Dienstag, 31. Januar 2017

ear-flaps

Chinesische Scheuklappen für mein krankes Ohr. Goldbestickte Brokatseide, mit Silberfäden verbrämt. Hirsch (lu) und Kranich (he), die beide im asiatischen Denken für langes Leben geradestehen und chinesisch zusammen homofon (gleichlautend) zu den "6 Himmelsrichtungen" (liu-he) sind. Ja! Die Welt der Anderen ist oft reicher als die eigene und es lohnt sich immer, sie näher zu betrachten: im Reich der Mitte befindet sich die menschliche Kreatur inmitten von sechs Himmelsrichtungen: Ost, West, Nord und Süd sowie Oben (= Himmel) und Unten (= Erde). Mit anderen Worten: die Chinesen haben ein räumliches Vorstellungsvermögen und leben weder auf einer Scheibe noch auf einer Handvoll Erde, sondern mitten in der Unendlichkeit!
Meine Ohren, das kranke und das gesunde, schützen heute Kranich und Hirsch im Doppelpack, in Gold und Silber eingewirkt in das Nachtblau des Weltalls, das an den Rändern ins Schwarze zerfließt - und im Deutschen bekanntlich nur aus Schreibfehlern besteht. Im letzten Feuerhahn-Jahr, also vor 60 Jahren, besetzten die Menschen erstmals den Kosmos mit Feuer und Schwert sowie einem gemäßigten Trommeln. Genau an dem Tag und zu der Stunde, als ich an der Ergolz tief Luft holte und zu meinem ersten irdischen Schrei ansetzte. 

Montag, 30. Januar 2017

Meldorfer Mahnwache

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg

Es regnet und mein Ohr ist heiß und rot. Der Arzt warnt vor Zwiebel und Wärme. Dadurch würde das Feuer der Entzündung nur noch mehr entfacht. Ach, ich Feuerhähnin!

Sonntag, 29. Januar 2017

Rote Seide

Das Jahr des Feuerhahns fängt gut an. Ich liege mit Fieber und Ohrenschmerzen im Bett. Meine Tag- und Nachtträume polstere ich mit roter Seide aus und schließe die Augen. Auf das rechte Ohr lege ich eine aufgeschnittene weiße Zwiebel.

Samstag, 28. Januar 2017

Das Jahr des Feuer-Hahns 鸡

Der erste Neumond unseres Kalenderjahres, aber der zweite seit der Wintersonnenwende. Das Neue, sagen westliche Astronomen, befinde sich in Zwischenräumen. Aber die Chinesen folgen einer anderen Logik, einer anderen Ordnung. Ganz Asien feiert an diesem zweiten Neumond nach dem Solstitium, dem Stillstand der Sonne im Winter, das Frühlingsfest. Heute beginnt dort das Jahr des Feuerhahns - mein Jahr! Wer im Jahr des Hahns geboren sei, solle sich nun bitte sehr vorsehen, warnen die Astrologen. Und die Feuerhähne noch viel mehr. Unglück kann ich Feuerhenne abwehren, indem ich das ganze Jahr über Rot trage. Mich mit Jade schütze. Und meinen Schreibtisch, mein Bett, überhaupt meine gesamte Gesinnung nach Osten ausrichte. Nun denn!
Vorhin guckte ich schräg aus dem Küchenfenster (also nach Osten) und beobachtete eine Blaumeise, wie sie sich nach ausgiebigen Sicherheitsvorkehrungen doch entschloss, in den Schlitz des alten Briefkastens am Baumhaus zu schlüpfen. Sie hat als erste diesen Premium-Nistplatz besetzt! Nachts Temperaturen tief unter Null. Tagsüber eitel Sonnenschein. Und ich trage Jaderot. Nur Mut! Happy New Fire Rooster Year - 鸡年大吉!

Freitag, 27. Januar 2017

Synkopen

Synkopen hingegen sind Stolperstellen im menschlichen Gehirn. Da eine verschluckte Silbe, dort eine falsche Betonung. Angeblich wird dadurch die "rhythmische Spannung" erhöht. Im lyrischen Gedicht. Oder im herzzerreißenden Lied. Aber eigentlich fallen wir regelmäßig zuerst auf die Nase. Weil die Beine nicht mitkommen. Weil unser Körper fraktioniert ist. Weil die Schaltzentrale nicht auf Überraschungen getrimmt ist. Weil das Hirn lahmt und auf Anhieb lieber nicht koordiniert.
Seit der neue Präsident im Weißen Haus sitzt, kursieren neue Musikerwitze im Netz. It's not a wrong note ... it's a alternative pitch! Nun verliert also sogar das Stolpern seinen Spaß.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Synöken

Tiere sind eben bessere Lateiner und sozial höher entwickelte Wesen als wir Menschen. Synöken von synoikus (Mitbewohner) bezeichnet Tiere, die ihre Wohnung mit einer anderen Tier- oder Pflanzenart teilen. Zum Beispiel die Brandgans, die auf Helmsand im Fuchsbau brütet ist eine Synöke, oder Inquilinin, eine Zusammenwohnerin oder Einmieterin.
Wenn sie den Tisch teilen, wie der Einsiedlerkrebs mit seiner Angebeteten, der einfüßigen Seeanemone, betreiben sie Kommensalismus, eine Tisch- ohne Bettgenossenschaft. Natürlich gibt es auch Symphilien, Formen von Brut- und Sozialparasitismus, vor allem bei staatenbildenden Zweiflüglern oder Ameisen und Termiten. Aber Tiere verpflichten sich immer der Evolution, dem besseren Fortkommen - nie der Moral.

Mittwoch, 25. Januar 2017

Wellhornschneckenwilderei

Ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, woher die Schnecken kommen, die die Franzosen verzehren. Ich dachte immer, aus Nachbars Garten und dass das eigentlich eine gute Sache sei. Wenn man den Franzosen das Ekelzeug als Delikatesse vorwerfen kann. Dass die Franzosen ausgerechnet Wellhornschnecken lieben und geschäftstüchtige Fischer nichts unversucht lassen, sie eben mal aus "Nachbars Garten" zu holen, wundert mich irgendwie. Haben die nicht den Atlantik vor der Tür?
Wellhornschnecken - das habe ich nun anlässlich der jüngsten Wellhornschneckenwilderei erfahren - leiden unter giftigen "Antifouling Schiffsanstrichen" (TBT - Tributylzinn). TBT wirkt wie ein Geschlechtshormon und macht aus den Wellhornschneckenweibchen intersexuelle Wesen. Sie werden zu halben Männchen und produzieren keinen Eier mehr. In der südlichen Nordsee ist infolge von hohen TBT-Konzentrationen der Bestand so gut wie ausgestorben. Das ist der viel größere Skandal als ein Fischkutter aus Brixham vor Helgoland, der nach Bezahlung von paar Tausend Euro Strafe weiter tuckert!

Dienstag, 24. Januar 2017

Die soziale Täuschung

Ich lese, dass die Sepia plangon die Fähigkeit, sich zu tarnen, nicht zur zum Schutz vor Fressfeinden einsetzt, sondern auch zur sozialen Täuschung!
Die Haut aller Tintenfische verfügt über Farbstoffzellen, außerdem ist sie dehnbar. Die Sepia kann also - nebst dem Einsatz der Tintendrüsen - nicht nur ihre Hautfarbe wechseln, sondern auch die Beschaffenheit der Haut von glatt über faltig, runzlig, mit Knötchen usw verändern. Die Sepia plangon kann auch nur Teile ihres Körpers tarnen. Das tun die Männchen bei der Paarung. Dem Weibchen präsentieren sie vorne ihr maskulines Prachtgewand, potentiellen Rivalen hingegen zeigen sie einen unscheinbaren femininen Hintern. Raffinierte Kerle!
Biologen behaupten, "ein stabiles Signalsystem in einer Gemeinschaft" beruhe "im Allgemeinen auf Ehrlichkeit", denn zu viele Täuschungen würden dazu führen, dass "Signale nicht mehr ernst genommen" werden. Die Tarner - ich nehme an, es geht nur um die Männchen - müssen also so geschickt vorgehen, dass ihre Täuschung nicht entdeckt und von der Gemeinschaft nicht bestraft werden kann. Schlau, schlau! Die Kopffüßer - dazu zählen die Sepias, weil ihre Fangarme am Kopf sitzen - sollen die intelligentesten unter den wirbellosen Tieren sein.

Montag, 23. Januar 2017

Meldorfer Mahnwache

18:00 - 18:30 Südermarkt
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg.
Danach erste Chorprobe nach der Weihnachtspause in Heide.

Sonntag, 22. Januar 2017

Im Keller

Gerade im Radio gehört. "Im Keller" - eine Komposition von Turgut Erçetin. Erçetin ist ein Komponist, der mehr als das Narrative "ungewohnte Wahrnehmungssituationen" liebt, sucht, konstruiert. In seiner Musik geht es nicht in erster Linie darum, "der Schönheit von Klängen hinterherzujagen", sondern um formale Aspekte, um zeitliche und räumliche Dimensionen, um eine Interaktion zwischen dem Realen und Virtuellen. "Stochastische Prozesse" nennt er seine Mittel, das Unbekannte zu kontrollieren; "Auralisation" das Konstruieren eines bestimmten klanglichen und zeitlichen Bildes einer bestimmten Umgebungssituation.
Puh - warum funktioniert das in der Musik und in der Sprache nicht? Warum steckt die Literatur in einem so hoffnungslos veralteten engen Korsett wie der Sprache fest?  
Erçetin erschafft "Im Keller" virtuell eine bestimmte Raumakustik, gestaltet den Klang und seine Bewegung in einer bestimmten Umgebung. Unter Berücksichtigung von Hall, Nachhall, Ausschwingdauern, Reflexionen sowie der Klarheit der räumlichen Definition. Das wichtigste, sagt er, ist die Lokalisierung. Wo der Hörer einen Klang lokalisiert, hängt "zum größten Teil von den Reflexionen zwischen der Klangquelle und dem Ort des Auftreffens der Klänge ab". Seine virtuellen Räume verändern sich natürlich während des Stückes nicht, denn sie sind fest, künstlich erschaffen. Aber sie interagieren mit den realen Räumen. Das Hören auf dem Sofa zu Hause ist sicherlich suboptimal. Trotzdem: etwas auch nur annähernd Adäquates versuche mal einer oder eine in einem Stück Prosa oder mit einem ungereimten Gedicht. Ich geh schlafen, gute Nacht!

Samstag, 21. Januar 2017

Joldelunder

Mein Lieblingsbrot! Meine Lieblingsbrote. Eines liegt nun wieder Woche für Woche am Montag in der Biokiste vor meiner Haustür. Im letzten Winter bekam ich einmal sogar einen handverlesenen Vorrat von einem Freund auf die Hallig gebracht.
Heute Abend erzählte der Joldelunder Bäckermeister in der 4. Generation im alten Kuhstall der Biokistenlieferanten in Marne von seiner Zeit auf der Walz. Faszinierend und klug, weise, lustig, listig, sprödesprudelnd. Noch nie lauschte ich so gefesselt einem "Dia-Vortrag". Denn Bilder gab es natürlich auch, und Wein und Joldelundgebackenes. Das Kostbarste aber waren Formulierungen wie "einfach gehen". Der nordfriesische Bäcker ist überzeugt, dass Probleme jeglicher Art (auch gesundheitliche, pflichtet ihm mein Warschauer Meister aus dem Himmel zu) am besten "zu Fuß" gelöst werden können. Einfach mal losgehen, egal wohin. Und der Pfarrherr, der dem wandernden Bäckersgesellen an einem kalten Winterabend kein Dach überm Kopf gewährte, sondern ihn mit dem Satz in den Schnee entließ "wenn Du bis hierher gekommen bist, kommst auch noch weiter", hatte im Nachhinein betrachtet sogar Recht. Der Joldelunder Bäcker ist weitergekommen.
http://www.joldelunder.de/
http://www.loubier-shop.de/Seiten/Homepage/

Freitag, 20. Januar 2017

Ich

Ich ziehe einen Brief aus dem Briefkasten, in dem mir mitgeteilt wird, dass sich meine Steuernummer und mein Geburtsort geändert habe.
So weit so gut. Deutsche Behörden halten mindestens drei Geburtsorte für mich bereit. Ab und zu packt mich das durch meine katholische Sozialisation antrainierte schlechte Gewissen ("Du sollst nicht lügen"). Dann versuche ich, meine amtliche Existenz in diesem Lande zu "bereinigen". Mit manchmal fatalen Folgen. 
Heute also weist man mich im Nachgang der Bestätigung der Änderung freundlich auf folgendes hin: "Die Änderung der Angaben hat keinen Einfluss auf ihre bisher gewährte Altersvorsorgezulage (...) Die zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen schreibt vor, dass eine Änderung im Zulageantrag nur über einen Antrag auf Festsetzung erfolgen kann."
Ich - geboren im Schweizerischen Tal des Leseimperativs! - erkläre mich hiermit feierlich zur Analphabetin.

Donnerstag, 19. Januar 2017

Wieta

Ich tendiere zu Wieta, oder in der graphischen Variante Witta. Eine literarische Figur bekommt ihren Namen nach anderen Kriterien als ein neugeborener Mensch. Und wer meint, aus meinem blog etwas darüber zu erfahren, wer oder was ich bin, was oder wie ich schreibe, irrt. Leben und Schreiben kann und tue ich nur im stillen Kämmerlein. Bis etwas vom Verschriftlichten an die Öffentlichkeit gelangt, dauert es erfahrungsgemäß Jahre. Und vom Leben dringt nie etwas nach außen. Das ist auch gut so. Hier im blog verfolgt das geneigte Publikum phantastische, banale, forsche, mutige zuweilen auch überflüssige, dumme kreative und geistige Luftsprünge. Purzelbäume. Schmerzhafte Bauchlandungen. Aufgeschürfte Knie oder Ellbogen. Es geht laut und brutal zu und her wie auf jedem Kinderspielplatz der Welt! Heute tollt Wieta auf der Wiese herum. Warum auch nicht? Das heißt aber noch lange nicht, dass sie für immer bleibt oder unsterblich ist.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Nina

Nina ist da - ganz selbstständig und unabhängig von meinem gestrigen Wunsch. Herzlich willkommen, junge Dame, Du wirst Deinen Weg unbeirrt durch die Welt gehen! Glückwunsch an die Mutter, an den Vater und die 4 Geschwister!
http://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/hooge-freut-sich-auf-die-kleine-nina-id15865441.html

Dienstag, 17. Januar 2017

17-1-17

Ich suche einen zweisilbigen weiblichen Vornamen. Wenn jemand einen Vorschlag hat, kann er ihn hier gerne als Kommentar posten.

Montag, 16. Januar 2017

Sonntag, 15. Januar 2017

Die Querulantin

Kalt in Dithmarschen. Sonntagmorgenfrost. Queri ist lateinisch (queror, quereris, queritur ...) und bedeutet sich beklagen, klagen, jammern. Wer sich ständig beklagt, ist ein Querulant oder eine Querulantin. Je nach Geschlecht. Oder wer ständig rechthaberisch auftritt, hartnäckig nachtritt, ohne auch ständig Recht zu haben.
Ich will gar nicht Recht haben, ich würde nur gerne die Welt verstehen: Warum dürfen manche Menschen ungestraft "falsch Zeugnis reden" wider ihre(n) Nächsten oder "begehren" ihrer/s Nächsten Gut, Weib oder Vieh - und ich soll nicht einmal meinen Beruf ausüben dürfen?

Samstag, 14. Januar 2017

Dame the Eighth

Zu Hause. Business as usual. Sonnabendstory. Eine Lektion aus der Gerüchteküche, oder besser gesagt aus dem Gerüchte-Zubereitungsbuch, dem Gerüchte-Knigge. Zum idealen Verständnis im O-Ton english: The Lady Penélope by Thomas Hardy. First published in 1890 in the collection of short stories "A Group of Noble Dames" (Part I Before Dinner: 4 Ladies, Part II After Dinner: 6 Ladies), written certainly not long before. A revised version dating from 1891 has two insertions, both concern the rumors surrounding Lady P. and the death of her second husband. The rumors are now said to be "so" thick in the atmosphere around her. The author took pains to dramatize and elaborate the suspicions which led her, Lady P., to death.

Freitag, 13. Januar 2017

Freitag der Dreizehnte

Nix passiert. Das Wasser ist gekommen. Das Wasser ist gegangen. Ich stapfe am Mittag in Hooger Gummistiefeln (ja, auch das gibt es) am Süderdeich im Watt herum und höre die Flut in der Ferne brüllen. Der Wind trägt das Meer zuerst als Geräusch heran. Das ist nicht immer so. Der Himmel ist gnädig. Das ist auch nicht immer so. Die beiden Schwäne sind geblieben. Gestern haben wir sie noch fliegen gesehen. Über das Wasser zwischen den Warften. Wie die Ringelgänse. Und die Knutts. Heute putzen sich alle Viecher auf Schönste heraus und lassen die Federn an der Sonne trocknen. Wie immer vor dem Wochenende. Und ich setze mit dem halben Löwenrudel aufs Festland über. Entronnen.

Donnerstag, 12. Januar 2017

Hooger Vollmond

Da hätte ich ja das richtige Wetter ausgesucht ... höre ich. Natürlich hat das Gerücht längst die Runde gemacht, dass ich da bin. Obwohl es gar kein Gerücht ist. Mitten in der Höhle der Löwen. Der Himmel hat Erbarmen, der Mond ist voll. Das Wasser läuft in der Nacht schon zwei Meter über Normal in die Hallig hinein. Am Mittag gleich nochmals. Der Fährbetrieb ist eingestellt. Der Revierinhaber ist nicht da. Ich wollte mit frisch geschnittenen Haaren heute froh wieder nach Hause traben.
Aber das Wetter sucht man sich nicht aus. An das Wetter passt man sich an. Das ist so wie mit den Menschen und dem Rudel. Die Menschen sucht man sich nicht aus. Zu den Menschen komponiert man sich. Der eine zum einen, der andere zum anderen. Das Rudel hingegen wird dominiert. Von einem Anführer. Vom Stärksten, Größten, Lautesten. Die Zugehörigkeit hier ist eine Frage der Unterwerfung und der Lauffähigkeit. Natürlich schützt das Rudel vor Angriffen von außen. Das führen einem auf der Hallig die Ringelgänse vor. Zwischenmenschliche Beziehungen aber sind eine Frage der wechselseitigen Feinabstimmung, einer Ziselierung und taktgenauen, präzisen Orchestrierung. Die Chemie zwischen einer Guarneri und ihrem ersten Geiger. Oder das Fingerspitzengefühl zwischen einem hochkomplizierten modernen Tonträger und ihrem jugendlichen Anwender. Harmonie gibt es schriftlich im Märchen. Und womöglich, wer weiß, tatsächlich im wahren Paradies. 

Mittwoch, 11. Januar 2017

haareschneiden

Dieser Moment kommt immer unerwartet und ohne Rücksicht auf Verluste. Es genügt ein Blick am Morgen in den Spiegel. Die Haare müssen ab. Ich rufe die Halligfrisöse an. Auf sie ist immer Verlass. Sie möchte aber lieber Friseurin genannt werden.

Dienstag, 10. Januar 2017

blaumachen

Es ist Dienstag und ich steige in der Dunkelheit in den Zug. Seit dem Fahrplanwechsel brauche ich eine Stunde weniger und habe überall fließende Anschlüsse. Nass werde ich nur auf dem Weg zum Bahnhof in Meldorf. Die Züge der DB, die nun auf der Strecke eingesetzt werden, sind so dreckig, dass ich nicht sehe, wann der Tag beginnt. Es ist grau in grau. Von blaumachen keine Spur. In Bordelum biegt der Fahrer von seiner Strecke ab, weil ein Fahrgast im Hofladen 30 ungewaschene Eier kaufen muss. Trotzdem kommen wir auf die Minute pünktlich in Schlüttsiel an. Der Sturm ist jetzt schon heftig. Ich setze nach Hooge über. Begebe mich in die Höhle des Löwen. Mache grau am Dienstag, weil am Montag keine Fähre fährt. Das Blau gehört eigentlich den Färbern und ihren Gesellen. Das Blau gehört dem Montag. Die Färber haben am Montag nichts zu tun, wenn die Wolle aus dem Farbbad genommen an der frischen Luft trocknen muss. Vom blauen Montag hat sich nur der Wind, das Sturmtief in den Dienstag gerettet.

Montag, 9. Januar 2017

Meldorfer Mahnwache

Auch im Neuen Jahr jeden Montag, eine halbe Stunde nach Feierabend:
Meldorfer Mahnwache für den sofortigen Atomausstieg
18:00 - 18:30 Südermarkt

Sonntag, 8. Januar 2017

Tauwetter

Gestern herrschte gespenstische Ruhe. Blitzeis sorgte für leere Straßen. Heute sind alle wieder wach und auf den Beinen und Rädern. Die Hunde wollen ja nicht nur in Nachbars Garten kacken. Es taut, aber der Himmel bleibt bleiern. Ungerührt. Schwer. Kein Mond, keine Venus, keine frische Luft. Wer mag schon bei so einem Licht spazieren gehen? Ich sitze auf den Tatamis und trainiere mein drittes Auge. Vorläufig sehe ich nur ein schweigendes schwarzes Loch. Und das bereitet mir einen stechenden Schmerz quer über die Stirn. Als würde mir jemand mit dem Skalpell in Zeitlupe die Kopfhaut aufschlitzen. 

Samstag, 7. Januar 2017

7117

Vor zwei Jahren starb mein Meister. Es war ein kalter Wintertag in Warschau. So wie heute am Wattenmeer. Damals war der Mond voll, heute ist er halb. Das treffende Zitat zum heutigen Tag hat seine Tochter, Maria Konwicka, gefunden:

- Ludzie! Co tak smutno? Więcej życia, energii, radości! (...) Marnujecie czas, przysięgam Bogu.
- A co mamy robić?
- Nie wiem. Podskoczyć do nieba, uderzyć piersią w błękit, żeby roztrzaskał się jak głupie lustro. Krzyknąć, żeby gwiazdy posypały się jak szyszki z drzewa. Ludzie, przecież jesteście młodzi!
(Tadeusz Konwicki – "Kronika wypadków miłosnych" 1974)


"Hey, Leute, warum so traurig? Mehr Leben, mehr Schwung, mehr Freude! (...) Ihr verschwendet eure Zeit, Ehrenwort."
"Was sollen wir denn machen?"
"Keine Ahnung. Zum Himmel hochspringen, mit der Brust voran, damit sein Blau zerdeppert wie ein dämlicher Spiegel. Brüllen, damit es Sterne hagelt wie Zapfen vom Baum. Hey, Leute, ihr seid doch jung!" (Tadeusz Konwicki, Kronika wypadków miłosnycn, Ü JA)

Freitag, 6. Januar 2017

Das große C

Erstaunlich. Plötzlich klirrende Kälte. Und ein praller Sternenhimmel. Die Venus am Abend, eigentlich am späten Nachmittag, so grell im Südwesten, dass ich sie für einen Satelliten halte. Ist es sie oder ist es sie nicht? Und ist es wichtig, zu wissen ob oder ob nicht? Hauptsache Licht!

Der dicke Onkel, habe ich heute gelernt, ist nicht der übergewichtige Sofaonkel und nicht der reiche Amerikaonkel, sondern der große Fußzeh. Der große Zeh - oder das große C. Das Hohe C. Gerade zu Wintererkältungszeiten angebracht. Der dicke Onkel aber ist einfach ein Missverständnis. Auch er. Offenbar aus französisch "ongle" (= Zehennagel) entstanden. Denn, uns Schweizern fällt das immer wieder besonders auf, die Deutschen haben's nicht so mit dem Französischen. Da wird ongle flugs zu Onkel, ganz ohne erkältungsbedingte Heiserkeit oder Nasalierung!

Donnerstag, 5. Januar 2017

chasing ice

Ich höre in letzter Zeit, seit ich Vinyl mit Abspielgeschwindigkeit 45 rpm auf einem Medium besitze, das ich abspielen kann, fast rund um die Uhr das Plätschern und Tröpfeln des Läntagletschers. Sein bescheidenes und stilles Sterben - zur Erinnerung hier der link auf sein Requiem: http://amwattenmeer.blogspot.de/2016/11/a-glaciers-requiem.html).

Heute nun der link auf eine spektakulärere (preisgekrönte!), laute, teure, aufwändige, ehrliche visuelle Dokumentation desselben Sachverhalts rund um den Erdball: sterbende Gletscher und ihr monströses todbringendes "Kalben" in Island, Grönland, Alaska und Montana. Wer das gesehen hat, schweigt lange - frei verfügbar noch ein paar Tage, bis zum 10.1.:
http://www.arte.tv/guide/de/071391-000-A/chasing-ice

Mittwoch, 4. Januar 2017

Die Brücke über den Kanal

Beldorf - nicht Meldorf. Das Dorf bei der Grünentaler Hochbrücke, die durch ihre Schlichtheit (Fachwerkbalkenbrücke) erschreckt und die lichte Höhe (42,55 m) begeistert, heißt Beldorf und hat eine Handvoll Bewohner sowie Bienen, die prämierten Honig produzieren (http://www.beldorf.de/news/index.php?rubrik=1&news=370398&typ=1).
Wir suchen Schutz vor Axel, dem Sturmtief und gehen in der Nachmittagssonne am Kanal spazieren. Wie immer am Mittwoch brauche ich die Nähe zum Wasser. Im Wappen der Gemeinde steht noch die alte Kanalbrücke, stilisiert, mit roten Backsteinpfeilern und blauem Tragwerk sowie blauer Fahrbahn. Angeblich wurde die komplette Eisenkonstruktion, als die Brücke 1987 wegen der notwendig gewordenen Kanalerweiterung und aufgrund allgemeiner Altersschwäche abgebrochen werden musste, in den damals noch sozialistischen Osten verklappt. Die alten Steinpfeiler hingegen brennen in der Abendsonne zu beiden Seiten des Kanals. Stolze Trutzburgen.

Dienstag, 3. Januar 2017

Das Christkind von Süderoog

Von der Hooger- zur Wattenmeermenagerie: Das Christkind von Süderoog ist eine Kegelrobbe und hat, anders als die Seehunde, einen langezogenen Kopf und staunende Augen. Es wird momentan in der Seehundstation Friedrichskoog mit Sonderkost aufgepäppelt und unter der Nummer 1802 geführt: Ein sechs Wochen altes Kegelrobbenbaby männlichen Geschlechts, das in der "Heiligen Nacht" vom Orkantief Antje von seiner Mutter getrennt wurde. Was blieb dem kleinen Kerl anderes übrig, als sich auf Süderoog an die Warftkante zu legen und nach seiner Mutter zu heulen. Allein ist er noch nicht überlebensfähig. Statt der Mutter kamen Nele und Holger mit Taschenlampe und Smartphone. Sie leisteten erste Hilfe wie von Friedrichskoog am ersten Weihnachtstag fernmündlich empfohlen: duschen und trocken legen, nicht füttern! Kegelrobben kommen mit einem Embryonalfell (Lanugo) zur Welt, das sie vor Kälte am besten schützt, wenn es trocken ist. Das untergewichtige Christkind musste Barbara und das nächste landunter über die Hallig ziehen lassen, bis es auf Nordstrand bei der Übergabe an einen Mitarbeiter der Seehundstationdem Festland den ersten "elektrolytehaltigen" Drink bekam.
Das Christkind ist der zweite Kegelrobbenheuler dieser Saison. Der erste, Helgo, kommt von Helgoland. Die beiden werden noch ihren Spaß haben zusammen in Dithmarschen! Helgo hat seinen Namen nicht von der Insel, sondern von seinem menschlichen Paten erhalten. So ist das im Heulerland! Wer das Süderooger Christkind adoptiert, darf ihm auch den Namen geben:
http://www.seehundstation-friedrichskoog.de/…/seehundstatio…

Montag, 2. Januar 2017

Florentine - oder die Hooger Menagerie 2

Florentine ist die gute Nachricht, die uns von Hooge zum Jahreswechsel erreicht: nicht die Friedenstaube sondern eine seltene arktische, schneeweiße Elfenbeinmöwe hat sich auf Hooge niedergelassen. Vorübergehend, wie zu hoffen ist. Entdeckt hat sie Florian, und von ihm wurde sie - trotz ihres Alters - sofort notgetauft, so wie das früher bei zu früh Geborenen die Hebamme machte. Florentine sei ein Altvogel, sagten die herbeigeeilten Ornithologen einhellig und begeistert. Eine Extraschiff hatte sie, die aufgeregten Vogelkucker, an Silvester zum Tageslicht vom Festland auf die Hallig gebracht. Sie schossen Fotos und brachten der Möwe bei, was Zivilisation ist! Florentine versuchte diesem Ansturm und der "großen Optik" der großen weiten Welt zu entkommen. Verließ ihren Stammplatz auf Backenswarft. Floh von einer Warft auf die andere. Aber vergeblich. Die Hallig ist im Winter farblos, überschaubar und durchsichtig. Ein weißer Fleck fällt überall sofort auf.

Sonntag, 1. Januar 2017

Das Morgen

Das Morgen von Gestern ist ein Sonntag - und muss allen guttun!
Wenn ich wüsste, wie ich oben im Header (Seitenkopfzeile-Gadget) eine Dia-Show einbauen könnte, müsste ich nicht alle paar Tage das Foto ändern. Ich habe aus dem letzten Jahr einen unendlichen Schatz an Bildern ins neue Jahr hinüber gerettet. Heute steht über der aufgehenden Sonne am Himmel über dem Wattenmeer etwas in einer Sprache geschrieben, die ich nicht verstehe. Ich kenne nicht einmal ihre Schrift. Trotzdem soll gelten, was die Zeichen sagen wollen. Frohes 2017!