Mittwoch, 10. November 2021

Zweisprachig

Die Fratzen, die Bilder, die Zwillinge lassen mich nicht los. Nein, wir kommen nicht zwangsläufig zwei- oder nochmehrsprachig auf die Welt in einem Land, das offiziell vier Sprachen sein eigen nennt, in dem aber die meiste Zeit ein Vielfaches an nicht amtlichen Sprachen gesprochen wird. Ich habe noch nie so oft in den Spiegel geschaut wie in den letzten 24 Stunden. Ständig suche ich etwas und finde nichts in meinem Gesicht bzw. in dem seitenverkehrten Bild, das mir der Spiegel entgegenwirft. Weder eine Erklärung. Noch eine Antwort. Wer bin ich und warum? Seit die Haare wieder länger geworden sind (Stichwort: Coronazopf), sehe ich im Spiegel nicht mehr meine Mutter. Daran habe ich mich gewöhnt. Aber als ich kürzlich - einer gänzlich irrationalen Eingebung folgend - online einen neuen Erst-Pass beantragen wollte und mich nicht an den zweiten Vornamen meines Vaters erinnern konnte, erschrak ich. Wer bin ich und wozu? Ich blätterte in alten Papieren und fand heraus, dass mein Vater dieselben Vornamen trug wie sein Vater, in derselben Reihenfolge. Ich kannte diesen Großvater nicht. Den anderen übrigens auch nicht. Beide waren vor meiner Geburt gestorben. Der Vater des Vaters in jungen Jahren, lange bevor sich meine Erzeuger überhaupt zum ersten mal trafen, bei einem Verkehrsunfall. Das war für die damalige Zeit ungewöhnlich und umso tragischer, da es kaum Straßenverkehr gab. Außer den Namen fiel mir auch ein Bild dieses Großvaters in die Hand. Ein Trauerbild, mit einem Trauerrand und einem Trauerspruch. ... das ewige Licht leuchte ihm ... und ich erschrak ein zweites Mal. Dieser so junge Großvater guckt so überraschend lebensfroh in die Kamera, hat ein so sanftes, schmales Gesicht und trägt ein so verschmitzt-unverstecktes Lächeln auf den Lippen! Dieses Bild passt so gar nicht zu meinen Erinnerungen. Aber es passt plötzlich in meinen Spiegel. Wer bin ich und woher?

1 Kommentar:

  1. schön das man auch in der eigenen familiengeschichte immer noch überrascht werden kann. ich fand diese woche einen anfang meines stammbaumes und stellte überrascht fest, wie alt meine großväter bei ihren hochzeiten waren, oder als sie väter wurden. und damit kam ich auf die geschichte des ersten weltkrieges, die jungen männer mussten ihre familiengründung verschieben. lieben gruß, roswitha

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