Samstag, 31. Dezember 2016

Die Nacht

Das Neulicht ist jetzt in der Abenddämmerung ca eine Stunde da. Auch wenn wir es nicht sehen, mit Blindheit geschlagen vor einem Spiegel stehen und uns schön machen für die letzte Nacht des Jahres. Den ganzen Tag über herrschte mehr oder weniger dicke Luft, sprich: dicker Nebel und feuchtes Nieseln über Meldorf. Trotzdem ist das neue Licht des neuen Mondes da. Kommt alle gut in den Morgen! Oder in das Morgen?

Freitag, 30. Dezember 2016

Winter

Eine glasklare Nacht über Dithmarschen geht zu Ende. Endlich Frost und Sterne zum Greifen nahe. Die Glut am Himmel zwischen Nacht und Tag wird die aufgehende Sonne löschen, so ist das immer. Die Helligkeit frisst die Farben der Dämmerung, das Lodern, die Energie an den Übergängen, das Übergreifen der Ränder. Das Licht kennt keine zweite Dimension.
Die Hede aber ist ein wirres Knäuel, ein Synonym für Werg. Aus Liebe zur übertragenen Bedeutung im Verb "verheddern" bevorzuge ich die Hede. Die Hede ist meist voluminöser als die gereinigten und gebürsteten Fasern von Hanf, Flachs oder Leinen. Nebel ist auch dicker als klare Luft. Die Hede beansprucht viel mehr Platz in der Welt, als die zu einem flachen Stück Stoff ordentlich versponnenen Fäden. Ein Papierkorb ist größer als jedes gedruckte Buch. Die Rastvögel verheddern sich in den von Menschen aufgespannten Netzen und meine Gedanken verheddern sich in den Schlingpflanzen des Unvorstellbaren. Sobald alle Reste der Nacht verschwunden sind, fahre ich auf meine Haushallig.

Donnerstag, 29. Dezember 2016

Neumond

Heute ist Neumond, volkstümlich der "leere Mond". Nicht vorhanden am Himmel, egal, ob der klar oder bedeckt ist. Trotzdem macht gerade der Dezemberneumond kurz vor Jahresende Mut, denn er garantiert uns das Neulicht, volkstümlich den "Fingernagelmond", noch im alten Jahr.

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Helmsand

Der Wind ist so gnädig, die Tide, die Sonne, das Wolkenwabernde Türkis - dass ich bei auflaufendem Wasser bis nach Helmsand komme und die äußersten Ränder der Zivilisation abschreite.

Dienstag, 27. Dezember 2016

Die Hooger Menagerie

Ja, die Zeit lädt gerade ein zum Revuepassieren. Auf Hooge gibt es eine wahre Fliegenplage. Die Hooger Fliegen beißen. Und die Hooger Fliegen scheißen alles voll. Ab Mittsommer ist die ganze Hallig schwarzgepunktet. Mücken dagegen sind vergleichsweise harmlos. Sie schwirren einem höchstens in den ungelegensten Momenten, zum Beispiel, wenn man auch in einer mondhellen Nacht endlich einschlafen will, um den Kopf. Die meisten Vögel sind Zugvögel, nur die bunten versucht man in Volieren zu sperren - zu denen gehörte auch ich, aber ich befreite mich aus eigener Kraft! Elefanten hingegen sind zahm und frei. In Ermangelung eines richtigen Porzellanladens trampeln sie auf dem platten Land alles platt, was ihnen unter die Füße kommt. Aber es gibt auch Löwen, Rothirsche und andere Brunftschreier oder zu groß geratene Katzen. Auch richtige Katzen natürlich, launische, beleidigte oder erniedrigte, sowie getretene Hunde, Füchse, die auf schlau machen und doch ewig falsch bleiben. Diebische Elstern. Giftige Schlangen. Hälsereckende Giraffen. Radschlagende (nicht ratschlagende) zierliche Pfauen. Mit einem Wort: Eine höfische Menagerie - wie zu Zeiten Heinrichs des Dritten von England im Tower of London.
Allein, es fehlt das gekrönte Haupt, the King of Kings! Der Sitz, das Schloss, der Thron, die Insel, die deutschen Eichen, die Sommerfrische, das ausgelassene Treiben eines Sanssouci, Fasanenjagd oder Fruchtbarkeitssymbolik à la Hohenzollernscher Weinbergterrassen!

Montag, 26. Dezember 2016

Auf dem Leim

Vogeljagd kann brutal sein. Das hab ich auf Hooge mit angesehen und finde ich heute unvermutet wieder, gebeugt - in ganz anderer Sache - über den Duden: Die Redensart "jemandem auf den Leim gehen" (=  im heutigen Sprachgebrauch "sich von jemandem täuschen lassen") kommt tatsächlich davon, dass früher Leim an bekannte oder beliebte Vogelrastplätze geschmiert wurde, so dass die armen Dinger über Nacht kleben blieben und bei Sonnenaufgang keinen Ausweg mehr fanden.
Im Watt vor den Halligen wurden früher Krickenten, Brachvögel, nordische Regenpfeier und Ringelgänse das ganze Jahr über gejagt. Laternenschießen nannten die Halligleute das Verfahren. Mit Laternen wurden die Vögel in der Nacht angelockt oder verblendet und erschossen. Nichtnett! Oder man spannte hohe weitmaschigen Stellnetze, scheuchte die schlafenden Gänse auf und ließ sie sich in den Maschen verheddern. Den Hals drehte man ihnen erst am nächsten Morgen um, da waren sie in ihrer Panik schon halb krepiert. Auchnichtnett! Heute ist das alles verboten. Die Jagd auf Seevögel, Enten oder Gänse hat sich auf deren Eier verlagert. Entgegen aller Bestimmungen des NABU holen Hooger Frauen - Männer hab ich keine gesehen - den Bodenbrütern die Eier aus den Nestern und backen Kuchen damit! Nicht, weil es auf der Hallig keine Hühner gäbe, die Eier legen. Sondern weil die Weiber die Viecher hassen! Wen kümmern da draußen im Wattenmeer buntgescheckte Listen, die sogenannten "Fieberkurven des Naturschutzes". Die Damen fühlen sich vom Gekreisch der Austernfischer in ihrer Nachtruhe gestört. Oder die Ringelganskacke allüberall geht ihnen auf den Wecker. Zwar behauptet der Verantwortliche der Schutzstation, er würde jeder, die er beim Eiersammeln erwische, wie eine Perlenkette die Klage an den Hals hängen. Aber wie das so ist auf Hooge, da guckt man eben in die andere Richtung. Dies ist eine weitere meiner unzähligen Nussschalen - my small Hooge universe in a nutshell! Die übergebe ich nun den Dithmarscher Sturmböen. Denn endlich frischt der Wind auch bei mir auf. Bis Mitternacht laufen die Nordfriesischen Halligen voll. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das Niedrigwasser ist jetzt gerade so hoch wie sonst das Mittlere Hochwasser. Bis zu zwei Meter höher als normal wird die Flut bis Mitternacht auflaufen. Gehabt Euch wohl, Ihr Lachmöven- und Seeschwalbeneier-kuchenbäckerinnen!

Sonntag, 25. Dezember 2016

Dem Wind entlang

Mein Weihnachtsspaziergang führt mich dem Wind entlang durch die Feldmark. Auch hier werden Gräben ausgebessert, ausgehoben, von Wildwuchs, ganzen Bäumen befreit. Nicht heute natürlich, aber in den letzten Arbeitstagen. "Niederungen", las ich kürzlich, "sind die Leidtragenden beim Klimawandel." Mit einem "aus Serbien stammenden, angemieteten" Spülbagger würden Gräben "abgeflacht". Um die ansteigenden Regenwassermengen "zu beherrschen". Na ja. Mir gefällt diese Sprache nicht und der Wind ist mir immer noch zu lau. Zwei Rehe üben Weitsprung über die abgeflachten Gräben. So hat alles sein Gutes. Die gierigen Raben hocken auf dem frisch aufgeworfenen Schlick. Ansonsten kein Lebewesen weit und breit.

Samstag, 24. Dezember 2016

Auf dem Holzweg

Statt den Weihnachtsbaum zu schmücken, bin ich auf dem Holzweg. In der Nacht hörte ich die ersten zögerlichen Versuche eines Sturmtiefs über meinem Kopf. Ich war sofort hellwach und wusste endlich - hörte es! - , was mir seit drei Monaten fehlt: Der Wind über dem Dach. Sein unaufhörliches Rauschen, Sausen, Brüllen, Rütteln, Zausen, Zaudern, Zögern, Atemholen und da capo mit neuer Kraft ... nächtelang, tagelang, wochenlang. Im Halbschlaf aß ich vom Baum der Erkenntnis! Leichtsinnig wollte ich am Morgen gleich aufs Fahrrad steigen und ans Meer fahren. Aber ich säge nicht an dem Ast, auf dem ich sitze. Mit dem ersten Tee kommt auch die Unwetterwarnung aus dem Radio, Böen von Westsüdwest bis 100 kmh, Starkregen. Ich öffne vorsichtig die Haustür und es verschlägt mir den Atem. Also setze ich mich an den Schreibtisch und lasse mich belehren, dass "sich einen Ast lachen" bedeutet, dass man sich halbtot lacht, dass man sich krümmt vor Lachen. Und dass dieser Ast nicht ein Teil des Weihnachtsbaumes ist, sondern des menschlichen Knochenapparates. Früher war "Ast" ein Synonym für Buckel. Wenn man nicht an sich halten konnte vor Lachen, den Rücken nach vorne beugte vor Lachen, machte man einen Ast bzw. Buckel. Das ist astrein. Und hochpreisig!

Freitag, 23. Dezember 2016

Die Würde der Kieselalge

Ich bekomme erstaunlich viele Weihnachtskarten. Auf Papier. Per Post. Von Hand geschriebene Adressen und Wünsche. Die bisher schönste erreicht mich aus Todenbüttel. Auf dem Umschlag eine Briefmarke der Deutschen Post aus der Reihe Mikrowelten. Eine Kieselalge - 600-fach vergrößert, wie ich sie im Watt nie gesehen habe. Die Mikroflora ist von bloßem Auge kaum zu erkennen. Kieselalgen werden im Extremfall höchstens wenige Zehntel Millimeter groß und kitzeln doch im Sommer die Zehen der Wattwanderer auf dem Weg zum Japsand. Es können aber auch Geißelalgen sein. Blaualgen, Blaugrünalgen, Schaumalgen und wie sie alle heißen. "Jede Kieselalge", erklärt die Deutsche Post, "ist von einem Kieselgehäuse umgeben, das aus zwei Teilen besteht, die perfekt aufeinander passen. Wie bei einer Pralinenschachtel ist der Deckel dabei stets größer als der Boden. Die Gehäuse haben oft prächtige Formen, geziert durch ein Rippen-, Streifen-, Spitzen- oder Lochmuster." So fühlt sich Weihnachten an!

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Wintersonnenwende

Es dauert noch mindestens zehn Tage, bis die Tage tatsächlich und erstmal unmerklich, minimal länger werden. Heute sind Null Sonnenstunden vorausgesagt, dafür ein konstant bedeckter Himmel und viel milder Regen. Deshalb jage ich nun oben eine geballte Ladung Licht ins Layout. Denn hier liegt alles in meiner Hand. Ich bin eine Frau! Dazu nochmals ein Zitat:
Fragt eine Journalistin Louise Bourgeois: "Sind Sie Feministin?"
Antwortet sie entrüstet: "Wozu? Ich bin eine Frau!"

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Die Schönheit der Steine

"Das Material ist mein Medium. Seine Aufgabe ist es, mir zu dienen, und nicht umgekehrt. Ich bin nicht auf der Welt, um die Schönheit der Holzmaserung auszudrücken. So etwas kann mir gestohlen bleiben. Mich interessiert die Schönheit der Steine nicht. Die setze ich voraus! Das soll nicht heißen, dass ich meinem Material keinen Respekt zolle." (Louise Bourgeois - die ihr Leben lang an Schlaflosigkeit litt) - Gehört im Feature: "Ich vergebe nicht, ich vergesse nicht."
http://www.ndr.de/ndrkultur/Ich-vergebe-nicht-ich-vergesse-nicht-Louise-Bourgeois,kulturforum556.html

Dienstag, 20. Dezember 2016

Adventseinteiler

Aus professionellem Interesse guckte ich gestern abend den Gotthard-Film auf dem laptop - ich wollte wissen, wie man einen heimatverbundenen "Adventszweiteiler" macht - und wurde danach mehr oder weniger ungewollt Zeugin, wie das ZDF die ersten Nachrichten vom Berliner Breitscheidplatz an das Publikum weitergibt. Ich lebe seit mindestens 15 Jahren Fernsehabstinent. Muss man angesichts eines solchen "Geschehens" (wie es die Polizei zur Stunde noch nennt) die Sendezeit tatsächlich totschlagen mit Erklärungen zur touristisch-merkantilen Bedeutung der Westberliner Innenstadt und des Weihnachtsmarktes an und für sich im christlichen Abendland?

Montag, 19. Dezember 2016

Sonntag, 18. Dezember 2016

Das Konzert

Heute! Endlich! Der wichtigste Tag des Jahres. Es wird großartig (ich weiß das, denn ich stehe mittendrin):
17 Uhr, St. Jürgen-Kirche Heide: The glorious Messiah - Händels Oratorium in englischer Sprache.
 

Heider Kantorei und Camerata Flensburg mit den Solisten: Marret Winger, Sopran (Hamburg); Tobias Hechler, Altus (Bremen); Nicholas H. Smith, Tenor (London); Jonathan Zaens de la Paz, Bass (Berlin).
Leitung: Sebastian Schwarze-Wunderlich

Das Konzert dauert ca. zwei Stunden ohne Pause.


Restkarten sind an der Abendkasse noch zu haben. Kurzentschlossene sollten sich aber gleich bei Einlass um 16:00 Uhr am Kirchentor anstellen.

Samstag, 17. Dezember 2016

Die Generalprobe

Marathon. Musik. Pur. Heute mit fotoshooting. Deshalb erscheinen alle in schwarz. Die Generalprobe beginnt stufenweise. Nur einer ist von Anfang bis zum Ende dabei. Der Chef. Zuerst proben die Solisten solo. A capella. Dann kommt das Orchester dazu. Und schließlich der Chor. Dann beginnen die ersten schon wieder zu gehen, aus arbeitsökonomischen Gründen singen wir zuerst die Stücke mit den Pauken und Trompeten. Damit die Pauker - nein! Die Paukisten natürlich - und Trompeter nach Hause oder in die Kneipe verschwinden können. Und wir bleiben. Bis zum letzten Ton. 

Freitag, 16. Dezember 2016

Die Klavierhauptprobe

Die Steigerung beginnt an den Füßen. Mit der heutigen Probe betreten wir die St. Jürgen-Kirche und besteigen die Stufen des Holzpodests im Altarraum. Die Steigerung beginnt mit den Händen. Der Dirigent steht heute uneingeschränkt nur dem Chor zur Verfügung. Die Korrepetitorin spielt das ganze Orchester am Klavier. Die Orchestermusiker und die Solisten haben frei oder feilen verzweifelt allein an ihren eigenen Schwachstellen. Die Klavierhauptprobe ist die wichtigste Probe für uns Chorsänger und unseren Chorleiter. Er dirigiert endlich. Und nur uns!
Am Morgen die letzte Portion "Cox" mit einer höchst erstaunlichen Wendung. Ich bin traurig, dass es zu Ende ist. Aber ich besitze ja das Buch und kann jederzeit lesen. Nachlesen. Wo die Zeit stecken geblieben ist. In der Hand des Kaisers, die den alles entscheidenden "Glaskegel" im alles entscheidenden Moment "behutsam in die seidene Kuhle zurück" legt (S. 298). Berührt, ja in meinen durch nichts mehr ins Wanken zu bringen geglaubten Grundfesten erschüttert, hat mich das Wort "behutsam" an dieser Stelle, im letzten Satz, auf der allerletzten Zeile.

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Die Eselsbrücke

Die Eselbrücke ist eben nicht die Brücke für Esel oder die Brücke der Esel. Die Eselsbrücke ist beileibe nicht die Brücke, welche den Eseln gehört, oder die sie lieben, bevorzugen, herbeisehnen, verherrlichen in heimlichen Gedichten und Gesängen! Oh nein, die Eselsbrücke ist gerade die Brücke, welche die Esel fürchten. Esel trotten nicht gerne über Brücken, zB eine Holzbrücke, durch deren Boden, die Bretter oder Latten, sie den Abgrund darunter, den reißenden Fluss oder einfach nur die tiefe Schlucht erspähen, erahnen, erfürchten können. Davor schrecken Esel zurück und das ist nur natürlich. Ich würde an ihrer Stelle genauso reagieren. Ich, die die Berge hasst, fürchtet, flieht, weil es dort alles verschlingende Schlünde gibt!
Die Eselbrücke ist also die Brücke, über welche Eselstreiber ihre Tiere mit List oder Nachsicht hinübergeleiten: sie legen eine Binsenmatte über die Löcher.
Heute gibt es Eselsbrücken ganz ohne Esel. Meist werden sie an Schulen gehandelt als Lernhilfe für begriffsstutzige große oder kleine Kinder.

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Messias

Die Woche vor dem Konzert gehört der Musik. Nebelschwaden draußen und stehende Feuchte. Vom Vollmond, vom Himmel, ja von der Sonne den ganzen Tag keine Spur. Drinnen bei elektrischem Licht muss dringend das Klavier gestimmt werden. Ich radiere unnötige Bleistiftstriche aus den Noten wieder aus. Versuche die Jungfräulichkeit des Händelschen Urtextes wieder herzustellen, weiß um die Vergeblichkeit, um die Vergänglichkeit und singe trotzdem tapfer meinen Part einmal täglich durch. Mit capella am Computer und wechselnder Begleitung.
Im Kopf heute den ganzen Tag "Cox" vom Morgen - wie der Kaiser schreibt: "... an einem murmelnd dahinziehenden Fluß, an dessen Ufer der Kaiser an anderen, sonnigen Morgen Kalligraphenpinsel ins Wasser tunkte und damit Gedichte auf die glatten Steine schrieb. Die Worte verdampften unter der aufsteigenden Sonne und gaben den Stein wieder frei. So schrieb der Kaiser und sah, wie alle Schrift verschwand. Und schrieb weiter." (Christoph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit, S. 212).  

Dienstag, 13. Dezember 2016

Einladung

Auf der Zielgeraden zum 4. Advent möchte ich Euch zu einem kurzen Innehalten der besonderen Art einladen: heute liest meine Kollegin und Freundin Annette Güldenring im Rahmen der offenen Lesebühne in der Meldorfer Kulturkneipe Bornholdt ihre Kurzgeschichte Möchtegernmädchen.
Annette Güldenring setzt sich in ihrem Beruf wissenschaftlich mit der Vielfalt von Geschlechtlichkeit auseinander. Sie hat an die Hundert Fachvorträge im In- und Ausland gehalten, war 2013 nominiert für den Hamburger-Pride-Award – hat aber noch nie ihre literarischen Texte der Öffentlichkeit vorgetragen. Meldorf kommt also wieder einmal in den Genuss einer Welt-Uraufführung!
Mir hat sich, als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal Texte von Annette Güldenring lesen durfte, eine neue Welt aufgetan: sprachlich, thematisch, formal. Ein inneres Leuchten durchzieht diese Texte – trotz einer oft unauflöslichen Tragik der Figuren – das man nie wieder vergessen kann!
Ich möchte alle Literaturinteressierten ermuntern, am Dienstag zur Dezember-Lesebühne ins Bornholdt zu kommen und ein offenes Ohr mitzubringen. Außer Annette Güldenring werden lesen E. H. Beilcke und Jürgen Christian Schaper (Hamburg, stellen ihr Buch "Seesäcke - Geschichten für Segler und Freunde des Meeres" vor), Dirk-Uwe Becker, Ellen Balsewitsch-Oldach, Britta Cordts, Marianne Hahn und Sebastian Pawlick. Wie immer darf bei der anschließenden Diskussion Kritik und Lob offen ausgesprochen werden! 

Offene Lesebühne im Bornholdt - jeden zweiten Dienstag im Monat, ab 19:30 Uhr
Zingelstrasse 14, 25704 Meldorf / Fon 04832 – 7907 / www.bornholdt-meldorf.de
Zuhörer sind willkommen – was wären wir Schreibende ohne Euch?
Solidarbeitrag: 2 €

Montag, 12. Dezember 2016

Mahnwache in Meldorf

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Davor, von 8.30 -9:00, die nächste Folge "Cox" im Radio.
Danach, von 19:30-22:00 die letzte normale Montags-Messias-Probe in Heide vor dem Konzert.
Die wichtigstes Woche des Jahres beginnt.

Das Zitat des Tages aus "Cox" - Zur Erfüllung der Wünsche, Betrachtung Nummer 3: "Der Kaiser hatte seine englischen Gäste mit Weißgold, Platin und Rotgold, Silber, Brillanten und Rubinen und was immer sie als Werkstoff gefordert hatten, überschütten lassen, und sie, in diesem Überfluss noch fremd, hatten gedacht, aus diesem Strom von Kostbarkeiten entstehe die Verpflichtung, mit all ihren Kräften an der Erfüllung eines allerhöchsten Wunsches zu arbeiten. Dabei muss ihnen wohl entgangen sein, dass einer, der alles besaß, auch das Kostbarste einfach vergessen konnte, ohne dass er etwas vermisste ...." (Christoph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit, Frankfurt a.M., 2016, S. 148-149)

Sonntag, 11. Dezember 2016

Der Herrscher triumphiert über die Wünsche

Was aber passiert, wenn "ein Mensch am Hof des Erhabenen" einen Wunsch ausspricht, der nicht erfüllt wird? Verwandelt sich der Wunsch dann in eine Anmaßung? Eine Übertretung? Muss der Wunsch dann nicht, statt in einen Befehl zu münden, der "unverzüglich zu befolgen war", das Höchstmaß einer Bestrafung nach sich ziehen, die sofort zu vollstrecken war? Bei Cox habe ich die Antwort auf diese Frage noch nicht gefunden.

Auf dem Weg zum Deich (viel Wind von West, wenig Sonne, viel großartiges Grau am Himmel und im Watt) fand ich die Antwort selbst: der Mensch "am Hof des Erhabenen" unterwirft sich vollkommnen, wenn er keinen Wunsch äussert, nicht mal einen solchen im Herzen hegt oder unausgesprochen in die Tiefe seiner Seele versenkt, den der Erhabene nicht zu erfüllen gewillt ist. Dies ist das Ziel des absoluten Herrschens: unerwünschten Wünschen seiner Unterworfenen vorzubeugen.

Samstag, 10. Dezember 2016

Das Erzählen triumphiert über die Zeit

Das Erzählen triumphiert überhaupt über alles, wenn es einmal in Gang gesetzt ist. Über den Tod. Über das Leben. Über die Hoffart. Die Niedertracht. Das Unwissen. Die Habgier. Auch über Ebbe und Flut und die zerstörerische Wucht des Agulhasrückstroms. Und natürlich: über die Zeit!
An jedem Morgen der vergehenden Woche las mir Christoph Ransmayr im Radio einen weiteren Teil aus seinem neuen Roman "Cox oder der Lauf der Zeit" vor. Heute fehlt er mir. Samstag und Sonntag ist das Programm auf Wochenende eingestellt, egal ob es die Zuhörer auch sind. Heute also fehlt mir die raue Stimme des Autors, sein gemäßigtes Österreichisch, das gemächliche Erzählen, die Ruhe und der Triumph über alles. Heute fehlt mir die halbe Stunde versprachlichter Arbeit des Londoner Uhrmachermeisters Alister Cox in der Verbotenen Stadt, am Hof des Kaisers Qianlong, des vierten Kaisers der Qing-Dynastie. Ich bin nach fünf Tagen bereits süchtig nach dieser Geschichte, nach dieser Sprache! Qualvolle Entbehrungen während eines regenreichen Wochenendes vorhersehend, beeilte ich mich deshalb gestern, das Buch bei den Buchhändlern meines Vertrauens, bei den ausgezeichneten Pantern in Meldorf zu kaufen. Und heute suche ich ersatzweise den einen Satz, der mich nach der gestrigen Lesung den ganzen Tag nicht mehr losließ. Er steht tatsächlich auf Seite 129, nämlich: "Denn was immer ein Mensch am Hof des Erhabenen erbat - wurde ihm gewährt, was er wollte, verwandelte sich sein Wunsch in einen Befehl, der unverzüglich zu befolgen war."

Freitag, 9. Dezember 2016

Hunderttausend und eine Nacht

Aus dem Schlaf reißt mich zu dieser Stunde der Hunderttausend und erste Click! Hunderttausend und eine Nacht hab ich nun in diesem blog verbracht. "Am Wattenmeer". Hunderttausend und ein Seitenaufruf! Seit Anbeginn aller Zeiten. Gestern spät auf dem Heimweg endlich die Erleuchtung: stadtauswärts durch die Feldmark und unten auf der Bürgerweide stellt sich vor Mitternacht unweigerlich das "Halliggefühl" ein. Stockfinstere Nacht. Am Horizont das Geisterschiff im Nebel. Ich habe eine neue LED-Fahrradlampe. Die alte hat nicht der Marder, sondern der Rost zerfressen. 40 oder 60 Lux oder Lumen. Ich kann mir so etwas nicht merken. Der Luchs ist kein Marder und lumen, luminis eine Erinnerung an Lorbeer. Oder: nicht lange fackeln. Aufstehen!

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Einführung in Händels "Messias"

Nur für Dithmarscher: Heute 19 Uhr Einführungsveranstaltung zu Händels Messias in der St. Jürgen Kirche in Heide.

Traditionell findet vor dem Adventskonzert der Heider Kantorei eine Einführungsveranstaltung statt. Erfahrungsgemäß ist dies eine launige, heitere und lehrreiche Sache. Unser Dirigent ist nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern kann auch mit Sprache umgehen. Sein Wissen lässt er uns Sängerinnen und Sängern in homöopathischen Dosen (zuviel ist zuviel!) sorgfältig formuliert bei allen Proben zukommen. Heute Abend darf die interessierte Öffentlichkeit eine geballte Ladung davon erwarten.
Die stellvertretende Pröpstin des Kirchenkreises Dithmarschen, Astrid Buchin wird zu den theologischen Aspekten von Händels Messias sprechen, der Kirchenmusiker und Leiter des Konzerts, Sebastian Schwarze-Wunderlich wird uns die musikgeschichtliche Bedeutung dieses Werks näher bringen. 
Im Anschluss kann man sich bei einem kleinen Umtrunk persönlich mit den Referenten und den anwesenden Mitgliedern der Heider Kantorei unterhalten.
Der Eintritt ist frei.


Restkarten zur Aufführung von Händels Oratorium in englischer Sprache am vierten Advent sind noch zu haben:
Im Reisebüro Biehl, Friedrichstrasse Heide
oder online: http://www.reservix.de/
direkter link: http://www.reservix.de/reservation/plan_reservation_back.php?PHPSESSID=4797647966a15d93fd9386d7444e5e2e&eventID=915436&eventGrpID=213905&presellercheckID=3

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Werkzeugwörter

Flegel, Zweck, Nagel - alles Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Einen Nagel auf den Kopf trifft man sprachgeschichtlich nicht mit dem Hammer, sondern mit dem Schießeisen (dem verbalen Lieblingsmordwerkzeug der Hooger, wir erinnern uns). Früher befestigten die Sport- und Profi-(Armee-)Schützen die Zielscheiben, auf die sie zum Zweck der höheren Treffsicherheit regelmäßig trainigshalber schossen, mit einem Holznagel in der Mitte. Wer den Nagel auf den Kopf traf, hat die Mitte getroffen, das Übungsziel erreicht, die Diensttauglichkeit unter Beweis gestellt.
Der Zweck hingegen stammt ursprünglich aus Menznau, aus der Schuhmacherwerkstatt der Antons und Friedas. Nur Schuhmacher können "aufzwecken" oder "aufzwicken", "nachzwicken", "einzwicken", nur Schuhmacher besitzen "Zwickstifte" - die im Gegensatz zu Schwillen nicht im fertigen Schuh verbleiben. Mit den Zwickstiften fixierte Anton der Erste "den Schaft, die Fersen- und Gelenkteile, die Hinter- und Steifkappen auf die Brandsohle" (Die Fölmlis, S. 66). Die Rekruten stahlen den Schustern irgendwann das Wort und nannten den Holznagel in der Mitte der Übungszielscheibe "Zweck" oder "Zwecke". Wer den Nagel auf den Kopf, also die Mitte traf, zielte auf - oder erfüllte den - "Zweck". Ein Flegel ist, der sich rühmt, einer Frau "am liebsten" in den Rücken schießen zu wollen. Der Flegel gehört der Getreideernte, dem Herbst und der Hand des Bauen. Mit dem Flegel schlugen sie, ehe die Mähdrescher erfunden waren, die Körner vom Stroh. Und seit Erntemaschinen im Einsatz sind, ist der Flegel im Duden Mensch geworden. Einer, der sich sehr schlecht benimmt. 

Dienstag, 6. Dezember 2016

Reiner Tisch

Nikolaus und Winterbild. Weil keine geputzten Stiefel vor den Türen standen, und ich aus Gründen der Diskretion die Adressen besagter Türen nicht benütze, bat ich das Gemeindebüro, allen Hoogerinnen und Hoogern meinen Text "Der Glockenschlag von Sankt Nikolai" in den virtuellen Schuh - das E-Mail-Postfach - zu stecken. Wer von den gut Hundert Halligbewohnern heute mein Geschenk dennoch nicht überreicht bekommt, kann es über das Kontaktformular meiner Website direkt anfordern.
"Reinen Tisch machen" bedeutet nicht tabula rasa. "Reinen Tisch machen" meint Ordnung in etwas bringen. Nicht umgekehrt! Nicht etwas in Ordnung bringen, sondern Ordnung in etwas. Früher glättete und säuberte man vor dem Essen das Wachstuch über den Holztafeln, an denen man die Speisen zu sich nahm. Zum Schutz des Holzes und aus hygienischen Gründen lag über dem Holz Wachs. Heute speist kein Mensch auf Holz, sondern aus Pappe an der Würstchenbude auf dem Weihnachtsmarkt.
tabula rasa hingegen meint eigentlich das unbeschriebene, leere Blatt oder die mit dem Schwamm gereinigte Schiefertafel. Übertragen bezeichnet tabula rasa die Seele in ihrem ursprünglichen Zustand, "rein" und "leicht", unbeschmutzt und unbeschwert. In dem Zustand also, in dem sie war, bevor sie Eindrücke von der Außenwelt empfing. Ein erstrebenswerter Zustand, der leider - im Gegensatz zum reinen Tisch - nicht einfach mit einem feuchten Putzlappen und einer fahrigen Handbewegung täglich aufs Neue wieder herzustellen ist.

Montag, 5. Dezember 2016

Sonntag, 4. Dezember 2016

Vorschau

Für unser Konzert am 4. Advent sind noch Karten zu haben - wer zuerst bucht, hat den besten Platz!

Georg Friedrich Händel: Messiah - Händels Oratorium in englischer Sprache

Sonntag, 18. Dezember 2016, 17:00 Uhr St. Jürgen-Kirche, Markt 28, 25746 Heide

Händels Oratorium in englischer Sprache
Heider Kantorei, Camerata Flensburg, Solisten: Marret Winger, Sopran (Hamburg); Tobias Hechler, Altus (Bremen); Nicholas H. Smith, Tenor (London); Jonathan Zaens de la Paz, Bass (Berlin).
Leitung: Sebastian Schwarze-Wunderlich
 

Beim diesjährigen Dezemberkonzert der Heider Kantorei wird der berühmte Messias von Georg Friedrich Händel in der englischen Originalsprache zu hören sein. Ein hochkarätiges Solistenensemble, ein Orchester aus Mitgliedern des Landesorchesters aus Flensburg und nicht zuletzt die Heider Kantorei unter Leitung von Sebastian Schwarze-Wunderlich garantieren einen großartigen Konzertgenuss.
Das Konzert dauert ca. zwei Stunden ohne Pause.

Vorverkauf: Reisebüro Biehl, Friedrichstrasse Heide
oder online: http://www.reservix.de/
direkter link:  http://www.reservix.de/reservation/plan_reservation_back.php?PHPSESSID=4797647966a15d93fd9386d7444e5e2e&eventID=915436&eventGrpID=213905&presellercheckID=3

Der letzte Schrei

"Le dernier cri" - wahrscheinlich das Marktgeschrei französischer Markthändler auf französischen Märkten - wurde irgendwann ins Deutsche übertragen. So und anders. Der letzte Schrei. Munch, Mode, Foodporn, Pegida, Flüchtlingskinder. Im Kultur- und Bürgerhaus in Marne ab heute der Titel der aktuellen Ausstellung. Gruppenausstellung mit, wie es heißt, 22 Künstlern des Hauses. Das heißt: alle Künstlerinnen und Künstler, die 2016 im Kulturhaus einzeln ausgestellt haben, bildenzum Jahresende eine Gemeinschafsausstellung zu einem neuen, vorgegebenen Thema. Also kein globalisierter Hype. Sondern Marner Trend. Der letzte Schrei! Dithmarschen!.
Der zweite Advent. Ich habe eine Mitfahrgelegenheit und schaue / höre / tue mir das an.
Die Ausstellung wird um 16 Uhr von Wolf Eismann eröffnet, musikalisch begleitet, mit eigenen Stücken, die eigens für den heutigen Abend zum heutigen Thema - der letzte Schrei! komponiert wurden von Moxi Beidenegl & Melanie Mehring.
http://www.boyens-medien.de/artikel/dithmarschen/marne-der-letzte-schrei.html

Samstag, 3. Dezember 2016

Die Täuschung

Zum Beispiel der Bär: Jemandem einen Bären aufbinden, bedeutet nicht, dass diese Person fortan mit einem Bären auf dem Buckel herumläuft. Es handelt sich hier offenbar nicht um einen Übersetzungsfehler, wie so oft bei Luther selig. Sondern um einen Verständnisfehler. Oder eine in die Irre gegangene Verständigung. Eine Fehlinterpretation. Eine falsche Übertragung. Mitteldeutsch "Bäre" = neudeutsch "Last". Jemandem einen Bären aufbinden, müsste also heißen, jemandem eine Last aufbinden. Ein Bär kann ja durchaus eine Last sein. Aber das heißt es nicht. Der Volksmund meint damit "jemanden [nicht mit böser Absicht] täuschen, hinters Licht führen". Listig, mit Augenzwinkern.
Gestern fuhr ich zum Sonnenuntergang an die Meldorfer Bucht, ohne Bär und ohne List auf dem Gepäckträger, aber mit einem Stück Schokolade. Für alle Fälle. Um 15 Uhr steht die Sonne schon tief über dem Wattenmeer. Es war Flut und das Abendlicht am Nachmittag die reinste Erleuchtung!

Freitag, 2. Dezember 2016

Wie kommen eigentlich ...

... all die Tiere in die Sprache? Freiwillig? Bewerben sie sich? Gibt es eine Auswahljury? Ein Honorar, eine Aufwandsentschädigung, ein Verwertungsrecht und eine Verwertungsgesellschaft, die dieses Recht mit bürokratischer Verve verwaltet? Jemandem einen Bären aufbinden, eine Eselsbrücke bauen, Krokodilstränen vergießen, die Katze im Sack kaufen, den Stier bei den Hörnern packen, sich in die Höhle des Löwen wagen, wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt werden, sich am liebsten in ein Mäuseloch verkriechen, stehlen wie eine Elster, Eulen nach Athen tragen, dem Wolf im Schafspelz begegnen, den Fleischwolf suchen, das beste Pferd im Stall sein, Scheuklappen vor den Augen haben, jemandem eine Laus in den Pelz setzen, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, bekannt sein wie ein bunter Hund, mit Kanonen auf Spatzen schießen, eine lahme Ente sein, ein Pechvogel sein, jemanden zur Schnecke machen, seine Fühler ausstrecken, mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen haben, seine Schäfchen ins Trockene bringen, Katzenwäsche machen, auf den Hund kommen, ein alter Hase sein, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn, Federn lassen oder sich mit fremden Federn schmücken, Schwein haben, sich fühlen wie der Fisch auf dem Trockenen oder im Wasser, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, eine große Schnauze haben, jemandem ins Gehege kommen, auf das falsche Pferd setzen, jemandem die Hörner zeigen, heilige Kühe schlachten, schlafende Hunde wecken, kleine Fische fangen, mit der Herde laufen oder gegen den Strom schwimmen, glatt wie ein Aal sein, wie ein begossener Pudel dastehen, Hahn im Korb sein, ein Wendehals sein, alle Viere von sich strecken, ein dickes Fell haben und störrisch wie ein Esel sein, da liegt nämlich der Hund begraben und kein Hahn kräht nach Sonnenuntergang danach.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Der schneeweiße Punkt

Der schneeweiße Punkt im Bild oben stammt von einem kleinen i. Es ist der obere runde Teil eines ansonsten ziemlich geraden Buchstabens. Das berühmte Tüpfelchen auf dem ... schwimmt plötzlich ohne das ... mit mir bei Hochwasser in der Meldorfer Bucht!
Aber es ist kein deutsches i-Tüpfelchen sondern ein polnisches. Das kann nur ich erkennen und behaupten. Der schneeweiße Punkt stammt aus meinem eigenen Text und ist ein Teil des Wortes "und" in einer fremden Sprache!
Im Polnischen bedeutet ein alleinstehendes "i" (egal ob groß oder klein geschrieben - aber nur das kleingeschriebene besitzt besagten Punkt) "und". Als Instrumentalendung hängt es an unzähligen Wörtern, egal welchen Geschlechts, welcher Deklinationsguppe oder welcher syntaktischen Sorte. Deshalb kommt dieses "i" im Titel meines Textes "Stół z powyłamywanymi nogami" (Der Tisch mit den ausgerissenen Beinen) nur als Flexionsendung und nicht als eigenständiges Wort vor. Hildegard S. und ich stellten einst in Krakau im Goetheinstitut den "Tisch des Schriftstellers mit UND-Klumpen" aus und besprachen ihn. Das heißt: ich belas und beschwörte ihn polnisch und Hildegard stellte ihre création, den Tisch mit dem Klumpen, beide bestehend aus lauter weißen, unbedruckten Puzzleteilchen, der Tisch wackelig auf vier schiefen Beinen, deutsch in eine Ecke. Zu seinem Schutz. Damit er ein bisschen Halt an der Wand fand und vom Publikum nicht umgestoßen werden konnte. Hildegards Tisch + Klumpen - die eigentlich meine sind, denn ich bin die Schriftstellerin, und nicht Hildegard - war 2004 Teil ihrer Berliner Installation "und" (http://www.hildegardskowasch.de/german/projekte/und2004.html). Und ich schrieb zu diesem Berliner Tisch mein polnisches Zungenbrecherepos. Darin kam ich zum Schluss, dass das schlanke polnische "i" sich viel besser als das schwerfällige deutsche "und" eignet, Dinge aller Art zu verbinden. Und nun liegt mein polnischer i-Punkt - oder ist es Hildegards von den Gezeiten zur Kugel geschliffener UND-Klumpen? - adrett im Bild, schneeweiß im goldenen Schnitt unter meinem Blogtitel "Am Wattenmeer". Er ist mir gefolgt!