Donnerstag, 5. Januar 2023

Max

Max Frisch. Aus dem Briefwechsel Frisch-Bachmann. Am Morgen vorgelesen von Matthias Brandt - es passt einfach nicht. Vielleicht ist der Schauspieler zu alt? Zu deutsch? Zu wenig kehlig-helvetisch? Bühnendeutsches Ütikon [aber immerhin: so kommt auch dieses Kaff in die Weltliteratur], auf der ersten Silbe betontes Engadin, verholzter Kosename Schnolimoli oder Schnurlimurli. Mon Dieu! Das sind nur ein paar der geschossenen Böcke. Und dann, viel gravierender, weil durchgängig, unverändert, von Brief zu Brief, von Enttäuschung zu Enttäuschung, Verletzung zu Verletzung: der Tenor des großväterlich Zugeneigten, milde Hinabgebeugten. Heute fast die ganze Folge, eine halbe Stunde lang, aus der Feder Frischs, mit der Stimme Brandts. Verstörend!

Und die Scham. Fremdscham? Ich weiß es nicht. Wer wird beim Zuhören nicht gallig, gelb, grün oder rot. Vor Wut oder Wehleid. In unseren Zeiten herrschen andere Sitten, das soziale Gefüge steht Kopf. Das politische auch. Das sprachliche sowieso. Überall gilt das Recht des Stärkeren. Des Lautesten. Da wirken die jetzt über den Äther verbreiteten Seelennöte des größten Schweizer Schriftstellers meiner Jugend rührend anachronistisch. Das Warten auf Briefe! Kabelnachrichten. Auch ein Poststreik kommt vor. Und viele Telegramme. Aber wie hinterlistig war der Typ! Er behielt von (fast) jedem Brief einen Durchschlag oder tippte ihn, falls er ihn von Hand geschrieben hatte, säuberlich in die Maschine, ehe er ihn aufs nächste Postamt trug. Zweitverwertete dann seine intimsten Geständnisse und Gefühlsaufwallungen im Roman "Mein Namen sei Gantenbein". Auch das ist im Nachhinein beschämend, obwohl hinreichend bekannt aus "Montauk" (mit allerdings anderen Protagonisten). Auch "Homo Faber" müssen wir nicht neu lesen. Madeleine, von der in den ersten Briefen immer wieder die Rede ist, weil Frisch sich von ihr lossagt, während er sich der Bachmann zusagt, ist die Mutter seiner allerletzten Lebensgefährtin. Und diese allerletzte Lebensgefährtin war tatsächlich in der Blüte ihrer Jugend das Vorbild für die literarische Schöne, genannt Sabeth in "Homo Faber".  

"Es stimmt nicht einmal, dass ich immer nur mich selbst beschrieben habe. Ich habe mich selbst nie beschrieben. Ich habe mich nur verraten." (Max Frisch, Montauk)

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