Mittwoch, 18. Mai 2022

Schnüerlischrift

Ein Wort aus dem Einsingenumneun. Obwohl da gesungen und nicht geschrieben wird. Aber eben verbunden. Verbunden singen, kein mit dem Beil abgehacktes staccato. Sondern elegisches legato. Ich kann mich nur dunkel daran erinnern, wie meine Schreibsozialisation vonstatten ging. Klar mussten wir Kinder damals, als ich Kind war und eingeschult wurde, zuerst die sogenannte Druckschrift lernen. Wir schrieben in Druckbuchstaben, vereinzelt und unverbunden. Dass diese Druckbuchstabenschrift Steinschrift genannt wurde, habe ich nie gehört. Aber das besagt in meinem Alter gar nichts. Erst im zweiten Schritt oder in der zweiten Klasse, auf der zweiten Stufe (im Treppenhaus, ich glaube die Klassenzimmer lagen tatsächlich hierarschisch in dem altehrwüdigen Schulhaus übereinander), durften wir verbunden schreiben. Das war dann die Schulschrift oder im Volksmund Schnüerlischrift. Sie zog sich wie am Schnüerli (kleine Schnur) gezogen durch die Aufsatzhefte. Auch an dieses Wort kann ich mich nicht erinnern. Aber an die Schlagschrift! Bald lernte ich nämlich mit Schlagkraft schreiben - und gab das entgegen aller technischen Weiterentwicklungen nie wieder auf! Mein Vater befand, dass ich einen Schreibmaschinenschreiblehrgang absolvieren sollte, das Schreibmaschinenschreiben würde mir bestimmt einmal im Leben nützlich sein. Wie recht er doch hatte! Und so lernte ich das sogenannte Zehnfingersystem, mit Hilfe eines ohrenbetäubenden Metronoms, im Stechschritt wie auf dem benachbarten Kasernenareal. Heute ist das Zehnfingerschreiben altmodisch und obsolet. Das Smartphone beherrscht die Daumen- und Zeigefingerschrift. Sowie die automatische Wort- und Satzergänzung. Was normalerweise in einem Kommunikationsdesaster endet. Ich glaube, wir sind angehalten, s'Schnüerli loszulassen und zu verblöden.

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