Der erste Schnee fiel am 14. November 2007 (wie fadenscheinig, kann dort nachgelesen werden). Der erste richtige Schnee fällt heute. Es schneit den ganzen Vormittag. Dicke, nasse Flocken fallen unablässig vom Himmel. So etwas habe ich hier am Wattenmeer noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich laufe aufgeregt von einem Fenster zum anderen. Schaue aus dem Wohnzimmer in den Süden. Aus der Küche in den Norden. Aus dem Schlafzimmer in den Osten. Sitze am Schreibtisch und schaue in den Westen. Überall wachsendes Weiß. Ich kann mich nicht sattsehen an unserem naturbelassenen Rasen, dessen Löcher gnädigerweise ein-, zu- und glattgeschneit werden. Ich kann mich nicht sattsehen an den Tannen des Nachbarn, in deren Äste das Weiß dick hängen bleibt. Vom Badezimmerfenster aus kann ich mich nicht sattsehen an den Dächern der Nachbarn, die weiß und weißer werden. Von unserem eigenen Dach erspähe ich soviel, wie von einem zugeschneiten Dachfenster aus zu erspähen ist. Ich nehme an, dass auch auf unserem Dach das Prinzip der Ähnlichkeit gilt - similia similibus curentur. Ähnliches soll durch ähnliches geheilt werden. Oder anders gesagt: ähnliche Einzelreize werden als Einheit wahrgenommen. Auch auf unseren beiden Dächern bleibt der Schnee liegen. Der Schnee hebt die letzten verblichenen Reste der ehemaligen Grundstücksgrenzen endgültig und unwiderruflich auf. Im Haus, im Garten und auf dem Dach.
Gegen Mittag hört das Treiben vom Himmel hoch, in der bleiernen Luft, auf unsere bloßen Häupter herab, plötzlich wieder auf. Als wär's nur ein Spuk gewesen. Es war aber kein Spuk. Ich hole die Schneeschaufel aus der Garage und schaufle, wie alle Nachbarn rund herum, den Bürgersteig rund um unser Eckgrundstück lärmend leer.
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