrachten Exemplare nach meinen ganz persönlichen Vorlieben. Besonderes Augenmerk verdient folgende Aufschrift: "Your bag for Waste, Abfall, Déchet, Spazzatura". Wer um Himmels Willen soll verstehen, was in diese Tüte gehört?
Nun sortiere ich mit Sinn und Verstand. Nach Kommunikationsgehalt. Nach transportiertem Verständnis. Nach einer transparenten Botschaft. Manche sind sprachlich schlicht wie „Spuckbeutel“, „Beg Mabuk Udara“, „Bolsa de mareo“, „sac pur mal de l’air“, "koyakkan di sini", „desperidicios“ oder „Prullenzakje“ und so weiter. Andere geben klare Handlungsanweisungen: TEAR OFF TO OPEN“, „Please fold over“, „Use clip to close firmly“, „After use fold toward you“ oder - der Gipfel an kategorischem Imperativ: „Nach Gebrauch schließen und auf den Boden stellen“. Wieder andere klären die Welt des Kotzens und sondern sie ab von der Welt anderer Verschmutzungen: „No Cigarettes“, „Solid Litter only“.
Elegisch gebärden sich nur deutschsprachige Kotztütenaufdrucke: „Bei Benutzung im Falle von Luftkrankheit den Beutel bitte dem Kabinenpersonal zur Beseitigung übergeben“. Englischsprachige bemühen sich dagegen, wenn sie schon Wörter aufhäufen, um kühle Distanziertheit: „for your convenience you may use this bag as your waste bag“.
Moderne Billigfluganbieter nehmen die Sache mit Humor: „Vielen Dank für Ihre Kritik“, „Take it with a smile“, „War doch nur ein Luftloch“. Auch in diesem Wirtschaftszweig ufern deutsche Texte(r) schulmeisterlich aus: "Zur Erinnerung an alle Sammler: Tüte nur leer ins Album kleben".

Auf einem „disposal bag“ der China Northern Airlines finde ich handschriftliche „remarks“. Es handelt sich eindeutig um den blauen Kugelschreiber von W. 8 Punkte „to remember“, säuberlich untereinander gestellt. Eindeutig das Handwerk des Professors. Wahrscheinlich seine ersten Gedanken auf dem Weg zur Promotion.

Die allerschönsten Exemplare von Kotztüten, ich mag sie gar nicht mehr aus den Händen legen, sind aber blütenweiß. Ich besitze zwei davon. Sie verraten weder Sinn noch Unsinn, weder Bestimmung noch Nationalität, weder Gebot noch Gebet, weder Name noch Logo. Einfach Nichts. Da sie in der Größe nicht identisch sind, muss ich annehmen, dass sie von zwei verschiedenen Fluggesellschaften stammen und kann sie also beide behalten. Doubletten werden nämlich, um einer Kotztütenschwemme vorzubeugen, unerbittlich aussortiert.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Das Baumhändeangebot

Das Kuratorium "Baum des Jahres" tagte im Berliner Zoo und erkor den Berg-Ahorn zum Baum des Jahres 2009.

Bäume, entnehme ich den Pressemeldungen, haben Beine und Gefühle. Denn längst sei der Baum der Alpen auch in "deutsches Mittelgebirge"und in "flaches norddeutsches Land" gewandert, wo er sich als Park- und Straßenbaum, als Feldgehölz und im Wald "ausgesprochen wohl" fühle. Daraus schließe ich, dass es dem Berg-Ahorn ähnlich ergeht wie mir.

Um mir selbst dies zu beweisen, bin ich sofort auf die Schleswiger Straße hinausgelaufen. Es wurde gerade hell und ich zählte zuerst unsere Eulen (heute: 2/4 - gestern: 4/3) und inspizierte danach das über Nacht gefallene Laub. An der Straße vor unserem Haus stehen drei Ahornbäume in drei verschiedenen Größen. Für jedes Alter einer. Vor der Eingangstür wächst der größte Ahorn. Rechts daneben, vom Haus aus gesehen - oder links, von der Straße aus gesehen - in südlicher Richtung, vom Erdmittelpunkt aus gesehen - steht der mittlere Ahorn. Und noch ein paar Schritte weiter nach Süden, neben dem neuen kastanienbraun lasierten Holztor vor der gepflasterten Auffahrt zur halben Garage, behauptet sich der kleinste Ahornbaum. Er ist der jüngste und schnellste, er hat bereits alle Blätter abgegeben. Im mittleren ducken sich nun die kleinen Eulen in durchsichtigem Gelb. Der Baum verliert die Blätter erbarmungslos, von den Astenden her zur Baummitte. Halbe Äste ragen kahl in den Morgenhimmel, rund um den Hauptstamm trotzen die verbliebenen Blätter, wie ein Baumwipfel im Baum, Wind und Wetter. Im großen Ahorn pennen selig die alten Eulen. Sie haben noch guten Schutz und ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich jede dieser Schlafmützen entdeckt habe. Die Blätter an den nach Süden abgehenden Ästen leuchten bereits in einem kräftigen Sonnenuntergangsgelb, während die restlichen noch unverdrossen grün sind. Ein zweifarbiger Baum, wie ein halbseitig gelähmter Mensch. Die Blattprobe ergab: Spitzahorn.

In der Zeitung lese ich, die fünffach gelappten Blätter aller Ahornarten erinnerten an "gespreizte Baum-Hände". Sie sollen im Volksglauben "Zauberer und Hexen" fernhalten können. Auch herrsche in Europa der Aberglaube, Ahornholz als Türschwelle würde "unheimliche Wesen aller Art abschrecken". In den Alpen stellten deshalb die Menschen belaubte Ahornzweige ins Fenster.

Unsere Häuser bewahren drei Ahornbäume verschiedenen Alters: der Älteste schützt die Haustür, der mittlere die Sauna, der jüngste die offene Auffahrt zum Garten. Die Eulen schlafen - wie bereits mehrmals an dieser Stelle gesagt, aber es kann nicht oft genug wiederholt werden - nur in den Ahornbäumen, sie hocken auf Ahornholzzweigen, umgeben von Ahornbaumhänden. Die viel mächtigere Edelkastanie verschmähen sie, ganz zu schweigen vom Apfelbaum, der Eberesche, der Pappel, der Felsenbirne oder der Ölweide. Auch Eulen sind also abergläubisch. Oder der Ahorn ist sicherheitstechnisch auch für Raubvögel zuständig.

Falls jemand Bedarf hat an Unheil ergreifenden und somit Unheil abwendenden Baumhänden, hier mein Angebot:
- Ahornlaub ab sofort umsonst abzuholen für Selbstfeger, Selbstsammler und Selbstpacker
- Ahornlaub bereits abgepackt ab sofort gegen eine geringe Schutzgebühr abzugeben

Derzeitiger Lagerbestand:
1 x 120 L Biotonne gefüllt mit Ahornlaub (Achtung: wird nächsten Montag von der AWD geleert)
4 x 60 L Laubsack gefüllt mit Ahornlaub (Achtung: werden am 31. Oktober im Rahmen einer außerordentlichen, zweimal jährlich stattfindenden Abfuhr "Baum- und Strauchschnitt" von der AWD abgeholt)
3 Haufen Ahornlaub undefinierter Größe

Voraussichtlicher Ertrag bis zum Ende der Ahornblättersaison ab dem heutigen Tag:
mindestens jeden zweiten Tag 1 x 60 L Laubsack bis oben gefüllt

Montag, 13. Oktober 2008

Die Biegesteifigkeitsdifferenz

Zum Montag, dem Dreizehnten ein Wort, das ich nicht verstehe. Falls sich jemand dazu in der Lage (s.u.) fühlt, kann er mir das Wort, die Biegesteifigkeitsdifferenz gerne erklären. Ich verrate weder, wo ich dieses schwierige Wort her habe, noch weshalb ich auf die Idee gekommen bin, so etwas am Firmament zu suchen. Etwas, ein Wort, das ich gar nicht verstehe.
Wo Wörter herkommen, weiß heutzutage jeder. Aber keiner weiß, da bin ich ganz sicher, kein Mensch kann sich denken, warum ich mir zur neuen Woche ausgerechnet dieses eine Wort auf den Bildschirm zaubere - und kein anderes. Kein harmloseres, freundschaftlicheres, zugänglicheres. Kein weicheres, zärtlicheres, einschmeichelnderes. Nicht zum Beispiel die "Sandwichkonstruktion" (oder alternativ das "Sandwichprinzip" oder den "Sandwichaufbau"). Oder den "Festigkeitsgrund". Oder den "Materialübergang".
Wörter wie "Lauffläche" und "Basissohle" liebe ich nur der Konsonantenhäufungen an einer bestimmten Stelle, der Wortschnittstelle wegen, das dürfte mittlerweile allen klar sein. Adjektivisch verwendet kann ich mit solchen Wörtern poetisch ungeahnte Geschmackssensationen erzeugen. Versuchen Sie sich doch bitte einmal die "laufflächenseitige Decklage" auf der Zunge zergehen zu lassen. Den gesunden Menschenverstand würde es hier nach einer Grundlage, der Unterlage weit eher dürsten als nach der Decklage. Aber die Ausgangslage (s.o.) ist nun einmal anders und die Gemengelage gefährlich.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge 3

Da es Sonntag ist, laufen wir den ganzen Tag kreuz und quer über die Hallig. Am Morgen bei Regen zur Kirchwarft ("Schwarzbrotpredigt"), am Mittag bei Sonne zur Hanswarft (Labskaus in der T-Stube), am Nachmittag ohne Wind zur Ockelützwarft (Halligführung). Am Abend bei aufsteigendem Seenebel zur Backenswarft (Kaffee im Blauen Pesel). Bei einbrechender Dunkelheit holt uns die Fähre am Fähranleger ab. Es ist stockdunkel, bis wir das Festland erreichen.

Der Hoogener Pastor sucht eine Organistin oder einen Organisten zur Verschönerung seiner Gottesdienste (das wäre eine echte Alternative zur Vogelwartin auf Habel). Bis jemand gefunden ist, spielt er selbst die Orgel. Seine heutige Predigt (er kündigte sie als "Schwarzbrot" an, nach dem prallen Erntedankfest vor einer Woche) untermalte mit Querflöte die Pilgerpastorin vom Kloster Loccum.

Samstag, 11. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge 2

Wir umrunden das Nichts zu Fuß.
Zuerst ist der Wind mit uns.
Dann ist der Wind gegen uns.
Zuerst kommt das Wasser zu uns.
Dann geht das Wasser von uns.
Das einzige, was bleibt, ist der Himmel über uns.

Freitag, 10. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge

Das ist es, was ich liebe: das Nichts! Das absolute Nichts.

Geschenk zum Geburtstag von W., auf den, wie gesagt, immer Verlass ist: drei Tage auf Hallig Hooge!

Samstag, 4. Oktober 2008

6/3

Pünktlich zum Samstag vergrößert sich unsere Eulenpopulation. Am Vormittag schien die Sonne und wir entdeckten im kleinen Ahorn sechs, ziemlich zerzauste Eulen, die nach dem nächtlichen Sturm ihre triefenden Federn zu trocknen versuchten. Im großen Ahorn schliefen die drei Damen in großzügigen Abstand zueinander.
Vor dem Hagelschauer ist es uns gelungen, alle Äpfel zu pflücken und in der Garage einzulagern. Danach sind auch wir ins Haus geflüchtet. Wir werden es bis auf weiteres nicht mehr verlassen. Denn es sieht ganz so aus, als würde der Regen nun nie mehr aufhören.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

shoe it yourself

Für manches Ungemach ist Mann oder Frau selbst verantwortlich. Ich stehe mittlerweile vor dem Problem, dem Glück oder Unglück, dass ich blauen Schuhen nicht mehr widerstehen kann. Heute kaufte ich ein Paar hochhackige, meerblau und auf Hochglanz lackierte Pumps. In meiner Größe. Ich könnte sie also, wenn ich wollte und das passende Täschchen und Kleidchen dazu besäße, tragen. Aber ich will sie natürlich nicht tragen. Schon um der armen Füße willen. Die Zehen und der Mittelfuß schmerzen allein beim Gedanken an den hohen spitzen Absatz. Nein, ozeanblaue Schuhe kaufe ich nur für meine weißen Wände.
Zu meiner Verwunderung fragte mich die Dame an der Kasse, ob ich die Schuhe mit oder ohne Schachtel nach Hause nehmen wolle. Ich kaufte die Schuhe nämlich nicht in einem Schuhgeschäft. Von professionellen Schuhverkäuferinnen bin ich diese Frage gewohnt. Aber von einer Kassiererin, die ungerührt Bargeld oder Kreditkarten für Männerdessous, Korbstühle oder sizilianisches Balsamico entgegennimmt, überraschte mich diese Frage. Es ist nicht nur in Meldorf so, dass in der Gärtnerei an einem lauen Sommerabend Jazz gespielt wird oder beim Optiker Modelleisenbahnenschienen durchs Schaufenster führen. Überall auf der Welt kann man in coffeeshops Wintermäntel oder Kosmetikspiegel erwerben, in den Buchhandlungen Autos gewinnen, beim Innendekorateur zu Mittag essen und so weiter. Die Verkäuferin, die mich nach der Schuhschachtel fragte, räumte, nachdem ich die Frage bejaht hatte ("ja, ich möchte bitte die Schuhe in der Schuhschachtel nach Hause tragen"), resolut sämtliches Stopf- und Schonmaterial aus der Schachtel heraus. Das Seidenpapier, in das der linke Schuh eingewickelt war, das Seitenpapier, in das der rechte Schuh nicht mehr eingewickelt war, weil ich ihn anprobiert hatte, die zusammengeknüllten Seidenpapierballen, welche die Spitzen beider Schuhe ausfüllten sowie die beiden Einwegschuhspanner, welche die Form der Schuhe für den Transport sicherten. Das alles warf die Dame an der Kasse mit einer Entschiedenheit in diverse Abfallbehälter hinter und unter ihrer Kasse, dass ich starr vor Schreck nicht zu protestieren wagte. Die Schuhe hatten einen Heimweg von über einhundert Kilometer vor sich! Die Nächte an der Nordsee sind bereits empfindlich kalt! Stürme mit Windstärke acht sind angesagt! Der bunte Lack muss unzerkratzt bleiben, sonst akzeptieren ihn meine weißen Wände nicht! Und dann bliebe mir - nicht auszudenken! - am Schluss doch nichts anderes übrig, als die Schuhe irgendwann, wenn mir ihr unaufhörliches Jammern und Zetern im Schrank den letzten Nerv raubte, ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen: sie über meine armen Füße zu stülpen und am Sonntagnachmittag mit ihnen am Strand spazieren zu gehen ...
Das einzige, was mit den Schuhen in der Schachtel verblieb, war ein Plastiktütchen mit zwei quadratischen Absatzgummisohlenflicken mit Profil und fest verbundenem Metallstift zum Eindrehen. Ich traute meinen Augen nicht. Ich werde eines Tages meine pazifikblauen Lackpumps von der Wand herunterholen und ihre Absätze selber neu besohlen müssen. Shoe ist yourself!