10 Werktage lang habe ich mir am Morgen Arno Geigers "Glückliches Geheimnis" vorlesen lassen. Unglücklicherweise von derselben Stimme, die mir kürzlich die Briefe Max Frischs an Ingeborg Bachmann ins Ohr gehaucht hatte. Damals vermisste ich das Helvetische Timbre. Jetzt fehlt mir das Österreichische und, was viel schlimmer ist: diese geschliffene Schauspielerstimme gauckelt mir seit 10 Tagen von halb Neun bis Neun immer wieder aufs Neue vor, Frisch spreche zu mir.
Aber es ist Arno Geiger, der in einer Art Beichte von seinem Doppelleben berichtet. Für meinen Geschmack ein peinlicher Bericht. Entweder zu früh oder zu spät im Leben dieses Schriftstellers geschrieben. Inhaltlich ein wildes Sammelsurium, zT längst bekannt, zT irrelevant, chaotische Zufallsfunde wie alles, was der Autor angeblich seit Jahrzehnten aus den Wiener Altpapiercontainern fischt. Ich nehme ihm diese "Runden" nicht ab. Heute - in der letzten Folge, in der letzten Runde - ärgerte mich zudem, dass der Autor sein Leben und sein Werk, die "Runden" durch den Papiermüll einer nicht mehr ganz taufrischen k.u.k.-Metropole im Kontext x-beliebiger Zeitungsmeldungen abschließt. Er ist natürlich nicht der Erste und sicherlich nicht der Letzte, der sich in der Öffentlichkeit bedient. Einerseits, hörte ich also, geschrieben von Geiger, geraunt von Brandt, sei Agnès Varda gestorben. Der Autor vereinnahmt die tote Künstlerin an seinem Schreibtisch sofort als seine persönliche Schutzheilige der Abfallsammler. Andererseits, höre ich vorgelesen, ging am selben Tag, als der Tod dieser französischen Filmemacherin bekannt wurde, eine Meldung durch die Gazetten, dass in Essen, "einer Stadt in Deutschland", ein Mann verhaftet wurde, der "eine Stunde lang durch immer denselben Kreisverkehr" gefahren sei. Diese Meldung kommentiert der Autor mit folgenden Worten: "Ich finde, es sollte nicht verboten sein, länger als andere durch den Kreisverkehr zu fahren." In Wien, schreibt er weiter, würde niemand verhaftet, nur weil er stundenlang im Kreis fährt, denn Wien sei berühmt für seine "Drehbewegungen". Auf dieser Aussage aufbauend breitet der Autor vor dem Leser die letzte facettenreiche Selbstdeutung seiner jahrzehntelangen Papiermüllrundensucht aus.
Schade nur, dass Arno Geiger hier (und wo noch?) einer Falschmeldung aufsitzt. Der Mann in der deutschen Stadt Essen ist nicht eine Stunde durch den Kreisverkehr gefahren. Er wurde auf einem Parkplatz im dort parkenden Auto verhaftet. Gesucht wurde das Auto. Nicht der F(alschf)ahrer.
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