Samstag, 31. Oktober 2020

Blue Moon

Mit etwas Glück geht heute dieser überlange Monat doch noch zu Ende. Zweiter Vollmond. Feiertag. Mieterwechsel. Fallstudien. In Polen sind ab heute bis Montag die Friedhöfe geschlosssen. Allerheiligen, Allerseelen sind die wichtigsten katholischen Feiertage in diesem katholischen Land, in dem es nun heißt, die Frauen, die für ihre Menschenrechte demonstrieren, würden ihre verbrecherische Hand gegen die Kirche erheben.

Freitag, 30. Oktober 2020

Auf die Straße gehen ...

... Hunderttausende Frauen (nicht nur, gottseidank, auch ihre Männer und Kinder) in Warschau (nicht nur, auch in anderen Städten des Landes) und demonstrieren gegen die Kirche, die Regierung und die Justiz. Gegen die Menschenverachtung, die Ihnen vom Klerus, von rechtsnationalen Politikern und den von ihnen gesteuerten Richtern ins Gesicht schlägt. Ein zweites Belarus. In jeder Hinsicht. Der einzelne Zwilling verschanzt sich derweil in seiner Villa und schickt Schlägertruppen. Jeszcze Polska nie zgnięła! 

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Hin und her

Ein ständiges hin und her kann den letzten Nerv treffen oder töten. Oder die Kreativität wecken. Ich befinde mich in Gedanken in Nordfriesland. Wandere zwischen Joldelund und Högel hin und her. Suche eine Bahnhofstraße ohne Bahnhof auf sowie einen Hofacker ohne Acker. Mit dem Gegacker von Hühnern. Vor dem Meldorfer Fenster Dithmarscher Blues.

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Zu Hause bleiben ...

... auf immer und ewig. Ich war vorsorglich noch einmal beim Zahnarzt. Zur Kontrolle. Und zur Prophylaxe. Wer weiß, wie lange wir überhaupt noch den Mund aufsperren dürfen. Wie lange wir und überhaupt noch gefallen lassen müssen, dass jemand die hintersten dunklen Ecken dieser Höhle ausleuchtet. Überall sonst, auch in der ausgestorbenen Meldorfer Innenstadt muss eben dieser Mund, auch die Nase übrigens, ob sie läuft oder nicht, bedeckt werden. Nach den Maronen fällt nun das Laub. Und Regen. Herr Caruso kommt tropfnass und hungrig nach Hause.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Fensterputzen

Für eine bessere Perspektive in den Winter. Ich steige auf die Leiter, säubere die Regenrinne, räume die Terrasse auf, ernte haufenweise Spätzünder. Grüne Baselbieter Röteli. Ich muss die Tomaten im Frühjahr überdüngt haben. Mit dem ökologischen Schafsdünger von Süderoog. Sehr gut gemeint und sehr dumm gelaufen. Nun habe ich Ende Oktober zwei drei Handvoll grasgrüner Tomaten und biete ihnen ein warmes Plätzchen zum Nachreifen auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer. Draußen hole ich alle Altweibersommerspinnennetze herunter. Setze meinen Fenstersauger ein. Kaum bin ich fertig, fängt es an zu regen.

Montag, 26. Oktober 2020

Schmuddelwetter

Auch der Montag verspricht Zuhausebleiben. Unser Chorleiter hat jahreszeitlich bedingte Erkältungssymptome. Wer hat die nicht? Bei diesem Schmuddelwetter! Aber in Zeiten des hohen C ist die allgemeine Verwirrtheit groß.

Ich verstehe aber nicht, warum man/frau Kunstwerke massakriert und Politiker oder Wissenschaftler mit Morddrohungen überzieht.

Sonntag, 25. Oktober 2020

Inzidenzirrtümer

Es ist schon schwer zu verstehen, in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung, dass das RKI Dithmarschen aufgrund der vom zuständigen Gesundheitsamt übermittelten Zahlen rot einfärbt und der Kreis sofort richtigstellt, dies entspreche nicht der "tatsächlichen Infektionslage" sondern sei leider das Resultat "technischer Übermittlungsprobleme". Ein Stau auf der Fallzahlenübermittlungsautobahn. Und der Kreis betont: maßgeblich sind die Zahlen des Kreises nicht des Robert Koch-Instituts!

Ich habe die Wunderwaffe (WarnApp) schon vor Wochen wieder ausgeschaltet und komplett deinastalliert. Eine kluge Maßnahme, wie sich im Nachhinein herausstellte, da sie angeblich eh nicht warnt, bzw nicht im richtigen Moment und nicht die richtigen Kontakte.

Das Dithmarscher Landesmuseum hat "vorsorglich", und weil die Museumsleiterin die Ansicht vertritt, das Museum als öffentliche Einrichtung habe auch eine gesellschaftliche "Vorbildfunktion", das heutige Benefiz-Konzert mit Boris Guckelsberger abgesagt. Also wieder ein Sonntag zu Hause.

Freitag, 23. Oktober 2020

Wattwunderin

Ich komme nicht darüber hinweg, dass ich das Abbaden in diesem Jahr verpasst  habe. Seit Wochen komme ich nicht mehr an den Deich, weder zu Wasser- noch zu Wattzeiten. Weder zu Tages- noch zu Nachtzeiten. Manchmal ist es abends noch so warm, dass ich versucht bin, das Weite zu suchen. Statt zu schlafen, ins Watt zu wandern. Leider macht mir der Wind einen Strich durch die Rechnung. Und der Regen. Und beim Aufwachen wundere ich mich nur.

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Die letzte Marone

Nun sind sie plötzlich alle unten. Der Sturm in der Nacht fegte alle Kapseln, noch volle, schon leere, reife, unreife, halbreife runter. Und die Saharaluft heute begleitet meine Erntearbeit. Ich fülle 7 60L-Biomüllsäcke und schwitze. Das Müllauto kommt freundlicherweise erst, als ich fertig bin. Auch die Raben und Dohlen sind schlagartig verschwunden. Sie krächzten noch tief in der Nacht im Baum, als ob sie ahnten (natürlich wussten sie es bereits), dass dieser Tisch bald nicht mehr gedeckt sein wird. Ich entzog ihnen nämlich erbarmungslos die letzten 2 Kilo stark stärkehaltiges Futter. Ich muss ja auch von etwas leben.

Mittwoch, 21. Oktober 2020

Franz Furrer-Münch

Vor ein paar Tagen, als ich mit anderem herumschlug, zog unbemerkt von der Welt sein zehnter Todestag vorüber. Ich kannte ihn auch nicht, aber das Einsingen um 09 hält so manche Überraschung bereit. Also Franz Furrer-Münch, einer der "Stillen" unter den Schweizer Komponisten. Er selbst sagte von sich, er sei schon als Kind "seh- und hörbedürftig" gewesen. Doch diese Anlagen seien "keinem nützlichen oder messbaren Begriff zu unterstellen" gewesen und stießen deshalb, kein Wunder, im helvetischen Elternhaus auf keine Gegenliebe. 

Dabei ist die Bedürftigkeit - und gerade nicht die Sattheit! - der größte Motor für kreaives Schaffen.

Das Memorial-Konzert findet - wenn es denn stattfindet! - am 31. Oktober in Zürich statt und zum ersten Mal seit langem bedauere ich es sehr, dass ich nicht einfach so mal nach Zürich fahren kann.

http://www.ensemble.ch/

...hier auf dieser Strasse, von der sie sagen, dass sie schön sei... (Paul Celan) für Sopran, Flöte, Violoncello und 4 Pauken

Dienstag, 20. Oktober 2020

Toshio Hosokawa

passt natürlich viel besser zum Reiskocher und meinem allabendlichen Maronenmarathon als die Spanierin de Alvear. Hosokawa wird demnächst 65 und sagt, der Klang entstehe aus dem Schweigen und gehe wieder dorthin zurück. Das sei in der Musik so wie in der Kalligraphie - so einen Vergleich können nur Asiaten ziehen und verstehen: Der Kalligraph bestimme einen Punkt in der Luft und bewege von diesem Punkt ausgehend den Pinsel, der irgendwann kurz das Papier berühre bevor er sich wieder auf den langen Weg zurück zu jenem Punkt in der Luft aufmache. Nur Spuren dieser Bewegung, sagt der Komponist Hosokawa, seien auf dem Papier zu sehen: "Der sichtbare Teil der Bewegung auf dem Papier ist genau so wichtig wie der unsichtbare Teil in der Luft."

Montag, 19. Oktober 2020

Feld

Im Feld. Gefallen. In Warschau wird das National-Fußballstadion ( PGE Narodowy *) zum Feldlazarett (szpital polowy - Feldspital) umgewidmet. Es wurde zur Fußball EM 2012 errichtet und überstrahlt seither Tag und Nacht vom Weichselufer aus die ganze Stadt mit seiner glasfaserverstärkten Dachkonstruktion. Feldspital hingegen ist ein veralteter Begriff. Und nun taucht er mitten in einer Metropole, mitten in einem monströsen modernen Bau wieder auf. In diesem Fußballstadion fanden schon Buchmessen und Popkonzerte statt, aber auch eine Weltklimakonferenz. Damit ist es nun erstmal vorbei. Wie viele  Betten finden Platz an einem Ort, der lt Eigentümer 58.145 Sitzplätze für Fußballspiele, 72.900 Plätze für Musikveranstaltungen, 4.600 Premium Sitzplätze, 69 VIP-Logen mit insgesamt 800 Plätzen, 109 Behindertenplätze sowie 900 Plätze für Medien freihält?

* Polska Grupa Energiczna - Nationalstadion. Der (Sponsoren-)Vertrag mit dem Energieunternehmen soll bis zum 10.10.2020 Gültigkeit gehabt haben.

Sonntag, 18. Oktober 2020

Reiskocher

Die Maronen fallen. Alle Jahre wieder. Ich entwickle mein System zur Verarbeitung weiter. Versuche den Aufwand so gering wie möglich zu halten. 4 Stunden für ein 1 kg ist ein stolzer Ansatz. Ich verbessere mich, habe jetzt eine Stunde gewonnen: lasse die eingeschnittenen Maronen im Gemüseeinsatz des Reiskochers kurz ein Dampfbad nehmen. Lege nur so viele Nüsse hinein, wie nebeneinader bequem Platz finden. Und verbrenne mir natürlich trotzdem die Finger beim Schälen. Aber immerhin: 750 gr geschälte Maronen aufs Eis gelegt, während aus dem Küchenradio zuerst die "Schwarze(n) Spiegel" von Arno Schmidt kamen und danach magische Klänge und Stimmen von Maria de Alvear.

Samstag, 17. Oktober 2020

Blutvergießen

Wieder hat er zugeschlagen. Mein sanfter Kater. Und zwar während der Mittagsstunde, die er neuerdings auf dem roten Sofa auf meinem Bauch einfordert. Und mitten in einer Streicheleinheit, das zufriedene Schnurren hörte schlagartig auf, der Kopf schnellte herum, das aufgerissene Maul zielte diesmal auf meine linke Hand. Alle vier Beißer hinterließen ihre Blutspuren. Das soll mir mal ein Katzenkenner oder eine Katzenkennerein erklären. Was mit dieser Bestie los ist.

Freitag, 16. Oktober 2020

Neumond

Nun werden die letzten Äpfel gepflückt. Der Nachbarsjunge steigt noch einmal in den Baum. Leicht und gelenkig. Was er nicht zu fassen bekommt, gehört den Amseln. Ich mähe noch einmal Rasen. Ich sammle immer noch nur vereinzelte reife Maronen ein. In anderen Jahren war Mitte Oktober die Ernte bereits vorbei. In diesem Jahr fängt sie erst an. Herr Caruso wünscht eine Mittagsstunde auf dem roten Sofa auf meinem Bauch, an meiner Brust. Ich decke mich mit mehreren Decken zu, denn sein "Milchtritt" ist, wie alles an diesem Tier, kräftig. Nachts kommt er nicht. Jemand muss ihm, wie bereits gesagt, Manieren beigebracht und Grenzen gesetzt haben. Er wartet jeden Morgen geduldig und still vor dem Schlafzimmer, vergnügt sich mit einer schwarzen Plüschmaus, bis ich aufstehe und seine Notration aus der nachts verschlossenen Küche herausrücke. Man möge nur in Ruhe abwarten, rät der Neumondnewsletter, dann fühle sich alles leicht und natürlich an ...

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Vitalitätsrückschnitt

Der Nachbar kommt mit der Motorsäge und wir schneiden den dicksten Stamm aus der Felsenbirne. Sie braucht einen Vitalitätsrückschnitt. Es ist in diesem Jahr noch überhaupt nicht Herbst. Obwohl ich mein Abbaden total verpasst habe. Die Bäume hängen immer noch voll grüner Blätter. Der Strauchschnitt steht vor der Tür. Der Auszug aus Ägypten. Der erste Nachtfrost. Ich muss die Regentonnen entleeren. Und so weiter und so fort.

Mittwoch, 14. Oktober 2020

Mielec

Weil ich mich wieder mit dem Bäcker beschäftige, gucke ich, was Wikipedia zu Mielec sagt. Der deutsche Eintrag zählt diverse Superlative auf: "erste 'judenfreie' Stadt im besetzten Polen". Heute "eine der größten Städte Polens ohne Anschluss an den Schienenpersonenverkehr". Interessant. 

Am 24. August 1944 liquidierte die SS das Arbeitslager Mielec, in dem die Gefangenen (mehrheitlich Juden) für die "Ernst Heinkel Flugzeugwerke" schuften mussten (brutal ausgebeutet, misshandelt und bestraft wurden). Das heißt (das steht nicht bei Wikipedia, auch nicht meine obigen Klammerbemerkungen), die Deutschen waren auf dem Rückzug.  

Der polnische Eintrag zählt jeden Millimeter der Frontverschiebung unter Nennung aller militärisch Verantwortlichen, Divisionen, Nationen, Befehlshaber, Panzertypen, Artielleriegeschütze und dergleichen mehr in jenen Augusttagen auf. In der Nacht vom 17. auf den 18. August drängte die Rote Armee (5. Gardearmee) die Wehrmacht (AOK 17 oder was von ihr übrig geblieben war) bis an die Weichsel zurück. 

Der Bäcker (Sanitätsgefreiter) wurde am 12. August bei einem Gefecht in Wadowice Górne verwundet. Er starb am 14. und wurde am 15. im Schlosspark von Podborze unter alten Fichten "mit militärischen Ehren", wie es heißt, zur letzten Ruhe gebettet. Seine Kameraden waren derart "in Eile", dass sie viele Grabkreuze (es gab viele Tote) nicht mehr ordnungsgemäß beschriften konnten, und viele Namen, so auch den des Bäckers, nur mit Bleifstift auf die Kreuze kritzelten.

Zwei Tage später befanden sich die Gräber in Feindesland und niemandem stand der Sinn danach, Namen mit regenfester Farbe nachzutragen.

Dienstag, 13. Oktober 2020

Tierarzt

Mit Herrn Rasputin war ein Besuch bei der Tierärztin auch nicht einfach. Aber mit zunehmendem Alter hat er begriffen, dass diese Prozedur - in einen Rucksack einsteigen, auf meinem Rücken Fahrradfahren, in der Praxis aus dem Rucksack aussteigen und sich begaffen, abtasten, auch mal pieksen lassen - nur zu seinem Guten ist. Er stieg immer freiwillig in den Rucksack zurück, verkroch sich und war auf dem Heimweg zufrieden auf meinem Rücken. 

Nicht so Herr Caruso. Erstens wiegt er fast dreimal so viel wie Rasputin. Zweitens ist er ein Raubtier. Ich kaufte also gestern einen stabilen Korb, ließ mir vom Fahrradhändler meinen Fahrradkorb so weit nach hinten versetzen, dass der Katertransportkorb darin Platz findet. Drittens muss ich heute viel List anwenden, um ihn in diesen Korb zu locken. Vorsorglich habe ich ihm seit zwei Tagen Notfalltropfen unters Futter gemischt. Trotzdem faucht er mich an, als ich den Deckel zuschlage. Im Behandlungsraum springt er sofort vom Behandlungstisch. Verkriecht sich unter den Schreibtisch. In alle Ecken. Die Tierärztin verfolgt ihn auf Knien. Holt Hilfe. Die sich mit Handschuhen wappnet. Sie versuchen zu zweit herumrutschend, ihn abzulenken und zu beruhigen, so dass die Spritze gesetzt werden kann. Ich halte mich heraus. Um nicht unnötig Spannung aufzubauen. Mehr war dann nicht mehr zu machen. Der aufgeblähte Bauch bleibt aufgebläht. Die Krallen lang. Die Zähne nicht geputzt. An dem Weg zurück in den Korb führt allerdings nichts vorbei, Leckerlis, drei bezirzende Stimmen, sechs Hände, ein Handtuch, viel Fauchen und Wehren mit Bissangriffen. Zu Hause dann hat er Hunger wie immer. Tut, als ob nichts gewesen wäre. Guckt mir beim Apfelpflücken zu, nur weil jetzt eigentlich Zeit fürs Abendbrot ist. Ich muss sein Futter ab sofort um ein Drittel reduzieren. 

Montag, 12. Oktober 2020

Erneuerung

Der erneute Gang zur Optikerin. Der erneute Gang ins Futterhaus,. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Herrn Caruso morgen zum Tierarzt bringen soll. Von einem Rucksack rät mir die Verkäuferin sofort ab. Wenn ich einen wilden jungen Kater habe, versichert sie, wird er einen Weg finden, auszubrechen. Die Lüftungsschlitzen aufkratzen. Die Reißverschlüsse zerreißen. Die Mesheinsätze zur besseren Luftzirkulation zerbeißen. Carusos Zähne und Krallen sind repekteinflößend!

Sonntag, 11. Oktober 2020

Die erste Marone

Die erste reife Marone! Kurz vor dem Radiogottesdienst gefunden. Die reifen Nüsse stechen sofort ins Auge. Sie glänzen! Das wissen auch die Raben, Elstern und Dohlen, die schon seit Tagen lüstern ihre Kreise hoch über dem Baum ziehen und laut lästernd ihre Kumpels auf dem Laufenden halten. Bestimmt krächzen sie der ganzen Vogelwelt die Botschaft zu, dass Menschen nur zu Unsinn bereit sind: Unessbares einzusammeln.

Samstag, 10. Oktober 2020

Blindheit

Ich bin mit Blindheit geschlagen. Ich habe mich gerade bis auf die Haut einregnen lassen, nur um vor Ladenschluss meine neue Arbeitsplatzbrille abzuholen. Neue Gläser in einer alten Fassung. Meine dritte neue Brille. Zwei funktionieren gut, die Arbeitsplatzbrille hat schon den zweiten Gläsertausch hinter sich. Nun sollen sich meine Augen und mein Hirn übers Wochenende an das neue Sehen beim Schreiben gewöhnen. Nahkomfort heißen die Gläser und nehmen mir jeden Weitblick. Ich fühle mich eingesperrt auf Bildschirmdistanz. Sobald ich auf die Tastsatur schaue, schwankt der Schreibtisch wie ein Hochseedampfer. Mir schwirrt der Kopf und die Ohren summen. Ich halte dieses neue Sehen keine zehn Minuten aus!

Ich schalte den laptop aus und die Sauna an. Mein Heimkomfort. Ich muss wieder warm werden! Schmeiße die nassen Sachen in die Waschmaschine. Mein Hausfrauendasein.

Freitag, 9. Oktober 2020

Der Baum

Mein Maronenbaum macht mir jedes Jahr mehr zu schaffen. Weil er wächst und gedeiht, gesund ist und immer mehr Nüsse trägt. Ich bin stolz auf ihn und werde ein Buch über ihn schreiben. Er ist der einzige Baum weit und breit, der stehen bleiben darf, obwohl er mir jedes Jahr mehr zu schaffen macht. Obwohl ich mich jedes Jahr aufs Neue frage, wozu ich das eigentlich tue? Warum ich hier die einsame Stellung halte? Wie lange wird mein Körper noch mitmachen, mein Rücken, meine Handgelenke, mein Kopf? Warum verbringe ich im Herbst über Wochen täglich mehrere Stunden damit: 

1. die unreifen stachligen Kapseln einzusammeln und zu entsorgen

2. die reifen Maronen zu ernten und zu verwerten

3. das Laub vom Rasen und von der Straße (bis hinüber zum Bürgersteig des Nachbarn) zu entfernen

Warum?

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Das Glück

Louise Glück bekommt den Nobelpreis für Literatur. Ich kenne kein einziges ihrer Gedichte, höre auch den Namen zum ersten Mal. Asche über mein verregnetes Haupt! Trotzdem: macht das nun Hoffnung. Dass nach Handke zum zweiten Mal jemand für die sprachliche Qualität ausgezeichnet wird und nicht für die politische correctness. Oder das pure Gegenteil davon. 

Mittwoch, 7. Oktober 2020

Die Mitte

Die Mitte der Woche. Und ich dachte immer (ich wiederhole mich, ich weiß), der Siebente Oktober (nicht die Mitte der Woche, aber ein bisschen Arachaismus) sei mein Namenstag. Eines der vielen Irrtümer, um derentwegen die Welt nicht untergeht. Ich bin mit Unmengen unreifer Maronen sowie deren außen stachligen, innen weich gepolsterten Hüllen beschäftigt. Der Baum ist schlauer als wir Menschen: wenn er merkt, dass die Temperaturen sinken und die Tage kürzer werden, wirft er alles ab, was er nicht mehr zur Reife bringt. Er befreit sich rechtzeitig von Ballast - und kennt den Reifegrad jeder einzelnen Marone. Den Rest überlässt er mir.

Dienstag, 6. Oktober 2020

Der Besuch

Ich koche Kürbissuppe. Das Wetter ist gemischt, der Sommer vorbei. Das Abbaden habe ich verpasst. Zum ersten Mal. Auf einen goldenen Herbst ausgerechnet in diesem Jahr zu hoffen, wäre vermessen. Aber der Besuch ist glücklich und der Kater anständig.

Montag, 5. Oktober 2020

Das Maisfeld

ist abgeerntet und die Sicht auf die aufgehende Sonne wieder unverstellt. Herr Caruso wartete ohne zu jammern, bis ich aufwachte - vor meinem Bett! Da keines der Katzenklos Spuren zeigt, gehe ich davon aus, dass er in der Nacht draußen war. Und jetzt drinnen ist. Ein freier Kater und seine freie Dienerin. Ich lobe und füttere ihn ausgiebig.

Sonntag, 4. Oktober 2020

Sputnik

Mein Tag: versuche zum wiederholten Mal vergeblich, Herrn Caruso dazu zu ermuntern, die Katzenklappe auch von außen nach innen zu benutzen. Er ist heißhungrig und kommt doch ohne meine Hilfe nicht ins Haus hinein. Dann: rasante Fahrt zum Sonnenaufgang in die Feldmark ausgedehnt über den Bahnübergang zum Kartoffelautomaten. Komme mit 5 Kilo Dithmarscher Neuer Ernte nach Hause, die Nachbarin mit Kind und Auto vom Bäcker. Kontrolliere den Stand der gefallenen Maronenkapseln im Garten. Springe eine kurze Viertelstunde auf dem Trampolin. Lasse mich einsingen. Frühstücke. Koche die letzte Brombeermarmelade. Arbeite eine halbe Stunde im Garten. Arbeite eine Stunde am Schreibtisch. Wasche mir die Haare. Arbeite eine weitere Stunde am Schreibtisch. Esse zwei Käsestullen. Koche Kaffee. Empfange H. zum Kuchen. Koche Steckrübeneintopf. Füttere den Kater. Höre den zweiten Teil des Hörspiels nach dem "Erlkönig" von Michel Tournier (grauslig), gönne mir eine Pause und fahre zum Sonnenuntergang an die Brücke über die Südermiele. Arbeite bis nach Mitternacht am Schreibtisch.

Samstag, 3. Oktober 2020

Nebel

Caruso hockt draußen vor der Tür. Ich öffne ihm von innen die Klappe. Er steigt ein. Dummerchen, sage ich, und kraule ihn hinter den Ohren. Das kannst Du doch auch ohne mich! Ich muss heute meinen Kurztext fertig schreiben und noch eine Pointe finden. Dann Birnen pflücken, Birnen verteilen, Birnen verarbeiten.

Freitag, 2. Oktober 2020

Regen

fällt auf meinen Dünger. Das ist gut so. Der Sonnenaufgang fällt dadurch aus. Auch der Sonnenuntergang. Man kann nicht alles haben. Der Kater beäugt den ganzen Tag kritisch mein Tun. Ich halte ihn auf Distanz. Er darf erst am Nachmittag raus. Seltsamerweise geht er die gleichen Wege wie sein Vorgänger. Und benützt das Designerkatzenklo im Haus nicht mehr. Ich lasse die Klappe über Nacht offen.  

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Vollmond

Am Nachmittag entlasse ich Herrn Caruso in den Garten. Aus einer Eingebung heraus. In der Rasenmähpause. Er muss auch etwas haben vom Leben, denke ich, und nicht nur auf dem Sofa liegen. Er schnuppert ausgiebig an den seltsamsten Stellen. Knabbert an den Bambusblättern. Pinkelt dort, wo Herr Rasputin auch immer gepinkelt hat. Inspiziert den Garten meiner Mieterin. Und ihre Terrasse. Das ist schließlich auch seins! Ein schlaues Tier! Erkennt auf Anhieb sein Revier. Und dann geht er - wie nicht anders zu erwarten - seines Weges. 4 Stunden vertrauensvolles Warten. Ich dünge meinen Rasen. Ich pflücke Birnen und sortiere die faulen von den nicht faulen. Ich säge zwei Äste ab. Ich fotografiere meine Edelkastanie. Ich fahre zum Sonnenuntergang in die Feldmark. Ich treffe meine Nachbarin. Die Sonne geht hinter den Wolken unter. Und bis zum Mondaufgang zu warten, ist uns zu kalt. Ich löffle zu Hause meine Suppe und räume die Küche auf. Dann klappert die Klappe und Herr Caruso hockt vor der Tür. Scheut sich noch, die Klappe wirklich zu benützen. Aber sie scheint seinen Chip erkannt zu haben, denn sie hört auf zu blinken. Wir fallen uns überglücklich virtuell oder in Gedanken in die Arme. Er beißt ja immer noch wie ein Raubtier, frisst, wird übern grünen Klee gelobt und schläft zufrieden auf dem Sofa ein. Wie ein Kind.  

Heute Nacht erleuchtet uns der erste Oktobervollmond. Ende des Monats der zweite.