Montag, 31. März 2008

Gartenzeit

Das Ende der Reisezeit ist gekommen. Nun beginnt die Gartenzeit. Heute arbeitete ein Dutzend kräftiger Männer vor und hinter dem Haus mit Schaufeln, Spaten und Motorsäge. Sie rissen den efeuüberwucherten Zaun ab, fällten eine Zypresse, gruben alte Sträucher aus, füllten die Löcher mit der Erde vom Wall vor dem Haus. Mit einem Wort: sie hoben die physischen Grenzen zwischen den Grundstücken auf, die im Grundbuch schon vor dem Winter wieder vereint wurden.
Nun fällt noch mehr Licht ins Wohnzimmer.
Und die Drosseln, Buchfinken und Kohlmeisen picken aufgeregt auf dem neu zugänglichen Terrain herum, rupfen erbarmungslos Würmer aus dem aufgewühlten Boden und fangen an, mit den Zweigresten ihre Nester zu bauen.

Die kräftigen Männer haben mir auch ein Gemüsebeet umgepflügt. Ich werde Tomaten pflanzen, Erdbeeren, Mohrrüben, Fenchel, Zucchini, Puffbohnen, Melonen, Schnittsalat, Staudensellerie und Grünkohl. Ein Kräuterbeet anlegen für W. Mit Lorbeer, Basilikum, Rosmarin, Thymian und vielem anderem mehr.
Ich werde einen Anbauplan anlegen und in Zukunft sorgsam auf den Fruchtwechsel achten, um Bodener­müdungs­erschei­nungen vorzubeugen. Ich werde ein angenehmes Kleinklima schaffen durch eine immergrüne Hecke aus Laub- und Nadelhölzern, denn ich weiß, dass auch ein schwacher Wind schädlich ist für den Ernteertrag. Ich werde bis zur Einführung der Winterzeit nur noch im Garten arbeiten. Ich werde als erstes die verschiedenen Aussaattechniken unterscheiden lernen. Von der Rillenaussaat oder Reihenaussaat über die Breitsaat bis hin zur Horstsaat. Es sei darauf zu achten, dass das Saatgut Bodenkontakt habe, sagte mir der Kurzhaarige, es müsse gründlich gewässert oder eingeschlämmt werden. Wie kann ausgerechnet der Bodenkontakt vermieden werden, fragte ich verwirrt zurück und bekam keine Antwort. Es gibt Kurztagspflanzen und Langtagspflanzen. Es gibt Lichtempfindlichkeiten und Wärmeempfindlichkeiten. Krümeliger Lehmboden, versicherte mir der Chef und verstaute die Säge, sei für Gemüse ideal, da er reich sei an Nährstoffen, Mikroorganismen und Regenwürmern. Dann fuhren die Männer nach Hause.

Morgen früh kommen sie wieder. Die Reisezeit ist vorbei. Die Gartenzeit ist da.

Montag, 24. März 2008

Reisezeit 4

Wir reisen nur noch. Heute nach Timmerlah zu einem runden Geburtstag. Tapfer stehen wir auf. Tapfer gehen wir zu Fuß zum Bahnhof. Tapfer lassen wir uns einschneien. Tapfer hören wir um 5.59 Uhr die Ansage, die NOB aus Husum verspäte sich auf unbestimmte Zeit wegen Weichenstörung. Wir erfrieren fast am Ostermontagmorgen am Meldorfer Bahnhof. Nach einer Dreiviertelstunde fährt ein gut geheizter Zug ein. Ohne Ansage. Ich zittere vor Kälte, bis wir den Nordostseekanal überfahren haben. In Altona verpassen wir den Anschluss. W. geht Geld ziehen. Ich setze mich in einen ICE. Wir treffen mit zwei Stunden Verspätung in der Dorfschenke ein. Mittlerweile scheint eine kalte Sonne. Der Taxifahrer erzählt von einem Holzklotz, der von einer Autobahnbrücke geworfen wurde und eine Frau tötete. Dann sehe ich viele Gesichter zum ersten Mal. Und mache mir einen Reim auf ihr Leben. Am Abend sind alle Bahnhöfe voll. Es schneit wieder. Die Weichen frieren erst ein, wenn der letzte Zug durch ist.

Mittwoch, 19. März 2008

Reisezeit 3

Wir fliegen nach Wien. Gleich holt uns das Taxi ab und bringt uns zum Flughafen. Wir besuchen Imme, von der hier schon einmal die Rede war. Sie erzählte mir am Telefon, sie sei so glücklich, dass endlich, nach fast zwanzig Jahren, ein ganz normaler Arzt festgestellt habe, warum sie immer müde war, diverse Dinge nicht mehr essen konnte, nicht mehr trinken konnte, immer mehr, immer weniger.
Mangel an Vitamin B12.
Zuerst bekam sie täglich eine Spritze, jetzt nur noch einmal wöchentlich.
So einfach ist das manchmal.
Wir beschlossen, gleich loszufliegen und mit ihr - Fastenzeit hin oder her - einen Heurigen zu trinken.

Dienstag, 11. März 2008

Reisezeit 2

Ich fliege nach Warschau.
Zum Begräbnis von Gustaw Holoubek, 85, Schauspieler. Er sagte einmal, für eine neue Rolle müsste ein guter Schauspieler höchstens einen Viertel des Textes neu auswendig lernen. Alles andere hätte er bereits im Kopf.
Das heisst umgekehrt, dass wir Schreibende drei Viertel unserer Texte füllen mit leeren Phrasen, wiederholbaren Alltäglichkeiten, nichtssagendem und verzichtbarem Kolorit.
Ich fliege nach Warschau.
Zu meinem Meister, Tadeusz Konwicki, 81, Schriftsteller. Er sagte mir gestern am Telefon, nun sei er ganz allein auf der Welt.

Montag, 3. März 2008

Reisezeit

Die nächsten Tage verbringe ich in den verschiedenen Zügen der NOB oder der Deutschen Bahn, an verschiedenen Bahnhöfen, in verschiedenen Zimmern, an verschiedenen Fenstern. Falls gestreikt wird, werde ich auch zu Fuß unterwegs sein.
Details werden auf Wunsch nachgetragen.