Sapere aude - sagte Kant. Wage zu wissen. Wage, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Heute gilt das Umgekehrte. Wehe, du wagst es! Eine eigene Meinung zu haben - dann wirst Du beschimpft als griesgrämiges altes Weib und griesgrämig bist du, weil du keine Kinder hast (so mir kürzlich geschehen - genau in dieser Argumentionskette). Wehe, du wagst es, zu denken und zu sagen, was Du denkst. Wehe, du wagst es, dich dem mainstream zu entziehen, keinen fb account zu pflegen, auch keinen unter einer erfundenen Identität, und nicht bei Herrn Musk oder Herrn Trump und wie sie alle heißen. Kein Auto zu fahren, nicht in den Urlaub zu fliegen. Und so weiter. Und so fort. Wehe, du wagst es!
Vor fast zwei Jahrzehnten ist mir in Japan die Infantilisierung der Gesellschaft an jeder Straßenecke, an jedem Busbahnhof, in jedem Supermarkt entgegengekommen, meist pinkfarben oder demütig nickend oder kreischend aus einem Lautsprecher. Mittlerweile hat sie, die Infantilisierung jeden Winkel der überhitzten Erde erreicht. Gestern hörte ich vor dem Sonntagsgottesdienst und vor der Sonntagspredigt, dass man gemeinhin unter Infantilisierung eine "Vermischung von drei Impulsen" verstehe: 1. Komplexitätsflucht (Widerwille gegen alles Komplizierte), 2. Hang zu Intimisierung und Verniedlichung in allen Kommunikationsformen (das omnipräsente DU im WWW), 3. Sieg des Narzissmus und Egoismus.
Huizinga hat 1956 (da war ich noch gar nicht auf der Welt) das historische Spiel von Kindern als Verbildlichung der Geschichte bezeichnet. Die Verbildlichung unseres Alltags hat in den letzten Jahren rasant zugenommen, nicht nur im Sandkasten und beim Edelitaliener. Was wir nicht sehen, existiert nicht, weil denken zu anstrengend ist. Die Phantasie pendeln zu lassen, sich etwas vorzustellen oder auszumalen. Die wohl pandemiebedingte Beliebtheit von Ausmalbüchern für Erwachsene ist mit der pünktlich Pandemie wieder verschwunden.
Ich hörte also gestern im Radio das Wort zu meinem Sonntag: "Nicht umsonst heißt das populärste Organ der
journalistischen Infantilisierung in Deutschland BILD Zeitung." In der Schweiz heißt das entsprechende Printmedium Blick.
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