Freitag, 31. März 2023

Ziegelstein

Ich warte auf besseres Wetter. Ich habe eine Lektüre vor mir, die nur auf der Gartenbank möglich ist. Ich hoffe, dass die morsche Bank unser beider Gewicht aushält. Ein paar Seiten genehmigte ich mir schon auf dem Sofa. Im Bett ist es ganz und gar unmöglich. Der Ziegelstein liegt ja schon seit ein paar Wochgen neben meinem Kopfkissen. Ich wage ihn nicht anzuheben. Er würde mich erschlagen.

Das Buch erschlägt auch so. Briefwechsel Lem - Mrożek. Über 600 Seiten intelligente, witzige Korrespondenz über das Große Alles und das Große Nichts. Ja, die Menschheit verkümmert geistig in rasantem Tempo. Solche Briefe schreibt heute und in absehbarer Zukunft nicht einmal eine AI, geschweige denn ...

https://culture.pl/pl/dzielo/stanislaw-lem-slawomir-mrozek-listy


Donnerstag, 30. März 2023

Midnight

Zuerst Eisler (Brecht, Gegen den Krieg). Dann Brahms (zweichörig, Gedenksprüche). Eine Chorprobe nach dem ganzen wilden Tag, von Wetter über Schlüsselbüßer (mein Geheimnis!) und bis hin zu Hundegebell und streitende Nachbarn. Es ist mir zu anstrengend. Die Kollegin aus dem Alt 1 vor mir dreht sich irgendwann um und fragt: "Singt Ihr gar nicht?". Nicht nur ich schüttele stumm den Kopf. 

Ich komme halbtot durch finstere Nacht nach Hause - und da wartet ein ausgehungerter Herr Caruso! Frisst voll Freude und verschwindet ohne einen Ton des Dankes durch die Klappe in die finstere Nacht, aus der ich eben hereingekommen bin.

Mittwoch, 29. März 2023

Hochsommershow

Gestern abend soll der schon fast wieder halb (beleuchtete) Mond, und etwas rechts unterhalb von ihm der für unser Auge leicht gelb-orange-rötlich scheinende Mars hoch am Südwesthimmel gestanden haben. Sehen konnte ich sie natürlich nicht, bei dem Wetter, das wir hier derzeit haben. Wie im April! Aber schön wär's allemal anzusehen gewesen, wie die Kenner behaupten, denn es war ein Blick in die Zukunft: Mond und Mars standen fast genau an dem Punkt, an dem die Sonne in nicht mehr ganz drei Monaten, am 21. Juni zu Sommerbeginn stehen wird. Mond und Mars zogen also letzte Nacht in vereinter Nähe so hoch über den Himmel, wie die Sonne im Hochsommer. Und schon heute sieht alles wieder anders aus unter der Sonne. Wind und Regen.

Dienstag, 28. März 2023

Matrix des Himmels

Was ist eine Matrix? Und kann man sie singen?

Der Duden nennt drei Bereiche, in der eine Matrix vorkommen kann: 1. Biologie (Hülle der Chromosomen, amorphe Grundsubstanz zB des Bindegewebes oder Keimschicht, aus der etwas (was? das Leben?) entsteht). 2. Mathematik (Schema von waagerechten Zeilen und senkrechten Spalten, in dem etwas zu etwas anderem in Beziehung gebracht werden kann, dient den Naturwissenschaften, der Technik und den Wirtschaftswissenschaften) und EDV. 3. Sprachwissenschaft (Schema zur Zuordnung von Merkmalen zu sprachlichen Einheiten, zB zur Darstellung der Lautstruktur einer Sprache). 

Es gibt Matrixsätze - in der Sprache. Ein Matrixsatz ist lt Duden ein übergeordneter Satz in einem komplexen Satz.

Unser Marner Kantor komponiert gerade die Matrix des Himmels. Wir sangen gestern abend einige Sätze und es klang schon ganz wohlgeordnet, wenn auch fremd. Ungewöhnlich. Diese neuen Melodien wollten die ganze Nacht nicht aus meinem Kopf weichen.

Montag, 27. März 2023

Schneeblüte

Erneuter Wintereinbruch. In der Nacht wunderbarer Sternenhimmel. Am Morgen Frost. Schnee auf den Dächern. Meine Blutpflaume blüht. Die Sonne scheint. Hagel fällt vom bleiernen Himmel. Schnee. Regen. Böen von Nordwest. Und so weiter den ganzen Tag. Streik allenthalben, nur beim Wetter nicht. Mein Bus führe pünktlich nach Marne zur Probe und wieder zurück. Aber ich habe eine Mitfahrgelegenheit im Auto zweier Sopranistinnen. Auch gut. Wir sollen alle eine halbe Stunde eher da sein. Wo die Zeit sowieso verrückt spielt.

Sonntag, 26. März 2023

Sommerzeit

Heute fällt die Sternzeit aus. Sie verschwindet bei der Erstausstrahlung in der Unzeit. Normalerweise wird sie täglich um 02:05 Uhr gesendet. Die Uhr steht aber schon auf 03:05 Uhr und auf dem Programm etwas ganz anderes. Verlorene Zeit kann nicht nach- oder aufgeholt werden.

Samstag, 25. März 2023

Anita Rée

Unverhofft. Ausflug nach Marne nicht am Montag und nicht zum Singen. Vortrag über Anita Rée. Von der ich - und nicht nur ich - noch nie gehört, geschweige denn etwas gesehen hatte. Bis gestern abend in Marne. Augen, immer wieder schwarze Augen. Selbstbildnisse, immer wieder nachdenkliche Selbstbildnisse. Zweifel, immer wieder große Selbstzweifel. Sie war erfolgreich. Und angesehen. Porträtierte viele potentielle spätere Schlächter. Nur von einer Dame der Gesellschaft ist überliefert, dass sie ihr Porträt grollend in der Elbe versenkte. Die Herren hingegen saßen mit übergeschlagenen Beinen gelassen rauchend Modell. Sie soll oft tage-, wochenlang bei den Leuten gewohnt haben, die sie malte. Sie wollte nicht nur das Sichtbare sehen. 

Als sie in Hamburg keinen Ausweg mehr fand, floh sie nach Sylt. Dort malte sie Schafe. Und Dünen. Und schluckte im Dezember 1933 eine Überdosis Veronal. Sie war die jüngere Tochter eines jüdischen Kaufmanns und einer Katholikin. Seltsamerweise wurden beide Töchter protestantisch getauft und erzogen. Das assimilierte Elternhaus bewahrte die Malerin nicht davor, zuviel zu sehen. 

Und wir sahen auf dem Heimweg den neuen Mond, die strahlende Venus und alle Winterfiguren um Orion und Sirius herum.

Freitag, 24. März 2023

Der Kreisverkehr

10 Werktage lang habe ich mir am Morgen Arno Geigers "Glückliches Geheimnis" vorlesen lassen. Unglücklicherweise von derselben Stimme, die mir kürzlich die Briefe Max Frischs an Ingeborg Bachmann ins Ohr gehaucht hatte. Damals vermisste ich das Helvetische Timbre. Jetzt fehlt mir das Österreichische und, was viel schlimmer ist: diese geschliffene Schauspielerstimme gauckelt mir seit 10 Tagen von halb Neun bis Neun immer wieder aufs Neue vor, Frisch spreche zu mir. 

Aber es ist Arno Geiger, der in einer Art Beichte von seinem Doppelleben berichtet. Für meinen Geschmack ein peinlicher Bericht. Entweder zu früh oder zu spät im Leben dieses Schriftstellers geschrieben. Inhaltlich ein wildes Sammelsurium, zT längst bekannt, zT irrelevant, chaotische Zufallsfunde wie alles, was der Autor angeblich seit Jahrzehnten aus den Wiener Altpapiercontainern fischt. Ich nehme ihm diese "Runden" nicht ab. Heute - in der letzten Folge, in der letzten Runde - ärgerte mich zudem, dass der Autor sein Leben und sein Werk, die "Runden" durch den Papiermüll einer nicht mehr ganz taufrischen k.u.k.-Metropole im Kontext x-beliebiger Zeitungsmeldungen abschließt. Er ist natürlich nicht der Erste und sicherlich nicht der Letzte, der sich in der Öffentlichkeit bedient. Einerseits, hörte ich also, geschrieben von Geiger, geraunt von Brandt, sei Agnès Varda gestorben. Der Autor vereinnahmt die tote Künstlerin an seinem Schreibtisch sofort als seine persönliche Schutzheilige der Abfallsammler. Andererseits, höre ich vorgelesen, ging am selben Tag, als der Tod dieser französischen Filmemacherin bekannt wurde, eine Meldung durch die Gazetten, dass in Essen, "einer Stadt in Deutschland", ein Mann verhaftet wurde, der "eine Stunde lang durch immer denselben Kreisverkehr" gefahren sei. Diese Meldung kommentiert der Autor mit folgenden Worten: "Ich finde, es sollte nicht verboten sein, länger als andere durch den Kreisverkehr zu fahren." In Wien, schreibt er weiter, würde niemand verhaftet, nur weil er stundenlang im Kreis fährt, denn Wien sei berühmt für seine "Drehbewegungen". Auf dieser Aussage aufbauend breitet der Autor vor dem Leser die letzte facettenreiche Selbstdeutung seiner jahrzehntelangen Papiermüllrundensucht aus. 

Schade nur, dass Arno Geiger hier (und wo noch?) einer Falschmeldung aufsitzt. Der Mann in der deutschen Stadt Essen ist nicht eine Stunde durch den Kreisverkehr gefahren. Er wurde auf einem Parkplatz im dort parkenden Auto verhaftet. Gesucht wurde das Auto. Nicht der F(alschf)ahrer.

Donnerstag, 23. März 2023

B-Denken

Darüber hatte ich schon einmal nachgedacht, vor ungefähr einem Jahr aber in ganz anderem Kontext: dass es immer mehr Anhänger der sogenannten Flat Earth Society gibt, also Anhänger der Flache-Erde-Bewegung. Sie glauben fest daran, dass die Erde eine Scheibe sei. Speziell für Herrn Twain seligen Angedenkens googelte ich die Einwortvariante "Flacheerdeanhänger" und wurde überschüttet von Werbeanzeigen für Nutzfahrzeug- oder Dekoanhänger, für Anhängerkupplungen (AHK) und Zubehör zum Nachrüsten mit kostenlosem Rückversand, Heckfahrradträger usw. Das interessanteste, was mich aus der kommerzialisierten Flache-Erde-Dimension ansprang waren Elektrosätze.

Es gibt A-(n)denken und B-(e)denken, Anhänger und Behängte. Lasten und Laster. Lust und Frust.

Mittwoch, 22. März 2023

Bedenkzeit

Auch die Tagundnachtgleiche ist Schönrederei. Scheinhimmelsarchitektur. Ein astronomisches trompe-l'œil. Äquinoktium ist der Zeitpunkt, an dem Tag und Nacht (fast) überall auf der Welt exakt gleich lang sind. Also nur ein Moment, in dem die Sonne exakt über dem Äquator im Zenit steht. Die Erde dreht sich ja ständig weiter und sofort ab. Und unser Auge ist entweder geschlossen, weil der Mensch verschlafen hat oder geblendet ist, oder es hängt Illusionen nach. 

Bei uns in Meldorf muss das Äquinoktium irgendwann zwischen dem 17. und 18. März eingetreten sein. Am 17.3. lagen laut meiner Quelle zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang 11 Stunden und 59 Minuten; am 18.3. bereits 12 Stunden und 3 Minuten. So rasant nimmt das Tageslicht am Wattenmeer zu! Ein Astronom bestätigt, dass die Tage zu den Äquinoktien - also im Frühling und im Herbst - "in Wirklichkeit überall auf der Welt" länger sind als die Nächte. Sonnenaufgang ist also reiner Irrtum. Sonnenuntergang übrigens auch. Die Äquinoktien würden ohne Einbezug der Erdatmosphäre berechnet, sagt der Astronom. Somit fehle eine wichtige Komponente, nämlich die Luft. Sonnenlicht werde in der Atmosphäre gebrochen, und die Sonne in der Früh in der Nähe des Horizonts nach oben gehoben, ohne dass sie schon oben sei. Und am Abend umgekehrt. Ich sehe also am Morgen in der Feldmark die Sonne über den Horizont steigen, obwohl sie noch darunter liegt. Und am Abend sehe ich sie über der Südermiele glühen, obwohl sie bereits in ihr versunken sein müsste. Außerdem, gibt der Astronom zu bedenken, gelte der Mittelpunkt der Sonne als Bezugspunkt für die Berechnungen. Aber die Sonne ist natürlich keine flache Scheibe, sondern eine kugelrunde Kugel. Ein Ball. Ein aufgeblähtes Wasserstoff-Helium-Gemisch mit oben und unten, hinten und vorne, einem Umfang von etwa 4,4 Mio km und einem Durchmesser von mindestens 1,39 Mio km. So ein Monstrum (Gelber Zwerg) kann nicht von einem Moment auf den anderen über meinen Horizont steigen. Oder darunter verschwinden.

Dienstag, 21. März 2023

Neumond

Nordsee pur. Den ganzen Tag Niesel. Besuch aus Riesa. Ganz viele ie's. Und ganz viele Wege. Ganz viele Muscheln. Ganz viel Sand. Ein Loch im Gummistiefel und das Kind hat nasse Füße, bevor wir am Deich in Büsum angekommen sind. Wir wollten eigentlich nach Warwerort. Des Wortes wegen. Aber das Wetter zeigt auf Zivilisation. Die Saison hat noch nicht begonnen. Wir brauchen keine Gästekarte im Touristenmekka. Unfreundlich und bereits sichtlich genervt sind die Damen an der Fischtheke trotzdem schon.

Montag, 20. März 2023

Schaltregel

Endlich. Passt genau. Der Frühling fängt exakt nach der Probe in Marne und vor dem Krimi im Radio an. Die Sonne überquert den Himmelsäquator nach Norden und setzt für uns den astronomischen Frühling in Gang. Früher fing der Frühling immer (oder fast immer) am 21. März an. Menschen, die Sätze mit dem Wort "früher" und einem Verb im Präteritum wie "war" oder "fing" anfangen, sind auf dem direkten Weg ins Alter. 

Aber das kümmert den Himmel und die Sterne nicht. Das letzte Mal fing der Frühling 2011 am 21. März an. Und das war schon knapp. Das nächste mal wird er irgendwann nach 2100 wieder am 21.3. anfangen. Dazwischen, bis ans Ende des derzeit tickenden Jahrhunderts, wird der Frühling nie wieder am 21. März beginnen, sondern sich sogar vorrobben auf den 19. März. Zum ersten Mal im Jahr 2048. Wenn wir Glück haben, erleben wir das noch.

Grund für die kalendarische Verwirrung ist die Erde, die sich nicht an von Menschen gemachte Einteilungen halten will. Sie braucht etwas länger als die bürokratisch festgesetzten 365 Tage, um einmal um die Sonne zu kommen. Genau 5 Stunden und 48 Minuten und 46 Sekunden mehr. Die fehlen in unserer Steuererklärung. Also versuchen Menschen (Mathematiker, Astronomen, Theologen ...) die Zeit in ihre Schranken zu zwingen. Mit dem Gergorianischen Kalender wurden die bis heute gültigen Schaltregeln eingeführt. Die erste Schaltregel schenkt uns alle 4 Jahre einen zusätzlichen Tag, den 29. Februar. Mit dieser Regel wird aber das Trödeln der Erde um die Sonne zu stark korrigiert, nämlich um 11 Minuten und 14 Sekunden zuviel. Deshalb nimmt uns die zweite Schaltregel den 29. Februar in allen vollen Jahrhundertjahren wieder weg. Damit stimmt aber unser Kalender immer noch nicht mit der taumelnden Erdbewegung überein. Die Korrektur der Korrektur ergibt immer noch keine Präzision. Die dritte Schaltregel gibt uns in den Jahrhundertjahren, die durch 400 teilbar sind, den Schalttag, den 29. Februar wieder zurück. Das letzte Mal geschah dies im Jahr 2000. Und weil wir noch relativ nah dran sind an diesem wider der zweiten, aber gemäß der dritten Schaltregel eingesetzten Schalttag, hinken wir zur Zeit der Zeit etwas nach. Oder es scheint uns nur so. Jedenfalls fängt der Frühling jetzt an. 

Der Sonne und auch der Erde und allen anderen Gestirnen, Galaxienhaufen, den schwarzen Löchern und Gaslandschaften ist es völlig wurscht, was auf unserem Kalender steht oder neuerdings auf dem Smartphone blinkt. Diese Zahlen dienen nur unserer irdischen Arroganz, dem eitlen Versuch, die Vergänglichkeit an ihrem Tun zu hindern, indem wir zB Tagebuch schreiben oder den Müll ordnungsgemäß an den Straßenrand stellen. Der Frühling, bzw. das Sommerhalbjahr beginnt mit der Tag-und-Nacht-Gleiche. Das Winterhalbjahr übrigens auch.

Sonntag, 19. März 2023

Emman

Es ist wieder nasskalttrübe ungemütlich draußen. Also sitze ich drinnen. Ich habe eine Figur gefunden - oder erfunden. Ich weiß es selbst nicht. Sie stieg wie eine Nixe aus dem auflaufenden Wasser in der Meldorfer Bucht, am Rande des Badestrands Elpersbüttel, an jenem Morgen im Juli letzten Jahres nach meiner ersten Nacht am Deich. Der Gongspieler hat mich gestern gebeten, ich möge verschriftlichen (transkribieren), was ich damals gesungen habe. Ich weiß es nicht mehr. Und höre mir die Aufnahme zur Strafe den ganzen Sonntagvormittag an und an und wieder an und an und an ... Ich verstehe nicht alles, weil überhaupt nicht alles verständlich sein muss. Weil längst nicht alle Silben Sinn machen. Machen müssen. Oder sich zu deutschen Dudenwörtern fügen wollen. Oder finden müssen. Erinnern kann ich mich an nichts. Ich war tatsächlich in Trance, aber nicht durch die Gongklänge (wie der Gongspieler sagt) sondern eher durch das offene Universum, in dem ich die ganze Nacht unterwegs gewesen war (wie ich sage). Möglicherweise aber vielleicht dank sowohl als auch. Unbeabsichtigte Synergie sozusagen. Anyway. Es ist im Nachhinein, nach dem langen Winter, ganz und gar unerheblich. Also (um mit dem awful Mark Twain zu sprechen, der völlig zu Unrecht behauptet, jeder deutsche Satz hebe mit eben diesem Wort an), "also" in dieser O-Aufnahme steckt - nebst unglaublichem Geschrei der Seevögel kurz vor Sonnenaufgang - ein oder eine Emman. Emman, werde ich gut sortiert und sofort aufgeklärt vom www, kann als Vorname sowohl Geschöpfen weiblichen wie männlichen und bestimmt auch diversen Geschlechts dienen. Er oder sie oder es hat auch einen Nachnamen bekommen in meinem Gesang am Morgen zum Gong, aber den verrate ich nicht. Oder noch nicht.

Samstag, 18. März 2023

Der erste Ausflug

15 Uhr: Gongkonzert in St. Michaelis in St. Michaelisdonn. Wir fahren mit den Fahrrädern, mehr oder minder der Bahnlinie entlang. Meine Nachbarin mit E-Bike, ich mit A-Bike (= Arlt Bike).

Freitag, 17. März 2023

Der letzte Frost

Ein frostiger Morgen. Ab dem Mittag sind zweistellige Temperaturen angesagt. Und der Wind soll sich verziehen. Der erste Frühlingstag.

Donnerstag, 16. März 2023

Dilettantenaufdringlichkeiten

Nach der Probe mit viel heiterem Improvisieren komme ich zurück auf den Autor, der die deutsche Sprache nie beherrscht hat, sich aber erdreistete, über sie herzufahren und sie reformieren (sprich: vernichten) zu wollen. The Awful Samuel Langhorne Clemens! Seine bodenlose Freiheit ist vielleicht das einzig Bemerkenswerte. Geblieben ist ein ziemlich veralteter Text, über den man heute nur noch milde lächeln mag. Ich kenne schönere Buchstabeneinerkolonnen, als Mark Twain sie aufzählt in seinen "Dilettantenaufdringlichkeiten".

Dieser awful Samuel Langhorne Clemens hat sich sogar erdreistet, sich eines fremden Pseudonyms zu bemächtigen. Er klaute es einfach einem einfachen Mississippi-Lotsen. "Mark two" ist der charakteristische Ruf der Misssisssipppi-Flussschifffer (alle Konsonanten hoch 3), die damit das Wasser unter dem Kiel in dem flachen Fluss messen. "Mark two" sind zwei Faden, etwa 3,56 Meter, also 4 Yards oder 12 Fuß. Im Dialekt "verzogen" zu "mark twain". Markierung zwei. Kannst Fahren. Oä.

Dieser awful Steuermann mit bürgerlichem Namen Samuel Langhorne Clemens hat auf dem trüben Mississippi einen armen schreibenden Lotsen betrogen, um dessen Pseudonym und um dessen Texte in der Zeitschrift, die den Namen seines Berufs trug: "Der Lotse". Der wahre Lotse verstummte und starb. Und der zweite Mark Twain machte Karriere.

Bemerkenswerter als alle Awfullness ist, dass Mark Twain der Vorgänger der Helen Sawyer Hogg war - wovon er natürlich nichts ahnen konnte. Also: auch ein glücklicher Mensch, der den "langschweifigen Kometen Halley" zweimal in seinem Leben sichtete. Andersherum betrachtet: auch ein glücklicher Mensch, den der Komet Halley zweimal in seinem Leben mit einem Besuch bedachte. Wir erinnern uns: Helen 1910 und 1986. Und The Awful Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain 1835 und 1910. Als Samuel zur Welt kam, am 30.11.1835 schlich Halley bereits seit dem 16.11. über den Nachthimmel. Und Mark starb einen Tag, nachdem Halley wieder da war - am 21.4.1910.

Mittwoch, 15. März 2023

Buchstabenprozession

Jetzt ist Mark Twain an der Reihe. Nein, ich lese mich nicht alphabetisch durch meine Bücherregale. Sondern spontan. Intuitiv. Nach Farben oder Heftung. Das Wetter ist garstig (ist eigentlich schon April?) und mir tut jede Faser meines unteren Rückens weh. Seit ich mich zu einem professionellen Trampolintraining angemeldet habe, arbeite ich mich von den Sprungelenken über die soft gebeugten Knie kontinuierlich hoch in die Lendenwirbel und den Brustkorb. Und während ich höchstens die Fersen von der Sprungmatte löse, fällt mein Blick auf den einen oder anderen Rücken an der einen oder anderen Wand im Zimmer. Je nach dem, ob ich mich gerade nach links oder nach rechts drehe. Letzte Woche sprang mich beim bouncen Kurt Marti an. Da geht ein Mensch / Štai eina žmogus / Dert geit e Mönsch / Va ain žmogs. Deutsch-bärndüütsch-litauische Gedichtausgabe. Wie die in mein Zimmer kommt, kann ich nicht mehr sagen. Jetzt also Mark Twain. The Awful German Language.

Dienstag, 14. März 2023

Die zottige Mütze und der königliche Faltenwurf

Kürzlich in der Nacht las ich bei den Strugatzkis, dass ihr Held, der gerade mit Vollgas in einer wunderlichen Maschine in die "beschriebene Zukunft" steuerte (beamte wie wir heute sagen würden), sich darüber wunderte, dass er dort spärlich bekleidete Menschen antraf, über deren Aussehen sich niemand zu wundern schien: "Zum Beispiel einer mit einem grünen Hut und rotem Jackett am nackten Körper (sonst nichts); oder mit gelben Strümpfen und einem schillernden Halstuch (kein Rock, keine Hose, keine Unterwäsche); ein anderer steckte bloßfüßig in feinen schwarzen Halbschuhen, das war seine ganze Bekleidung. Die anderen Passanten schenkten ihnen kaum Beachtung. Ich war aber völlig verwirrt, bis mir einfiel, dass manche Schriftsteller die eigentümliche Gewohnheit hatten, etwa solche Sachen zu schreiben: Die Tür ging auf, und es erschien ein muskulöser Mann mit einer zottigen Mütze und dunkler Brille." (Arkadi und Boris Strugatzki, Geschichte Tohuwabohu, Teil II)

Die Brüder Strugatzki ließen ihre Romanfigur wählen, ob sie in die beschriebene Zukunft, in die beschriebene Vergangenheit oder in die beschriebene Gegenwart steuern wollte. Hätte sie die Vergangenheit angepeilt, wäre ihr unweigerlich ein Double dieser Dame begegnet: "Miss Ingram, who had now seated herself with proud grace at the piano, spreading out her snowy robes in queenly amplitude, commenced a brilliant prelude ..." (Charlotte Brontë, Jane Eyre, Kap. 17, dt. "Miss Ingram, die jetzt mit stolzer Grazie am Klavier Platz genommen hatte und ihre schneeweiße Robe in königlichem Faltenwurf um sich ordnete, begann nun ein brillantes Präludium ...").

Hervorhebungen JA

Montag, 13. März 2023

Oe

Der Dreizehnte März. Geburtstag von Natasza G. Kenzaburo Oe ist schon seit ein paar Tagen tot aber die Nachricht "ploppt" (wie man heute sagt) erste heute auf.

Sonntag, 12. März 2023

Das Wunderauge

Als Wunderauge der Astronomie gilt das JWST - das James Webb Space Telescope - und verzückt seit über einem Jahr die Fachwelt. Es sei lichtempfindlicher als geplant, sehe schärfer als gedacht, nicht die geringsten Staubspuren trübten den Spiegel (wie wichtig streifenfrei polierte Spiegel sind, wusste schon Frau Herschel!), auch innerhalb des Geräts würden keinerlei Verunreinigungen mit womöglich minimaler Strahlung das Getriebe stören, und von außen sei keine Störstrahlung von der Sonne oder Erde festzustellen. Das erste Jahr resümierte kürzlich die 2022 zur „LGBTQ+ Wissenschaftlerin des Jahres“ gekürte Astronomin Jane Rigby. Man habe 87 Galaxien auf den Aufnahmen entdeckt, einen Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen, bunte Gas- und Staublandschaften, das Spektrum eines Planeten, der um einen fernen Stern kreise usw. Man habe Einblick in einen Bereich gewonnen, weit draußen im All und viel weiter zurück in der Vergangenheit, als es das Hubble Teleskop je zeigen kann. Also: völliges Neuland! Bereits im erst 200 Millionen Jahre alten Kosmos musste es viele helle Sterne gegeben haben Die Astronomie brauche nun neue Theorien, um zu erklären, wie es im nach dem Urknall erst einmal dunklen Kosmos so schnell hell wurde. Jane Rigby erhielt von den versammelten Kolleginnen und Kollegen standing ovations

Derweil wird an anderen Stellen immer wieder und immer noch diskutiert, ob das Space Telescope den Namen James Webb verdient oder nicht. Er war der zweite Boss der US-Weltraumagentur und leitete diese gerade mal von 1961 bis 1968 (als u.a. die erste bemannte Mondlandung vorbereitet wurde). Er war, kein Wunder, ein "Mann seiner Zeit". Gefördert und geprägt von dieser (oder jener) Zeit, diese selbst wiederum selbst prägend und fördernd. Webb soll die sogenannte "Lavendel-Angst" (lavender scare) durchaus aktiv befördert haben. Entlassungen für "homosexuelle Handlungen" seien in der NASA "üblich" gewesen und die NASA hätte natürlich nie den Kontakt zu Astronominnen  und Astronomen gesucht, die sich als LGBTQ+ identifizierten. Es galt im ganzen Land nicht nur als schicklich, sondern war politisch gewollt, LGBTQ+'s zu entlassen, zum Teufel zu schicken. Oder auf den Mond!

Und Jane Rigby? Sagt, sie freue sich, dass sie der Welt diese Bilder aus dem All präsentieren könne. Sei sei stolz, ihren Teil zu diesen Forschungen beizutragen. “Do fabulous science, be fabulous, and be kind.”

Samstag, 11. März 2023

Romeo und Julia auf dem Mond

Carolyn C. Porco, vor ein paar Tagen 70 geworden, US-amerikanische Planetenforscherin. Tochter italienischer "Gastarbeiter" / Immigrants in New York. Ihr Vater fuhr Brot aus, ihre Mutter war Mutter. Carolyn wuchs mit 4 Brüdern in der Bronx auf und sagt, sie habe nie etwas anderes gelernt und gekannt, als mit Männern zu diskutieren und zu kämpfen. Sie erforscht die Saturnringe und den Saturnmond Enceladus. "Selbstbewusst und geschickt" setze sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse durch und scheue auch nicht davor zurück, männliche Kollegen auf fehlerhafte Messungen hinzuweisen. Was unter Wissenschaftlern als "professionell" gilt, wird von Wissenschaftlerinnen "mitunter als zickig oder aggressiv" wahrgenommen. Lese ich und schweige andächtig. 

Ihren Kollegen Eugene Shoemaker hingegen, Planetengeologe, spezialisiert auf Zusammenstöße von Himmelskörpern, Entdecker vieler Einschlagskrater - der nach ihm benannte Komet Shoemaker-Levy-9 kollidierte 1994 unter seinen, Shoemakers Augen, mit Jupiter - schickte sie zur ewigen Ruhe auf den Mond. Shoemaker starb mit 69, wenige Monate vor dem Start der Mondsonde "Lunar Prospector" bei einem Autounfall. Er stieß mitten im australischen Outback, auf dem Weg zu einem Einschlagskrater in der Tanamiwüste, in einer unübersichtlichen Kurve auf der Schotterpiste mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen - weil er instinktiv nach rechts auswich, statt an den in Australien geltenden Linksverkehr zu denken. Seine Frau überlebte schwer verletzt, weitere vier Insassen blieben unversehrt. Shoemaker wollte immer auf den Mond, wurde aber zu Lebzeiten aus gesundheitlichen Gründen immer abgelehnt, zum Ausgleich trainierte er die Apollo-Astronauten. Frau Porco füllte also 28 Gramm seiner Asche in eine Kapsel von der Größe eines Lippenstifts. In das Innere der Hülle war ein Vers aus Shakespeares Romeo und Julia eingraviert. Das verschlossene Gefäß deponierte die Enceladus-Spezialistin in der "Lunar Prospector" - und die stürzte nach anderthalb Jahren Forschungsmission im Juli 1999 planmäßig in die Südpolarregion des Mondes. Sie drang mitsamt ihrer federleichten Fracht tief in die Oberfläche des Mondes ein, ohne viel Staub oder gar Gestein aufzuwirbeln. Quod erat demonstrandum: man wollte nämlich herausfinden, ob die Wucht des Einschlags in den Tiefen des Trabanten verborgenes Wasser oder Wassereis herausschleudern würde, was dem menschlichen Auge auf der Erde durch das Teleskop als Dunst hätte entgegen treten müssen. Nichts trat hervor, nicht einmal Shoemakers lachendes Gesicht.

Freitag, 10. März 2023

Die Pionierin

Sie war die erste Sternversteherin. Sie erkannte, dass die Sonne und fast alle Lichtpunkte am Nachthimmel Sterne sind, also gewaltige Kugeln aus heißem Gas. Charlotte Emma Moore Sitterly (1898-1990), Mathematikerin, Astrophysikerin, mehr oder weniger vergessen. Trotz ihres Standardwerks: drei Bände zur Analyse des Sonnenspektrums, basierend auf ihren Untersuchungen mit Hilfe der Spektroskopie. Sie zerlegte das Sternlicht in seine Wellenlängen. Um aber die chemische Zusammensetzung der Himmelsobjekte und die physikalischen Bedingungen vor Ort zu erkennen, war sie - wie alle Astronomen - auf Vergleichsdaten aus den irdischen Laboren angewiesen. Die Spektren können nur entschlüsselt werden, wenn die Forscherinnen und Forscher wissen, welche Stoffe bei welchen Wellenlängen Spuren im Licht hinterlassen. Charlotte Moore Sitterly saß beharrlich vielen männlichen Kollegen auf, bis die fehlende Messungen im Labor durchführten. Und ihr die Resultate ablieferten

Auch ohne Ansehen erreichte sie ein hohes Alter. Ihr Todestag jährte sich vor wenigen Tagen und der nach ihr benannte Asteroid (2110) Moore-Sitterly soll derzeit im Sternbild Jungfrau zu sehen sein.

Donnerstag, 9. März 2023

Das wüste Sammelsurium

Noch eine vergessene Astronomin. Es ist die Woche der Frauen. Mary Lea Heger, geboren am  13.7.1897 und gestorben an ihrem 86. Geburtstag an einem Herzinfarkt. Sie sei, heißt es, "eine geschätzte Gesellschafterin" gewesen - nachdem sie, promovierte Astronomin, Entdeckerin vieler Absorptionslinien in den Spektren von Himmelsobjekten, sogenannter DIBs (diffuse interstellar bands - diffuse interstellare Bänder), ihren Kollegen Donald Shane geheiratet und Mutter geworden war. In ihrer Doktorarbeit hatte sie nachgewiesen, dass in den Gaswolken zwischen den Sternen Natrium vorkommt und entdeckte rätselhafte dunkle Linien, die nur belegen, dass ihr Licht von einer unbekannten Quelle absorbiert worden sein musste, aber nicht aus welcher Materie sie eigentlich hervorgegangen sind, und wo genau sie sich im Raum befinden. Heutige Wissenschaftler vermuten, dass diese Absorptionslinien auf komplexe Kohlenstoff-Verbindungen zurückgehen. Aber es gelingt ihnen nach wie vor nicht, diese Moleküle bei Experimenten im Labor zu identifizieren. Und damit nicht genug: sie entdecken ständig neue DIBs. 

Mary Lea Shanes Gatte avancierte zum Direktor des Lick-Observatoriums auf dem Mount Hamilton und sie selbst kümmerte sich rührend um ihre Kinder sowie die Gäste, die aus aller Welt herbeiströmten. "Als eine Historikerin nach Material für eine Biographie über einen Astronomen fragte, kam Mary Lea Shane die Idee, aus dem wüsten Sammelsurium von Briefen, Akten und Fotografien in der Sternwarte ein wissenschaftliches Archiv zu machen." Sie kannte sich ja aus mit Diffusem und Komplexem und mit unbekannten Molekülen, die - in der Größe eines Fußballs oder auch kleiner - in der Lage sind, eines von vielleicht abertausenden Absorptionssignalen aussenden zu können.

Mittwoch, 8. März 2023

Spiegelputzen

Frauentag. Ich habe kaum geschlafen und bei Sonnenaufgang eine halbe Stunde Schnee geschippt. Statt zu schlafen bei dem Sturm, las ich in der Nacht, dass die erste bezahlte Astronomin der Welt Caroline Lucretia Herschel aus Hannover war. Geboren 1750, gestorben 1848. Unglaublich! Als fast Hundertjährige. Mit 37 erhielt sie als Assistentin ihres Großen Bruders Wilhelm (Hofastronom von Georg III, Entdecker ua des Uranus und Spiegelteleskoptüftler) vom Englischen Hof ein Jahresgehalt von 50 £ sowie eine Anstellung auf Lebenszeit. Unglaublich! Sie entdeckte 8 Kometen, katalogisierte das halbe Universum, Sterne und Sternhaufen, Nebel und Nebelflecke (deep-sky-object) und polierte und schliff immer wieder geduldig und aufopfernd, wohl wissend um die unglaubliche Rolle der Glasklarheit beim Gucken in den Nachthimmel, Spiegel für Spiegel für die Spiegelteleskope des Bruders.

Dienstag, 7. März 2023

Das schiefe Eck

Heut Nacht wird der Vollmond mitten im Frühlingsdreieck stehen - ganz unabhängig davon ob wir Winzlinge auf Erden ihn sehen oder nicht, ob der Himmel über unseren gereckten Köpfen klar ist oder nicht. Die Sterngucker sagen, der Blick auf die Sterne sei immer ein Blick in die Vergangenheit. Das Frühlingsdreieck - lese oder höre ich, denn wissen tue ich es natürlich nicht - bestehe aus Regulus (Hauptstern im Löwen), Arktur (im Bärenhüter Bootes) und Spica (in der Jungfrau). Uns Erdlingen erscheint das Frühlingsdreieck flach, weil wir die räumliche Tiefe von bloßem Auge nicht erkennen können. Im Weltall ist es aber tatsächlich schief, "völlig verzerrt". Denn: Arktur steht uns mit nur 37 Lichtjahren Entfernung am nächsten. Das Licht, das wir von ihm heute Nacht empfangen, hat sich etwa zu der Zeit, als in Tschernobyl der Reaktor explodierte, zu uns auf den Weg gemacht. Regulus ist etwa 79 Lichtjahre von uns weg, der Glanz, der heute Nacht von ihm auf uns fällt, hat ihn bereits nach dem zweiten Weltkrieg verlassen. Und Spica hält mit 250 Lichtjahren den größten Abstand ein, ihr heutiges Licht stammt aus der Zeit, als der Große Fritz völlig sorglos auf Schloss Sanssouci herumhockte. Nur der Mond ist lichtaktuell, er soll bloss "eine gute Lichtsekunde" von uns entfernt sein, sein Licht wird heut Nacht so sein, wie es ist, oder gerade eben war, inmitten des uralten wunderbar schiefen Ecks.

Montag, 6. März 2023

Kugelsternhaufen

Helen Sawyer Hogg gehört zu den wenigen glücklichen Frauen, die den langschweifigen Kometen Halley zweimal in ihrem Leben sichteten. 1910 - da war sie 4 Jahre alt. Und 1986  - 7 Jahre vor ihrem Tod. Dazwischen befasste sie sich mit den veränderlichen Sternen in Kugelsternhaufen und berechnete die Entfernung vieler Galaxien. Sie wurde anfangs nicht bezahlt für ihre Arbeit, durfte aber an der Sternwarte, an der ihr Mann angestellt war, umsonst durch das damals zweitgrößte Teleskop der Welt in den Himmel gucken. Erst nach dem Tod ihres ersten Mannes erhielt sie an der Universiät Toronto eine späte Professur und setzte seine Astronomie-Kolumne With the Stars in der Toronto Star fort. Ihr Fazit: Die Sterne gehören allen.

Sonntag, 5. März 2023

Ein- und Ausbruch

Erneuter Wintereinbruch. Plötzlich und unangemeldet. Dichtes Schneegestöber, tropfnasser Kater. Ich hocke zu Hause und lese "Wuthering Heights" (dt. Die Sturmhöhe, Emily Brontë). Der Text wird seit einigen Tagen Am Abend (unter der Woche) vorgelesen und ich muss mich versichern, das sich mich kürzlich nicht verhört habe (hab ich nicht!).

Zu Hause hocke ich, weil das Chörchen sein heutiges Konzert abgesagt hat. Es wollte nach langer Pause aus wohlbekannten Gründen endlich sein neues Programm zum Besten geben: "Eine Insel mit zwei Bergen". Und das fiel nun ins Wasser, in den Schnee, wohin auch immer. Unter einer Lawine begraben. Vom Hochweasser überrascht. Nicht aufgrund eines Mangels an Bergen am Wattenmeer, sondern - nun ja, reichlich peinlich - aufgrund eines (erneuten?) Coronaausbruchs unter den Sängerinnen und Sängern.

Samstag, 4. März 2023

Anzucht

Ein furchtbares Wort! Und eine gute Tat: Eigens gesammelte, gesäuberte und getrocknete Samen von gelben, roten, rosablauen (rose blue) und schwarzen (black) Tomaten aus meinem Fundus bei kaltem Sonnenschein, heftigem Westwind und zunehmendem Mond, nach Dreiviertel- und vor Vollmond, rechtzeitig auf dem geschützten und nach Süden ausgerichteten Fensterbrett in Anzucht- und Kräutererde gebracht. Ich dachte immer, diese Anzuchterde sei besonders wertvoll und angereichert mit keim-und wachstumsfördernden Stoffen. Um den Samen Flügel zu verleihen, um im romantischen Kitsch zu bleiben. Zu sprechen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Anzuchterde ist so spröde und lieblos wie die Erziehung unter den Welfen (nicht Wölfen! Die verzärteln ihren Nachwuchs). Anzuchterde versorgt die neuen Pflänzchen mit so wenig Nährstoffen wie möglich, damit die ihre eigenen Kräfte mobilisieren und standhaft werden ohne Sucht. Sich eigenständig emporstemmen. Ans Tageslicht. Oder für immer bleiben wo sie sind. Im Dunkel der Erde.

Freitag, 3. März 2023

Inzucht

Unter Göttern ist nichts unmöglich. Ich suchte einen  Boten und fand Garuda. Wo? Im Netz natürlich. Im Spinnennetz, im Schmetterlingsnetz, im Wäschenetz. Im Teesieb. Im Mehlsieb. Im Puderzuckerstreuer.

Garuda schlüpfte angeblich aus einem Ei. Sein Vater, der Schildkrötenmann, Schöpfer aller Kreaturen, hatte natürlich mehr als eine Ehefrau und legte so den Zwist in die Welt. Denn die eine war eifersüchtig auf die Fruchtbarkeit der anderen und gebar vor lauter Ungeduld nur drei Eier, aus denen sich nur unterentwickelte Frühgeburten herqaussschälten: der Blitz, die Morgendämmerung und Garuda, halb Adler, halb Mensch.

Garuda macht sich seit den Urzeiten überall breit. Unter anderem hockt er auch in meinen wie immer über den Winter und durch die Stürme am Wattenmeer ausgefransten Gebetsfahnen. Er gehört nämlich im Tibet zu den vier "Würden" - den vier Himmelsrichtungen bzw. den ihnen zugewiesenen Kraft- und Symboltieren. In jeder Ecke der viereckigen Fähnchen sitzt eine Himmelsrichtung, das scheint logisch, auch für unsere Köpfe. Verkörpert sind die vier Himmelsrichtungen durch den Schneelöwen, den Drachen, den Tiger und den Garuda. Befehligt und angetrieben werden alle vier vom Windpferd in der Mitte.

Donnerstag, 2. März 2023

Dickicht

Das Dickicht lichtete sich vorübergehend. Auf dem Weg zur Probe klarer Abendhimmel. Venus und Jupiter weisen mir die Richtung. Sie strahlt viel heller als er. Zweieinhalb Stunden später auf dem Weg nach Hause sehe ich die Hand vor den Augen nicht mehr, so dick ist der Nebel. Ich bete zu den Gestirnen, dass die Bürgerweide frei ist von allen Hunden und ihren Herrchen oder Frauchen. 

Mittwoch, 1. März 2023

Blickdicht

Am Abendhimmel findet die Verfolgungsjagd ein Ende. Die Venus gewinnt und überholt Jupiter. Meteorologisch ist der Winter zu Ende. Frühlingsanfang. Am Wattenmeer Nachtfröste und Nebeltage. Heute gab es keinen einzigen Sonnenstrahl. Keinen Lichtblick. Keinen Durchblick. Nur blickdichten Nebel.