Herbst ist, wenn der Monat zu Ende geht. Wenn ich anfange, Äpfel zu pflücken. Auf einmal schaffe ich das nie. Sie sind alle wurmstichig. Aber prall und rot. Herbst ist, wenn ich gegen Windstärke 4 oder 5 zum Deich radle und mich diebisch freue auf die Rückfahrt. Herbst ist, wenn es in der Nacht regnet.
Samstag, 30. September 2023
Apfelernte
Freitag, 29. September 2023
Full moon
Herbst ist, wenn der Mond voll wird und ich die ersten 300 km mit dem Maranello überschritten habe. Überfahren natürlich. Irgendwo auf der Strecke zwischen hier und dort. Ich bin zwei Stunden nach Hochwasser am Deich und das Wasser ist immer noch wild und hoch. Der Tidenstrom ist heftig und zieht uns unverdrossene Schwimmerinnen und nach Norden raus. Dorthin wollen wir aber nicht.
Donnerstag, 28. September 2023
Donnerstag
Herbst ist, wenn die Stimme verloren geht statt der Blätter. Wenn das Schwimmen ausfällt und ich die Proben absage. Alle, bis einschließlich des Konzerts am Tag der deutschen Einheit. Entweder bin ich zu wenig Deutsche oder zu viel. Herbst ist, wenn das Telefon klingelt. Zur Unzeit.
Mittwoch, 27. September 2023
Quantensprung
Herbst ist, wenn der Himmel ins Wasser fällt. Mittagsschwimmen. Wieder ein Tidenquantensprung! Innerhalb einer halben Woche ist das Hochwasser vom Morgen bereits im Mittag angekommen. Zu anderen Zeiten braucht es dafür fast dreimal so lange. Aber das ist kein Grund für den Krisenmodus à la Prepper. Ein Prepper, lese ich und reibe mir ungläubig die Augen, sei eine "Person, die sich intensiv auf mögliche zukünftige Notfälle oder Katastrophen" vorbereite. Die Prepper-Bewegung lege viel Wert auf Autarkie - was an und für sich nicht verkehrt sein kann. Das tue ich auch, dabei trete ich aber dem Lauf der Dinge gelassen gegenüber. Wenn's mir zu bunt wird, drehe ich mich um und kehre ich in meine luftige Klause zurück. Oder suche Abkühlung in der Nordsee. Preppers aber horten Vorräte bis hin zu Plünderungen, richten Schutzräume ein bis hin zu Bunkern, befeuern und übertreffen sich gegenseitig in konkreten oder diffusen Ängsten bis hin zu krankhaften Zuständen, die dann zuverlässig in die Endzeit führen.
Eigentlich ein unschuldiger Begriff, vom englischen Verb to prepare, was vielerlei Bedeutungen haben kann. Einen Weg bereiten, ein Mahl zubereiten, sich auf eine Situation, eine Prüfung vorbereiten, sich auf etwas gefasst machen. Morgen ist immer noch Herbst!
Dienstag, 26. September 2023
Fear of missing out
Herbst ist, wenn die Thermoskanne mit kommt im neuen Smartbag. Die Tide springt immer noch wie ein Raubtier durch den Tag. Hochwasser gestern um 8:38, heute 10:15 und Wasser bis zur Brust, beginnente Mittzeit. Der Mond wird immer voller. Zwei Mitschwimmer, also wir ein Trio. Laue Luft. Herbst ist, wenn Abkürzungen vom Himmel fallen. FOMO ist etwas, das die jungen Leute heute antreibt. Die Angst, nicht nur die Angst, sondern die ständige Angst, horribile dictu, etwas zu verpassen. Fear Of Missing Out. Diese Angst, oder was ihr vorausgeht, ein Zustand der Alarmbereitschaft rund um die Uhr, wird natürlich von den sozialen Medien befördert. Befördert wird eine Gesellschaft Seelenloser, Ichverlustiger, Menschen auf Trab, auf Jagd, im Dauerlauf, Und ich finde es einer Erwähnung wert, wenn ich im Herbst nicht allein in der Nordsee schwimme, sondern mit zwei anderen, die ich nebenbei bemerkt, hier noch nie gesehen habe. Herbst ist, wenn fremde Wesen an der Meldorfer Bucht aus dem Wattenmeer steigen.Woher auch immer.
Montag, 25. September 2023
Rückenlage
Herbst ist, wenn wir frösteln am frühen Morgen. Wenn die Tide große Sprünge macht. Und ich noch schwimmen kann. Gestern Morgenhochwasser 5 Minuten vor Sonnenaufgang, heute fünf Viertelstunden nach Sonnenaufgang. So ist das am Wattenmeer. Keine Regel ohne Ausnahme. Keine Ausnahme ohne Regel. Also hops aufs Maranello, den Sattel etwas höher gestellt und nix wie los. Der Wind bläst direkt von Süden. Die Nordsee ist nachtkalt aufgelaufen, aber laut Vorhersage des BSH jetzt wärmer als am Abend. Der Deich ist taufrisch und menschenleer. Noch herrscht Nippzeit. Wenn ich stehe, reicht mir das Wasser gerade über die Knie. Ich wate ein paar Schritte hinaus in die Bucht, dann lege ich mich hinein. Schwimme ein paar kräftige Züge und drehe mich auf den Rücken.
Sonntag, 24. September 2023
Herrklärung
Herbst ist, wenn das Morgenhochwasser (7:07) vor Sonnenaufgang
(7:12) und das Abendhochwasser (19:57) nach
Sonnenuntergang (19:18) eintritt. So heute. Also kein
Schwimmen.
Dafür ein herrliches Wort zum Sonntag: Mansplaining. Statt Explaing. Herrklärung. Statt Erklärung. Die Herrklärung kommt immer von oben herab. Sozusagen als Geschenk des Himmels. Wenn nun der Mann, der sich in geübt herablassender (überheblicher, besserwisserischer, bevormundender) Weise äußert, vorzugsweise einer, noch lieber gleich mehreren Frauen gegenüber, wenn nun dieser Mann auch noch von Geburt an den Nachnamen Herr trägt, dann ist die Sache perfekt. Wir haben so einen Aushilfschorleiter. Bei allen liegen derzeit die Nerven blank. Weil, klar, das Konzert vor der Tür steht und offenbar für manche viel auf dem Spiel. Für mich nicht. Weder muss ich mich profilieren noch sehe ich es als meine Aufgabe an, hier und jetzt, mitten im Tohuwabohu Dithmarschens, pünktlich zum Kohlanschnitt mit seinen gekrönten und ungekrönten Häuptern, den Kohlregentinnen, Kohlelfen, Rapsblütenköniginnen, Pellkartoffelköniginnen, der Politprominenz aus nah und fern, sowie etwa 90 Mio geernteten weißen, roten, spitzen, runden oder krausen Kohlköpfen, Geschlechterstereotype aufzubrechen.
Herbst ist, wenn ich auf dem Weg zum Wasser verregnet werde und auf dem Weg vom Wasser verregnet werde. So gestern abend. Hin und her und zwischendrin tropfnass. Also heute keine Stimme. Andächtig schweigen und dem Wort des Herrn lauschen.Samstag, 23. September 2023
Äquinoktium
Der Herbst beginnt. Astronomisch ist der Sommer nun endgültig vorbei. Es regnet. Im Nachbargarten wird schon seit einer Stunde gebaggert. Die Kinder bekommen ihr Schwimmbad vor die Nase gesetzt. Ich fahre nach wie vor meine 25 Kilometer an die Nordsee und zurück, wenn ich schwimmen und wieder nach Hause kommen will. Die Kinder dürfen klarer Grenzen, einer rechteckigen Geometrie sowie der ständigen Aufsicht der Erziehungsberechtigten gewiss sein - ich hingegen liefere mich freiwillig dem Ungezähmten, Unberechenbaren - der absoluten Freiheit eben - aus, aber auch dem maximalen Risiko.
Der Sommer ist vorbei, nicht aber die Saison, der sportliche Ehrgeiz oder der alltägliche Versuch der Überwindung der Schwerkraft auf dem Trampolin. Bei uns trete die Tag- und Nachtgleiche erst ungefähr am Montag wirklich ein, sagt die eine App. Die andere ist sicher, dass das Äquinoktium am Wattenmeer seit zwei Tagen vorüber ist. Meine Seele stellt fest: die Dunkelheit nimmt seit Wochen merklich zu. Den Katers freuts, wenn die Nächte länger werden.
Freitag, 22. September 2023
Peripetie
Noch so ein Wort aus dem täglichen Wahnsinn, resp. aus der Aristotelischen "Poetik" oder antiken Dramentheorie: Peripetie. Plötzlicher Umschwung. Der Höhepunkt eines Dramas oder einer Erzählung, an dem die Geschichte die entscheidende Wende nimmt und der Held auf die entscheidende Zielgerade seiner Bestimmung einbiegt. Entweder auf dem Weg zum absoluten Glück. Oder auf der rasanten Fahrt in die Hölle.
Ich fahre früher zum Abendschwimmen, weil später ist es zu spät. Bin etwas leichtsinnig leicht angezogen. Es ist sehr stürmisch am Deich. Das Wasser läuft immer noch auf, herrlich wild und kalt. Das letzte Sommerschwimmen. Der letzte Sommerabend. Wie wunderbar! Das Anziehen gestaltet sich leider wie immer an solchen Endtagen schwierig, zittrig, klebrig, feucht. Ich bin das letzte Mal ohne Strümpfe und in Sandalen unterwegs. Das schwöre ich mir, während eine Chorkollegin, die auch im Wasser war, mich zum Fischbrötchen überreden will. Aber ich friere und muss auf mein Maranello. Denn das allein bringt den gewünschten Umschwung in der Körperinnentemperatur.
Donnerstag, 21. September 2023
Tohuwabohu
Das Tohuwabohu kommt - wen wundert's? - aus der Bibel. Die Schöpfungsgeschichte, bzw der erste Schöpfungsbericht beginnt mit dem Tohuwabohu: "Die Erde war wüst und leer, Finsternis lag über der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern." (Gen 1,2)
Also nichts von dem Wirrwarr und absoluten Chaos, das uns Heutige angesichts dieses Wortes unweigerlich befällt - sondern das unendlichch beseelende Nichts!
Tohuwabohu - ein Lehnwort aus dem Hebräischen - von Martin Luther wegweisend oder irreführend als "wüst und leer" übersetzt - mangels eigener Sprachkenntnisse zitiere ich einschlägige Quellen:
תֹּהוּ וָבֹהוּ tōhū wā-ḇōhū: תֹּהוּ tōhū für Leere, Öde, Chaos, בּהוּ bōhū für Leere, Einöde, Chaos
Also so etwas wie ein weißer Schimmel. Weniger als Nichts. Oder die Bezeichnung für den Ort, an dem ich seit einigen Jahren lebe. Die Erde im Zustand vor der göttlichen Schöpfung, oder wie die Kirchenväter sagen: "das urzeitliche Chaos". Ich würde es das urzeitliche Nichts bezeichnen. Schön und unverwüstet. Unverwüstlich. Ungezwungen. Unbezwungen. Unverbogen. Unvergiftet. Unausgeschöpft. Unerschöpflich!
Oder einfach eine rhetorische Figur. Tohuwabohu. Eine sprachliche Klangfigur. Bei Aristoteles ein Homoioteleuton.
Mittwoch, 20. September 2023
Traumaüberwindung
Ich fahre spät, weil ich warte, bis der Wind nachlässt. Weil ich weiß, dass noch lange genug Wasser da ist. Ich fahre spät, obwohl ich weiß, dass niemand mehr da sein wird und ich mutterseelenallein meine Runden drehen werde. Ich fahre spät, um mein Trauma zu überwinden, bevor es entstehen kann. Seit Jahren, Jahrzehnten fahre ich an den Deich und nie, nie, aber auch gar nie hat mich mein Fahrrad im Stich gelassen.
Wie erwartet, ist niemand mehr da. Nur das Wasser. Angenehm Oberbauchhoch. Unangenehm nach Norden ziehend. Immer noch angenehm warm. Ich versuche gegen die Strömung zu schwimmen. Komme kaum vorwärts. Mit der Strömung lande ich im Nu in der Hafeneinfahrt. Das will ich nicht. Also drehe ich im Kreis.
Ich fahre mit der untergehenden Sonne nach Hause. Zunehmender Gegenwind. Alles läuft wie geschmiert. Die Kette. Die Schaltung. Die Zählung. Die Gesamtstrecke wird nun mit 125 angezeigt. Plusminus 5 im Sturm nicht gezählte. Plus etwa 10 bei Mitfahrgelegenheit verlorene. Das ist mein heutiges, höchsteigenes konstruktivistisches Bild der Wirklichkeit.
Dienstag, 19. September 2023
Sturmtief
Zeit zum Nachdenken. Wetterwarnung. Windwarnung. Warnung vor Sturmböen. Es fliegt einiges durch den Garten. Laub. Faule Äpfel. Unreife, winzige Maronen. Die Tomaten blühen noch. Ein seltsames Jahr. Nach der Mittagspause hole ich das Maranello ab. Die Kette ist wieder ganz. Auch alles andere ist ganz. Ich frage den Chef, was KTM bedeute und oute mich als vollkommene Banausin. Er ist Kummer gewohnt und verzieht keine Miene. KTM sei die Abkürzung des Namens der Firma, die mein Maranello produziere. Die Firma habe ihren Sitz im oberösterreichischen Mattighofen, daher das M am Ende.Und die beiden ersten Buchstaben stehen für den ersten Firmengründer Trunkenpolz und seinen ersten Gesellschafter Kronreif. In der Tat spruchreif! Trunkenbold im Fahrzeugbau!Ich drehe eine kontemplative Runde gegen den scharfen Wind durch die Feldmark, um über die ersten 100 Kilometer zu kommen. Aber der kabellose Fahrradcomputer zählt nicht. Funkkontalt zum Rad gestört? Zuviel Wind in den Speichen?
Montag, 18. September 2023
Pustekuchen
Abendschwimmen. Ich treffe erst eineinhalb Stunden nach Hochwasser am Deich ein und das Wasser ist immer noch wild und brusthoch. Wieder heftiger Sog nach Norden, nach Büsum. Aber noch kein Abbaden.
Stattdessen andere Katastrophen. Die Kette rasselt seit gestern, seit ich die ersten 70 Kilometer überradelt habe. Heute reisst sie bei Kilometer 91. Direkt oben auf der Deichkrone. Weit und breit kein Mensch. Die, die noch schwimmen, sitzen schon beim Abendbrot. Ich schiebe das havarierte Rad über den Deich hinunter und lehne es fürsorglich an den Rücken von Strandkorb 6, wie einen kranken alten Mann! Ich ziehe das Smartphone aus dem Smartbag. Das ist der smarte Ersatz für einen rostigen Fahrradkorb - die geniale aus- und einfaltbare Fahrradtasche, in der das Telefon nun immer mitkommt, denn es hat einen gepolsterten Sitzplatz. Ich rufe in der Fahrradwerkstatt an, wo man noch arbeitet. Ich würde nun ins Wasser gehen, erkläre ich dem Chef, und hernach den Heimweg zu Fuß antreten, Maranello an meiner Seite wie einen Verlobten. Am Deich zu verweilen, bis er mich hole, sei mir entschieden zu kalt. Der Chef verspricht, nach Werkstattschluss loszufahren und uns aufzugabeln.
Von Westen ziehen Regenwolken heran. Die hatte ich noch zu Hause bereits auf dem Radar der Wetterfrösche gesehen, aber damit gerechnet, dass ich auf dem neuen Rad mit Rückenwind schneller sei. Pustekuchen!
Sonntag, 17. September 2023
Schwimmsonntag
Das Maranello muss eingefahren werden und es ist immer noch Springtide. Ich fahre erst los, als am Deich das Wasser bis zum höchsten Punkt aufgelaufen ist. Es hat also Zeit, sich zurückzuziehen auf ein erträglich Maß, bis ich da bin. Ich erreiche Strandkorb 6 nach 32 Minuten. Phänomenal! Ohne Unterstützung, weder durch natürlichen Wind von Ost noch durch unnatürliche Energie aus der Dose.
Samstag, 16. September 2023
Probesamstag
Freitag, 15. September 2023
Neumond
Ich schwimme nur eine Seite des Dreiecks. Das Wasser ist kalt. Der Wind ist kalt. Die Sonne ist kalt. Das neue Fahrrad ist prima. Der Himmel ist herrlich. Die Wolken ziehen und ziehen.
Donnerstag, 14. September 2023
Zweitrad
Andere Leute führen, fahren oder halten einen Zweitwagen. Ich habe mir nun ein Zweitrad angeschafft. Eigentlich wollte ich das Erstrad abgeben, und hätte dann also einfach nur ein neues Rad. Aber für die praktischen Dinge des Lebens wie einkaufen oder den Kater in die Tierarztpraxis transportieren, taugt es eben noch ganz gut. Und der Fahrradverkäufer hat mir, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne es explizit in scharfe Worte zu fassen, unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass der alte Fahrradkorb auf dem neuen Fahrrad ein Unding sei. Ohne Fahrradkorb kann ich aber nicht leben. Ich habe keinen Kofferraum und keine anderen fluchtsicheren, regenfesten, diebstahlsicher abzuschließenden fahrbaren Räume zur Verfügung. Also habe ich mich für das Zweitrad entschieden. Das Zweitrad ist das degradierte einstige Einzige, mit Korb. Und das Erstrad ist Maranello.
Mittwoch, 13. September 2023
Abendbrot
Ihr glaubt mir ja nicht, dass mein Hauskater ein Raubtier ist. Ich wollte gerade zum Schwimmen aufbrechen (auf meinem neuen Fahrrad!), da kommt er angetrabt. Also zuerst loben, loben, loben. Dabei kann ich ihn, hinterlistig wie ich nun einmal bin, geschickt ablenken von der Haustür.
Caruso mit Hase |
Dienstag, 12. September 2023
Spannungsumlagerungen
Seit letztem Sonntag ist auch der Strassentunnel unter dem Gotthard gesperrt. In beide Richtungen. Denn: Betonteile lösten sich und fielen nahe des Tunnelportals Nord auf die Fahrbahn. Verletzt wurde niemand. Nicht einmal ein Auto angekratzt. Dafür hat der Heilige Gottardo gesorgt. An der Tunneldecke, an der Zwischendecke gibt es Risse, bis zu 23 Meter lang! Diese Zwischendecke, lese ich, "separiere den Fahrraum von den Zuluft- und Abluftkanälen". Fachleute nehmen an, dass "Spannungsumlagerungen" im Berg Ursache für die Schäden seien. Die haben zu "lokalen Druckveränderungen" geführt, und den Tunnel im betroffenen Abschnitt zu sehr belastet. Die Decke zerriss und dadurch kam es zu Abplatzungen. Spannungen im Gebirge. Der Berg im Stress!
Da die Fachleute noch nicht herausgefunden haben, ob die Spannungsumlagerungen einem natürlichen Impuls wie zB einem Erdbeben gefolgt sind, oder einem unnatürlichen wie den Bohrarbeiten an der geplanten zweiten Röhre, werden zur Sicherheit die Arbeiten an dieser zweiten Röhre erstmal auf unbestimmte Zeit eingestellt. Dafür hat nun endlich der Heilige Gottardo auch gesorgt, dass der Unvernunft Einhalt geboten wird. Aber der Berg hat noch keine Ruhe! Abrissarbeiten sind im Gange, die kaputte Zwischendecke muss entfernt und erneuert werden.
Montag, 11. September 2023
nine eleven
Auch dieses Ereignis ist 22 Jahre her. Ein anderes 103 Jahre. Nach wie vor taucht im Zusammenhang mit Ersterem die ewiggleiche Frage auf: was hast Du damals gemacht? Ich habe meinen Fernsehapparat - bildlich gesprochen: aus dem Fenster geworfen. Weil ich die Bilder nicht mehr ertragen konnte. Seither lebe ich ohne Bild, ohne Blick, aber mit viel bunt.
Der letzte hochsommerlich heiße Tag am Wattenmeer. Immer noch wenig Wasser. Ich schwimme mein Dreieck, werde vom steifen Schietwind fast nach Büsum abgetrieben, widersetze mich erfrolgreich und fahre nach Hause. Setze mich in mein kühles Zimmer an meinen aufgeräumten Schreibtisch.
Sonntag, 10. September 2023
Sonntagsfrage
Ich fragte die AI, was ein Schlüsselbüsser sei. Obwohl ich weiß, was ein Schlüsselbüsser ist. Der Schlüsselbüsser ist mein Romanheld, das heißt die wichtigste Figur in einem work in progress, einem Text der mir noch viel Zeit und Energie abverlangen wird. Also weiß ich längst nicht alles über meinen Schlüsselbüsser, aber ich habe ihn immerhin schon mal in oder an der Hand. In gewohnter Manier will ich mich absichern und befrage die höhere Dimension, die Artificial Intelligence (zu deutsch: Artifizielle Intelligenz oder vulgo Künstliche Intelligenz) eben. Ich zitiere die Antwort wörtlich und hoffe, damit keine Urheberrechte zu verletzen:
"Ein Schlüsselbüsser ist keine gängige Bezeichnung und lässt sich nicht eindeutig definieren. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Begriff, der in einem spezifischen Kontext oder einer Region verwendet wird. Ohne weitere Informationen ist es schwer zu sagen, was genau mit "Schlüsselbüsser" gemeint ist."
Wider besseres Wissen gehe ich auf ihren Wunsch ein und liefere genauere Informationen. Und sie driftet ab. Ich bin beruhigt und mache mich an meine Arbeit.
Samstag, 9. September 2023
Beherzigung
Zum Wochenende eine Portion Eigenwerbung: Schwanden liegt am Zusammenfluss von Linth und Sernf. Die Linth führt ins Linthtal, der Sernf ins Sernftal. Natürlich kenne ich Schwanden - oder Glarus Süd, wie es heute heißt - bestens. Ich kenne auch Glarus-Nord und Glarus selbst. Aus eigener Anschauung. Ich bin nämlich in der Hauptstadt des Kantons Glarus heimatberechtigt! Die Linthebene sei in den letzten Hundert Jahren verarmt, wie kaum eine andere Gegend der Schweiz oder der Welt (wer weiß), berichtet der Mann meiner Schweizer Verlegerin (Die Fölmlis, friedas gangarten), seines Zeichens Ornithologe, in einem Bericht für die Vogelschutzorganisation Birdlife. Von den dort und in den umliegenden Feuchtgebieten einst brütenden Kiebitze, Großen Brachvögel, Bekassinen, Rotschenkel, Tüpfelsumpfhühnern, Kleinen Sumpfhühnern und Zergsumpfhühnern sei nur der Kiebitz heute noch da. Dafür leben in Glarus Süd soviele Ziegen wie in keiner anderen Gemeinde der Schweiz, an die Eintausend! Aber in der ganzen Schweiz gibt es kein einziges Rebhuhn mehr, keine Raubwürger und keine Rotkopfwürger.
Wer irgendwann mein bei meinem deutschen Verleger demnächst erscheinendes Buch Handschlag der Tide in die Hand nimmt, möge diese Informationen in seinem Hinterkopf bereit halten oder in seinem Herzen beherzigen. Ganz wie's beliebt.
Freitag, 8. September 2023
Feldschwirl
Auch in Schwanden - mir bekannt, weil dort dereinst ein toter verirrter Feldschwirl gefunden wurde - geschieht, womit angeblich vor Ort niemand rechnet: die Erde rutscht vom Berg! Durch die sogenannte Wagenrunse kommen 30'000 Kubikmeter Geröll herunter und verschütten 6 Gebäude, beschädigen weitere 38 Häuser. 97 Menschen müssen evakuiert werden. Die Fachleute sprechen von einem Murgang und beurteilen die Lage weiterhin als "sehr kritisch und instabil".
Zur Erinnerung: In Brienz/Brinzauls ergoss sich Mitte Juni ein Schuttstrom von etwa 1,2 Millionen Kubikmeter vom Berg in Richtung Dorf und blieb brav vor dem ersten Haus - der ehemaligen Schule - stehen.
Donnerstag, 7. September 2023
déja-vu
In Berlin feierte gestern Abend das 23. ilb feierliche Eröffnung. ilb steht für Internationales Literaturfestival Berlin. Nicht für Instrumentenlandesystem. Das wäre ils.
Da ich nicht mehr im Zentrum der Macht lebe, habe ich erst jetzt zur Kenntnis genommen, dass der langjährige Leiter, Macher und Erfinder des ilb bereits im März diesen Jahres zurückgetreten ist oder zurückgetreten wurde. Was lese ich (in uralten Zeitungsartikeln, die für mich immer noch online sind)? Machtmissbrauch? Ha! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Teams hätten sich "in Mails an die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und an Kulturstaatsministerin Claudia Roth über den Führungsstil" ihres Chefs beklagt. Haha!! Wörter fallen wie in einem Gruselfilm: "Aggressivität", "Respektlosigkeit", "Misstrauen", "Unprofessionalität" und eben "Machtmissbrauch", "toxisches Arbeitsklima". Hahaha!!!
Ungefähr bei der erste Ausgabe des ilb war ich als mehr oder weniger "Freiwillige" (Unbezahlte) für die praktische Betreuung eines sanften polnischen Lyrikers eingesetzt. Ich beschwerte mich über irgendetwas, Details habe ich vergessen, aber gefühlt ging um so etwas einen "professionellen" Ablauf für einen der Internationalen Gäste. Als ich an einem der Festivaltage zufällig in irgendeiner "Lounge" (so etwas gab es damals noch nicht, es war einfach ein zugiger Korridor in einem halbzerfallenen hotspot im ehemaligen Ostberlin), dem Leiter und Macher begegnete, schrie er mich mit fuchtelnden Händen an: "Sie waren das ....???!!!" Sicher, ich war das, das Element, das sich erfrecht hatte, zu protestieren gegen irgendetwas, was gar nicht der Rede wert ist oder war, Herr Schreiber. Ich bin meiner Wege gegangen (und irgendwann dank ils am Wattenmeer gelandet). Er auch. Und das ilb sowieso.
Nie im Leben wäre ich damals auf die Idee gekommen, in dieser peinlichen (für den polnischen Gast) Sache eine Mail an die Senatsverwaltung oder ans Kulturministerium zu verfassen. Hab ich etwas verpasst? Wehret den Anfängen? Hätte ICH (aber warum ausgerechnet ich?) eine Jahrzehntelang fröhlich weiterbestehende Schreckensherrschaft rechtzeitig beenden können? Und was ist mit denen, die sich 22 Jahre lang für ihre Mitarbeit und ihr kollektives Schweigen gut bezahlen ließen?
Mittwoch, 6. September 2023
hommage à trois
ça va? On ne sais jamais ... Eigentlich ist es eine ménage à trois.
Gestern wurde eine tote Große Lederschildkröte aus der Nordsee gezogen und nach Büsum zum ITAW (Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung) gebracht. Die auf ein Gewicht von 400 bis 500 Kilogramm geschätzte Schildkröte bargen die Jungs vom Tonnenleger "Triton". Harte Arbeit!
Nach Auskunft eines ITAW-Mitarbeiters sind Lederschildkröten "kosmopolitische Tiere". Das heißt, sie leben hier und da, aber trotzdem in der Nordsee eher selten oder gar nicht. Wahrscheinlich hat sich die Lederschildkröte verirrt, ist irgendwo falsch abgebogen zwischen den Tropen und unseren kühleren Gewässern. Von "besenderten" Exemplaren ist bekannt, dass sie in einer Saison viele tausend Kilometer zurücklegen können. Nomaden sozusagen. Und doch sind sie in der Nordsee nur in Ausnahmefällen zu sichten, ab und zu vor der schottischen Küste im Atlantik. Leider nicht mehr lebende Lederschildkrötenirrgäste fand man 2020 in den Dünen der dänischen Insel Rømø und 2006 auf Amrum.
In der Meldorfer Bucht heute Sonnenuntergangsschwimmen. Die Tide nähert sich der Nippzeit und dem Sonnenstand an, der Halbmond steht vor der Tür. Ich schlafe im Garten! Zum zweiten Mal in diesem Sommer, der erst jetzt beginnt.
Dienstag, 5. September 2023
Hommage Deux
Abendschwimmen über eine Stunde nach Hochwasser. Beseelende Ruhe. Ablaufendes Wasser. Windstille. Sogstille. Bin heute mit Sonnenaufgang zurückgekehrt zu meinem Schlüsselbüsser. Das ist eine literarische Figur in einem literarischen Text. Ich liebe doppelte Konsonanten oder Konsonantenhäufungen in allen Formen und Auswüchsen. Zum Beispiel Trottellummenmutter. Oder meinetwegen auch Trottellummenmütter. Mit den Vätern ist das so eine Sache. Die wollen und wollen nicht ... Und ich liebe Alliterationen.
Montag, 4. September 2023
Hommage
Heute wäre mein Vater 99 Jahre alt geworden. Eine ganz eigenartig entrückte Hommage. Sich einen alten Menschen, der bereits ein Vierteljahrhundert tot ist, uralt vorzustellen.
Morgennebel. Herbst. Am Wattenmeer beginnt der erste (oder dritte, vierte, neunte, zehnte?) Sommer dieses Jahres. Zeit ist sehr relativ geworden. Raum auch?
Das Universum, schreibt die Fengshuimeisterin, überhöre Verneinungen. Deshalb soll alles, was wir ablehnen oder verabscheuen, außerhalb unseres Energiefeldes bleiben. Darüber sinniere ich auf dem Weg ans Wasser.
Sonntag, 3. September 2023
Resonanz Drei
Herbst in der frühen Früh. Ich trete meinen nassen Rasen auf der Süd- und Ostseite des Hauses und stelle die Rasenlüfterschuhe zum Trocknen an die Mülltonne. Zwischen den Nägeln hat sich viel feuchter Rasenschnitt angesammelt, den ich beim Mähen zum Mulchen immer liegen lasse.
Am frühen Nachmittag radle ich gegen heftigen Wind nach Westen. Ans Wasser. Es ist immer noch aufgebracht. Immer noch über einen halben Meter höher als normal.
Am frühen Abend säubere ich über der Biotonne meine Rasenlüfterschuhe. Dabei fällt einer der 13 Nägel in die Tonne. Ich sehe ihn lang und spitz glänzen und fische ihn wieder heraus. Wo aber ist die Mutter? Die ihn festhält, mit eisernem Griff umklammert und in die Nagelschuhplatte zwingt? Ich durchsiebe zweimal den zum Glück nicht sehr ekligen Inhalt der Biotonne. Kippe ihn auf die Auffahrt und sortiere auf Knien mit bloßen Händen Rosenschnitt von Brombeerschnitt von Efeuschnitt und was ich sonst noch alles bereits geschnitten habe. Breite alles sorgsam aus und finde einen kleinen Stein. Der muss brav der Schwerkraft gefolgt und irgendwann auf den Grund der Tonne gefallen sein. Aber keine Eisenmutter.
Wie war das nochmal mit dem Magnetfeld der Erde?
Samstag, 2. September 2023
Resonanz Zwo
Im Radio höre ich ein Hörspiel, das keines ist. Auszüge aus den Tagebüchern von Sándor Márai. Aus seinen letzten Lebensjahren, beginnend 1986, mit dem Sterben seiner Lola. Endend am 15. Januar 1989 mit dem schönen Satz: "Es ist Zeit". Danach drei Wochen Stille. Schweigen. Rückzug. Zu sich kommen. Keine Tagebucheinträge mehr. Der Entschluss fällt im Leben, nicht im Buch. Am 22. Februar. Ein Schuss.
Irgendwo dazwischen, zwischen den vielen Toden in diesen drei Jahren, kommt ein Satz daher, wie für mich gemacht. Ich zitiere dem Gedächtnis: von alternden Schriftstellern werde eine summa vitae erwartet. Wer genau dieses summa erwartet, wird nicht gesagt. Und doch öffnet mir genau diese Formulierung endlich die Augen. Nach Jahren finde ich den Untertitel zum "Handschlag der Tide".
An der Meldorfer Bucht Springtide. Das Meer läuft einen halben Meter oder mehr auf. Ich schwimme mein bewährtes langgestrecktes Dreieck. Am Textilstrand findet eine Massentaufe statt. Meerestaufe. Ich drehe flugs ab, und schwimme zurück.
Freitag, 1. September 2023
Resonanz
Neuer Monat. Neue Energie. Die Magnetfelder der Erde verändern sich, und das bedeute, schreibt die Fengshuimeisterin, dass "damit auch die Gesetze der Resonanz schneller wirksam werden als bisher." Also aufgepasst, denn: was ich wähle, könne "im gleichen Augenblick" schon bei mir angekommen sein. Und: was ich denke, drücke sich "sofort" in meiner "mittelbaren Umgebung" aus.
Ich verzichte auf den Ausflug ans Meer und putze, wasche, mähe rundum Rasen. Das ist ein guter Anfang.