Heute fuhr ich nach Hamburg, um ein paar Paar blaue Schuhe zu kaufen. Ich werde diese Schuhe nie anziehen. Sie sind mir zu klein. Ich würde sie aber auch nicht anziehen, wenn sie mir passten. Ich brauche diese Schuhe nicht für meine Füße.
Ich wusste genau, in welchem Schuhladen in Altona ich die Schuhe finden würde, die ich nicht vorhabe, zu tragen. Der Fußweg war vom Bahnsteig aus in wenigen Minuten zu bewältigen. Wenn ich Glück hatte und mich beeilte, weder nach links noch nach rechts schaute, könnte ich den Zug, der dreizehn Minuten nach meiner Ankunft Richtung Westerland losfuhr, nehmen und müsste keine Zeit in Hamburg verlieren.
Ich brauche blaue Schuhe. In dreizehn Minuten. Genauer gesagt: Ich brauche einen einzigen blauen Schuh. Eine weiße Wand in meinem Haus verlangt nach diesem Schuh. Aber ich mochte mich mit der Verkäuferin nicht auf zeitraubende Diskussionen einlassen. Der Preis war eh heruntergesetzt, Auslaufmodell, Sommerkollektion, Totalausverkauf, wer nur zwei Paar kauft, muss zur Strafe ein drittes umsonst mitnehmen, von billig auf spottbillig. Ich bekam also zwei Schuhe zum Preis von einem, und könnte, wenn ich dies denn unbedingt wollte, die geschenkte Hälfte des Schuhpaares auch ohne Reue wegwerfen. Aus reiner Gewohnheit fragte ich, ob sie diese blauen Schuhe auch in meiner Größe habe. Sie schüttelte bedauernd den Kopf, das sei das letzte Paar. Ich nehme es trotzdem, erklärte ich und sie verschwand gehorsam im Lager, um den linken Schuh zu dem rechten in meiner Hand zu holen. Aus reinem Pflichtgefühl fragte sie, ob ich die Schuhe anprobieren wolle. Ich schüttelte bedauernd den Kopf, sie seien mir zu klein. Sie verzog keine Miene. Nahm den rechten blauen Schuh aus meiner Hand. Schlug ihn routiniert in das Seidenpapier ein und legte ihn seitenverkehrt neben den unberührten linken blauen Schuh in die Schachtel. Klappte den Deckel zu. Steckte das Ganze, die Schuhe in der Schachtel unter dem Deckel, in eine Plastiktüte. Griff nach meinem Zehneuroschein. Zählte mir zwei Euro und fünf Cent auf die Hand zurück. Reichte mir die Plastiktüte über die Theke. Verabschiedete mich mit einem aufrichtigen Lächeln: "Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihren neuen Schuhen!" Ich verzog keine Miene. Mir blieben genau 3 Minuten und 49 Sekunden bis zur Abfahrt des Zuges.
Jetzt sitze ich schon wieder zu Hause an meinem Schreibtisch. Es ist Montag und ich mache mir Gedanken über das Blau meiner Dreizehnminuten-Schuhe. Es ist ein tiefes Königsblau. Vielleicht sogar ein Preußischblau. Oder reines Indigo. Sogenannte City Walk Pumps, schlanke spitze Form, dezente Schnalle, elegant unterstellter 20mm-Absatz, hauchdünne Ledersohle, völlig ungeeignet für norddeutsches Straßenpflaster. Nun muss ich den Maler mit der Malerleiter bestellen. Ich brauche Zugang zur Holzdecke in meinem Treppenhaus. Dann muss ich die Schuhfrau mit dem Schuhmacherhammer herbitten. Die blauen Schuhe wollen beide, wenn sie schon zusammen den Weg zu mir gefunden haben, festgenagelt werden. Der eine, der linke, soll wie ursprünglich geplant senkrecht, mit der Spitze nach oben, dem Absatz nach unten, an die Wand zwischen den Türen zu meiner Bibliothek und zu meinem Archiv. Ein blauer Kletterschuh. Der andere, der rechte fügt sich am besten in den goldenen Schnitt des Bildes an der Treppenhausdecke. Ein blauer Dachstockschuh. Das Festnageln wird während eines Festaktes stattfinden. Zu diesem happening wird zu gegebener Zeit gesondert eingeladen. Und was danach, nach dem Akt und dem gezielten Schlag mit dem runden Hammer auf zuerst den einen und dann den anderen Nagel folgt, bleibt, so lange das Haus steht, ein wetterfestes Indoor-Kunstwerk ohne Titel. Der erste Schritt in blau. Oder: Schuhgröße 36.
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