Montag, 26. April 2021

Steigerung

Immer noch Nachtfrost. Hört denn der Winter gar nie auf? Und dann kommt die Sonne, natürlich, ihr bleibt auch nichts anderes übrig im täglich Trott, und schlürft den gefrorenen Tau von den Feldern, den Wiesen, meinen Pflanzen im Garten. schüüli - ist auch so ein helvetisches Idiotikon, das der Steigerung und Verstärkung dient. schüüli meint heute nicht mehr viel anderes als sehr, vibriert vielleicht noch ein bisschen aufregender in den Ohren durch das Doppel-Ü. Eigentlich meint es scheusslich, entsetzlich, schauderhaft. Es ist ein qualitatives und quantitatives Steigerungswort, furchtbar, arg, das sich im Laufe der Zeit wandelte vom Unerfreulichem über das Neutrale bis hin zum Erfreulichen: im höchsten Grade überaus sehr. Schön!

Sogar sehr hat seine komplizierte Vergangenheit. Es kommt nämlich von wund, versehrt. 

Wie Tschernobyl. Der Reaktor explodierte heute vor 35 Jahren. Ich studierte damals in Warschau, wo wir von der Gefahr durch Verstrahlung infolge Windverfrachtung mit einiger Verspätung erfuhren. Ich erinnere mich an die Schlangen nach oder vor Milchpulver. Und daran, dass bis zum Herbst bereits alles vergessen war und die Polen wie eh und jeh in die Pilze gingen. Die Zeit heilt nichts, sondern verwandelt wie die Sprache das Unangenehme irgendwann ins Angenehme, das Entsetzliche ins Bewunderte. Die verseuchte Sperrzone, mittlerweile ein Naturreservat, soll Weltkulturerbe werden. Gleichbedeutend mit dem Wattenmeer vor meiner Haustür oder der Glarner Hauptüberschiebung in meinem Hinterkopf.

2 Kommentare:

  1. Oder すごい! im Japanischen - diese Vermischung von Schauder und positiver Aufregung gibt es wohl öfter. Terrific!
    Annette

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  2. musste erstmal gucken, was das heißt すごい - und woher es kommt. shugo = military governor, bureaucrat of the Kamakura period?

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