Dienstag, 27. September 2022

Normalhöhennullpunkte

Meldorf liegt auf 4,567 Metern "Höhe über NN". So zu lesen auf einer unverrottbaren Eisentafel am Bahnhof. NN meint eigentlich NHN - Normalhöhennull. Wojtek aus Bydgoszcz schreibt in einem Aufsatz über Henryk Sienkiewiczs (französisch-)schweizerischen Destinationen, in einem literaturwissenschaftlich völlig belanglosen Nebensatz, dass es zu den helvetischen Eigenheiten gehöre, Bahnstationen mit Höhenangaben zu versehen (er belegt seine Behauptung mit Fotos, denn er ist dem Dichter im wahrsten Sinne des Wortes nachgestiegen), so zB Altitude Bex 414, Les Villars 1256, Lex Caux 1054 m. Mich reizte dieser nebensächliche Nebensatz zum Widerspruch. Ich schickte ihm ein Foto unserer Meldorfer Eisentafel. Auch in Dithmarschen gibt es Höhenangaben an den Bahndämmen. Obwohl sie, nun ja, im Vergleich zu den Alpen eigentlich vernachlässigbar sind. Ich machte mir aber die Mühe, das NN für Wojtek ins Polnische zu übersetzen. Worauf er mir freudestrahlend antwortete, ich hätte ihm die Augen für ein ihm bisher gänzlich unbekanntes Phänomen geöffnet, nämlich das der diversen Nullen bzw der für die Nullen ausschlaggebenden Referenzpunkte. So war NN (oder auch NHN) im Europa des 19. Jahrhunderts keineswegs einheitlich. Meine Meldorfer Normalhöhe lehnte sich an das Berliner Observatorium an, das sich wiederum auf die Nordsee, genauer: den Pegel des Amsterdamer Hafens bezog. Für Österreich war das zuviel des Guten im Westen, sie richteten sich nach Triest, an die Adria. Russland (und damals auch Kongresspolen) hielt sich an den Kronstädter Pegel vom Finnischen Meerbusen. Die Schweiz (auch Lichtenstein, Anm JA), schreibt der Pole Wojtek, habe den interessantesten Referenzpunkt: die Pierres du Niton am Genfersee. Zwei erratische Felsblöcke! Die sich aber wiederum an Marseille und dem Mittelmeer orientierten. Jeder hatte damals seine eigene Null, sein eigenes Meer, seine eigene Referenz. Und heute ... ? Nun ja. Heute sind die Nullen das kleinste Problem.

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