Montag, 28. Februar 2022

Horizonterweiterung

Ich wollte nach Marne zur Probe fahren, zur Konkurrenz. Aber ich fahre nach Nindorf zum Tierarzt, den verletzten Kater im Gepäck.

Heute ist Rosenmontag und Marne ist der einzige Ort in Dithmarschen oder in ganz Schleswig Holstein, der eine aktive Karnevalsgesellschaft beheimatet. Unter normalen Umständen hätten heute anstelle der Chorprobe der Karnevalsumzug und die Prunksitzungen stattgefunden. Die Karnevalssession wurde aber pandemiebedingt zum Schutz aller Beteiligten vor Wochen schon abgesagt und die Probe aufgrund des abgesagten bunten Treibens angesagt. So funktioniert das Schaukelpferdprinzip. Steigt die eine Seite hoch, muss die andere nach unten fallen. Und umgekehrt. 

Ich habe meinen bissigen Vierbeiner schon den ganzen Tag mit Notfalltropfen beruhigt, die Wunde über dem Auge ist angeschwollen und eitert. Trotzdem muss ich ihn nun leider mit leichter Gewalt überlisten, gegen seinen Willen, aber natürlich nur zu seinem Besten, den Transportkorb zu besteigen.

Sonntag, 27. Februar 2022

Gebetsfahnen

Es war Zeit für eine Neuauflage im Garten. Und das Wetter ist heute freundlich, obwohl der Wind bissig von Südost kommt. Die tibetischen Gebete mögen helfen oder nicht, sie schaden auf keinen Fall. Sogar die alten, vom Sturm zerfetzten lass ich hängen für die bereits wild gewordenen Meisen, Amseln und Spatzen. Die sind fleißig, emsig, ruhelos. Bauen Nester. Auch die Elstern und Dohlen. 

Die schwierigste Aufgabe im Leben sei "not to give up" sagte der Zenmeister Thich Nhat Hanh. Not to loose the hope. Not to be overhelmed by despair. Er sagte das im Zusammenhang mit einem der Vietnamkriege. Ein Dorf, erzählte er einer Schar vor ihm versammelten Jugendlichen, hätten sie sechsmal wieder aufgebaut. Es sei immer wieder zerstört worden. Hab ich das schon erwähnt? Und dann zitierte er Buddha: Buddha sais everything is impermanent. Everything should end some day. 

Auch der schlimmste Krieg. Und dann muss das Dorf ein siebtes Mal wieder aufgebaut werden.

Samstag, 26. Februar 2022

Raufbold

Herr Caruso passt sich der Weltlage an und prügelt sich mit Herrn Baron, seinem ebenbürtigen schwarzen Nachbarn. Er kommt mit einer üblen Blessur über dem linken Auge zum Frühstück nach Hause. Mal sehen, was daraus wird. Erstmal legt er sich aufs rechte Ohr.

Freitag, 25. Februar 2022

Heulen und Zetern

Wer nun kräht, der böse Bub habe gelogen, und mit dem eiskalten Finger auf ihn zeigt, hat in diesem Spiel nichts verloren. Wer darauf hofft, dies sei der letzte Streich des bösen Buben gewesen, ist nicht nur naiv, sondern sollte dringend den Beruf wechseln. Zum Schutz von uns allen.

Ich habe schon vor Wochen irgendwo im Internet den Satz aufgeschnappt, dass der neue Grünen-Co-Vorsitzende quasi bereits allzeit bereit stehe. Ich kenne den Spruch aus meiner Kindheit, von den Pfadfindern: be prepared, sei allzeit bereit, Pflichten zu übernehmen. Bei den Pfadfindern sind es die pfadfinderischen Pflichten, ergo logischerweise bei den Politikern die politischen. Die Grünen sind also auf höchster Ebene gewappnet auf Personalrochaden. Das fand ich damals, als mir dieser Satz so mir nichts dir nichts und völlig unverschleiert im ganzen Netznachrichtensumpf entgegenschwappte, ziemlich erstaunlich.

Heute macht dieser Satz hellhörig. Die Vorzeichen haben sich verändert, das Tempo hat zugenommen, die Halbwertszeit abgenommen. Die Welt ist schlecht, aber das war sie immer schon.

Donnerstag, 24. Februar 2022

Heute

Wer sagt, wir seien heute in einer anderen Welt aufgewacht, hat die Zeichen von gestern nicht verstanden.

Mittwoch, 23. Februar 2022

Die Huttuisierung

"O mein Heimatland!" - dies ist der Titel eines Buches von Adolf Muschg, erschienen 1998 zum Jubiläumsjahr, zum 150 jährigen Bestehen des schweizerischen Bundesstaats. Untertitel: "150 Versuche mit dem berühmten Schweizer Echo!"

"Olala mein Heimatland" - dies ist der Titel eines Buches von Fernand Rausser, erschienen 1987, weniger bekannt als Muschg, weniger literarisch als Muschg, weniger prägnant als Muschg. "Ein buntes Mosaik", sagte die Werbeabteilung des Verlags damals (vor 35 Jahren!), "aus Fotos, Collagen, Cartoons und Texten." Der Autor und eine "Schar Kinder halten den Schweizern (sic!) einen Spiegel vor". 

"O mein Heimatland! O mein Vaterland! Wie so innig, feurig lieb ich dich! ..." rief Gottfried Keller im Gedicht: "An das Vaterland" (vor 1846)

Nun droht dem Heimat- oder Vaterland die Huttuisierung, resp. Schriftdeutsch: die Huttwilisierung. Huttwil ist ein Kaff im Kanton Bern. Aus eigener Anschauung (eher Anhörung) weiß ich, dass die Huttwilerinnen und Huttwiler den Namen ihres beschaulichen Blumenstädtchens im Oberaargauischen Bernbiet und unterem Emmental anders aussprechen, als er geschrieben wird: Huttu. Ich kenne Huttu nur aus der Perspektive der Eisenbahn, also als Huttwil in der Lautsprecherdurchsage im Waggon und dann vor dem Fenster auf dem Bahnhofsschild. Für mich hat Huttwil eine große Symbolkraft, es ist die Magische Grenze, der Eingang ins Fölmliland.

Ach, mein Mutterland. Ich nehme an, dass die Leute aus Huttu (bei Gottfried Keller sind es die Leute aus Seldwyla) das neue Prädikat, mit dem der Ort, an dem sie leben, nun ausgezeichnet wird, genau so aussprechen: Huttuisierung!

Dieses (Un)Wort Huttwilisierung meint eine gwisse Verhunzung oder Verschandelung der Heimat, nämlich den Bau von überflüssigen Wohnungen fernab der eleganten hotspots oder inplaces, weit weg von den hochpreisigen Metropolen des Landes. Also Bauboom in den tiefsten oder höchstgelegenen Provinzen, in einem Hinter- oder Oberland wie Huttu. Oder in Kellers Seldwyla. Die Huttwilisierung ist mittlerweile leider, lese ich, schweizweit verbreitet. Angeblich entstehen täglich 1000 neue Wohnungen im Goldvreneliland, die niemand braucht und niemand will. Nur die Banken! Und ihre billigen Kredite. Mit anderen Worten: Die Negativzinspolitik der Bundesbank.

Dies ist das Ende meiner (erneut ungezügelt ausgebrochenen) helvetischen Trilogie, ich verspreche es hoch und heilig!

Dienstag, 22. Februar 2022

Das schärfste Instrument

Zufällig höre ich im Radio einen Rechtsphilosophen sprechen, nicht über Politik und nicht über Wirtschaft sondern über Sterbehilfe. Ein Satz aber hat allgemeines Schwergewicht: "Die Strafdrohung", sagt er wörtlich (ich habe nochmals nachgehört und stenografiert), "ist das schärfste Instrument des Staates gegen seine Bürger." 

Das sitzt. Deshalb haben sich keine Schweizer Journalisten an den Recherchen zu den "Suisse Secrets" beteiligt. Weil es in der demokratischen Schweiz ein Verbrechen ist, über geleakte Bankdaten zu berichten. Ganz egal, wieviele Verbrecher Kunden oder Mitarbeiter bei Schweizer Banken sind, es ist das größere Verbrechen, darüber zu schreiben. Die Strafdrohung - ich zitiere nochmals den Rechtsphilosophen: "das schärfste Instrument des Staates gegen seine Bürger." - hängt über den Personen, die redlich ihren Beruf ausüben, Journalisten beispielsweise, die im öffentlichen Interesse recherchieren und ggf Daten publizieren, die sie über Dritte erhalten haben müssen, die wiederum das Bankgeheimnis verletzt haben könnten. Vulgo: Datenklau. Die Strafdrohung trifft nicht die Bank und nicht ihre Kunden, so verbrecherisch sie auch sein mögen. Die Strafdrohung trifft die Pressefreiheit.

Nun denn, Ihr tapferen Rütliverschwörer!

Montag, 21. Februar 2022

Die Geräusche des Tages

Sie kamen schon gestern abend. Antonia mit weniger geballter Wut als ihre Vorgängerinnen. Aber mit sehr viel mehr Regen. Eigentlich ist heute bereits Bibi an der Reihe. Bis aber die Unwetterprinzessinnen aus dem Alphabet hier am Wattenmeer antanzen, dauert es eben. 

Und die "Suisse Secrets" - die Enthüllung der Schweizer Geheimnisse, der schmutzigen Milliardengeschäfte der Crédit Suisse, einer der größten Banken des Goldvrenelilandes. Ihre Beziehungen zu mehr als "dubiosen" Kunden. Ja, es ist dieselbe Bank, die kürzlich den chinesischen Künstler Ai Weiwei rausgeschmissen hat. Angeblich aus formalen Gründen, wie die CS damals auf hartnäckige Nachfragen mitteilte, die Bank dürfe nämlich keine Geschäftsbeziehungen mit "verurteilten" Kundinnen und Kunden unterhalten. Die immer noch unzufriedenen Journalisten fanden dann heraus, dass es so eine Regelung bei der CS gar nicht gibt - ganz abgesehen davon, dass Ai Weiwei von sich sagt, er sei nie strafrechtlich verurteilt worden. 

Aber Ai Weiwei hat in einem Interview die Schweiz als "scheinheiligsten Staat" der Welt bezeichnet.

QED! Quod Erat Demonstrandum durch die nun international öffentlich gemachten "Suisse Secrets": dass es in der Schweiz wimmelt von Scheinheiligen und Scheinheiligkeit, dass die Crédit Suisse Gelder von Schurken, Kriminellen, Umstrittenen, Korrupten, Bossen und Tyrannen verwaltet.

https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/suisse-secrets-105.html

Sonntag, 20. Februar 2022

Ortgang

Viel einzusammeln gibt es nicht. Die dürren Äste sind nach den Attacken der beiden letzten Unwetter-Damen aus dem ersten Durchlauf des Tiefdruckalphabets des Jahres 2022 (weibliche Vornamen auf X, Y, Z sind wahrlich selten) alle unten. Wieder ein Tag der Ruhe und des Regens zum Luftholen und Drinbleiben für uns Innerirdische. Der Nachbar sammelt mehrere herabgefallene Windbretter oder Windfedern oder Ortbretter oder Ortgangbleche oder Zahnleisten ein. Ich kann die Dinger nicht unterscheiden und lerne ein paar neue Wörter aus dem Zimmermannsalphabet: der Ortgang ist der Dachrand an der Giebelseite eines Hauses. Der Ortgang ist das Ende der Begehbarkeit [der Dachfläche, für den Dachläufer], nach germanisch Ort für Spitze, Kante Ecke und Gang wie gehen. Der Ortgang schließt das Dach dort ab, wo das Dach besonders verletzlich ist, wo Dachstuhl, Dachhaut und Giebel zusammentreffen. Um die Dachkonstruktion vor Schäden durch Sturm oder Regen zu schützen, wird deshalb der Ortgang verschlossen. Mit o.g. Wörtern aus Nachbars Garten oder speziellen Ortgangziegeln, mit Schiefer, Stahlblech oder einer kunstvoll verzierten Holzleiste.

Samstag, 19. Februar 2022

Die Geräusche der Nacht

Nach der Stille toben die Elemente. Die Flut läuft etwa drei Meter über normal auf bei uns an der Meldorfer Bucht. Aber ich liege in meinem warmen Bett und versuche die Geräusche der Nacht zu verstehen. Mein unerschrockener Kater treibt sich wie immer draußen herum.

Freitag, 18. Februar 2022

Stille

Es ist so still, dass ich aus dem Schlaf hochschrecke. Wo ist der Sturm hin? Wo ist mein Dach hin? Hat es den Furien als Trampolin ausgedient? Herr Caruso wartet unten im Flur höflich auf sein Frühstück. Er ist erschöpft, weil die unerwartet eingetretene Nachtruhe am Nachthimmel ihm viele Nachtabenteuer auf Erden beschert hat. Er jubiliert vor Begeisterung, dass ich schon so früh auf meinen zwei Beinen bin, frisst andächtig, putzt seinen Napf blank, holt sich noch eine kleine Streicheleinheit bei mir ab, springt dann aufs rote Sofa, rollt sich zusammen und ist weg, eingeschlafen. Er hat ganz vergessen, um Nachschub zu betteln.

Ich warte auf den Sonnenaufgang. Vor dem Regen und vor der bereits unruhig trappelnden Zeynep ist ein brennender Horizont angekündigt.

Donnerstag, 17. Februar 2022

Wetter

Das Wetter ist, wie es ist. Die Namen sind in Deutschland käuflich, jede/r kann sich um eine Wetterpatenschaft bewerben. Wie auf einer Auktion. Die ausgelosten Namen kommen dann alphabetisch und paritätisch daher. In einem Jahr sind die Tiefs weiblich und die Hochs männlich (zB 2022), im nächsten (zB 2023) ist es umgekehrt. Xandra, Ylenia und Zeynep sind die drei letzten weiblichen Vornamen für den ersten Durchlauf der Tiefdruckgebiete des erst eineinhalb Monate alten Jahres! Schon ein ganzes Alphabet verbraucht. Heute fängt bereits der zweite Durchlauf an mit Antonia ...  

Zeynep übrigens soll der derzeit beliebteste Mädchenname in der Türkei sein, nach der Enkelin des Propheten Mohammed.

Mittwoch, 16. Februar 2022

Ylenia

Der Vollmond trat wie üblich mit dem Sonnenuntergang über den Horizont. Aber der Himmel zeigte ihn nicht, finster und versteinert. Seither dreht der Sturm auf und der Regen peitscht an meine sauberen Fenster. Ylenia - die Strahlende! Schöne! Sonnenhafte! - kommt mit Orkanböen bis Bft 12. Mehr geht fast gar nicht. Die Fenster vor drei Tagen zu putzen, war zwar überfällig. Und trotzdem überflüssig. Ein Blick auf K-Wetter hätte mich zur Räson rufen müssen. Nun denn. Verpasste Chance. Uns erwartet eine schlaflose Nacht. Es knallt und donnert wie an Silvester. Es ist aber Ylenia, die ungehobelt trampelt und Dächer und halbe Bäume mitnimmt. Die Sturmflut läuft auf, in einer Stunde ist Hochwasser. Der Kater war noch einmal kurz auf Streife und kommt gerade zerzaust wieder, rechtzeitig zum Vormitternachtsmahl.

Dienstag, 15. Februar 2022

Buddleja

Natürlich habe ich einen Kater. Den ganzen Tag schon. Wie früher am Tag danach. Am Tag nach dem Konzert. Obwohl ich gestern keinen Ton gesungen und keinen Tropfen getrunken habe. 

Und ich habe meinen Kater, Herrn Caruso. In der Apotheke hole ich 3 Dosen Hustenbonbons mit demselben Namen ab. Ich musste sie bestellen. Sie sind altertümlich verzuckert. Auf dem Rückweg kaufe ich vorsorglich Katzenfutter. Wer weiß, wann ich wieder aus dem Haus komme. Zurück im Garten pflanze ich ein Weihnachtsgeschenk endlich in die Erde, die gelbblühende Buddleja, die natürlich noch nicht blüht, aber die kurzen Tage im Topf seit den Festtagen unbeschadet überstanden hat. Sie treibt grün aus. Also muss sie nun in die Erde. Und ich muss mich beeilen. Regen zieht auf. Wind zieht an. Die Sonne geht unter. Mein tibetischer Mönch wartet am anderen Ende der Welt. 

Den Kater über das plötzliches Ende als Heider Chorsängerin besänftige ich mit den bitteren Hustenbonbons. 

Mein Kater hat gefressen und ist friedlich, legt sich mir zu Füßen, putzt sein glänzendes Fell. Ein Prachtskerl! Ich bin gestern Abend gegangen, ehe die eigentliche Chorprobe, das Singen begann. Nein, ich kann jetzt nicht singen, war mein Abschiedssatz. Nein, ich bin keine Heldin. Nein, ich habe keinen Husten. Ich habe einen Kater und meinen Kater und bin eine Heidin. Ich erdreiste mich jeden Morgen bei Sonnenaufgang, den Himmel von der Erde zu trennen.

Montag, 14. Februar 2022

Genisa

Orthodoxe Juden dürfen Schriftstücke, die den Namen Gottes enthalten oder einen Bezug zu diesem herstellen, nicht wegschmeissen, nicht dem Papierwolf füttern oder der blauen Tonne übergeben. Buchstaben und Wörter haben eine besondere Energie im Judentum. Alle ausgedienten liturgischen und "heiligen" - auch die unheiligen, falls sie auch nur ein heiliges Wort beinhalten  - Texte werden an einem speziellen Ort aufbewahrt, in der Genisa eben. Oder sie werden wie Menschen bestattet - mit allem, was dazu gehört. Religiöse Texte könnten auch wiederauferstehen, behaupten einige Eiferer, wie die Gläubigen bzw deren unsterbliche Seele.

Ich habe alle Noten eingesammelt, die mir nicht gehören. Die trage ich heute abend nach Heide zurück und übergebe sie dem Kantor, der uns verlässt, damit er sie ins Archiv zurücksortiert. 

Sonntag, 13. Februar 2022

Morgenfenster

Gestern vormittag, beglückt und berauscht vom Chi, das ich an der Südermiele bei Sonnenaufgang am Rande des Erfrierens in mir aktiviert hatte, musste ich die Morgenfenster putzen. Um den Blick über dem Schreibtisch frei zu bekommen. Im Hintergrund im Radio lief Klassik-pop-et cetera. Mit David Wagner. Einem "Wagnerianer" (Zitat aus der Sendung) also. Hochspannend. Vor ein paar Wochen sass in derselben Sendung am Mikrophon die Autorin des meistverkauften Buches des letzten Jahres. Niedrigspannend. Die stellte Musik vor, die sie zB auf dem Pferd hört, wenn sie durch die Brandenburger Weiten reitet. Oder den Song, den sie "im Ohr" hatte, als sie ihr Neugeborenes durch die Potsdamer Fußgängerzone aus der Klinik nach Hause schob. Ganz anders der Wagnerianer. Der selbst Musik macht und so Musik begreift. Aber hört selbst, ein paar Tage dürfte es noch möglich sein.

Im letzten Jahr war Guy Bovet mein Star, den hört ihr nicht mehr. Und das ist gut so, denn nicht alles soll bis in die Unendlichkeit hinein reproduzierbar bleiben.

Am Nachmittag putzte ich dann noch das Mittagsfenster von außen und hörte zu, was die Amseln und Meisen zu berichten hatten. Sie beklagten sich darüber, dass die Eichhörnchen das Vogelfutterhäuschen besetzt hielten. Ich versprach Abhilfe. Die Räumung. 

Samstag, 12. Februar 2022

Morgenqigong

Endlich wieder einmal ein Sonnenaufgang. Es ist klirrend kalt. Aber die Kälte hab ich schon gestern abend gespürt. Ich fahre in die Feldmark und absolviere mein Qi Gong am Morgen. Vier Übungen im Stehen, immer schön ein- und ausatmen, möglichst nicht denken und immer lächeln. Plus ein bisschen Aufwärmen davor und ein bisschen Massage danach.

Das was der buddhistische Mönch am anderen Ende der Welt somewhere at the ocean hier vormacht.

Freitag, 11. Februar 2022

Menschenkette

Menschenkette versus Lichterkette. Wir stehen stumm um den Dom, auf Abstand, mit Mützen und Masken. Die Schals haben wir abgenommen und halten sie an den Händen. So bricht die Kette nicht ab.

Die andern tauchen aus dem Nichts aus, mit Lichterketten um den Hals, ohne Maske, ohne Abstand, spazieren und trauen ihren Augen nicht, es verschlägt ihnen im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache, dass da rund um Dom herum schon welche stehen.

An der Süderseite bildet sich bereits eine zweite Reihe. Die Spaziergänger werden auch mehr. Es ist kalt und die Verachtung auf beiden Seiten tief wie der Burggraben.

Donnerstag, 10. Februar 2022

... geht's los!

Der Regen ist zurückgekehrt. Eigentlich ist er nie gegangen. A cloud never dies, sagt Thich Nhat Hanh. Den Kindern erklärt er, dass die Wolke sich entweder in Regen, Schnee oder Eis verwandle. Also auch im Tee oder Kaffee oder im Speiseeis sitze. Sie sollten dann mal gucken, beim nächsten Mal, im nächsten Sommer, beim nächsten Eis am Stiel oder im Becher, wo die Wolke hocke. Denn dann wird sie verschluckt. Und sitzt fortan in unserem Bäuchen. Bis ... Der Mond nimmt schon wieder zu.

Mittwoch, 9. Februar 2022

Auf los ...

Unser Heider Kantor wirft das Handtuch. Er ist jung, begabt, selbstsicher. Will etwas erreichen in seinem Leben. Die Heider Kantorei ist heimatlos, weil die Heider Kirche umgebaut wird, die alte Heider Orgel herausgerissen und nach Süden verkauft wurde und für eine neue Heider Orgel immer noch Geld von den Heiderinnen und Heidern gesammelt wird. Wir, die Sängerinnen und Sänger der Heider Kantorei gucken tatenlos zu, sind ruhelos, denn singen dürfen wir seit fast zwei Jahren mehr oder weniger nicht. Proben finden nur unter besonderen Umständen statt, mit weniger Leuten und größeren Abständen, im Sommer draußen auf der zugigen Wiese, im Herbst drinnen bei durchgehend geöffneten Fenstern, mit diversen G's, plus oder minus, Test oder Ausweis. Eingangskontrollen! Eine vertrackte Situation. Nun schreibt der Kantor uns an, uns derzeit Inaktive, einst Aktive aber auch Ehemalige Mitglieder seines Chores, und teilt mit, die Chorstrukturen seien "zerrüttet". Ich zitiere das absichtlich umständlich in einer nicht zweideutigen Deutlichkeit. Und die Gesellschaft rund herum, schreibt der Kantor weiter - und ich bin nicht sicher, was er damit genau meint, die Gesellschaft rund um die Baustelle auf Norddeutschlands größtem Marktplatz? oder die Gesellschaft überhaupt, die vielleicht noch nie von dieser kleinen Kirche auf dem großen Marktplatz gehört hat, die gerade stumm und orgellos vor sich hin döst - habe sich so entwickelt, dass er und seine Frau und die beiden Kinder nicht mehr ruhig schlafen können. Und Schaden nehmen. Also gehen sie weg. Die ganze junge Familie wandert aus. In ein gelobtes Land.

Und wir? Frage ich. Ziemlich verstört. Bleiben verlassen zurück.

Und ich? Ich bin nun frei und werde mir endlich einen lange und lang gehegten Wunsch erfüllen!

Montag, 7. Februar 2022

Wörter

Beim Frühstück war ich gestern stehen geblieben. Und heute komme ich zur Mittagessenszeit mit dem Eierköpfer. Der gute alte Löffel hat ausgedient, mein (zerbrochenes) Buttermesser sowieso. Der ultimative Eierschalensollbruchstellenverursacher ist das ideale Geburtstagsgeschenk. Mein Geburtrstag liegt zum Glück in weiter Ferne! Der Wunsch nach einem kontrolliert sauberen Durchtrennen der Schalen weichgekochter Bruncheier ist so alt wie das Eieressen selbst. Den ersten Patent-Eieröffner gab es um die Jahrhundertwende - vom 19. ins 20. wohlbemerkt. Und das Sollbruchstellendingsbum erfand eine Designagentur etwa hundert Jahre später. Es ist dieselbe Firma, die den einst anonym vor meiner Haustür abgelegten Nussknacker erfunden hat. Für das Eierköpfen erfand sie ein hübsches Wort. Das kräftigt die Kau- und Lachmuskeln, trifft aber die Sache mE nicht. Es gibt keine Eierschalensollbruchstelle. Nach meiner langjährigen Erfahrung kann die Eierschale an jeder beliebigen Stelle brechen, ganz unabhängig davon, ob das Ei in der Schale gekocht oder roh ist, ob die Schale grün, weiß, braun oder (bald ist wieder Ostern) bunt gefärbt ist. Es ist offenbar eine der Ursehnsüchte der Menschheit, am Frühstückstisch die Eierschalenwunschsollbruchstelle zu finden. Und ihr dann einen Verursacher zur Seite zu stellen.

Sonntag, 6. Februar 2022

Zahlen

Gute Zahlen sollen die 1, die 3 und die 4 sein. Die sind nun zumindest für diesen Monat bereits vorbei. Am letzten 1. hat das Jahr des Wassertigers erst angefangen, und am nächsten 1. fängt bei uns bereits der Frühling an, und zur 1 gesellt sich dann die 3. Also nicht verzagen. Erstmal frühstücken.

Samstag, 5. Februar 2022

Wegweiser

Wegweisende Himmelsrichtungen, lese ich, seien Süden, Norden und Osten. In diesem Wassertigerjahr. Also alle, außer Westen. Meine Lieblingshimmelsrichtung. Ausgerechnet! Ich soll also in diesem Jahr des Wassertigers besser nie ans Wasser fahren, weil das Wasser nun mal von mir aus gesehen im Westen liegt?

Ich mache zum letzten Mal in diesem Winter live Qigong mit dem vietnamesischen Mönch im blue cliff monastery in New York. Der sagt immer dann, wenn ich in meinem Zimmer im Osten vollkommen außer Puste bin: "that's wonderful!" und lächelt sein beseeltes Lächeln. Diese neumodischen live-streams haben es an und in sich, dass sie live sind. That's wonderful, sagt der Zenmeister morgens um halb acht in die aufgehende Sonne hinein. Bei mir steht die Sonne im Zenit und er weist mich prompt zurecht: Don't think!

Freitag, 4. Februar 2022

Graublauweiß

Die Farben, die im Wassertigerjahr Glück verheißen sind blau, grau, weiß und orange. Bis auf orange sind das Farben, die der Himmel über dem Wattenmeer täglich für mich bereithält. Die (oder das?) Orange könnte ich, wenn es nicht so furchtbar kitschig wäre, als auf- oder untergehende Sonne in diesen graublauweißen Himmel pflanzen. Ein Farbtupfer im Nebelmeer. Ein Aufreger in der Elegie, eine Provokation im sturmgeplagten Februar.

Donnerstag, 3. Februar 2022

Ben Ming Nian

Ben Ming Nian  - 本命年 - nennen die Chinesen das Jahr des eigenen Tierkreiszeichens. Seit zwei Tagen befinden sich alle in einem Jahr des Tigers (also zB 2010, 1998, 1986, 1974, 1962 ...) Geborenen im Ben Ming Nian. Ich dachte bisher immer, das müsste höchstes Glück, wie für vom Schicksal Auserwählte bedeuten, vor allem für die 60-Jährigen, die ihre erste Runde vollenden. Aber dem ist offenbar gerade nicht so. Die Chinesen haben immer und für alles ein Hintertürchen. Ausgerechnet im Ben Ming Nian treibt Tai Sui, der mürrische Gott des Alters, sein Unwesen und plagt die durch Geburt mit dem aktuellen Tierkreiszeichen Verbundenen. Und da sollen die sich nun vorsehen. Indem sie zB das ganze Jahr hindurch etwas rotes tragen. Rote Unterwäsche. Oder ein unauffälliges rotes Bändchen im Haar oder am Handgelenk. Oder sich mit Jade behängen (Jade ist für alles gut). Oder Möbel rücken. Um Tai Sui "hinter sich zu lassen", also ihm nie von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Dazu muss man aber wissen, wo der (nicht wirklich am Sternenhimmel existierende) Tai Sui sich gerade befindet. Ich lese - und erschrecke nicht schlecht - dass 2017, in "meinem" Jahr des Hahns, Tai Sui im Westen stand. Ich hätte also mein Bett, meinen Schreibtisch, meine Badewanne, meinen Kochherd, mein ganzes Sinnen und Trachten nach Osten ausrichten sollen ... und bin bestimmt im Sommer 2017 jeden Tag nach Westen ans Meer gefahren!

Mittwoch, 2. Februar 2022

Weihnachtsende

Bei den Christen endet heute die Weihnachtszeit. Die Weihnachtskrippen werden nun eingepackt und auf den Dachboden gestellt. Im Kirchenjahr wird heute das Fest der Darstellung des Herrn gefeiert, im Volksmund Mariä Lichtmess. Wir mussten uns als Kinder mit brennenden Kerzen am Hals vom Pfarrer segnen lassen. Das half angeblich gegen Erkältung und Grippe. Heute verzichte ich auf den geistlichen Beistand und reibe zum selben Zweck in meiner Küche Knoblauch und Ingwer, kippe Zitronensaft und Honig darüber und lasse es ziehen. Genieße es in homöopathischen Dosen und bewahre mir wochenlang ein gutes Gefühl auf der Brust. Andernorts heißt der Tag Groundhog Day. Murmeltiertag. Dachs- oder Bärentag. Zu Ehren aller Winterschläfer, die vorsichtig aus ihrem Bau gucken und sich vielleicht sogar herauswagen. Folgt ihnen ein Schatten, scheint die Sonne. Sie dürfen sich aber trotzdem getrost wieder an ihren Schlafplatz verziehen und noch vier Wochen weiterträumen. Also ein Lostag wie die Eisheiligen oder der Siebenschläfer. Heute fällt das Los auf das Wetter von morgen oder übermorgen. Ich habe meinen Schatten bereits ausgeführt zum Sonnenaufgang. Und Herr Caruso erwartet mich deutlich übermütiger als in den letzten Wochen.

Dienstag, 1. Februar 2022

Wasser-Tiger

新年快乐! happy new year! Der Neumond ist da und das Jahr des Wasser-Tigers hat begonnen. Es wird am 21. Januar 2023 enden, ist also ein für unsere westliche Begriffsstutzigkeit zu kurzes Jahr. Was es bringt, dazu befragt man am besten die chinesischen Astrologen (die sagen turbulent, konfliktreich, Tiger-Menschen gelten ihnen als angriffslustig, aufbrausend, unberechenbar, sie, die Astrologen hoffen auf die dämpfende Wirkung des Wassers). Mein Gewährsmann verrät soviel: der Tiger ist Yang, sogar sehr Yang und das Wasser Yin, sehr Yin, sogar Ren Yin in diesem Jahr. "Ob der herrische Tiger davon beruhigt wird oder eher irritiert, bleibt abzuwarten." Oh happy new year! Der Neumond ist da und das Jahr des Wasser-Tigers hat begonnen. 新年快乐!