Montag, 1. September 2008

Aldona

Aldona ist genau vor einem Jahr als erste in unser Haus eingezogen. Ich setzte sie auf das Fensterbrett unseres zukünftigen Schlafzimmers, als die Maler ihre Arbeit in dieser Haushälfte beendet hatten. Als die Wände frisch tapeziert und gestrichen, die Zargen lackiert und getrocknet, alle Zimmer im oberen Stock ausgelüftet waren und das Licht im Treppenhaus brannte. Der Malermeister hatte auf meine spezielle Bitte hin als letztes, auf der Malerleiter stehend, die Energiesparlampe in die Fassung an der Decke eingedreht und dann den federleichten Lampenschirm aus gelblichem Reispapier mit schwarzen Fischmotiven an den dafür vorgesehenen und bereits vorhandenen Haken gehängt. Seither hoffen wir, dass die Glühbirne so lange brennt, bis wir die Maler wieder einmal ins Haus bitten müssen. Denn ein normalwüchsiger Mensch ohne ausziehbare und an den Treppenstufenkanten feststellbare Malerleiter kommt nie im Leben an die Stelle, an der die elektrischen Kabel aus der Holzdecke heraushängen.

Aldona ist die größte Pinguindame, die wir besitzen. Sie ist schon etwas älter und trägt immer einen roten Schal um den Hals. Sie kommt vom Heinrich-Heine-Platz in Berlin. Ihr Name lehnt sich an den Namen des Ladens an, in dem ich sie eines trüben Wintermorgens aus dem Regal gefischt und auf das schwarze Band vor der Kasse gestellt hatte.

Aldona lebt in Meldorf seit dem Tag, an dem ich W. in der Ferienwohnung über der Zahnarztpraxis zum ersten Mal besuchte. Damals packte ich in Berlin eines meiner Fahrräder unter den einen Arm und unter den anderen einen unserer Pinguine. Mehr Arme hat der Mensch nicht. In das Haus zog Aldona, wie gesagt, als erste ein. Denn jemand musste dasein. Jemand musste aufpassen. Jemand musste aus dem Fenster gucken. Wir beide waren anderweitig beschäftigt. Und ob die Eulen damals schon in den beiden Ahornbäumen vor dem Haus saßen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es nicht. Bestimmt war es ihnen letzten Sommer hier zu unruhig. Vielleicht versuchten sie beim Nachbarn gegenüber tagsüber zu ihrem Schlaf zu kommen. Aber auch dort vergeblich. Denn der erzählte, die Drosseln hätten sie mit penetranten dünnen ziep-Rufen verscheucht. Und auf unserer Seite löste der Reifenmann seine Meisterwerkstatt auf, baute Umwuchtmaschinen, Carport und andere Holzanbauten mit Getöse ab. Dann kamen die Handwerker, sperrten alle Türen und Fenster sperrangelweit auf und trugen alte Holzlatten, alte Tapeten und alte Ziegelsteine aus dem Haus. Beim Housewarming sagte eine Nachbarin "... und dann war plötzlich der Pinguin da". Es hörte sich an nach Aufatmen. Der erste Garant für neues Leben im Haus war unsere schon leicht ergraute ehrwürdige Pinguindame an einem der Fenster im oberen Stock an der Ostseite.

Denn, so erklärte mir W. später, als die Tage schon wieder länger wurden, dass Menschen aus Häusern ausziehen, ist nichts ungewöhnliches hier in der Gegend. Ungewöhnlich ist, dass Menschen in Häuser einziehen. Und Recht hat er. In vielen leeren Häusern, die wir damals betreten hatten und dann doch nicht kaufen wollten, lebt bis heute kein Mensch.

Aldona ist als erste eingezogen. Einen Tag später ist Wolfgang eingezogen. Er hatte an der Hochschule zu tun und schlief eine Woche auf einer aufblasbaren Matratze am Boden. Sie hielt die Luft nicht, so dass er in Wirklichkeit auf dem harten Boden schlief. Ich hatte in Berlin zu tun und kam mit dem Umzugswagen und zog mit den Möbeln ein.

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