Nein, ich habe sie nicht vergessen. Meine Lieblingswörter! Die Wörter, mit denen ich mein höchstpersönlich eigenes Jahr ausstaffieren werde. Meine privaten Wörter meines privaten Jahres. Nein, ich habe es nicht vergessen. Mein Jahr der Komposita. Mein Jahr der zusammengesetzten Substantive, dieser unerschrocken endlos langen und endlos verlängerbaren Wortungeheuer, welche die ungewöhnlichsten Konsonantenverbindungen und Konsonantenhäufungen an ihren ehemaligen Grenzen auflodern lassen. An den innerwörtlichen Grenzen, an den Enden oder Anfängen der einzelnen Wörter, der Wurzelwörter, der Zauberwörter, der sinnstiftenden oder sinnentleerenden Zusatzwörter und so weiter und so fort.
Da tauchen dann plötzlich auch Zwillingspaare auf.
Zum Beispiel ein seltenes Doppel-d. Alle Doppel-d's dieser Welt sind geistiges Eigentum des Dichters Joachim Ringelnatz, der bis 1919 mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher hieß. Die Doppel-d's gehören genaugenommen seinem Seemann Kuttel Daddeldu. Noch genauer genommen stammen sie aus dessen poetischem Sprachschatz. Fast alle in diesem Schatz vergrabenen Doppel-d's sind vereinigt in der Gedichtzeile "Daddeldu Duddel Kuttelmuttel, Katteldu". Bis vor ein paar Jahren konnte man den Seemann KuddelDaddeldu auch noch im Namen eines Stralsunder Restaurants antreffen. Das wurde aber mittlerweile, wie ich einer Pressemeldung der Ostseezeitung entnehme, von innen und außen "aufgehübscht" und nennt sich nun lapidar "Hafenkneipe".
Einer ganz anderen Quelle entspringt das heutige Doppel-d mit seinen vielen wunderlichen Gespanen im Gepäck: Der Basellandschaftlichen Zeitung. In Gelterkinden (Gemeinde im Bezirk Sissach im Oberbaselbiet) heißt es, wie ich in der NOB (NordOstseeBahn) zwischen Wilster und Itzehoe, also schon jenseits des Kanals, sprich: fast in Hamburg lese, ist eine "Dreifachturnhalle" gebaut worden. Was immer man sich darunter vorstellen mag - dadurch ist die bisherige, fast 40 Jahre alte Turnhalle überflüssig geworden. Und da die Sekundarschule seit Jahren mit Platzproblemen kämpft (eine mögliche Folge der Stadtflucht kinderreicher Basler Familien), wurde beschlossen, die alte Turnhalle, die sogenannte "Pinguinhalle" in Schulräume umzubauen. Nie haben dort lebendige Pinguine gehaust. Aber hinterlistige oder hellsichtige Schüler mögen einmal einen oder mehrere Pinguine an die Innen- oder Außenwände gesprayt haben. Genaueres wird mir leider nicht gesagt in dem Zeitungsartikel, weder zur Anzahl noch zum Aussehen noch zum Standort der Gelterkinder Pinguine. Nur der Name der Turnhalle im Volksmund wird erklärt, grammatikalisch nicht ganz zu meiner Zufriedenheit: sie werde so genannt "wegen des Graffitis eines Lehrers, das längst nicht mehr sichtbar ist".
Ich lerne daraus so viel, dass die Welt aus sichtbaren und unsichtbaren Dingen besteht. Daraus wiederum folgere ich, dass die unsichtbaren Dingen in Wörtern weiterexistieren. Und dass ich mich nicht zu wundern brauche, wenn Sprache zuweilen keinen Zusammenhang, keinen für mich ersichtlichen Sinn zur Wirklichkeit mehr herstellt.
Der "Spatenstich" für die neuen Schulräume erfolgte durch die Sprossenwanddemontage. Dokumentiert wird dies in der Zeitung durch ein Schwarzweißbild. Ich sehe und glaube es, denn hier habe ich es mit der sichtbaren Welt zu tun, dass Hand anlegten: der Architekt, die Gemeindepräsidentin und ein Baukommissionsmitglied.
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