Morgenrot. Morgensonne. Morgenlicht! Also ab in die Waschküche. Nach Nachtfrost und nachtklarem Himmel.
Dienstag, 28. Februar 2023
Montag, 27. Februar 2023
Die Nähe
Der Monat ist zu kurz geraten. Die Eiszeit hält gerade am Morgen noch lange an. Die Tage sind aber deutlich länger geworden und die Schatten zur Mittagszeit deutlich kürzer. Die Sonne klettert ungeachtet der Nachttemperaturen stetig höher. Die Zuversicht ist uns nicht mehr zu nehmen. Auch der Mond nimmt stetig zu 🌓 und stellt sich heute Abend direkt neben den Mars ♂. Mehr Nähe geht nicht!
Sonntag, 26. Februar 2023
Das Hin
Ich strenge mein Hirn an und versuche Hin und Wieder, mir etwas Neues zu merken. Die Symbole für die Planeten am Himmel zum Beispiel, die gestern in Form von Gongklängen vor dem verheerenden Schneesturm vor den Toren Meldorfs in der Kirche Zum Heiligen Kreuz zu Windbergen zu Tage traten und sämtliche meiner Sinne besetzten:
Neptun: ♆
Uranus: ♅ oder⛢
Saturn: ♄
Merkur: ☿
Mars: ♂
Samstag, 25. Februar 2023
Die Armut
Am Morgen lese ich eine neue Armutsstudie - über die "historischen Schneearmut" in der Schweiz, die auf akuten Schneemangel und eine bereits den ganzen Winter anhaltende Niederschlagsarmut zurückzuführen sei.
Am frühen Nachmittag fahre ich trotz Wetterwarnung (Windböen in exponierten Lagen bis 5, 6, 7 bft ... ) bei herrlichstem Sonnenschein nach Windbergen zum traditionellen Gongkonzert in der Kirche zum heiligen Kreuz. Mit immer anderen Gongs. Diesmal mit Neptun, Uranus, Saturn Merkur und Mars. Und "meinem" Windgong. Und einem, dessen Name ich vergessen habe. Mit knubbliger Oberfläche. Wunderbar. Ich zitiere aus der Pressemitteilung: "Es ist das ganz besondere und einzigartige Privileg des Elementes Klang, dass es in der Lage ist, eine reine, ideale Ideenform zu skizzieren und zugänglich zu machen. So ist Peter Heeren ein besonders Anliegen, einen Weg zu ebnen hin zu einem freien und bewussten Musizieren, um uns der Sensibilität für die Wahrnehmung des Faszinosum Klang hinzugeben. Je mehr wir solche besonderen Erfahrungen machen können, um so mehr erhöhen wir das Potenzial unseres Bewusstseins. Dies hilft uns, das heilige Glück der Erde besser zu verwirklichen."
Auf dem Rückweg kämpfe ich gegen den Wind, mit dem ich auf dem Hinweg hergeflogen bin. Im Osten hängen rabenschwarze Wolken. Kurz vor dem Ortseingang Meldorf gerate ich in einen Schneesturm. Die verbleibenden zweieinhalb Kilometer bringen mich an den Rand meiner Kräfte. Ich war auf alles gefasst und vorbereitet. Aber nicht auf Schnee! Der Helm friert mir fest auf meinem Kopf, das Sonnenvisier bedeckt eine harte Schneeschicht. Ich trete im Blindgang. Die Thermohose ist von den Oberschenkeln abwärts steif vor Nässe. Unter meiner Winterjacke rinnt mir der Schweiß aus den Achselhöhlen. Oh, heiliges Glück! Ich armes armes Schwein! Zu Hause erwartet mich ein ausgehungerter Kater.
Freitag, 24. Februar 2023
Das Her
Weiter im Text. Die unsäglichsten Sätze der Weltliteratur. Wir hatten schon "stehen" und "gehen", nun ist das "hin" und "her" an der Reihe. Von einem in der Nordsee, im Wattenmeer Ertrunkenen wird berichtet: "Der weit herausgeschwommen ist und nicht zurückgekommen". Soviel zum kommen und gehen. Später im Text - aber da ist es eben zu spät und das Kind im Brunnen - wird sinnierend berichtigt: "... wie es sein kann ... dass ein ... Inseljunge ... den Fehler macht, zu weit hinauszuschwimmen, wenn das Wasser abläuft und der Wind ablandig weht." Wie kann es bloß sein ...?
Donnerstag, 23. Februar 2023
Die Heerschar
Im vorauseilendem Gehorsam pflege ich mit dem Aufstehen meine abgrundtief schlechte Laune. Die Heerschar ist veraltet und im Singular eher selten. Trotzdem möchte ich sie hier aufs Podest erheben. Nicht die himmlischen Heerscharen, die natürlich nur im Plural auftreten, auch nicht die Neufelder (dito), sondern meine persönlich einzigartige Heerschar des täglichen Wahnsinns. Vorsorglich schreibe ich vor Sonnenaufgang eine letzte Mahnung an meinen Ex-Öko-Strom- und -Gasversorger. Ich habe nämlich guten Grund zur Annahme, dass der mir eine Menge Geld aus völlig überhöhten Abschlägen vom letzten Jahr schuldet und mit meinem Guthaben nun fröhlich weiter wirtschaftet. Ohne mit mir abzurechnen, so wie ich längst mit ihm abgerechnet habe. Genauso der Konzern, der mir die Abschläge für die Einspeisungen aus meiner Solaranlage ohne Angabe von Gründen seit zwei Monaten auf ein lächerliches Minimum gekürzt hat. Wahrscheinlich um Schlimmeres abzuwenden, da ja Geld wie Zeit fließt. Aber selbstverständlich seelenruhig, ohne die tatsächlichen Stromlieferungen des letzten sonnigen Sommers zu bezahlen.
Mittwoch, 22. Februar 2023
Das Trio
Der Mond nimmt zaghaft zu. Zwei Tage nach Neumond steht die Sichel genau zwischen Jupiter und Venus im Westen. Das schönste Trio an unserem Abendhimmel!
Aschermittwoch. Leise rieselt ... Der amerikanische Präsident, praktizierender Katholik und gerade auf nicht ungefährlichem Terrain unterwegs, glücklich in Polen gestrandet, lässt sich am Nachmittag, ehe er in der Zeit zurück fliegt, im Warschauer Hotel Marriott in einer eiligst hergerichteten Übergangs-Notfall-Haus-Kapelle von einem des Englischen mächtigen polnischen Priester während der traditionellen Aschermittwochsmesse die traditionelle Aschermittwochsasche aufs weise Haupt streuen und betet für Frieden und Erleuchtung durch den Heiligen Geist.
Dienstag, 21. Februar 2023
Das ...
Nun ja. Der Letzte Buchstabe des deutschen / lateinischen Alphabets ist seit einem Jahr kontaminiert. Vergiftet. Unbrauchbar geworden. Schädlich gemacht ausgerechnet von einem Land, dessen Sprache ein anderes Alphabet nutzt, in dem dieser - unser letzter - Buchstabe gar nicht vorkommt. Ausgerechnet von einem Land, das in vielerlei Hinsicht Verbrechen begeht, unter anderem eben auch an seiner eigenen Sprache. Indem es einerseits ganz normale Wörter daraus verbannt und deren Gebrauch unter Strafe stellt; andererseit sich unrechtmässig einen Buchstaben aneignet und den überdimensioniert überall in der Öffentlichkeit aufhängt oder hinpinselt, ohne dass irgendjemand versteht, was er eigentlich bedeutet.
З з ist der neunte Buchstabe des kyrillischen Alphabets, ein stimmhaftes s, tritt transkribiert entweder als "s" oder "z" auf und hat mit dem letzten Buchstaben unseres Alphabets nichts zu tun. Der letzte Buchstabe des kyrillischen Alphabets ist Я я. Wird transkibiert und ausgesprochen als "ja" - bedeutet aber alles andere als Zustimmung, sondern hat, für sich allein genommen eine grammatikalische Funktion: es ist das Personalpronomen in der 1. Person Singular: Ich. Die jotierte Form des ersten Buchstabens unseres Alphabets. Oder meine Initialen.
Nachtrag: Die Verwendung dieses Buchstabens, den offizielle Stellen als Symbol bezeichnen, steht auch bei uns unter Strafe.
Montag, 20. Februar 2023
Das Y
Das Y ist noch frei! Das aktuelle Sturmtief heißt Xerxes. Xerxes ist der Herrscher über die Helden. Er stampft gerade sehr ungehobelt laut über unsere Dächer, und über die Köpfe aller Helden und Unhelden. Der Wetterpate für das nächste Tiefdruckgebiet im Alphabet steht noch aus - also beeile sich, wer kann mit dem Y. Der Mond hingegen ist ganz neu. Nicht neu ist Kopernikus. Er schreibt angeblich: „Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur der der Schwere und des Mondbahnkreises.“ Hier hat er mein aktuelles Lieblingswort "nur" eingefügt, trotzdem verstehe ich das Gewicht seiner Worte nicht! Vielleicht ist mein Unverständnis nur eine Frage der Übersetzung oder der Perspektive.
Sonntag, 19. Februar 2023
Das X
Nikolaus Kopernikus ist heute vor 550 Jahren, also am 19.2.1473 in Toruń / Thorn zur Welt gekommen. Das seit der Antike anerkannte geozentrische Weltbild hat er vom "hintersten Winkel der Welt" aus, vom Turm der Domburg herab (in Frombork / Frauenburg in der Warmia / im Emsland) ab 1503 bis zu seinem Tod revolutioniert. Sein Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium erschien erst 1543 kurz vor seinem Tod. Kopernikus hatte es lange zurückgehalten, einerseits weil er ein Perfektionist war und sich nicht blamieren wollte vor der Fachwelt, andererseits weil er sich, wie man heute sagen würde, nicht "outen" wollte vor der kirchlichen Obrigkeit und nicht wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen enden wollte.
Er habe den Himmel "entzaubert", ist man heute geneigt zu sagen. Man = Mann der katholischen Kirche. Er hat uns Irdische Winzlinge als Haupt- oder Alleinakteure aus dem Zentrum des Getriebes vertrieben und die Sonne dorthin gestellt, das heliozentrische Weltbild geschaffen (das mittlerweile längst überholt ist). Wir Menschen irren, wenn wir nur glauben, was wir sehen, sagt Kopernikus: "Alles, was an Bewegungen am Fixsternhimmel sichtbar wird, ist nicht von sich aus so, sondern von der Erde aus gesehen." Ich würde, wie gesagt, diesen Satz um ein "nur" ergänzen.
Nietzsche behauptet, der Mensch "rolle" (ungebremst?) seit der kopernikanischen
Wende auf das X zu, stehe seit dem 15. Jahrhundert "vis-à-vis" des
Nichts. Aber wo ist das X? Und wo beginnt oder endet das Nietzsches Nichts?
Heute wissen wir weniger denn je. Aber immerhin ist uns die Existenz gefräßiger Schwarzer Löcher bekannt - ohne dass wir aber deren Hunger oder die Dunkle Materie begreifen würden. Das Universum dehnt sich aus, auch das steht mittlerweile fest. Es wächst schneller als unser Verstand. Kopernikus fragte sich in seinem "hintersten Winkel der Welt" noch, ob das Weltall "ewig" sei. Ich frage mich unter dem endlosen Himmel am Wattenmeer, warum es nicht einfach endlich sein kann.
Samstag, 18. Februar 2023
Das Planetendate
Den ganzen Tag Regen. Wir sind nach Itzehoe gefahren und mehrmals bis auf die Haut nass geworden. Erst auf dem Heimweg klart es auf. Und nach Sonnenuntergang, nach Ende der bürgerlichen Abenddämmerung, pünktlich zur astronomischen Dämmerung, treten die Stars im Westen auf: Venus und Jupiter. Noch steht die Venus tiefer, leuchtet aber bereits heller als Jupiter. Sie ist von einer dicken Wolkenschicht eingehüllt, sozusagen in Watte gepackt, die das Sonnenlicht prächtig reflektiert. Deshalb erscheint sie viel blendender als Jupiter, der über ihr steht. Jupiters Äquatordurchmesser ist elfmal größer als der der Venus, aber er ist viermal weiter entfernt von uns als die Venus. Deshalb sein etwas dezenteres Auftreten.
Freitag, 17. Februar 2023
Die Laune
Etymologisch hängt sie tatsächlich mit dem gerade abnehmenden Mond zusammen, bzw mit dem lateinischen Wort für den Erdtrabanten: luna. Mittelhochdeutsch lune, mit langem u, meinte eigentlich den Wechsel der Mondphasen. Und nicht den Wechsel der Gemütsverfassung von vorwiegend Frauen. Als launisch galten immer schon hauptsächlich Frauen. Wobei launisch etwas anderes besagt als die Laune. Das Adjektiv ist negativ konnotiert, während das Substantiv zweibeinig daherkommt, mehr oder minder neutral und sogar mit einer gewissen heiteren Legitimation. Jede/r hat mal einen schlechten Tag oder das Recht darauf, mit dem linken Bein zuerst aufgestanden zu sein. Oder eine Laus über die Leber kriechen zu lassen.
Aber: wenn [bei mir] die schlechte Laune nach einer Choprobe bis zum nächsten Morgen anhält, dann liegt etwas arg im Argen.
Donnerstag, 16. Februar 2023
Das Helle
Donnerstag hat etwas Helles. Er ist hellgrau in meinem Kopf. Früher dachte ich, nur die Wochentage seien bunt in meinem Hirn. Kürzlich habe ich aber herausgefunden, dass auch die Zahlen sich mit Farben verbinden. In Zehnerschritten. So entspricht die 60 (Minuten oder Sekunden, also eine jeweils größere Zeiteinheit) farblich in etwa dem Donnerstag. Als ob der hellgraue Donnerstag eine Einheit bildete, vergleichbar einer blassen Stunde oder Minute. Erst beim Rückwärtszählen erscheinen die Farben auf meinem geistigen Bildschirm: ab 59 das Gelbgrün eines Mittwochs, ab 49 das Blutrot eines Dienstags, ab 39 das frische Frühlingsgrün, das in der Woche fehlt, ab 29 ein fahles Gelb von einem abgeernteten Kornfeld im August, ab 19 so etwas wie ein Karsamstag ... und so weiter und so fort.
Irre, nicht? Es ist schon irre genug, bis 60 zu zählen und dann bereits den Rückweg anzutreten. Aber beim Zählen auch noch den Bauernkalender abzuschreiten ist eine reife Leistung! Voir dem Fenster tobt der Sturm. Willy Willy oder ähnlich.
Mittwoch, 15. Februar 2023
Der Nebel
Den ganzen Tag - aber was heißt hier Tag? - Tarkowski vor dem Fenster. Also: Nebel wie in der Zone. Tropfende Feuchtigkeit. Undurchsichtiges Gewaber. Wirre Gedanken.
Ich suche in diesem undefinierbaren Grauen ein Wort für eine Holztrommel. Für ein Instrument, das einen Ton oder einem Rhythmus vorgibt. Eine zeitliche Einteilung schafft und gar nicht unbedingt eine Botschaft bringt. Natürlich bietet mir das Internet tausend glasklare Auskünfte. Von Schlitztrommel über Schlagbalken bis zu Bambusrohren. Von Klangbrettern über Reibhölzer bis zum Reisstampftrog mit dem unschlagbaren Namen Lesung. Holzblock. Nachrichtentrommel. Blockschlitztrommel. Röhrenholztrommel. Hohlschlitztrommel. Trogtrommel. Kistentrommel. Zungenschlitztrommel. Holzfisch. Schraper.
Kröng - eine Bambusschlitztrommel, bis zu zwei Meter lang. Wird in Thailand von Straßenmusikanten herumgeschleppt und gespielt. In Vietnam heißt sie Mo lang und dient als Signalinstrument bei Diebstahl oder Feuer, aber auch im Tempel zur Meditation. Zusammen mit Glocken.
Dienstag, 14. Februar 2023
Der Rücken
Sonne, dass einem das Herz hüpft! Ich habe immer noch Herbstliches im Garten herumliegen und mache mich also tapfer ans Werk. Schneide Rosen und Sträucher. Sammle immer noch Laub aus den Ecken. Verteile Mulch. Zwei Stunden bis Sonnenuntergang und mein Rücken faucht!
Montag, 13. Februar 2023
Der Stadtplan
Die bildliche Darstellung des vorläufigen Wahlergebnisses der wiederholten Berlinwahl ist schon eindrücklich: Der S-Bahnring von einer schwarzen Faust umschlossen. Im Innern, also in der grünen Mitte Berlins mit Tiergarten, Linden, Säulen und diversen Schlössern, vorwiegend Frühlingsgrün. Wer einmal in Berlin gelebt und sich bewegt hat, hat diese Karte für immer im Kopf. Und fühlt sich nun, am Morgen danach, zu Recht umzingelt.
Sonntag, 12. Februar 2023
Das Nachwort
Das Nachwort zu der deutschen Ausgabe des Picknick schrieb Lem. Lem kommt darin, für mich unlogisch, zusammenhangslos, auf Frisch zu sprechen. Vielleicht brauchte er einen prominenten Namen aus dem verruchtesten Westen. Frisch hat mit dem Picknick am Wegesrand gar nichts zu tun. Aber ich verstehe nun, dass es Leute gibt, die mehr zu sagen haben. Als ich das letzte Mal in Warschau war - das ist nicht nur wegen Corona lange her - kaufte ich mir den 700-Seiten starken Briefwechsel Lem - Mrożek. 1956 - 1978. Der Utopist und der Satiriker. Po polsku oczywiście! Ich hab ab und zu darin geblättert. Aber nun liegt er als Ziegelstein neben meinem Kopfkissen.
Samstag, 11. Februar 2023
Der Film
Ich musste nun auch den Film nochmals sehen. Tarkowskis Stalker. Er hat so wenig mit dem Buch zu tun. Er ist kein Picknick am Wegesrand. Obwohl die Autoren des Buchs auch das Drehbuch zum Film geschrieben haben. Es entstand eine ganz neue Erzählung. Машина желаний - Die Wunschmaschine. Ich hatte ganz andere Bilder im Kopf als ich jetzt beim Wiedersehen wieder sehe. Der Film stand am Anfang meines Studiums. Die Poesie der Langsamkeit ist geblieben.
Was ich nicht wusste: viele der Beteiligten haben sich bei den langwierigen Dreharbeiten (alles wurde zweimal gedreht, da offenbar das Material der ersten Aufnahmen nicht zu brauchen war) im Hafengebiet von Tallinn den Tod geholt. Der halbe Film spielt im Wasser. Im Gegensatz zum Buch. Ständig waten die drei Männer durch kniehohes Wasser. Sie hocken im Wasser. Sie stehen im Wasser. Wenn sie sich ausruhen, legen sie sich ins flache Wasser. Im trüben Wasser schwimmt allerhand herum, was die Kamera freundlicherweise unserem Auge nahebringt. Ein Chemiewerk, das im Film als Kulisse auch vorhanden ist, leitete damals seinen Giftmüll einfach in den nächstbesten Fluss ab. Das machten alle so. Auch die sauberen Basler. Tarkowski ist früh an Krebs gestorben, seine (zweite) Frau etwas später, der "Dichter"-Darsteller noch früher, der Hauptdarsteller als letzter an etwa dem vierten Herzinfarkt, im oder am Arm seiner vierten Ehefrau.
Eine durchwegs ungesunde Sache. Und doch so ergreifend. Nach wie vor.
Freitag, 10. Februar 2023
Die Scham
Der Tag beginnt mit einem lange nicht dagewesenen Glühen im Osten. Schamesröte oder Triumphgeheul? Zur Feier des herrlichen Morgens beschließe ich, ein Verzeichnis der grottenschlechtesten Sätze anzulegen. Gedruckt gefunden zwischen zwei steifen Buchdeckeln. Also: Literatur. Aber: nicht auf meinem Mist gewachsen. Kürzlich war es der Satz mit "stehen", sich mit jemandem gut stehen ... Heute ist es ein Satz mit "gehen": "Wie kaputt konnte ein Leben noch gehen?" Ehrenwort!
Donnerstag, 9. Februar 2023
Die Rede
Nach der anstrengenden Probe eile ich nach Hause, durch die kalte Unterführung, den feuchten Nebel, reiche Herrn Caruso sein Futter. Er ist wieder angriffslustig, nach ein paar lethargischen Tagen, faucht mich an zum Dank, ehe er seinen Verdauungsspaziergang in Angriff nimmt. Das bedeutet: er will in Ruhe gelassen werden und vor der Katzenklappe meditieren, ob, wann, zu welchem Zweck er sie womöglich heute Abend noch durchschreiten möchte. Mir dauert das zu lange. Ich öffne die Tür und scheuche ihn hinaus, denn ich will aufs Sofa und heute kein Katzenklo säubern. Ich musste Herrn Caruso gestern nachmittag nämlich notfallmäßig eine Wurmkur zuerst besorgen und dann verabreichen. Wahrscheinlich hat er sich kürzlich mit seiner blutigen Beute allerhand Ekelhaftes in den Darm geholt. Es will schon etwas heißen, wenn ich sehe, dass mein Kater verwurmt ist!
Ich will aufs Sofa, denn dort wird mir vorgelesen, zweimal hintereinander derselbe wunderbar kurze Text von Jean Paul aus dem Siebenkäs: "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei." Einmal in der Interpretation von Wolfgang Büttner und einmal in einer historischen Aufnahme von Ernst Ginsberg. Es will schon etwas heißen, wenn das Radio mir mit seiner knapp bemessenen Sendezeit eine Wiederholung kredenzt!
Siebenkäs ist "Ein treues Dornenstück" - sein vollständiger Titel lautet: Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel"
Mittwoch, 8. Februar 2023
Das Bein
Gantenbein - noch einmal. Von Max Frisch selbst gelesen. Leider sagt das Radio nicht, woher es diese Aufnahme hat und bietet sie auch nicht, wie alles andere, zum Nachhören an.
Ich hatte Frischs Stimme nicht mehr im Ohr. Den Text hingegen habe ich im Kopf. Der Autor liest im Radio die Ouvertüre. Das epische Entrée. Den auf mehreren Seiten ausgebreitete waghalsige Entschluss seiner Figur - sein Name sei Gantenbein - in diesem Roman einen Blinden mit schwarzer Brille und schwarzem Stöcklein zu spielen. Um ihn, den Roman sowie alle Haupt- und Nebenfiguren und deren Irrungen und Wirrungen, besser sehen zu können.
Dienstag, 7. Februar 2023
Der Zwilling
Kastor und Pollux gelten gemeinhin als Zwillinge, als solche stehen sie auch am Wintersternhimmel. Dort unzertrennlich, zwei Strichmännchen, die sich an den Händen halten. In der griechischen Sage haben sie verschiedene Väter. Pollux oder Polydeukes, Sohn des Zeus. Kastor - so wird vermutet - Sohn des Königs von Sparta, Tyndareos. Beider Mutter, das scheint verbürgt, ist Leda. Vermutlich hatte sie einen außerehelichen Quickie mit Zeus, ehe sie sich zu Hause pflichtgemäß ihrem Gatten Tyndareos hingab. Denn das kommt durchaus vor, sagen Mediziner. Auch heute. Es muss nur innerhalb weniger Stunden passieren. Überbefruchtung, Superfecundatio. Bei ehelichem Geschlechtsverkehr führt Superfekundation zu zweieiigen Zwillingen. Bei außerehelichem und ehelichem kommt es zu einer heteropaternalen Superfekundation, dann werden zwei Eizellen einer Frau von zwei verschiedenen Männern befruchtet. Die Föten entwickeln sich in einer Schwangerschaft, aber in zwei Plazentas und bringen natürlich unterschiedliches Erbgut in die Welt. Geboren werden Stiefzwillinge - falls das Geheimnis, wie bei den alten Griechen, durch einen unglücklichen Umstand vom Schicksal gelüftet wird.
Die mythologische Tragik liegt nicht im Ehebruch, sondern im veränderten Erbgut, das den einen Zwillingsbruder sterblich, den anderen aber unsterblich macht. Kastor wird im Streit von seinem Cousin Idas erschlagen. Auch das kommt vor. In den besten Familien. Bei Homer hat Pollux als Sohn des oberesten Bosses unter den Götten die Wahl: ohne den geliebten Bruder ewig sorglos unter den Göttern zu weilen oder mit dem Bruder die Wege des Irdisch-Vergänglichen zu gehen. Wie es ausging, steht derzeit jede Nacht am Himmel geschrieben.
Montag, 6. Februar 2023
Das Schlachtfeld
Ich verschlafe und wundere mich, dass mein Kater nicht auf meiner Bettkante schnurrt. Sein dezentes Signal in mein Ohr: Hunger! Ich schlafe selig weiter.
Ich las bis tief in die Nacht das Picknick am Wegesrand - wieder. Kürzlich fischte ich die Brüder Strugatzki aus dem Regal. Begann mit Montag beginnt am Samstag. Mir sträubten sich die Haare, so ein Deutsch, absolut unlesbare Übersetzung (zB "... mit Modest Matwejewitsch versuchten sich alle gut zu stehen ..."), die ich umgehend der blauen Tonne überantwortete! Die Originalausgaben verschenkte ich zu meinem nächtlichen Leidwesen bereits vor Corona. Das deutsche Picknick bekam ich am 7.XII.1981 geschenkt, so stehts geschrieben. Es ist weich wie Butter. Und so verging mir die Nacht.
Und der Montag beginnt mit Putzeimer. Unten im Flur erwartet mich ein Schlachtfeld. Eingetrocknete Blutspuren, Tropfen, Spritzer. Ich betrachte meinen Kater, der blinzelnd aus seinem Nest kriecht. Ohne zu betteln. Kein Hunger? Keine Verletzung? Er humpelt nicht und sieht nicht verprügelt aus. Keine Striemen über der Rübe, keine Flecken auf seinem Schlafkissen. Das Raubtier war auf der Jagd und hat die Beute ins Haus geschleppt! So verging ihm die frostige Nacht. Außer eingetrockneten Bluttropfen ist nichts übrig geblieben.
Sonntag, 5. Februar 2023
Der Vollmond
Nach dem Konzert ist vor dem Konzert. Auf eine kalte Kirche folgt die nächste kalte Kirche. Jedesmal schwöre ich mir, kein ungeheiztes Gotteshaus mehr betreten zu wollen, zu welchem Zwecke auch immer. Und prompt ruft A. an, ob ich zum Kammerchor Fontana d'Israel nach Wesselburen mitkomme. Mehrstimmige Motetten von Schein (ua aus Cymbalium Sionium), Schütz, Mendelssohn-Bartholdy. Von der Klapmeyer Orgel Werke von Buxtehude, Steigleder, Monteverdi, Bach. Ok.
St. Bartholomäus in Wesselburen wird auf 14° geheizt. Das ist ein Unterschied zu 10° oder weniger. Und in St. Bartholomäus liegen auf allen Kirchenbänken geheizte Sitzkissen. Wir haben also aufsteigende Wärme unterm Hintern. An den Füßen trage ich Kandahars - und denke an meine Schuhfrau in der Schweiz. Draußen wird es Nacht. Der Chor singt sauber, aber ausdruckslos. Steril und brav. In Schals und Winterjacken. Die Organistin sieht zum Erfrieren dünn aus. Lauter bekannte Gesichter im Publikum. Alles Chorsängerinnen und Chorsänger. Auf dem Heimweg strahlt uns der volle Mond ins Gesicht und A. erzählt von ihrer Perücke.
Samstag, 4. Februar 2023
Das Grünland
Ein frostiger Tag bricht an! Und wir wollen spaziergehen in den Binnendünen. Bevor wir weiterfahren nach Neuenbrook zum Gongkonzert.
Die Binnendünen sind seit zehn Jahren besonderes Naturschutzgebiet. Davor: Bundeswehrübungsplatz. Der militärische Übungsbetrieb, heißt es, trug wesentlich zur Vielfalt und zum Artenreichtum des Geländes bei. Offene Grasflure, trockene Sandheiden, Heidekraut, Ginster, Birkenwälder, Dünentäler, Feuchtheiden, bodensaure, krattartige Eichenwälder, bewaldete Dünen, nährstoffarme Flachwassertümpel aber auch von Natur aus nährstoffreiche Gewässer, krautreicher Rasen. Hier fühlen sich gefährdete Arten wohl: die Große Moosjungfer, der Kammmolch, die Knoblauchkröte, die Kreuzkröte, der Moorfrosch, die Heidelerche. Neu ausgewildert: Zauneidechsen. Und angesiedelt in den halboffenen, eingezäunten Weidelandschaften: Burenziegen. Robustrinder. Wildpferde.
Es ist sonnig und uns wird warm. Danach ab in die eiskalte Katharinenkirche. Zur Uraufführung mit dem Meteoriten-Gong vom Ätna. Die Energie des Vulkans soll bei denen, die die Klänge dieses Gongs hören und aufnehmen, "Heilungsprozesse initiieren".Peter Heeren spielt ein Programm mit dem Titel "Stille und Fülle". Klangliche Synergie auf Meteoritengong, Planetengongs Pluto und Mond, Windgong, Titangong.
Heute, 15 Uhr St. Katharinenkirche Neuenbrook
Hauptstrasse 11, 25578 Neuenbrook
Freitag, 3. Februar 2023
Der Himmel
Er bohrt gnadenlos, während ich singen will. Der Markisenmann klebt die Gewindestangen in das Innen- und Außenmauerwerk ein. Dazu muss er 4 x ca 20 cm tiefe Löcher in meine Hauswand bohren. Gefühlt 10 Minuten lang. Ich habe die Zeit nicht gestoppt. Dann kehrt wieder Stille ein und das Einsingen um 9 wird vorbei sein. Der Kleber muss ein paar Stunden trocken. Am frühen Nachmittag wird der Markisenmann wieder kommen, mit dem Sohn und die etwa 60 kg schwere Cassettenmarkise vom Hänger Hieven und, schwupps, einhängen. So schnell geht das. Ausfahren können wir sie nicht. Dazu braust der Sturm zu heftig um die Hausecken. Kein Ende abzusehen. Wie der Himmel, das Urban Design Sky, mein neues Stoffsonnensegel über meinem alten Kopf, wirklich aussieht, werde ich bei anderer Gelegenheit und besserem Wetter erst sehen können.
Donnerstag, 2. Februar 2023
Das Gewissen
Der Archaismus des Tages: honett. Ein Adjektiv. Kommt von lateinisch honestus = ehrlich, Was ja an und für sich nichts Schlechtes ist. Eine ehrliche Haut. Herr Caruso, zum Beispiel, ist eine durch und durch ehrliche Haut, obwohl sie, die Haut und Ehrlichkeit, unter seinem schwarzen Pelz kaum zu erkennen ist. "Honett", lese ich noch vor dem Frühstück, beschreibe, "dass eine Person auf eine eher biedere Art so rechtschaffen ist, dass sie einem einen gewissen Wohlgefallen abringt" [Hervorhebung von mir].
Und nun frage ich, in tiefes Grübeln gestürzt, Herrn Duden, wie er es halte mit dem gewissen Wohlgefallen. Neutral, antwortet Herr Duden prompt und zerstreut all meine sprachlichen Zweifel. Draußen tobt schon wieder der Sturm.
Mittwoch, 1. Februar 2023
Der Garten
Der Garten ist aufgeräumt, seit die Gärtner da waren. Sie haben alle Bäume beschnitten, die kranke Kirsche gefällt, den Holunder ausgegraben und den mit den Jahren morsch gewordenen Rest einer Kiefer, der mir immer als Standbein für das Vogelfutterhaus gedient hatte, entfernt. Den kleinen Gingko haben sie umgesetzt, er nimmt jetzt den Platz der Kirsche ein und kann dort groß werden. Das riesengroße Vogelfutterhaus (Katzen und Krähen kommen darin unter, Hasen und Eichhörnchen, von den Amseln und Meisen ganz zu schweigen) hingegen ist heimatlos geworden. Bis der Winter um und das Futter alle ist, kann es auf dem Gartentisch stehen. Kein idealer Standort. Im Sommer dient der Tisch zudem Herrn Caruso als Sonnenliege. Aber bis dahin ...