Mittwoch, 31. Dezember 2008

Am Wattenmeer

Wir sind zurück in Meldorf (zur Erinnerung: 4,567 m üM).
Das Haus ist leer und bitterkalt. Wir gehen einkaufen, dann schlafen.


Ich sammle Superlative:

Ich stand am tiefsten Punkt der Erde. Dort, wo der Jordan - oder das, was vom Fluss übrig geblieben ist - ins Tote Meer mündet. Ca. 430 m unter Meeresspiegel.

Ich hörte im tiefstgelegenen Naurreservat (ca 400 m uM) der Erde, im Wadi Mujib, Vögel singen. Eine Seltenheit im Winter in Jordanien.

Ich sah im archäologischen Museum in Amman die ältesten Statuen der Welt, die Figuren von 'Ain Ghazal. Gefertigt in neolithischer Zeit, ca 6500 AD. Geformt angeblich in Einzelteilen aus einem hellen, weißlichen Gemisch aus Kalk und Lehm über Schilfrohrgerüsten, nachträglich zusammengefügt. Hervorgehoben die Augen durch schwarze Bitumeinlagen.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Lebenszeichen aus Amman

Heute habe ich den Professor gebeten, für mich den Blog zu schreiben. Er soll nur mitteilen, dass es uns gut geht und wir heute Nacht wieder nach Deutschland zurückfliegen. Aus einem Jordanien, in dem alle entsetzt und ohnmächtig nach Westen bzw. in den Fernseher schauen. Alle Sylvesterfeiern sind abgesagt, die grossen Hotels teilen dies in den Tageszeitungen in Anzeigen mit Solidaritätsbekundungen für Palästina mit Trauerrand mit.

Montag, 29. Dezember 2008

Lots Frau

Schnappschuss aus dem fahrenden Auto: Lots Frau, auf den Felshängen über der heutigen Autobahn. Angeblich zur Salzsäule erstarrt, weil sie auf der Flucht aus Sodom und Gomorra entgegen der Weisungen der Engel hinter sich sah.

Das Foto kann, wie alle anderen an dieser Stelle, durch Anklicken vergrößert werden.

Lots Aussicht


Heute: Al Said am verdorrenden südlichen Ende des Toten Meeres mit Tomatenplantagen und einer stillgelegten Ketchupfabrik.

Lots Höhle

Auf der Fahrt von Aqaba nach Amman: Lots Höhle über einer fruchtbaren Ebene am Toten Meer.
Angeblich flüchtete Lot nach dem Untergang von Sodom und Gomorra mit seinen beiden Töchtern in diese Höhle über der Stadt Zoar, zeugte mit beiden ein Kind - Moab, den Stammvater der Moabiter und Ben-Ammi, den Stammvater der Ammoniter.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Wadi Rum

Auf dem Weg nach Aqaba verbrachten wir zwei Stunden in der Wüste. Es war Wüste light, für Touristen, im Schnelldurchgang. Wir wurden von einem uralten Beduinen hinein gefahren und wieder heraus gefahren. Wir waren keinen wirklichen Gefahren ausgesetzt. Nur Eindrücken. Wirklichen und unwirklichen, geahnten und ungeahnten.

Samstag, 27. Dezember 2008

Petra

Den ganzen Tag sind wir durch Felsenschluchten gewandert und haben Staub geschluckt. In Petra haben die Nabatäer Grabmale und Tempel in die Felsen gehauen für die Ewigkeit. Doch heute weiß man nicht einmal mehr, für welche Gottheiten.
Ins Hotel zurückgekehrt sehen wir in den Nachrichten, dass über 200 Menschen im Gazastreifen umgebracht worden sind. In Jordanien herrscht höchste Alarmstufe, wir fahren morgen trotzdem ans Rote Meer nach Aqaba. Und vorher nach Wadi Rum in die Wüste.

Freitag, 26. Dezember 2008

Das Tote Meer


Wir legen uns vor dem Frühstück noch einmal kurz in das Salzwasser. Dann fahren wir weiter nach Süden. Über Karak nach Petra.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Am Jordan

Unsere Pilgerfahrt zu der Stelle am Jordan, an der angeblich Jesus von Johannes getauft wurde. Es regnet unterwegs. Im Hintergrund die griechisch-katholisch-arabische Kirche, die im Andenken an diesen feierlichen Akt an der Grenze zu Israel auf einem von Papst Johannes Paul II geweihten Platz gebaut wurde.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Amman

Wir sind in Amman und fahren am Nachmittag ans Tote Meer. Heute Nacht hat es hier seit 9 Monaten zum ersten Mal geregnet. Der Wind rüttelt gerade an den Dächern wie an der Nordsee. Wir haben schon sehr viel Steine, viel Staub und ganz viel Erstaunliches gesehen.
Merry Christmas!

Dienstag, 23. Dezember 2008

Sonntag, 21. Dezember 2008

Schuheputzen

Als letztes wollte ich nur noch unsere Schuhe putzten. Dabei habe ich meinen sandgelben Pullover mit der schwarzen Schmiere bespritzt. Kommt davon, wird die Fachfrau sagen, wenn man moderne Tuben benützt, die fast leer sind. Und aus denen man aus Geiz oder in Hektik die letzten Reste mit aller Gewalt herauspressen will. Wie den Senf aus einer Senftube. Oder die Zahnpasta aus einer Zahnpastatube. Weder Senf noch Zahnpasta hätten meinen sandgelben Pullover so unrettbar verschmutzt.
Dabei dachte ich, das sei die angemessene Farbe für eine Reise nach Jordanien. Nun wird es eben ein rostroter Pullover sein. Wir fliegen heute Nacht nach Amman. Wir werden, wenn wir ausgeschlafen sind, am Toten Meer Lots Frau besuchen, in Petra herumlaufen und vieles andere mehr unternehmen. Wir wünschen allen frohe Weihnachten und einen sicheren Rutsch mit sauberen Schuhen ins neue Jahr.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Winter an der Nordsee

Sicht bei ablaufendem Wasser von der Meldorfer Bucht auf den Hafen des Nordsee-Heilbads Büsum sowie auf das 1972 gebaute einundzwanzigstöckige Mehrsterne-Appartement-Hochhaus am Sandstrand an der Perlebucht.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Das Lebkuchenschicksal

W. konnte sich nicht entscheiden, ob das [was ich auf dem Foto in der rechten Hand halte] eine Elchlaus oder ein Nikoelch sein soll. Er nannte ihn Nico, die Elchlaus und war immer noch nicht zufrieden, weil die grammatikalischen Geschlechter so ganz und gar nicht zusammenpassen wollten. Inzwischen ist er oder sie nicht mehr unter uns. Wir haben den Lebkuchen nämlich mitsamt roter Mütze und samtener Pfoten heute Mittag anlässlich unseres 15-jährigen Ehejubiläums am Winterstrand ratz fatz - oder, wie die Helvetierin sagen würde: rübis und stübis - aufgegessen, die trockenen Krumen mit einem Gläschen naturgekühlten Neuburger Terrassen Federspiel hinuntergespült und sind flugs vor dem nächsten Eisschneeregen nach Hause geradelt.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Die orthomolekulare Apotheke

Wir haben unsere Trampelpfade. Und stolpern, wenn überhaupt, dann höchstens noch über unerwartet im Weg stehende großformatige Werbeflächen. Wenn wir nach Hamburg fahren, füllen wir meist in Altona ein Gepäckschließfach. Entweder weil wir eingekauft haben, oder weil einer von uns gerade auf Durch-, Weiter- oder Heimreise ist und deshalb saubere oder schmutzige Wäsche sowie eine überdurchschnittliche Menge an Lesestoff bei sich hat.

Heute Mittag stolperte ich im Bahnhof Altona über einen winzigen grasgrünen Kleber neben dem Metallgriff an der Glastür der Bahnhofsapotheke. Die Apotheke liegt auf unserem donnerstäglichen Trampelpfad vom Bahnsteig zum Schließfach. Oder vom Schließfach zum Bahnsteig. Zwischen die Füße sprangen mir heute die weißen Lettern auf grünem Grund: "orthomolekulare Apotheke". Ich frage W., was das heißen soll. Er, der eigentlich alles weiß, weiß es nicht. Er sagt, er kenne "ortho" nur in Orthographie. Und was heißt Orthographie? Rechtschreibung. Also hat diese Apotheke etwas mit Recht oder Richtigkeit zu tun? Mit aufrechtem Gang oder mit Aufrichtigkeit? Ich kenne, sage ich, "ortho" in Orthopäde oder Orthese. Damit befinde ich mich sachlich näher an der Apotheke als du. Wir stehen nebeneinander vor der durchsichtigen Apotheke. Sie hat nicht nur eine Glastür, sondern auch Glaswände, in denen sich die Umrisse unserer Körper spiegeln. Das bringt uns alles nicht weiter, sagt W. und Recht hat er. Also drehen wir uns um und fahren mit der Rolltreppe zum S-Bahnsteig hinunter.

Am Abend trennten sich unsere Wege. Er nahm den Nachtzug und ich kaufte mir gebratene Nudeln und stieg, wie gewohnt, in die NOB. Zu Hause wälze ich Wörterbücher und lerne, dass orthomolekular aus dem Griechischen kommt: orthos = richtig, Molekül = kleine chemische Verbindung, molekular = die Moleküle betreffend. Orthomolekular wird auch als "Baustein" erklärt. Die orthomolekulare Medizin, heißt es, gehöre zu den komplementärmedizinischen Methoden und setze Substanzen wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren oder Fettsäuren ein, um die Gesundheit zu erhalten oder Erkrankungen zu lindern. So weit, so gut. Was aber, wundere ich mich weiterhin, tut die orthomolekulare Apotheke in Altona? Obwohl es schon spät ist, schalte ich den Computer ein. Einer Internetanzeige entnehme ich Folgendes: "Sie erfahren bei uns, mit welchen orthomolekularen Mitteln Sie Krankheiten heilen oder deren Entstehung verhindern können. Als Produkte verwenden wir Burgerstein oder Hepart. Gerne nehmen wir uns Zeit, um für Sie die geeigneten Substanzen herauszusuchen." Heißt das nun, dass die orthomolekulare Apotheke sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie Zeit hat, respektive sich Zeit nimmt? Woher auch immer. Wem auch immer. Gerade am Bahnhof ist der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen, denke ich und führe Selbstgespräche in die Nacht ein. Ein wahres Mysterium, dieser Bahnhof!

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Der erste richtige Schnee

Der erste Schnee fiel am 14. November 2007 (wie fadenscheinig, kann dort nachgelesen werden). Der erste richtige Schnee fällt heute. Es schneit den ganzen Vormittag. Dicke, nasse Flocken fallen unablässig vom Himmel. So etwas habe ich hier am Wattenmeer noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich laufe aufgeregt von einem Fenster zum anderen. Schaue aus dem Wohnzimmer in den Süden. Aus der Küche in den Norden. Aus dem Schlafzimmer in den Osten. Sitze am Schreibtisch und schaue in den Westen. Überall wachsendes Weiß. Ich kann mich nicht sattsehen an unserem naturbelassenen Rasen, dessen Löcher gnädigerweise ein-, zu- und glattgeschneit werden. Ich kann mich nicht sattsehen an den Tannen des Nachbarn, in deren Äste das Weiß dick hängen bleibt. Vom Badezimmerfenster aus kann ich mich nicht sattsehen an den Dächern der Nachbarn, die weiß und weißer werden. Von unserem eigenen Dach erspähe ich soviel, wie von einem zugeschneiten Dachfenster aus zu erspähen ist. Ich nehme an, dass auch auf unserem Dach das Prinzip der Ähnlichkeit gilt - similia similibus curentur. Ähnliches soll durch ähnliches geheilt werden. Oder anders gesagt: ähnliche Einzelreize werden als Einheit wahrgenommen. Auch auf unseren beiden Dächern bleibt der Schnee liegen. Der Schnee hebt die letzten verblichenen Reste der ehemaligen Grundstücksgrenzen endgültig und unwiderruflich auf. Im Haus, im Garten und auf dem Dach.

Gegen Mittag hört das Treiben vom Himmel hoch, in der bleiernen Luft, auf unsere bloßen Häupter herab, plötzlich wieder auf. Als wär's nur ein Spuk gewesen. Es war aber kein Spuk. Ich hole die Schneeschaufel aus der Garage und schaufle, wie alle Nachbarn rund herum, den Bürgersteig rund um unser Eckgrundstück lärmend leer.

Montag, 1. Dezember 2008

Schwiegervaters Geburtstag

Heute wäre Schwiegervater 80 Jahre alt geworden. Es ist kaum anzunehmen, dass er diesen Tag erlebt hätte, wenn er eines natürlichen Todes hätte sterben dürfen. Trotzdem oder gerade deshalb sind wir traurig.

Heute Mittag zeigte sich zum ersten Mal ein Grünspecht in unserem Garten. Sein Nacken und der Oberkopf leuchteten feuerrot aus dem Gras. Er hüpfte und pickte unter meiner verwaisten Wäscheleine herum, als ob es ausgerechnet dort etwas ganz besonders Leckeres aus dem Boden zu ziehen gäbe. Der Rasen unter der Wäscheleine ist merklich anders beschaffen als der Rasen im Rest des Gartens. Das fiel mir kürzlich auf, als etwas Schnee gefallen und ein paar Tage liegen geblieben war. Unter der Wäscheleine, dh auf dem Streifen, auf dem ich auf- und abtigere, hin- und herlaufe, wenn ich Wäsche aufhänge oder abnehme, war der Schnee deutlich schneller verschwunden als rundherum. Vielleicht sind die Würmer durch meine Schritte aktiver geworden. Vielleicht haben die Schattenwürfe unserer T-Shirts den Boden geistig angeregt. Vielleicht gibt es dort unter Tag verzweigte Ameisengänge. Wie auch immer. Der Boden unter der Wäscheleine scheint wärmer zu sein. Besser durchblutet oder besser durchlüftet, wer weiß. Dem Grünspecht gefiel es dort eine Weile. Ich beobachtete ihn vom Wohnzimmer aus, bis er aufflog und durch Nachbars Garten verschwand. Ich werde versuchen, ihn wieder herzulocken. Ich möchte ihn nicht bloß als flüchtigen, bunten Geburtstagsgruß verstanden haben. Wenn er erst einmal da ist, bilde ich mir ein, kann ich ihn beschwatzen, zu bleiben. Für immer. Und ewig. Bei uns wohnen so viele Wurm- und Wegameisenarten! Der Grünspecht soll, wie ich lese, gar nicht an Bäume klopfen wie andere Spechtarten. Sondern er liebt das Bodenständige. Er hat eine zehn Zentimeter lange Zunge mit verhorntem Ende in Form eines Widerhakens. Damit sucht er in der kalten Jahreszeit in den Spalten von Hauswänden und Dächern nach überwinternden Gliederfüßern wie Fliegen, Mücken oder Spinnen. Davon haben wir ausreichend! Neben faulenden Äpfeln auf dem Kompost haben wir auch noch Beeren anzubieten, vertrocknete Vogelbeeren und Samenmäntel der Eibe. Auch besteht unser Garten eigentlich nur aus lockerem Oberboden und Störstellen, in denen der Grünspecht mit seinem langen Schnabel bohren kann, soviel er will.

Letzte Woche kam das Fernsehen wieder auf uns zu. Man will uns noch einmal als Angehörige eines Opfers befragen. Vor laufender Kamera und als schmückendes Beiwerk für ein ehrgeiziges Projekt. Neben der besonderen Beschaffenheit des Bodens unter meiner Wäscheleine ist mir noch aufgefallen, wie einsam wir geworden sind durch ein Erlebnis, das wir mit niemandem teilen. Heute wäre Schwiegervater 80 Jahre alt geworden. Natürlich sind wir todtraurig.

Montag, 24. November 2008

Grünkohl und Haferflocken

Heute lag oben auf der Gemüsekiste, über den Saftflaschen von der Streuobstwiese und dem Tofu Natur, dem Feldsalat mit Postelein, den Bundmöhren, Butterrübchen und der Roten Beete und einem Laib Joldibrot wie ein weiches dickes Kopfkissen ein riesiger Sack mit Grünkohl.

Mein Hauskoch ist mit solch bodenständigem Gemüse meist aus rein zeitlichen Gründen überfordert, also begebe ich mich klaglos in die Küche. Auf meinem Schreibtisch liegt nämlich zur Zeit ein ziemlich kompliziertes Problem. Und unsere Naturkostlieferanten legen zur Aufmunterung immer zur Rechnung ein persönliches Schreiben mit Rezeptvorschlägen. Also lese ich, steige mit dem Blatt in der einen Hand auf die rote Rutsche und durchsuche mit der anderen unsere Gewürzvorräte. Ich bin immer bereit, das zu kochen, was man mir am Montag vor die Füße legt. Ich habe noch nie im Leben selbst Grünkohl zubereitet. Das einzige, was mir von den empfohlenen Zutaten fehlt, sind Haferflocken. Da ich auf sie nicht verzichten will, verlasse ich die Küche schnell wieder, ziehe mich warm an und steige aufs Fahrrad.

Danach bin ich eine geschlagene Stunde damit beschäftigt, die krausen Blätter von den dicken Blattrippen zu zupfen. Natürlich fällt das Kopfkissenvolumen schnell in sich zusammen. Ich lösche mit Dithmarscher Pilsener ab, gebe Haferflocken, Senfkörner, Pfeffer, mittelscharfen Senf, Honig und Sahne sowie, entgegen der Angaben auf dem Beipackzettel, eine höllischscharfe Chilischote (getrocknet, eigene Ernte) dazu und lasse das Ganze nur noch kurz aufkochen. Bissfest ist nämlich auch ein Genuss. Dazu gibt es Kartoffel-Gemüserösti.

Mein Hauskoch kommt nach Hause. Aus seinem Rucksack zieht er zwei Flaschen Coronas. Statt Blumen, sagt er. Beim Essen erkläre ich ihm, dass der Grünkohl bekömmlicher werde, wenn er mit Senf gewürzt sei, die Senföle regten die Verdauung an. Bei anderen Kohlarten nehme man aus dem selben Grund Kümmel, zum Grünkohl schmecke der aber nicht.

Mittwoch, 19. November 2008

Mein versteinerter Ostseedaumen

W. fuhr heute früh zu einer Tagung an den Timmendorfer Strand. In der Mittagspause ging er an der Ostsee spazieren. Am Abend kam er ans Wattenmeer zurück, umarmte mich und überreichte mir ein Geschenk. Einen Stein, den er im Sand gefunden habe, sagte er bescheiden. Einen grauen, etwas länglichen, feingeschliffenen, flachgedrückten Stein mit seltsamen Höhen und Tiefen.

Ich nehme den Stein in die Hand und befühle ihn von allen Seiten, betrachte und beschnuppere ihn. Dann sehe ich, dass es ein Finger ist. Der Stein ist mit einem Fingernagel ausgestattet, einem Nagelbett und einem Nagelmöndchen, einer Nageltasche und einer Nagelwurzel. Nur Finger brauchen solche Dinge. Nichts sonst auf Erden. Weil mein rechter Daumen immer noch nicht ganz gesund ist, presse ich den Steinfinger mit dem Mittelfinger an die Daumenunterseite. Ich merke, dass er da hinpasst, ja hingehört. Ich merke, dass auch die Einbuchtung für das Fingerglied meines Mittelfingers vorhanden, ja nur dafür vorgesehen ist. Der Stein ist nicht nur ein Finger, er ist mein Finger. Mein Daumen. Mein rechter Daumen. Ein etwas zerquetschter Abdruck meines ganzen rechten Daumens mitsamt eines Anflugs von Daumenballen und kurzer Daumenmuskulatur. Der Zeigefinger kann sich locker über die beiden Fingernägel legen, über den meines Körperdaumens und den meines Steindaumens. Das Geschenk - der Stein, mein Finger, mein Daumen - ist wie gemacht für meine rechte Hand und das schmerzende Daumensattelgelenk. Der Steindaumen hat, ich spüre es sofort, etwas Beruhigendes an sich. Die Wellen der Ostsee, die ihn zurechtgeschliffen haben, kühlen und entspannen den Körperdaumen. Die ganze Hand ruht. Wie auf einem Bett. Einem Steinbett. Einem Wasserbett. Einem Meeresbodenbett. Oder wundert sich. Denkt nach. Was auch immer. Nur der Zeigefinger mag sich noch bewegen, tippt leicht die Fingerkuppen an, die Spitzen des Steindaumens und des Auadaumens. Alle anderen Finger sind beschäftigt mit dem Zusammenhalt der Hand. Damit sie nicht auseinander stiebt. Damit kein Finger sich plötzlich verselbständigt oder verflüchtigt. Ringfinger und kleiner Finger legen sich anstandslos auf die Knie, als Verstärkung hinter den Mittelfinger in den Handteller. Mein Steindaumen hat den Nachteil, dass er nicht verbunden ist, weder mit der Hand noch mit dem Daumen noch mit dem Kopf. Dass ihm Muskeln, Knochen, Sehnen, Gelenke und Nerven fehlen. Er hat aber den Vorteil, dass ihn nichts verletzen kann. Kein Riss, kein Bruch, keine Entzündung, keine Schwellung, kein Verschleiß. Und er hat das Problem, dass er, falls niemand aufpasst, wieder in den Dreck fällt. Oder in den Schnee, der bald kommen wird, in den Strassengraben, in die Kanalisation. In der Meldorfer Bucht ins Watt. Dass er, falls wirklich keiner acht gibt, bei Ebbe im schwarzen Nordseeboden verschlickt.
Ein Finger allein kann ihn weder festhalten noch aufheben. Wir können fast gar nichts tun mit nur einem Finger. Ein vereinzelter Finger ist ziemlich verloren.

Wie oder wann mir mein rechter Daumen abhanden gekommen ist, wann er in die Ostsee oder in ein anderes Meer gefallen ist, weiß ich nicht. Am Timmendorfer Strand war ich in meinem ganzen Leben noch nie. Vielleicht wurde er angespült. Vielleicht verlor ich meinen Daumen schon vor Jahren. Vielleicht am Strand vor dem Hotel Emperor in Rajin-Sonbong. Oder vor Lahaina. Oder damals in Skagen, als ich im flachen Wasser stand und nur Augen hatte für das seltsame Zusammenspiel der Wellen. Als ich nicht verstehen wollte, obwohl ich es sah, wie sich die Nordsee an die Ostsee lehnt. Oder umgekehrt. Rücken an Rücken. Wie sich die Ostsee an die Nordsee lehnt.

Und es wird für immer ein Rätsel (oder ein Wunder) bleiben, wie oder weshalb es W. gelungen ist, sich ausgerechnet heute, an einem kalten Mittwoch im November am Timmendorfer Strand nach meinem verlorenen Daumen zu bücken.

Samstag, 15. November 2008

Die Seitenleiste

Mein Leben ist um eine Dimension erweitert worden: um die Seitenleiste. Was ich lange Zeit nicht wahrnehmen wollte, dringt nun immer mehr in mein Bewusstsein. Wenn ich Mails empfange, tauchen in der Seitenleiste (= die Leiste an der rechten Seite neben dem Fenster, in dem der Text der Mail zu lesen ist) "nützliche Anzeigen, Links und Inhalte" auf, die - wie mir weis gemacht wird, meinen "speziellen Interessen entsprechen". Dies sei, heißt es beruhigend weiter, ein "technologiebasiertes Programm" und die Links würden "mithilfe eines vollautomatischen Prozesses geschaltet". Und: "Niemand liest den Inhalt Ihrer E-Mails, um solche Links zu erzeugen, und es handelt sich dabei keinesfalls um Sponsoren-Links von Werbekunden." Natürlich nicht.

Wenn ich den neuesten Newsletter eines polnischen Verlags öffne (und ihm entnehme, dass mein Meister SCHREIBT!), verweisen in der Seitenleiste Links auf preiswerte polnische Bücher oder Onlinebuchhandlungen. Aber ich werde auch auf die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Karriere ohne Habilitation aufmerksam gemacht, sowie auf die Entwicklung der Bauzinsen. Wenn mir mein Mann mails von seiner Dienstadresse schickt, werden mir IMMER Antike Buddhas und Billigflüge nach China angeboten, manchmal gaukelt mir ein Link sogar etwas vor von der "einzigartigen" Natur der "Heidelandschaft". Schreibt er mir jedoch von seiner privaten Adresse, bekomme ich Tipps zu "Motorcoach charter" oder günstigen Ferienresorts. Hängt mir jemand eine excel-Liste (welchen Inhalts auch immer) an, bekomme ich prompt Unterstützung durch eine "Webbasierte, intuitive & schnelle Projektzeiterfassung" oder mit "Nanotechnik für Auto und Haushalt" und mir schwirrt der Kopf. Schickt mir jemand ein Foto aus der schneeverwehten Heimat, dann wird mir sofort nahegelegt, "kostenlose Gusskarten" (sic!) zu versenden, mit einer Begleitperson eine Nacht im "Himmelbett" zu verbringen oder Massivholzdielen ("Akazie bis Walnuß") zu verlegen.

Die Leiste ist etwas anderes als der Leisten und etwas ganz anderes als die Leistung.
Das Verb "leisten" kommt vom maskulinen Leisten. Der Leisten bezeichnet einen aus Holz oder Metall nachgebildeten Fuß für die Schuhmacherarbeit. Ursprünglich bedeutet der Name des Schuhmachergeräts Fußabdruck, Spur, Weg (den einer zurückgelegt hat). Das Verb "leisten" ist davon abgeleitet und besagt eigentlich dieser Spur nachgehen, nachspüren. Der Duden meint, dass auch die List zu dieser Wortgruppe gehöre und sich auf die Techniken der Jagdausübung und des Kampfes beziehe.
Die Leiste hingegen ist verwandt mit der Liste und meint eine Übergangsstelle. Im menschlichen Körper zum Beispiel die Übergangsstelle zwischen Rumpf und Oberschenkel. Am Wintermantel die verdeckte oder nicht verdeckte Knopfleiste. Bei jedem Stoff die Webkante.

Und die Seitenleiste? Meint sie den Übergang zur Seite? Oder den seitlichen Übergang? Die rechtsseitige oder linksseitige Übergangsstelle? Das einseitige Abdriften? Das Gespalten-, Zerhauenwerden? Abgesehen von ungeahnten Genüssen, die das Sprachzentrum im Hirn verzeichnen kann ("Sparen Sie bis zu 82% bei Beileid", "Zugstangensysteme", "Windverstrebungen", "Die Formel F für Ihren Umzug" usw), führt sie den gesunden Menschenverstand nur in den Wahnsinn. Und zwar absichtlich. Eine reife Leistung - von wem auch immer.

Freitag, 14. November 2008

Der Teetropfenrücksauger

Im Sommer kauften wir auf einer unser Eintagesradtouren durch Nordfriesland eine Teekanne. Eine schlichte weiße Teekanne mit Sieb und vier henkellosen Teebechern. Doppelwandig, versprach der Verkäufer im Teeladen, Sie verbrennen sich die Finger garantiert nicht!

Ich verbrannte mir die Finger, W. trinkt keinen Tee. Aber zurückbringen konnten wir die Teebecher nicht, es war schwierig genug gewesen, das Porzellan unzerbrochen an einem Samstagabend in einer von Sylt kommenden, völlig überfüllten NOB auf dem Fahrrad nach Hause zu transportieren.

Außerdem tropft die Teekanne gnadenlos. Und ich ärgere mich jedes Mal grün und blau, wenn ich Tee trinke.

Heute nun glaubte ich die Lösung für das zweite Problem gefunden zu haben. Das erste löse ich, indem ich abwarte, ohne Tee zu trinken. Ich kaufte im Fachgeschäft einen Tropfenrücksauger und ließ mir genau erklären, wie er funktioniert. Das "pfiffige" Metallteil, wie sich der Juniorchef ausdrückte, sorgt auf mechanische Weise dafür, dass der letzte Tropfen beim Ausgießen nicht auf die Tischdecke (das ist nicht mein Problem, wir führen keine Tischdecken in unserem Haushalt) fällt. Der Teetropfenfänger nutzt die waltenden physikalischen Kräfte: Die Schwerkraft zieht den letzten an der Teekannentülle hängenden Teetropfen zu Boden bzw. bei uns zu Hause auf den Glastisch. Der Schwerkraft wirkt die Adhäsionskraft entgegen, erklärt der Fachverkäufer, das heißt die geringe Masse und die verhältnismäßig große Oberfläche des Wassertropfens - Tee ist auch Wasser! - sowie sein anhaltender, allmählich aber erschlaffender Widerstand gegen das früher oder später eintretende Fallen Müssen. Der Tropfenrücksauger wendet das Kapillarprinzip an, und damit ist die Adhäsionskraft stärker als die Schwerkraft. Der Teetropfen wird beim Wiederaufrichten der Teekanne zurückgesaugt in den warmen und dunklen Teekannenbauch.

Passend soll der Teetropfenrücksauger für jede Teekanne sein, unentbehrlich und unzerstörbar, gemacht für die Ewigkeit. Es gibt ihn in zwei Größen. Ich lasse mir den größeren aufschwatzen. Den kann ich zu Hause nicht in den Ausgießer meiner schlichten nordfriesischen Designerteekanne stecken, er ist zu breit, also tausche ich ihn um gegen den kleineren. Der fällt beim Ausgießen mitsamt aller Tropfen in meinen einwandigen Teebecher. Schade! Die Physik hörte sich so überzeugend an aus dem Mund eines Dithmarscher Haushaltwarenfachverkäufers.

Montag, 3. November 2008

Der Schopfkarakara

W. ist zurückgekommen aus Mexiko mit lauter bunten Tieren im Koffer. Gebrannten, geschnitzten, gemalten, gestickten. Lackierten, glasierten, aufmerksam guckenden, lachenden, stehenden, schwebenden, schwimmenden, schweigenden. Wir brauchen den ganzen Abend, um sie aus schmutzigen Hemden und Strümpfen zu bergen. Ich werde eine ganze Woche oder länger brauchen, um sie artgerecht in den beiden Häusern unterzubringen. Manche brauchen Schutz vor der Erdanziehung (= einen festen Haken an der Wand), andere ein bisschen Zugluft, wieder andere ausreichend Unterwasserfreiraum, und eine Horde grell gefiederter Greifvögel kommt mir, ihr Protestkreischen hin oder her, zuerst unter das heiße Bügeleisen.
Das Wappentier von Mexiko ist der Schopfkarakara, ein Geierfalke. Er ist, wen wundert's, daheim geblieben. Dienst verpflichtet. Aber hier ist er zu sehen und zu hören:
http://de.encarta.msn.com/media_461514772/Schopfkarakara.html

Samstag, 1. November 2008

Keine Eule

Was sich seit Tagen abzeichnete, ist heute den ganzen Tag zu sehen: keine Eule!

Freitag, 31. Oktober 2008

Der Hauensteiner Kastanienschuh

Da der "Keschdemonat" (am helvetischen Hauenstein heißt er "Cheschdenemonet") seinem Ende entgegen geht und nun auch die Edelkastanie in unserem Garten alle Blätter fallen lässt, mache ich auf ein Unikum in der Geschichte des Arbeitsschuhs aufmerksam:
http://www.museum-hauenstein.de/p/d1.asp?artikel_id=1129

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Die Vorletzte Eule

Ich wunderte mich heute früh, dass ich die Letzte Eule vom Schlafzimmerfenster aus sehen kann. Dass sie sich nur noch in Deckung zur Straße bringt. Und mir den unverstellten Rücken, wie zum Abschuss bereit, darbietet. Vielleicht ist sie verzweifelt, denke ich, lebensmüde, absturz- oder selbstmordgefährdet, und laufe in Panik auf die Straße. Vielleicht hat sie strategisch und taktisch bald keine andere Möglichkeit mehr in den blassen Blättern, als in den Tod zu springen. Der Baum wird kahl und kahler. Alles, was die Eule tagsüber zum Überleben braucht - Schutz vor Feinden, damit sie zur Ruhe kommen und schlafen kann -, fege ich seit Tagen, Wochen ungerührt am Boden zusammen. Berge von feuchten, faulenden Ahornblättern türmen sich um meine überquellende Biotonne und bestimmt auch um die unseres Nachbarn, der die gegenüberliegende Straßenseite sauber halten muss.
Vielleicht sollte ich zum Wohle unserer Letzten Hauseule endlich dem Vorschlag meines Kollegen Nazar H., Performativdichter (siehe http://www.leykamverlag.at/www/shop/detail.php?ID=533) und bis vor kurzem Stadtschreiber in Graz (siehe http://stadtschreiber.mur.at/ - nur für literarische Feinschmecker!), folgen und die gefallenen Blätter an Seidenfäden auffädeln und zum Trocknen zurück in die Bäume hängen.

Als ich außer Atem unten ankomme, keuchend und mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stehe, wundere ich mich nicht mehr. Eulen wissen sich selbst zu helfen, das sehe ich sofort und lasse meine hilfsbereiten Arme sinken. Eulen sind nicht auf die skurrilen Ideen ost- oder westeuropäischer Dichter und Denkerinnen angewiesen. Unsere Dienstälteste Eule hat nach zwei Tagen Einsamkeit, Schmollerei oder Liebeskummer (was wissen wir schon von Waldohreulenkummer?) ihren Wächter wieder einbestellt. Die Kleine Eule, die Vorletzte - der Partner, Geliebte, Sohn oder untertänige Diener - sitzt ein paar Äste tiefer, richtet die Ohrpinsel auf, Federbüschel, die nichts mit ihrem Hörempfinden zu tun haben, und beäugt argwöhnisch alles (mich!), was sich unten auf der Straße bewegt, damit die Dame oben mit entblößtem Rücken ungestört weiter träumen kann.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Die Letzte Eule

Ich kann nur noch eine einzige einsame Eule im fünffingrigen durchsichtigen Ahornlaub entdecken.

Montag, 27. Oktober 2008

Ein Jahrhundert Schuhe

W. ist 20 Grad über dem Äquator gelandet und schickt als erstes ein Foto von einem glatten Jahrhundert (1900 -2000) Schuhe in Mexiko City. Oder von Schuhen im Alter von Einhundert Jahren und jünger, bis hin zu Minderjährigen und solchen im Schuljungen-, Kleinkind- oder Kindergartenalter, ausgestellt in einer Hotelvitrine. Vielleicht sind das lauter vergessene und stehengebliebene Hotelgästeschuhe? Angeblich war das Haus einmal das Beste am Platz, es muss also mindestens so alt sein, wie die Schuhe, die es einsammelt. Churchill, Marilyn Monroe, Marlon Brando, Charles Lindbergh ua sollen hier genächtigt (= ihre Schuhe abgestreift) haben.

Sonntag, 26. Oktober 2008

Der Warnlagebericht

Für Dithmarschen gilt heute bis 16 Uhr eine Wetterwarnung. Wie der Deutsche Wetterdienst so präzise voraussagen kann, wann die Sturmböen (Windstärke 8, bis 74km/h) an der Küste vom gelben in den grünen Bereich abflauen, wann im Binnenland die Binnenböen (Windstärke 7, bis 60 km/h) an Kraft verlieren, wann der Wind von Südwest auf West dreht, wann die Gefahr herabstürzender Äste oder anderer, etwa von Dächern herabfallender Gegenstände gebannt ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wetterwarnung ist längst nicht so schlimm wie Unwetterwarnung. Aber es gibt auch Warnungen vor markantem Wetter, lese ich. Die Unterschiede sind in den Graphiken und auf den Landkarten jeweils farblich gekennzeichnet. Was diese Farben für den Himmel über dem Wattenmeer oder meinen Garten, unsere Bäume, das Laub und die verbliebenen Eulen bedeutet, sagt mir niemand.

Gestern schien die Sonne und ich mähte zum letzten Mal in diesem Jahr Rasen. Wir füllten 6 Säcke mit Straßenlaub für die AWD, fegten das Laub vom Apfelbaum und Kastanienbaum zu einem gartengerechten Laubhaufen zusammen und hoffen, dass sich nun ein Igel bei uns einquartiert. Aber auch die Amseln, Meisen und Rotkehlchen werden uns dieses Schlemmerparadies danken. Ganz zu schweigen von den Regenwürmern, Spinnen, asiatischen Marienkäferchen und Spitzmäusen. Die letzteren setzen wir den Eulen zum Fraß vor. Gestern sichteten wir noch 5 im großen Ahorn. Über Nacht ist die Zeit umgestellt worden, der Baum noch kahler geworden und W. nach Mexiko geflogen. Heute früh klammern sich nur noch 3 an den fast nackten Stamm: Die beiden kleineren, aufmerksamen, die sich immer putzen und immer gucken. Und die eine alte, dicke, träge, aufgeplusterte, die Dienstälteste, die wie seit Monaten ganz oben ganz ungerührt aller Windstärken und Regenmengen ganz tief schläft.

Wetterwarnung ist längst nicht so schlimm wie Unwetterwarnung oder Vorwarnung zu Unwetterwarnung oder Warnung vor extremem Unwetter. Täglich gibt es einen Warnlagebericht, der Warnereignisse und Wetterthemen zusammenfasst, auch wenn gar keine Warnungen am Horizont stehen und es weder Wetter noch Unwetter gibt.

Montag, 20. Oktober 2008

Die Kotztütensammlung

Außer Ansichtskarten sammle ich auch Kotztüten. Nach dem morgendlichen Besuch beim Orthopädietechniker, der meinem rechten Daumensattelgelenk eine Orthese anpasste, die fast bis zum Ellbogen reicht, empfinde ich ein unüberwindliches Bedürfnis nach taktiler Betätigung. Ich teste die Fingerfertigkeit beider Hände und sortiere meine Kotztüten. Vornehmer ausgedrückt sind das Spuckbeutel. Auf den Außenseiten dieser wasserdichten, innen beschichteten Papierbeutel finde ich globalisierte Bezeichnungen wie "airsickness bag", "Wastebag", "disposal bag", "clean bag" und so weiter.
Ich sortiere ohne Sinn und Verstand. Erstmals nach noch existierenden Fluggesellschaften und nach nicht mehr existierenden Fluggesellschaften. Die Kotztüten der Letzteren müssten eigentlich an Wert gewinnen - gäbe es eine Kotztütensammler- und tauschbörse. Die gibt es aber meines Wissens nicht. Also sortiere und bewerte ich die zumeist von W. nach Hause mitgebrachten Exemplare nach meinen ganz persönlichen Vorlieben. Besonderes Augenmerk verdient folgende Aufschrift: "Your bag for Waste, Abfall, Déchet, Spazzatura". Wer um Himmels Willen soll verstehen, was in diese Tüte gehört?
Nun sortiere ich mit Sinn und Verstand. Nach Kommunikationsgehalt. Nach transportiertem Verständnis. Nach einer transparenten Botschaft. Manche sind sprachlich schlicht wie „Spuckbeutel“, „Beg Mabuk Udara“, „Bolsa de mareo“, „sac pur mal de l’air“, "koyakkan di sini", „desperidicios“ oder „Prullenzakje“ und so weiter. Andere geben klare Handlungsanweisungen: TEAR OFF TO OPEN“, „Please fold over“, „Use clip to close firmly“, „After use fold toward you“ oder - der Gipfel an kategorischem Imperativ: „Nach Gebrauch schließen und auf den Boden stellen“. Wieder andere klären die Welt des Kotzens und sondern sie ab von der Welt anderer Verschmutzungen: „No Cigarettes“, „Solid Litter only“.
Elegisch gebärden sich nur deutschsprachige Kotztütenaufdrucke: „Bei Benutzung im Falle von Luftkrankheit den Beutel bitte dem Kabinenpersonal zur Beseitigung übergeben“. Englischsprachige bemühen sich dagegen, wenn sie schon Wörter aufhäufen, um kühle Distanziertheit: „for your convenience you may use this bag as your waste bag“.
Moderne Billigfluganbieter nehmen die Sache mit Humor: „Vielen Dank für Ihre Kritik“, „Take it with a smile“, „War doch nur ein Luftloch“. Auch in diesem Wirtschaftszweig ufern deutsche Texte(r) schulmeisterlich aus: "Zur Erinnerung an alle Sammler: Tüte nur leer ins Album kleben".

Auf einem „disposal bag“ der China Northern Airlines finde ich handschriftliche „remarks“. Es handelt sich eindeutig um den blauen Kugelschreiber von W. 8 Punkte „to remember“, säuberlich untereinander gestellt. Eindeutig das Handwerk des Professors. Wahrscheinlich seine ersten Gedanken auf dem Weg zur Promotion.

Die allerschönsten Exemplare von Kotztüten, ich mag sie gar nicht mehr aus den Händen legen, sind aber blütenweiß. Ich besitze zwei davon. Sie verraten weder Sinn noch Unsinn, weder Bestimmung noch Nationalität, weder Gebot noch Gebet, weder Name noch Logo. Einfach Nichts. Da sie in der Größe nicht identisch sind, muss ich annehmen, dass sie von zwei verschiedenen Fluggesellschaften stammen und kann sie also beide behalten. Doubletten werden nämlich, um einer Kotztütenschwemme vorzubeugen, unerbittlich aussortiert.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Das Baumhändeangebot

Das Kuratorium "Baum des Jahres" tagte im Berliner Zoo und erkor den Berg-Ahorn zum Baum des Jahres 2009.

Bäume, entnehme ich den Pressemeldungen, haben Beine und Gefühle. Denn längst sei der Baum der Alpen auch in "deutsches Mittelgebirge"und in "flaches norddeutsches Land" gewandert, wo er sich als Park- und Straßenbaum, als Feldgehölz und im Wald "ausgesprochen wohl" fühle. Daraus schließe ich, dass es dem Berg-Ahorn ähnlich ergeht wie mir.

Um mir selbst dies zu beweisen, bin ich sofort auf die Schleswiger Straße hinausgelaufen. Es wurde gerade hell und ich zählte zuerst unsere Eulen (heute: 2/4 - gestern: 4/3) und inspizierte danach das über Nacht gefallene Laub. An der Straße vor unserem Haus stehen drei Ahornbäume in drei verschiedenen Größen. Für jedes Alter einer. Vor der Eingangstür wächst der größte Ahorn. Rechts daneben, vom Haus aus gesehen - oder links, von der Straße aus gesehen - in südlicher Richtung, vom Erdmittelpunkt aus gesehen - steht der mittlere Ahorn. Und noch ein paar Schritte weiter nach Süden, neben dem neuen kastanienbraun lasierten Holztor vor der gepflasterten Auffahrt zur halben Garage, behauptet sich der kleinste Ahornbaum. Er ist der jüngste und schnellste, er hat bereits alle Blätter abgegeben. Im mittleren ducken sich nun die kleinen Eulen in durchsichtigem Gelb. Der Baum verliert die Blätter erbarmungslos, von den Astenden her zur Baummitte. Halbe Äste ragen kahl in den Morgenhimmel, rund um den Hauptstamm trotzen die verbliebenen Blätter, wie ein Baumwipfel im Baum, Wind und Wetter. Im großen Ahorn pennen selig die alten Eulen. Sie haben noch guten Schutz und ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich jede dieser Schlafmützen entdeckt habe. Die Blätter an den nach Süden abgehenden Ästen leuchten bereits in einem kräftigen Sonnenuntergangsgelb, während die restlichen noch unverdrossen grün sind. Ein zweifarbiger Baum, wie ein halbseitig gelähmter Mensch. Die Blattprobe ergab: Spitzahorn.

In der Zeitung lese ich, die fünffach gelappten Blätter aller Ahornarten erinnerten an "gespreizte Baum-Hände". Sie sollen im Volksglauben "Zauberer und Hexen" fernhalten können. Auch herrsche in Europa der Aberglaube, Ahornholz als Türschwelle würde "unheimliche Wesen aller Art abschrecken". In den Alpen stellten deshalb die Menschen belaubte Ahornzweige ins Fenster.

Unsere Häuser bewahren drei Ahornbäume verschiedenen Alters: der Älteste schützt die Haustür, der mittlere die Sauna, der jüngste die offene Auffahrt zum Garten. Die Eulen schlafen - wie bereits mehrmals an dieser Stelle gesagt, aber es kann nicht oft genug wiederholt werden - nur in den Ahornbäumen, sie hocken auf Ahornholzzweigen, umgeben von Ahornbaumhänden. Die viel mächtigere Edelkastanie verschmähen sie, ganz zu schweigen vom Apfelbaum, der Eberesche, der Pappel, der Felsenbirne oder der Ölweide. Auch Eulen sind also abergläubisch. Oder der Ahorn ist sicherheitstechnisch auch für Raubvögel zuständig.

Falls jemand Bedarf hat an Unheil ergreifenden und somit Unheil abwendenden Baumhänden, hier mein Angebot:
- Ahornlaub ab sofort umsonst abzuholen für Selbstfeger, Selbstsammler und Selbstpacker
- Ahornlaub bereits abgepackt ab sofort gegen eine geringe Schutzgebühr abzugeben

Derzeitiger Lagerbestand:
1 x 120 L Biotonne gefüllt mit Ahornlaub (Achtung: wird nächsten Montag von der AWD geleert)
4 x 60 L Laubsack gefüllt mit Ahornlaub (Achtung: werden am 31. Oktober im Rahmen einer außerordentlichen, zweimal jährlich stattfindenden Abfuhr "Baum- und Strauchschnitt" von der AWD abgeholt)
3 Haufen Ahornlaub undefinierter Größe

Voraussichtlicher Ertrag bis zum Ende der Ahornblättersaison ab dem heutigen Tag:
mindestens jeden zweiten Tag 1 x 60 L Laubsack bis oben gefüllt

Montag, 13. Oktober 2008

Die Biegesteifigkeitsdifferenz

Zum Montag, dem Dreizehnten ein Wort, das ich nicht verstehe. Falls sich jemand dazu in der Lage (s.u.) fühlt, kann er mir das Wort, die Biegesteifigkeitsdifferenz gerne erklären. Ich verrate weder, wo ich dieses schwierige Wort her habe, noch weshalb ich auf die Idee gekommen bin, so etwas am Firmament zu suchen. Etwas, ein Wort, das ich gar nicht verstehe.
Wo Wörter herkommen, weiß heutzutage jeder. Aber keiner weiß, da bin ich ganz sicher, kein Mensch kann sich denken, warum ich mir zur neuen Woche ausgerechnet dieses eine Wort auf den Bildschirm zaubere - und kein anderes. Kein harmloseres, freundschaftlicheres, zugänglicheres. Kein weicheres, zärtlicheres, einschmeichelnderes. Nicht zum Beispiel die "Sandwichkonstruktion" (oder alternativ das "Sandwichprinzip" oder den "Sandwichaufbau"). Oder den "Festigkeitsgrund". Oder den "Materialübergang".
Wörter wie "Lauffläche" und "Basissohle" liebe ich nur der Konsonantenhäufungen an einer bestimmten Stelle, der Wortschnittstelle wegen, das dürfte mittlerweile allen klar sein. Adjektivisch verwendet kann ich mit solchen Wörtern poetisch ungeahnte Geschmackssensationen erzeugen. Versuchen Sie sich doch bitte einmal die "laufflächenseitige Decklage" auf der Zunge zergehen zu lassen. Den gesunden Menschenverstand würde es hier nach einer Grundlage, der Unterlage weit eher dürsten als nach der Decklage. Aber die Ausgangslage (s.o.) ist nun einmal anders und die Gemengelage gefährlich.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge 3

Da es Sonntag ist, laufen wir den ganzen Tag kreuz und quer über die Hallig. Am Morgen bei Regen zur Kirchwarft ("Schwarzbrotpredigt"), am Mittag bei Sonne zur Hanswarft (Labskaus in der T-Stube), am Nachmittag ohne Wind zur Ockelützwarft (Halligführung). Am Abend bei aufsteigendem Seenebel zur Backenswarft (Kaffee im Blauen Pesel). Bei einbrechender Dunkelheit holt uns die Fähre am Fähranleger ab. Es ist stockdunkel, bis wir das Festland erreichen.

Der Hoogener Pastor sucht eine Organistin oder einen Organisten zur Verschönerung seiner Gottesdienste (das wäre eine echte Alternative zur Vogelwartin auf Habel). Bis jemand gefunden ist, spielt er selbst die Orgel. Seine heutige Predigt (er kündigte sie als "Schwarzbrot" an, nach dem prallen Erntedankfest vor einer Woche) untermalte mit Querflöte die Pilgerpastorin vom Kloster Loccum.

Samstag, 11. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge 2

Wir umrunden das Nichts zu Fuß.
Zuerst ist der Wind mit uns.
Dann ist der Wind gegen uns.
Zuerst kommt das Wasser zu uns.
Dann geht das Wasser von uns.
Das einzige, was bleibt, ist der Himmel über uns.

Freitag, 10. Oktober 2008

Auf Hallig Hooge

Das ist es, was ich liebe: das Nichts! Das absolute Nichts.

Geschenk zum Geburtstag von W., auf den, wie gesagt, immer Verlass ist: drei Tage auf Hallig Hooge!

Samstag, 4. Oktober 2008

6/3

Pünktlich zum Samstag vergrößert sich unsere Eulenpopulation. Am Vormittag schien die Sonne und wir entdeckten im kleinen Ahorn sechs, ziemlich zerzauste Eulen, die nach dem nächtlichen Sturm ihre triefenden Federn zu trocknen versuchten. Im großen Ahorn schliefen die drei Damen in großzügigen Abstand zueinander.
Vor dem Hagelschauer ist es uns gelungen, alle Äpfel zu pflücken und in der Garage einzulagern. Danach sind auch wir ins Haus geflüchtet. Wir werden es bis auf weiteres nicht mehr verlassen. Denn es sieht ganz so aus, als würde der Regen nun nie mehr aufhören.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

shoe it yourself

Für manches Ungemach ist Mann oder Frau selbst verantwortlich. Ich stehe mittlerweile vor dem Problem, dem Glück oder Unglück, dass ich blauen Schuhen nicht mehr widerstehen kann. Heute kaufte ich ein Paar hochhackige, meerblau und auf Hochglanz lackierte Pumps. In meiner Größe. Ich könnte sie also, wenn ich wollte und das passende Täschchen und Kleidchen dazu besäße, tragen. Aber ich will sie natürlich nicht tragen. Schon um der armen Füße willen. Die Zehen und der Mittelfuß schmerzen allein beim Gedanken an den hohen spitzen Absatz. Nein, ozeanblaue Schuhe kaufe ich nur für meine weißen Wände.
Zu meiner Verwunderung fragte mich die Dame an der Kasse, ob ich die Schuhe mit oder ohne Schachtel nach Hause nehmen wolle. Ich kaufte die Schuhe nämlich nicht in einem Schuhgeschäft. Von professionellen Schuhverkäuferinnen bin ich diese Frage gewohnt. Aber von einer Kassiererin, die ungerührt Bargeld oder Kreditkarten für Männerdessous, Korbstühle oder sizilianisches Balsamico entgegennimmt, überraschte mich diese Frage. Es ist nicht nur in Meldorf so, dass in der Gärtnerei an einem lauen Sommerabend Jazz gespielt wird oder beim Optiker Modelleisenbahnenschienen durchs Schaufenster führen. Überall auf der Welt kann man in coffeeshops Wintermäntel oder Kosmetikspiegel erwerben, in den Buchhandlungen Autos gewinnen, beim Innendekorateur zu Mittag essen und so weiter. Die Verkäuferin, die mich nach der Schuhschachtel fragte, räumte, nachdem ich die Frage bejaht hatte ("ja, ich möchte bitte die Schuhe in der Schuhschachtel nach Hause tragen"), resolut sämtliches Stopf- und Schonmaterial aus der Schachtel heraus. Das Seidenpapier, in das der linke Schuh eingewickelt war, das Seitenpapier, in das der rechte Schuh nicht mehr eingewickelt war, weil ich ihn anprobiert hatte, die zusammengeknüllten Seidenpapierballen, welche die Spitzen beider Schuhe ausfüllten sowie die beiden Einwegschuhspanner, welche die Form der Schuhe für den Transport sicherten. Das alles warf die Dame an der Kasse mit einer Entschiedenheit in diverse Abfallbehälter hinter und unter ihrer Kasse, dass ich starr vor Schreck nicht zu protestieren wagte. Die Schuhe hatten einen Heimweg von über einhundert Kilometer vor sich! Die Nächte an der Nordsee sind bereits empfindlich kalt! Stürme mit Windstärke acht sind angesagt! Der bunte Lack muss unzerkratzt bleiben, sonst akzeptieren ihn meine weißen Wände nicht! Und dann bliebe mir - nicht auszudenken! - am Schluss doch nichts anderes übrig, als die Schuhe irgendwann, wenn mir ihr unaufhörliches Jammern und Zetern im Schrank den letzten Nerv raubte, ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen: sie über meine armen Füße zu stülpen und am Sonntagnachmittag mit ihnen am Strand spazieren zu gehen ...
Das einzige, was mit den Schuhen in der Schachtel verblieb, war ein Plastiktütchen mit zwei quadratischen Absatzgummisohlenflicken mit Profil und fest verbundenem Metallstift zum Eindrehen. Ich traute meinen Augen nicht. Ich werde eines Tages meine pazifikblauen Lackpumps von der Wand herunterholen und ihre Absätze selber neu besohlen müssen. Shoe ist yourself!

Samstag, 27. September 2008

Chambre séparée

Seit heute sind Sitzordnung, Anzahl und Geschlecht eindeutig definiert: drei Eulenmännchen sitzen im kleineren Ahorn und vier Eulenweibchen thronen im großen Ahorn. Die Eulen beider Gruppen sind sich näher gerückt. Bald bekommen wir alle sieben auf ein Bild.
Die Blätter des kleinen Ahorns sind schon durchwegs rötlich gefärbt und lichten sich.
Der große Ahorn trotzt noch ein bisschen der Zeit, bleibt grün und dicht. Es ist durchaus möglich, dass er unseren neugierigen Blicken weitere aufgeplusterte Eulenweibchen vorenthält. Dann betriebe er sogenannte Augenwischerei. Gleichzeitig verschont er mich noch gnädig vor zuviel Laubfegerei.

Freitag, 26. September 2008

Die Gartenkarre

Weil Besuch mit Auto da ist, haben wir heute eine 80 Liter fassende Gartenkarre, auch Schubkarre oder Schiebkarre genannt, angeschafft. Sie war in ihre Einzelteile zerlegt, was den Transport erleichterte. Ich ließ es mir nicht nehmen, sie selbst zusammenzuschrauben. Ich brauchte dazu meine beiden Hände sowie 9 Schrauben und 9 Muttern. Die Montageanleitung empfahl mir, zuerst alle Schrauben von Hand einzudrehen. Dann erst die Muttern mit einem geeigneten Werkzeug, zum Beispiel einem Rollgabelschlüssel nachzuziehen. Und nach einigen Tagen des intensiven Gebrauchs alle Muttern der Karre erneut festzudrehen.
Ich halte mich immer an Ratschläge auf Beipackzetteln. Sobald wir die Äpfel gepflückt und in die Garage gefahren haben, sobald wir den Kompost rund ums Haus verteilt haben, sobald wir das Laub und die stachligen Cupulae unter der Edelkastanie zusammengerecht sowie aus dem Baumhaus herausgefegt haben und die ganze Ladung, oder falls nötig auch mehrere in die neu ausgehobene Miete gekippt haben, werde ich die Gartenkarre auf den Kopf stellen und gelockerte Muttern bis zum Gehtnichtmehr festziehen.

Samstag, 20. September 2008

Eulenzählen

Wir entdeckten heute die vierte (im kleinen Ahorn) und die fünfte (im großen Ahorn) Eule. Die Spuren am Boden zeigen uns, wo sie sitzen. Die Anzahl der frischen Gewölle lassen vermuten, wieviele es sind. Wir mutieren zu Eulenzählern, W. der Eulenzähler und ich, die Eulenzählerin. Unsere Hauptbeschäftigung der nächsten Tage wird sein: Eulenzählen! Gleichzeitig beginnt das Laub zu fallen. Auch die Bäume hinterlassen Spuren am Boden. Wir wissen, dass die Eulen in den Laubbäumen tagsüber nur so lange sitzen bleiben, so lange die Blätter sie vor neugierigen Blicken der Menschen schützen. Die Nachbarin erzählte, dass die Waldohreulen im Winter bei ihr in den Tannen sitzen. Bis zu 15 Eulen drängten sich in einen Nadelbaum. Aber wenn es ihnen zu bunt oder zu laut werde, würden sie auch plötzlich verschwinden. Für ein paar Stunden oder Tage. Zum Beispiel, wenn Besuch aus der Stadt da sei und die Eulen aufdringlich und penetrant anstarre. Vielleicht versammeln sie sich jetzt bei uns, geben Rechenschaftsberichte über Zucht- und Jagdergebnisse des Sommerhalbjahres ab. Vielleicht beratschlagen sie in den Ahornbäumen über Winterschlafformationen. Während die Gastbäume schon das Laub fallen lassen, flüstern die Eulen sich womöglich Liebesschwüre in die Ohren, taktieren und intrigieren und stellen schließlich einen vernünftigen Überlebensplan für die kalte Jahreszeit auf, an den sich alle ohne zu murren halten werden. Die Chefwaldohreule, ein Weibchen, sitzt jetzt schon zuoberst im großen Ahorn. Sie genießt das Ältestenrecht. Sie war zuerst bei uns. Kaum hatte ich vorhin die gröbsten Gewölle unter den Bäumen weggefegt, fiel hinter mir, platsch, ziemlich viel schneeweißer und flüssiger Kot auf die Strasse und zerplatzte auf dem Asphalt. Das war sie, die alte und ehrwürdige Waldohreulendame! Damit hat sie mir deutlich und sichtbar zu verstehen gegeben, was sie von meinem Samstagstun hält. Uhus sollen, wie ich kürzlich las, mit dem leuchtend weißen Kot ihr Revier abstecken - warum sollen das also unsere Hauseulen nicht auch tun? Erst jetzt, wo es bereits ihrer fünf sind, entdecke ich auch Gewölle und weiße Kotspuren im Garten auf dem grünen Rasen. Bislang hockten sie nur außerhalb der Ligusterhecke, über dem schwarzen Asphalt. Und hinterließen dort, was sie verdauten oder was sie nicht verdauten und ausspuckten.

Donnerstag, 18. September 2008

Sprossenwanddemontage

Nein, ich habe sie nicht vergessen. Meine Lieblingswörter! Die Wörter, mit denen ich mein höchstpersönlich eigenes Jahr ausstaffieren werde. Meine privaten Wörter meines privaten Jahres. Nein, ich habe es nicht vergessen. Mein Jahr der Komposita. Mein Jahr der zusammengesetzten Substantive, dieser unerschrocken endlos langen und endlos verlängerbaren Wortungeheuer, welche die ungewöhnlichsten Konsonantenverbindungen und Konsonantenhäufungen an ihren ehemaligen Grenzen auflodern lassen. An den innerwörtlichen Grenzen, an den Enden oder Anfängen der einzelnen Wörter, der Wurzelwörter, der Zauberwörter, der sinnstiftenden oder sinnentleerenden Zusatzwörter und so weiter und so fort.
Da tauchen dann plötzlich auch Zwillingspaare auf.
Zum Beispiel ein seltenes Doppel-d. Alle Doppel-d's dieser Welt sind geistiges Eigentum des Dichters Joachim Ringelnatz, der bis 1919 mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher hieß. Die Doppel-d's gehören genaugenommen seinem Seemann Kuttel Daddeldu. Noch genauer genommen stammen sie aus dessen poetischem Sprachschatz. Fast alle in diesem Schatz vergrabenen Doppel-d's sind vereinigt in der Gedichtzeile "Daddeldu Duddel Kuttelmuttel, Katteldu". Bis vor ein paar Jahren konnte man den Seemann KuddelDaddeldu auch noch im Namen eines Stralsunder Restaurants antreffen. Das wurde aber mittlerweile, wie ich einer Pressemeldung der Ostseezeitung entnehme, von innen und außen "aufgehübscht" und nennt sich nun lapidar "Hafenkneipe".

Einer ganz anderen Quelle entspringt das heutige Doppel-d mit seinen vielen wunderlichen Gespanen im Gepäck: Der Basellandschaftlichen Zeitung. In Gelterkinden (Gemeinde im Bezirk Sissach im Oberbaselbiet) heißt es, wie ich in der NOB (NordOstseeBahn) zwischen Wilster und Itzehoe, also schon jenseits des Kanals, sprich: fast in Hamburg lese, ist eine "Dreifachturnhalle" gebaut worden. Was immer man sich darunter vorstellen mag - dadurch ist die bisherige, fast 40 Jahre alte Turnhalle überflüssig geworden. Und da die Sekundarschule seit Jahren mit Platzproblemen kämpft (eine mögliche Folge der Stadtflucht kinderreicher Basler Familien), wurde beschlossen, die alte Turnhalle, die sogenannte "Pinguinhalle" in Schulräume umzubauen. Nie haben dort lebendige Pinguine gehaust. Aber hinterlistige oder hellsichtige Schüler mögen einmal einen oder mehrere Pinguine an die Innen- oder Außenwände gesprayt haben. Genaueres wird mir leider nicht gesagt in dem Zeitungsartikel, weder zur Anzahl noch zum Aussehen noch zum Standort der Gelterkinder Pinguine. Nur der Name der Turnhalle im Volksmund wird erklärt, grammatikalisch nicht ganz zu meiner Zufriedenheit: sie werde so genannt "wegen des Graffitis eines Lehrers, das längst nicht mehr sichtbar ist".
Ich lerne daraus so viel, dass die Welt aus sichtbaren und unsichtbaren Dingen besteht. Daraus wiederum folgere ich, dass die unsichtbaren Dingen in Wörtern weiterexistieren. Und dass ich mich nicht zu wundern brauche, wenn Sprache zuweilen keinen Zusammenhang, keinen für mich ersichtlichen Sinn zur Wirklichkeit mehr herstellt.
Der "Spatenstich" für die neuen Schulräume erfolgte durch die Sprossenwanddemontage. Dokumentiert wird dies in der Zeitung durch ein Schwarzweißbild. Ich sehe und glaube es, denn hier habe ich es mit der sichtbaren Welt zu tun, dass Hand anlegten: der Architekt, die Gemeindepräsidentin und ein Baukommissionsmitglied.

Mittwoch, 17. September 2008

Die dritte Eule

Seit heute früh haben wir eine dritte Hauseule. Hier guckt sie ganz neugierig, wer sie denn so neugierig anguckt.

Sonntag, 14. September 2008

Haithabu

Vor sieben Jahren schenkte ich W. zum Geburtstag einen Ausflug nach Haithabu. Irgendetwas hinderte uns damals, er war gerade 44 Jahre alt geworden und schrieb wahrscheinlich an den letzten Zeilen seiner Dissertation, die Reise von Berlin nach Haithabu anzutreten.
Die Route war bereits festgehalten, mit genauem Zeitplan, im Computer und auf ein weißes A4-Blatt ausgedruckt:

25.2.
wa aus elmshorn, ja aus berlin (ab 16.15h), treffen ca. 19.00h in hamburg/pinneberg

26.2.
vormittags fahrt nach schleswig, einchecken hotel, nachmittags stadt angucken, ostsee

27.2.
10 h führung wikingerhafen haithabu, wikingermuseum, nachmittags schloss gottorf, ca 17 h rückfahrt, ca 21 h berlin

Darunter schrieb ich am 26.2.2001 von Hand mit einem roten Stift "Hast Du noch zu gut als Geburtstagsgeschenk".


Dieses A4-Blatt ist all die Jahre nicht verloren gegangen. Heute nun kann es endlich vernichtet werden. Ich sparte mir die Anreise aus Berlin sowie eine Übernachtung in Hamburg und eine zweite in Schleswig. Denn wir holen das Geburtstagsgeschenk als Eintagestour nach.
In der Früh stiegen wir, es war frisch wie im Winter und ich bedauerte, keine Handschuhe übergezogen zu haben, auf die Fahrräder, nahmen um 8.20 h am Bahnhof in Meldorf die NOB über Husum nach Schleswig, radelten von dort nach Haithabu, besichtigten das Wikinger Museum, die rekonstruierten Wikinger Häuser (die hätten wir vor 7 Jahren noch nicht gesehen, also hat sich das Ausharren gelohnt), das Danewerk ("größtes archäologisches Denkmal Nordeuropas") und das Danewerkmuseum, fuhren dann westwärts auf dem Ochsenweg, der Waldemarsmauer entlang, bogen in Hollingstedt auf den Eider-Treene-Sorge-Weg ein, durchquerten mehrere Moore bis wir auf dem Wikinger-Friesenweg nach Schwabstedt kamen, wo wir uns beeilten, um vor dem Regen Friedrichstadt zu erreichen. Abendessen im Alten Amtsgericht. Rückfahrt mit der NOB. Meldorf an 21.08 h.

Samstag, 13. September 2008

Samstag, der Dreizehnte

Ich bin nicht abergläubisch. Ich glaube weder an einen Dreizehnten noch an einen Freitag oder Montag noch an ein Unheil an einem Samstag. Vollmond ist erst übermorgen. Die ganze Woche war in tiefes Blau getaucht. Und heute ist der Tag des Grün. Grün wie Gras. Ich mähe Rasen. Rund um unsere Häuser. Das kostet mich einen halben Tag. Ich mähe und reiße Unkraut aus, grabe Ahorntriebe aus und fälle mit der Baumschere unerbittlich, ja grausam, denn sonst überfällt eines Tages der Ahorn uns und unsere Häuser, junge Ahornbäume, Ahornschonungen, ganze zukünftige Ahornwälder verlagere ich in die Biotonne, dann entferne ich suppentellergroße Pilze aus dem Moos, grabe stachlige Hagebuttentriebe aus, ziehe grüne Gartenhandschuhe an und nähere mich mutig den Brennnesseln und Disteln. Grabe Giersch aus, ziehe kilometerlange Gierschwurzeln aus dem Boden und weiß, dass dem Giersch trotzdem nicht beizukommen ist. Sammle grüne gefallene Äpfel ein. Und (heute zum ersten Mal) fasse vorsichtig gefallene grünstachlige Maronen an. Suche bunte Ahornblätter. Der kleinen Eule erkläre ich, dass ich leider lärmen muss mit dem Rasenmäher, sonst werde ich nicht Frau des Grün. Die große Eule ist heute ausgeflogen. Wahrscheinlich ist sie immer am Dreizehnten eingeladen zum Kaffee bei ihrem Liebsten.

Ab heute ist die Grenze zwischen den beiden Grundstücken endgültig aufgehoben. Nun liegt eine Wiese vor dem Küchenfenster - und nicht mehr zwei Wiesen getrennt durch einen Streifen dunkler (nasser) oder heller (trockener) Erde, auf der die Turteltauben, Grünspechte, Drosseln, Meisen und Spatzen sich lüstern tummeln und unsere Grassamen wegpicken.

Das Gras ist trotzdem gewachsen. Die Grenze ist trotzdem verschwunden. Vor und hinter den Häusern.

Mittwoch, 10. September 2008

Das blaue Gartentor

Heute vor einem Jahr kam der Umzugswagen nach Meldorf. Da das ungelenke Vehikel mit Anhänger, 2 Containern mit diesem und jenem, über 200 Bücherkisten, unserem Ehebett, diversen Tischen, Stühlen, Schränken und mehreren Stoffbären und Stoffpinguinen, nicht in die Einfahrt an der Flensburger Str. passte, wurde unser ganzes Hab und Gut durch das blaue Gartentor an der Schleswiger Str. ins Haus hinein getragen.

Heute vor 177 Monaten heirateten wir in Warschau. Vor einem Jahr waren wir also gerade 165 Monate verheiratet und hatten in beiden Häusern keinen Platz für Geschenke. Überall türmten sich Umzugskisten mit den skurrilsten Inschriften (zB "wir machen Ihren Möbeln Beine"). Und wir liefen beide andauernd fremden Männern in die Arme.

Heute leisteten wir uns zur Feier des Tages ein einfaches Geschenk. Ein Prismenfernglas mit Objektiv-Durchmesser von 25 Millimetern, zehnfacher Vergrößerung, Sehfeld von 96 m und erhöhter Lichtdurchlässigkeit, der so genannten "vollvergüteten Optik": einer als blauer Belag sichtbaren Aluminium-Schicht, die im Hoch-Vakuum auf jede Linsenoberfläche gedampft wurde und ein sehr helles und scharfes Bild bewirkt. Damit wir die Eulen besser sehen können. Unser Hauseulen, die tagsüber in den Ahornbäumen zu beiden Seiten des blauen Gartentors schlafen. Das blaue Gartentor hängt nämlich nur scheinbar schief in den Angeln. Nur auf dem Foto sieht unsere Welt so aus, als wäre sie aus dem Lot. Das blaue Gartentor hält im Gegenteil die Balance. Nur die Optik ist nicht optimal und die Strasse an dieser Stelle leicht abschüssig. Der Fotograf steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden dieser Wirklichkeit: Wir wohnen seit einem Jahr am Klev. Auf der ehemaligen Küstenlinie. Am Kliff. Auf einer nicht mehr vorhandenen Steilküste. Auf jetzt nur noch fünf bis höchstens sechs Metern über Meeresboden oder Normalnull.

Montag, 8. September 2008

Schuhgröße 36

Heute fuhr ich nach Hamburg, um ein paar Paar blaue Schuhe zu kaufen. Ich werde diese Schuhe nie anziehen. Sie sind mir zu klein. Ich würde sie aber auch nicht anziehen, wenn sie mir passten. Ich brauche diese Schuhe nicht für meine Füße.
Ich wusste genau, in welchem Schuhladen in Altona ich die Schuhe finden würde, die ich nicht vorhabe, zu tragen. Der Fußweg war vom Bahnsteig aus in wenigen Minuten zu bewältigen. Wenn ich Glück hatte und mich beeilte, weder nach links noch nach rechts schaute, könnte ich den Zug, der dreizehn Minuten nach meiner Ankunft Richtung Westerland losfuhr, nehmen und müsste keine Zeit in Hamburg verlieren.

Ich brauche blaue Schuhe. In dreizehn Minuten. Genauer gesagt: Ich brauche einen einzigen blauen Schuh. Eine weiße Wand in meinem Haus verlangt nach diesem Schuh. Aber ich mochte mich mit der Verkäuferin nicht auf zeitraubende Diskussionen einlassen. Der Preis war eh heruntergesetzt, Auslaufmodell, Sommerkollektion, Totalausverkauf, wer nur zwei Paar kauft, muss zur Strafe ein drittes umsonst mitnehmen, von billig auf spottbillig. Ich bekam also zwei Schuhe zum Preis von einem, und könnte, wenn ich dies denn unbedingt wollte, die geschenkte Hälfte des Schuhpaares auch ohne Reue wegwerfen. Aus reiner Gewohnheit fragte ich, ob sie diese blauen Schuhe auch in meiner Größe habe. Sie schüttelte bedauernd den Kopf, das sei das letzte Paar. Ich nehme es trotzdem, erklärte ich und sie verschwand gehorsam im Lager, um den linken Schuh zu dem rechten in meiner Hand zu holen. Aus reinem Pflichtgefühl fragte sie, ob ich die Schuhe anprobieren wolle. Ich schüttelte bedauernd den Kopf, sie seien mir zu klein. Sie verzog keine Miene. Nahm den rechten blauen Schuh aus meiner Hand. Schlug ihn routiniert in das Seidenpapier ein und legte ihn seitenverkehrt neben den unberührten linken blauen Schuh in die Schachtel. Klappte den Deckel zu. Steckte das Ganze, die Schuhe in der Schachtel unter dem Deckel, in eine Plastiktüte. Griff nach meinem Zehneuroschein. Zählte mir zwei Euro und fünf Cent auf die Hand zurück. Reichte mir die Plastiktüte über die Theke. Verabschiedete mich mit einem aufrichtigen Lächeln: "Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihren neuen Schuhen!" Ich verzog keine Miene. Mir blieben genau 3 Minuten und 49 Sekunden bis zur Abfahrt des Zuges.

Jetzt sitze ich schon wieder zu Hause an meinem Schreibtisch. Es ist Montag und ich mache mir Gedanken über das Blau meiner Dreizehnminuten-Schuhe. Es ist ein tiefes Königsblau. Vielleicht sogar ein Preußischblau. Oder reines Indigo. Sogenannte City Walk Pumps, schlanke spitze Form, dezente Schnalle, elegant unterstellter 20mm-Absatz, hauchdünne Ledersohle, völlig ungeeignet für norddeutsches Straßenpflaster. Nun muss ich den Maler mit der Malerleiter bestellen. Ich brauche Zugang zur Holzdecke in meinem Treppenhaus. Dann muss ich die Schuhfrau mit dem Schuhmacherhammer herbitten. Die blauen Schuhe wollen beide, wenn sie schon zusammen den Weg zu mir gefunden haben, festgenagelt werden. Der eine, der linke, soll wie ursprünglich geplant senkrecht, mit der Spitze nach oben, dem Absatz nach unten, an die Wand zwischen den Türen zu meiner Bibliothek und zu meinem Archiv. Ein blauer Kletterschuh. Der andere, der rechte fügt sich am besten in den goldenen Schnitt des Bildes an der Treppenhausdecke. Ein blauer Dachstockschuh. Das Festnageln wird während eines Festaktes stattfinden. Zu diesem happening wird zu gegebener Zeit gesondert eingeladen. Und was danach, nach dem Akt und dem gezielten Schlag mit dem runden Hammer auf zuerst den einen und dann den anderen Nagel folgt, bleibt, so lange das Haus steht, ein wetterfestes Indoor-Kunstwerk ohne Titel. Der erste Schritt in blau. Oder: Schuhgröße 36.

Donnerstag, 4. September 2008

Der Apfelbaum

Die Meldorfer Kinder gehen seit heute wieder in die Schule. In der Zeitung sind die Fotos und Namen der Erstklässler von ganz Dithmarschen abgedruckt. Die Sommerferien sind vorbei.
Da wir keine schulpflichtigen Kinder haben, ändert diese Tatsache an unserem Tagesablauf nichts. Aber der Apfelbaum schon. Denn der wirft seit längerem Äpfel ab. Der Pomologe sagt, der Apfelbaum entledige sich minderwertiger Früchte. Solcher, die Würmer beherbergen. Oder anderer, die - aus welchen Gründen auch immer - zu faulen anfangen.
Bislang übergab ich die kleinen, grasgrünen, steinharten Früchte dem Kompost (dort sind sie, wie ich mit Erstaunen zur Kenntnis nehme, rot geworden). Oder drapierte sie liebevoll um den Apfelbaumstamm. Möge er, der Baum etwas davon haben, dachte ich. Davon, dass der Apfel angeblich nicht weit vom Stamme fällt. Mitnichten.
Ich sammle gefallene Äpfel über den ganzen Rasen verteilt auf, bis hin zum Baumhaus und den beiden Ahörnern, in denen tagsüber unsere beiden Waldohreulen verdauen (Mäusegerippe oder Vogelköpfe herauswürgen), schlafen und trotzdem alles hören und sehen.
Heute waren die Äpfel, die ich aufhob, größer als sonst. Röter als sonst. Reifer als sonst. Fallobst - denke ich. Zu früh für Tafelobst. Fast reif gewordene Äpfel. Und doch gefallene. Nicht hängen gebliebene. Ich fülle einen ganzen Eimer und gehe in die eine Küche.
Das Berner Kochbuch sagt mir, dass aus "gewaschenen, ungeschälten, noch unreifen Äpfeln (Fallobst)" Gelee gekocht werden kann. Also schneide ich die vom Baum verstoßenen Früchte in feine Scheiben, decke sie mit Wasser zu und koche sie, bis sie weich sind. Ich tue, was ich kann. Ich hole Büschelweise Pfefferminze und Zitronenmelisse aus dem Garten. Diese grünen Blätter übergieße ich mit kochendem Wasser und lasse sie zugedeckt stehen, bis ich weiter weiß.

Irgendwann fahre ich einkaufen.
Ich brauche Gleichschwerzucker.

W. kommt nach Hause und fragt: "Was ist denn hier los?"
Ich brauche noch eine Stunde, sage ich.

Danach - es sind mindestens zwei Stunden vergangen, der Ohrenbär ist schon vorbei - zählt er 26 Gläser. Pfefferminze-Zitronenmelisse-Apfel-Gelee. Wenn wir pro Woche nicht mehr als ein halbes Glas verzehren, rechnete er mir laut vor, reicht der Vorrat für ein ganzes Jahr.

Ich habe nur die Äpfel unter dem Apfelbaum eingesammelt. Jeder tut, was der Tag von ihm verlangt. Die Meldorfer Kinder gehen seit heute wieder in die Schule. So steht es in der Zeitung. Die Sommerferien sind vorbei.

Montag, 1. September 2008

Aldona

Aldona ist genau vor einem Jahr als erste in unser Haus eingezogen. Ich setzte sie auf das Fensterbrett unseres zukünftigen Schlafzimmers, als die Maler ihre Arbeit in dieser Haushälfte beendet hatten. Als die Wände frisch tapeziert und gestrichen, die Zargen lackiert und getrocknet, alle Zimmer im oberen Stock ausgelüftet waren und das Licht im Treppenhaus brannte. Der Malermeister hatte auf meine spezielle Bitte hin als letztes, auf der Malerleiter stehend, die Energiesparlampe in die Fassung an der Decke eingedreht und dann den federleichten Lampenschirm aus gelblichem Reispapier mit schwarzen Fischmotiven an den dafür vorgesehenen und bereits vorhandenen Haken gehängt. Seither hoffen wir, dass die Glühbirne so lange brennt, bis wir die Maler wieder einmal ins Haus bitten müssen. Denn ein normalwüchsiger Mensch ohne ausziehbare und an den Treppenstufenkanten feststellbare Malerleiter kommt nie im Leben an die Stelle, an der die elektrischen Kabel aus der Holzdecke heraushängen.

Aldona ist die größte Pinguindame, die wir besitzen. Sie ist schon etwas älter und trägt immer einen roten Schal um den Hals. Sie kommt vom Heinrich-Heine-Platz in Berlin. Ihr Name lehnt sich an den Namen des Ladens an, in dem ich sie eines trüben Wintermorgens aus dem Regal gefischt und auf das schwarze Band vor der Kasse gestellt hatte.

Aldona lebt in Meldorf seit dem Tag, an dem ich W. in der Ferienwohnung über der Zahnarztpraxis zum ersten Mal besuchte. Damals packte ich in Berlin eines meiner Fahrräder unter den einen Arm und unter den anderen einen unserer Pinguine. Mehr Arme hat der Mensch nicht. In das Haus zog Aldona, wie gesagt, als erste ein. Denn jemand musste dasein. Jemand musste aufpassen. Jemand musste aus dem Fenster gucken. Wir beide waren anderweitig beschäftigt. Und ob die Eulen damals schon in den beiden Ahornbäumen vor dem Haus saßen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es nicht. Bestimmt war es ihnen letzten Sommer hier zu unruhig. Vielleicht versuchten sie beim Nachbarn gegenüber tagsüber zu ihrem Schlaf zu kommen. Aber auch dort vergeblich. Denn der erzählte, die Drosseln hätten sie mit penetranten dünnen ziep-Rufen verscheucht. Und auf unserer Seite löste der Reifenmann seine Meisterwerkstatt auf, baute Umwuchtmaschinen, Carport und andere Holzanbauten mit Getöse ab. Dann kamen die Handwerker, sperrten alle Türen und Fenster sperrangelweit auf und trugen alte Holzlatten, alte Tapeten und alte Ziegelsteine aus dem Haus. Beim Housewarming sagte eine Nachbarin "... und dann war plötzlich der Pinguin da". Es hörte sich an nach Aufatmen. Der erste Garant für neues Leben im Haus war unsere schon leicht ergraute ehrwürdige Pinguindame an einem der Fenster im oberen Stock an der Ostseite.

Denn, so erklärte mir W. später, als die Tage schon wieder länger wurden, dass Menschen aus Häusern ausziehen, ist nichts ungewöhnliches hier in der Gegend. Ungewöhnlich ist, dass Menschen in Häuser einziehen. Und Recht hat er. In vielen leeren Häusern, die wir damals betreten hatten und dann doch nicht kaufen wollten, lebt bis heute kein Mensch.

Aldona ist als erste eingezogen. Einen Tag später ist Wolfgang eingezogen. Er hatte an der Hochschule zu tun und schlief eine Woche auf einer aufblasbaren Matratze am Boden. Sie hielt die Luft nicht, so dass er in Wirklichkeit auf dem harten Boden schlief. Ich hatte in Berlin zu tun und kam mit dem Umzugswagen und zog mit den Möbeln ein.

Sonntag, 31. August 2008

Meine Mauipflanzen 2



Nahaufnahme

© Foto: wie immer - wenn nicht anders vermerkt - W.G. Arlt FRGS

Meine Mauipflanzen

In den ersten Märztagen des Jahres 2005 machten wir, W. und ich und eine lokale Regenwaldspezialistin einen Spaziergang durch den Regenwald auf der Insel Maui oberhalb von Lahaina.
An Einzelheiten der Führung kann ich mich nicht mehr erinnern, nur an die angenehme Kühle und Feuchte und an das verschattete Licht und den Geruch nach frischer Erde. Und daran, dass W. eine Frage stellte, welche die Botanikerin dermaßen verblüffte, dass es ihr für einen Moment die Sprache verschlug. Darüber, sagte sie dann, heftig atmend vor Aufregung, habe sie sich noch nie im Leben Gedanken gemacht.
Irgendwo in diesem Wald pflückte ich wahrscheinlich eine Blume. Wahrscheinlich unerlaubterweise. Wahrscheinlich unbemerkt von der Botanikerin, die längst wieder zurückgefunden hatte zu ihrer flüssigem Rede. Genau weiß ich das nicht mehr. Aber ich brachte von dieser Reise, die mich noch weit durch die Welt führte, fünf kleine schwarze glänzende Kugeln mit nach Hause. Damals waren wir noch in Berlin zu Hause. Es mussten Samen von jener Blume sein, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann. Weder an ihr Aussehen, noch an ihre Farbe, geschweige denn an den Geruch. Ob er betäubend war oder nicht. Ich weiß es nicht.
In Berlin war mir weder in jenem noch in zwei darauffolgenden Sommer danach zumute, unseren Balkon am Engelbecken zu bepflanzen.
Im ersten Frühjahr am Wattenmeer kamen die schwarzen Kügelchen plötzlich wieder zum Vorschein. Und mit ihnen das Bild vom Regenwald auf Maui über Lahaina. Ich steckte jedes in einen Blumentopf mit frischer Blumenerde. Die Töpfe stellte ich auf den Fenstersims im Wohnzimmer, da alle Nachbarn und die Bauern und Blumenverkäuferinnen auf dem Markt mich davor warnten, irgendetwas vor dem 15. Mai in den Garten hinaus zu pflanzen.
Inzwischen ist der August fast um. Ich habe meine Mauipflanzen bereits zweimal umgetopft und werde sie bald ein drittes Mal umtopfen müssen, so sehr drängen die Blätter nach oben und die Wurzeln in den Boden. Die ungestümen Pflanzen in die Erde im Garten einzupflanzen, wage ich nicht. Ich fürchte, sie werden an der Nordsee kaum einen Winter überstehen. Ich weiß schon, wo sie bei mir im Haus unterkommen, sobald es kalt wird.
Aber ich weiß nicht, was ich da eigentlich großziehe.

Samstag, 30. August 2008

Die dritte Zucchini

Dies ist bereits die dritte Zucchini, die ich ernte und die erste Handvoll Kartoffeln. Nur die Tomaten sind zerzaust und zögern mit Wachsen, Reifen und Rotwerden.

Meine ersten Kartoffeln

Die ersten Kartoffeln meines Lebens, die ich eigenhändig gepflanzt und geerntet habe. Sie reichen für anderthalb Mahlzeiten für W. und mich - das sind immerhin 5 Portionen.

Ökobilanz unübertroffen: Gepflanzt von Kartoffeln, die auf dem Fahrrad vom Meldorfer Kartoffelautomaten an die Schleswiger Strasse transportiert wurden. Geerntet zehn Meter entfernt vom Kochherd.

Die Kastanien

Samstags haben wir immer eine klare Arbeitsteilung. Insbesondere nach einer Woche mit Dauerregen.
Die einen arbeiten, die anderen fotografieren.
Die einen kochen, die anderen ernten.
Die einen machen sich die Hände schmutzig, die anderen nicht.
Auch die Kastanien sind demnächst reif.

Sonntag, 3. August 2008

Der 3. August














Alles endet irgendwann an unserer Wäscheleine zum Trocknen. Ist der Himmel über unserem Dach nicht hinreißend schön an einem Sonntagmorgen?

Samstag, 2. August 2008

Der 2. August

Wir feiern Feste, wie sie im Garten wachsen oder vom Himmel fallen. Das SUISSE-T-Shirt ist ein Geschenk meines Schwagers. Ihm passte es nicht. Es war erstaunlicherweise zu klein, obwohl an der Halsinnenseite ein XL eingenäht war. Wahrscheinlich ein chinesisches XL, sagt mein Schwager, der ein waschechter Schweizer ist. Mir passt La SUISSE mit oder ohne Artikel wie angegossen.

© Foto B. Ehrenbolger

Freitag, 1. August 2008

Der 1. August

Der helvetische Nationalfeiertag leuchtet pünktlich zum Eindunkeln in unserem Garten in Meldorf. So lange es hell war, schüttete es erbarmungslos vom Himmel. Der Originaljodel kam aus Menznau angefahren, ist und bleibt einmalig herzergreifend schön nur in unseren Ohren und ist nie und nimmer reproduzierbar für die virtuelle Welt.

Freitag, 25. Juli 2008

Der Jazzgärtner

In Meldorf stellt der Optiker Modelleisenbahnen ins Schaufenster, der Schreibwarenhändler verkauft Damenober- und -unterbekleidung und im gläsernen Gewächshaus der Gärtnerei gibt es freitags Jazz.

Das erste Konzert war angekündigt für den letzten Freitag im Juni. Da sind wir, W. und ich, uns ganz sicher. Wir hatten Besuch, waren unterwegs und bedauerten. Wie erfreut waren wir deshalb, als wir Anfang Juli ein neues Plakat bei der Fußgänger- und Fahrradampel an der Oesterstrasse vor dem für Zweiräder gesperrten Sprung über die Bahn entdeckten. Jazz in der Gärtnerei am letzten Freitagabend im Juli – also heute.

Heute sind wir nicht verhindert und verstehen. Wir verstehen, warum es in Meldorf Jazz in der Gärtnerei gibt. Warum Miniaturlokomotiven geschickt ihre Wege an Brillenetuis, bunten Kinder- oder zusammenfaltbaren Lesebrillen sowie Kontaktlinsenreinigungslösungen vorbei durch ein Schaufenster ziehen. Warum luftige Sommerkleider an einem Ständer neben Beileidskarten und Kopierpapier hängen. Der Gärtner ist ein begeisterter Musiker! Der Optiker wahrscheinlich ein begeisterter Modelleisenbahnbauer! Und der Schreibwarenhändler in Wirklichkeit ein begeisterter Frauenausstatter!

Und wir verstehen nicht. Nein, sagt der Gitarrist. Wir machen das nur einmal im Sommer. Wir spielen nur eine Freitagnacht im Gewächshaus. W. und ich schweigen. Wir leben schon über ein Jahr in Meldorf. Warum also sollen sich nicht auch in unseren Köpfen Parallelwelten aufgetan haben, wenn sie in jeder Auslage in der Fußgängerzone Platz finden?

Früher habe er, erzählt uns der Gärtner in der ersten Konzertpause und zieht an einer Zigarette, Schlager gespielt. Mit zunehmendem Alter beschäftige er sich aber mit ernsthafterer Musik. Mich interessiert der Rauch. Mehr als das E oder das U in der Musik. Mein Name ist Schall und Rauch. Und mein Bewusstsein ist gerade erweitert worden. Durch einen einfachen Satz eines Gärtner verteilt sich ab sofort meine Wahrnehmung auf zwei Wirklichkeiten. Ich lebe nun in einer Welt, in der einmal jährlich an einem Freitagabend Jazz in der Gärtnerei gespielt wird. Und ich lebe gleichzeitig in einer Welt, in der mehrmals jährlich, vielleicht einmal monatlich, mag sein sogar täglich die Gärtnerei für Jazz am Abend offen ist. Die Gärtnerei ist keine Kneipe, das ist klar. In keiner der beiden parallelen Welten ist die Gärtnerei eine Kneipe. Also gibt es nirgends im Universum ein Rauchverbot in Gärtnereien. Die Meldorfer Gärtnerei, der Verkaufsraum und die gläsernen Gewächshäuser sind zu dieser Jahreszeit nach allen Seiten hin offen. So wie die Damensommerkostüme von der Stange im Schreibwarenladen oder beim Frauenausstatter (ein Beruf, der in der einen Welt existiert und in der anderen nicht). Und wir, die Zuhörer von „Jazz in der Gärtnerei“ bilden innerhalb dieses gut durchlüfteten Raums eine geschlossene Gesellschaft. Dennoch interessiert mich der Rauch. Ob der Nikotinrauch seinen Pflanzen nicht schade, frage ich den Gärtner. Der Jazzgitarrist lacht. Dabei spreche ich die dringlicheren Fragen gar nicht aus, sondern behalte sie für mich bzw. spare sie auf für eine andere Welt. Etwa, ob Pflanzen Musik lieben. Oder ob Pflanzen Hände haben. Ob Pflanzen Augen haben. Ob Pflanzen lichtempfindlich sind. Ob Pflanzen lärmempfindlich sind. Ob Pflanzen auch mal Fäuste oder Ellbogen brauchen. Ob Pflanzen mit Geräuschschützern aus der Apotheke, die bestimmt auch Knallfrösche im Angebot hat, ausgestattet werden. Oder ob Pflanzen Brillen für dreidimensionales Sehen aufsetzten. Ob der Modelleisenbahnoptiker der Pflanzen Sehschärfe regelmäßig überprüft. Und so weiter. Ganz zu schweigen vom Zahnarzt. Nein, ich frage nicht, ob im Gewächshaus auf Mundhygiene geachtet wird. Ich frage nicht, ob Pflanzen an Schlafstörungen leiden. Ob Pflanzen nach einer durchwachten Nacht auch mal schlecht gelaunt und leicht reizbar sind. Und so fort. Diese Fragen werde ich einem Parallelgärtner stellen. Den Jazzgärtner frage ich nur nach den Auswirkungen des Zigaretten- oder Zigarrenrauchs. Und dieser Gärtner bricht in dieser Welt einfach in ein fröhliches Lachen aus. Nein, bisher habe er nie etwas Nachteiliges an seinen Schützlingen bemerkt, erklärt er. Aber, fügt er hinzu, als Gitarrist hätte er den denkbar ungünstigsten Beruf. Als Gärtner sei es relativ egal, welchem Hobby man nachgehe. Aber als Gitarrist brauche er robuste Haut gerade an den Fingerkuppen. Im Idealfall dicke Hornhaut. Gärtnerhände seien hingegen ständig Feuchtigkeit ausgesetzt. Die Pflanzen, die Blumen, die Sträucher, alles was lebe und wachse, brauche Flüssigkeit, Nahrung, Wasser. An den Berührungspunkten zwischen Setzlingen und Mensch, an den Fingerspitzen des Gärtners, könne es zu Beeinträchtigungen kommen. Die Haut des Gärtners würde zuerst an den Fingerspitzen weich werden und aufquellen. Die Grenzen seines Körpers, sagt der Gärtner und drückt die Zigarette in einem extra dafür vorgesehenen, mit Sand gefüllten Blumentopf aus, würden sich ausgerechnet dort, wo der Gitarrist maximale Festigkeit braucht, als erstes auflösen.
Sein Kollege, der weißhaarige Trompeter, verkündet das Ende der Pause. Und weiter geht das Programm bis zu einem frühen Morgen.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Die Regenwassertonne 2

Die Regenwassertonne ist schon nach der ersten Regennacht übergelaufen.
Das Regenwasser aus der Regenwassertonne überschwemmte unsere Terrasse.
Ich tappte im Morgengrauen mit beschlagenen Brillengläsern und Gummistiefeln zum Abflussrohr, schloss die Regenwasserklappe, legte den Regenwassertonnendeckel auf und wartete auf ein Wunder.
Dass der Regen für heute aufhören möge.

Samstag, 28. Juni 2008

Die Regenwassertonne

Kürzlich, als ich Schachtelhalm und anderes wucherndes Grünzeug zwischen den Pflastersteinen auf der Auffahrt zu unserer halben Garage entfernte, stellte sich der vierjährige Enkel der Nachbarin an den Gartenzaun und fragte mich, wo unsere Regenwassertonne stehe.
Wir haben noch keine, erklärte ich ihm wahrheitsgemäß und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war heiß und windstill. Keine Wolke am Himmel. Keine Spur von Regen weit und breit.
Der Kleine wollte es nicht glauben. Ihn interessierte nicht die Wettervorhersage, sondern die Anwesenheit einer Regenwassertonne. Er bohrte mir Löcher in den Bauch: Warum nicht?
Ich konnte es ihm nicht sagen. Weil wir bislang zu faul waren. Weil wir nicht alles auf einmal besorgen können. Weil der Sommer so schnell gekommen ist. Weil tausend andere Dinge in und um unsere Häuser herum fehlen.
Um ihn zu trösten, lud ich ihn ein, über den Zaun in unseren Garten zu kommen. Ich wollte ihm zeigen, in welche Ecke unter der Dachrinne die Regenwassertonne zu stehen kommt, wenn sie dann einmal da ist.
Er klettert herüber, guckte und war sehr enttäuscht. Tatsächlich stand unter dem Fallrohr keine Tonne. Er trottete nach längerer Kontemplation mit hängendem Kopf zurück zu Oma. Heute würde er bei ihr schlafen.
Am nächsten Morgen kam er als erstes zu mir. Stellte dieselbe Frage. Kletterte sofort ungefragt über den Zaun. Stand sofort in der leeren Ecke. Guckte wieder. Wollte es wieder nicht glauben. War wieder unendlich enttäuscht und traurig. Nach dem Mittagessen (Oma kochte saure Rippchen, ich wurde intensiv befragt, ob ich das auch möge) holte ihn Papa ab. Sonst hätte sich in unserem Garten unweigerlich eine kleinkindliche Regenwassertonnenkatastrophe angebahnt.

Heute nun packen wir die Gelegenheit beim Schopf. Freunde sind zu Besuch mit einem schwarzen VW-Käfer. Nach dem Frühstück schicken wir die Männer zu Nilsson. Die Frauen halten sich zurück und bleiben zu Hause. Der VW-Käfer kann nur entweder Frauen als Passagiere auf den Hintersitzen transportieren – oder eine leere Regenwassertonne mit kindersicherem Deckel sowie Anschluss- und Verbindungsset bestehend aus Regenwasserklappe und selbstreinigendem wartungsarmem Fallrohrfilter mit Überlaufstoppfunktion.