Donnerstag, 20. Dezember 2007

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Restadvent

Gleich verlassen wir unsere Häuser und begeben uns auf den Meldorfer Bahnhof. Bis Samstag sind wir auf der Donau und wünschen allen einen ebenso friedlichen Restadvent.

Montag, 17. Dezember 2007

Die Fersenentlastungsschuhe

Der Tischler, der unsere Bücherschränke baut, stürzte von der Leiter und brach sich beide Fersen. Nun liegt er mit hochgelagerten Beinen im Krankenhaus. Wie gut, denke ich, dass er sich wie eine Katze auf die Füße fallen ließ und nicht auf dem Rücken oder Hinterkopf gelandet ist. Nun wird er in den nächsten Wochen, ja Monaten nicht auf den eigenen Füßen stehen können, aber irgendwann, wenn die knöchernen Abrisse im Bereich des Achillessehnenansatzes mit einer Spickdrahtosteosynthese oder einer Schrauben- bzw. einer Zuggurtungsosteosynthese oder einer Spongiosaplastik sowie einer Plattenosteosynthese versorgt sind, und die Schmerzen die Bruchenden verlassen haben, wieder auf die Beine kommen. Unser Wohnzimmerdurchbruch bleibt derweil weiterhin im unverkleideten Rohzustand, ich kann täglich aufs Neue die Dicke der früheren Brandmauer bestaunen und mir Gedanken darüber machen, was wäre, wenn der Maurer keine Stahlträger über der Wandöffnung eingemauert hätte. Wenn das Mauerwerk nicht fachgerecht eingeschnitten, der Schotter nicht entfernt, der Türsturz nicht verputzt worden wäre. Natürlich sind solche Gedanken müßig. Die Öffnung ist funktional – wir gelangen ohne zu stolpern und ohne von den oberen Stockwerken erschlagen zu werden von einem Haus ins andere.

Belastungsunfähigkeit ist das Zauberwort. Es steckt in den schmerzenden Fersen unseres Tischlers und steht gegen die Belastungsfähigkeit der beiden Stahlträger IPB 140 am neuralgischen Punkt unserer Häuser, über der weit offenen Verbindung. Die Beweglichkeit im Gelenk zwischen Sprungbein und Fersenbein ist an beiden Füßen des Tischlers aufgehoben. Wahrscheinlich sind beide Rückfüße angeschwollen, die Fersenregion an beiden Füßen verbreitet, womöglich haben sich an beiden Füßen Blutergüsse ausgebildet. Das Fußgewölbe, die wichtigste Stütze unseres Knochenapparates, ist ein ähnliches architektonisches Kunstwerk wie die Kuppel des Petersdoms in Rom. Die Fußgewölbe des Tischlers, der unsere Schränke baut, sind an beiden Füßen abgeflacht und tragen ihn nicht mehr durch die Welt.

Unser Tischler hat beim „pausieren“ prominente Kollegen. Der tränenreiche Dopingsünder Erik Zabel fiel im Oktober 2004 von der Leiter in seinem Haus, brach sich das linke Fersenbein und konnte nicht am Weltcuprennen Paris-Tours teilnehmen. Die Zermatterin Fränzi Aufdenblatten brach sich im März im Südtirol beim ersten Skitest mit Rossignol das rechte Fersenbein, steht aber mittlerweile wieder auf den Ski, unvernünftigerweise wieder auf Rossignol. Der Erfurter Radprofi Sebastian Lang, erlitt am 22. Mai auf der zweiten Etappe der Katalonien-Rundfahrt bei einem Sturz einen Fersenbruch, nachfolgend bildeten sich Einblutungen in das Knochengewebe, so dass er die Saison hauptsächlich zu Hause auf dem Sofa verbrachte. Der „Fersenbruch“ ist aber auch eine Straße in Gelsenkirchen.

Ob Ortsteil, Trümmerbruch, unkomplizierte Gelenkfraktur, komplizierter Bruch mit bedeutsamen Stufenbildungen in den Gelenkflächen oder Entenschnabelfraktur – die Sache zieht sich hin. Sicher ist, dass der Tischler bis zur absehbaren Wundheilung die Beine hochlagern muss. Und danach darf er jedes betroffene Bein einer Teilbelastung von höchstens zehn bis fünfzehn Kilogramm aussetzen. Dazu gibt es Gehbügelentlastungsapparate oder Fersenentlastungsschuhe. Wie die funktionieren, weiß ich nicht. Das werde ich mir vom Tischler erklären lassen, wenn er die Schiebetüren in unseren Wohnzimmerdurchbruch einbaut.

Donnerstag, 13. Dezember 2007

Die Dritte Frau. Die Vierte Sprache

Ich bin Auslandschweizerin und habe mit der Politik meines Heimatlandes wenig am Hut. Dennoch übe ich seit Jahren aus der Ferne postalisch träge mindestens vier mal im Jahr mein Stimmrecht im Halbkanton Basel-Stadt aus – bis vor kurzem, im Oktober 2007. Zum ersten Mal, seit ich stimmmündig bin, zerriss ich die Wahlunterlagen. Die Fetzen übergab ich unserer neuen himmelblauen, umweltgerechten Papiermülltonne. Und fühlte mich erleichtert. Ich hatte den Zirkus um Christoph Blocher und die SVP satt. Ich wollte mit einem Land, in dem schwarze Schafe gezüchtet und auf Wahlplakaten entlang der Autobahnen an den Pranger gestellt werden, nichts mehr zu tun haben. Was geht mich das noch an, sagte ich mir, schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr an die Wattenmeerküste. Dort grasen jahraus jahrein friedliche Schafherden auf dem grünen Deich. Ohne diese Schafe würde das Gras auf dem Deich nicht nachwachsen. Ohne dieses Gras würde der Deich nicht halten. Ohne diesen Deich würde die nächste Sturmflut uns wegspülen.

Mein Heimatland wurde gestern nicht von einer Sturmflut weggespült, dazu fehlt ihm die Nähe zum offenen Meer. Nein, das Alpenland wurde von einem politischen Erdbeben erschüttert. Seltsamerweise schlugen die seismischen Wellen bis nach Meldorf aus. "Blocher nicht wiedergewählt, Regierungskrise in der Schweiz", hörte ich am Nachmittag im norddeutschen Inforadio. Diese Meldung elektrisierte mich auf der Stelle, ja sie paralysierte mich für einen halben Tag und eine ganze Nacht. Zur Beruhigung bohrte ich drei Schienen für Kochlöffel uä in der Küche an. Kochte für meinen Mann. Telefonierte mit Schwiegermutter. Baute einen Schrank zusammen. Räumte das Schlafzimmer auf. Sortierte Wäsche. Und so weiter. Und so fort. Und schlief trotzdem schlecht. Mein Ausnahmezustand dauerte bis vor wenigen Minuten an. Bis ich vorhin Frau Widmer-Schlumpf im Internet rätoromanisch reden hörte. Endlich eine dritte Frau im Bundesrat. Endlich die vierte Landessprache im Bundeshaus. Endlich ein klares Ja.

Herr Blocher wird ab dem 1.1.2008 Alt-Bundesrat sein. Er drohte bereits heute damit, danach „Dreck“ aufzudecken. Und schnaufte vor Erregung. Die beiden gewählten SVP-Bundesräte, Herr Samuel Schmid und Frau Eveline Widmer-Schlumpf, würden von der Fraktion nicht getragen, beeilte sich der Fraktionschef der SVP vor der Vereinigten Bundesversammlung zu erklären. Die Schweiz hätte nun eine Mitte-Links-Regierung. Der Wählerwille sei missachtet worden. Die Partei, die im Oktober die Wahlen gewonnen habe, sei aus der Regierung ausgegrenzt worden.

In der Schweiz weiß niemand, ob der Wählerwille dem Volkswillen entspricht. Seit 1979 stieg die Wahlbeteiligung bei National- und Ständeratswahlen nie mehr über die 50%-Marke. Die SVP ging aus den Wahlen vom 21. Oktober 2007 mit 29% Stimmenanteil tatsächlich als stärkste Partei hervor. Die Wahlbeteiligung lag diesmal im schweizerischen Durchschnitt bei 48,3%. Im kantonalen Vergleich gab es enorme Unterschiede, so befanden sich der Kanton Uri mit 24,1% sowie der Halbkanton Appenzell Innerrhoden mit 21,1% am untersten Ende der Skala, die Kantone Schaffhausen (65%) und Wallis (59,8) hingegen am obersten (genaue Zahlen siehe http://www.politik-stat.ch/nrw2007CHwb_de.html).
Unter dem Strich heißt dies: die Mehrheit der stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer übt ihr Wahlrecht seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr aus. So auch am 21. Oktober 2007. 51,7%, zu denen auch ich mich zähle, wählten weder Herrn Blocher noch die SVP noch eine andere Partei oder einen ihrer Vertreter.

Ein gedemütigter Blocher ist wie ein verwundetes Tier. Gefährlich. Aber das war er eigentlich immer schon. Und eine dritte Frau ist eine dritte Frau. Und die vierte Sprache ist die vierte Sprache.

Montag, 10. Dezember 2007

168

W. erzählt mir am Abend im V, im Chinesischen würde sich die Zahlenfolge eins-sechs-acht (jiao-liu-ba) ungefähr so anhören wie „lasst uns verreisen“ (yao-lü-ba), weshalb viele Websites über Tourismus auf Chinesisch mit 168 als Kürzel benannt seien.

Wir sitzen im V, trinken ein Glas Sekt auf den heutigen vollendeten 168. Monat unsere Ehe. Oder handelsüblicher: 14 Jahre. Wir hatten nie ein verflixtes 7. Jahr, das 14. Jahr hat sich dafür mindestens doppelt gerächt.

Manchmal muss man den Gedanken und Gefühlen Zeit lassen, sich zu verrenken. Am Vormittag waren wir beim Zahnarzt und ließen unsere Zähne kontrollieren und reinigen. Danach statteten wir meinem Lieblingsladen Nilsson einen Besuch ab, kauften zehn Meter Gartenschlauch und eine D911S Libra+ 200m tragbare Klingel mit Taster/Erweiterungssender. Ich höre nämlich den Briefträger nicht, wenn ich am Schreibtisch sitze. So groß ist unser Haus. Danach fuhr W. an die Hochschule und ich nach Hause. Ich studierte die Bedienungsanleitung, legte Batterien ein, verband mit einem Kabel den Erweiterungssender mit dem Schaltkreis für die bestehende verdrahtete herkömmliche Klingel, bohrte zwei Löcher in das Treppenhaus unter meinem Arbeitszimmer, schraubte die Klingelhalterung ans Mauerwerk, befestigte die Klingel daran, programmierte Klingelton, Lautstärke sowie das blaue Blinklicht und wunderte mich, warum mich im deutschen Teil der Bedienungsanleitung plötzlich das Wort „Felsökning“ anlachte. Als ich zum englischen Teil zurückblätterte, fand ich dort das Wort „Troubleshooting“. Und im italienischen Teil las ich „Risoluzione dei problemi“, im portugiesischen „Resoluçāo de problemas“, im französischen „Résolution des problèmes“, im niederländischen „Probleemoplossing“, im spanischen „Diagnóstico de averías“. Warum sich aber „Felsökning“ bis zu mir verirrt hat, und wo das entsprechende deutsche Wort abgeblieben ist - das wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.

Wir essen Ente und Wildlachs im V. So heißt das beste Restaurant in Meldorf. Zwei aufeinander zulaufende Linien, die sich im spitzen Winkel treffen und dort verharren. Würden sie weiterlaufen, ergäbe sich nämlich ein X. Wir trinken Rotwein. Fahren durch die Nacht nach Hause. Freuen uns, dass es kalt geworden ist. Und spielen dann noch die halbe Nacht Briefträger und Hausfrau, testen alle Klingeltöne durch, bis wir fast umfallen vor Müdigkeit und es beim Big Ben bewenden lassen.

Samstag, 8. Dezember 2007

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Nikolaustag

Morgen ist im Bezirk 11 A Sperrmüllabfuhr. Was zum Sperrmüll gehört und was nicht, lese ich in den ausführlichen Unterlagen der Abfallwirtschaft Dithmarschen, die uns zweimal zugestellt worden sind, da wir, wie bereits erwähnt, zwei Häuser an zwei verschiedenen Straßen gekauft haben.
Ich bin durch unsere luftigen Häuser gelaufen, habe die anderthalb Garagen durchsucht und beide Dachböden inspiziert. Nichts. Wir besitzen absolut nichts aus der Sperrmüllliste. Weder eine Schaukel (zerlegt) noch Regentonne, Planschbecken, Pferdesattel noch einen Ölofen (trockengelegt) oder Kohlebeistellherd. Das heißt, wir besitzen natürlich ganz viele Dinge, sie bevölkern das halbe Haus, die wir dem Sperrmüll übergeben könnten. Aber wenn auf der Liste das Wort „Betten“ auftaucht – dann bedeutet das doch nicht zwingend, dass wir unsere Betten heute Abend auf die Straße stellen müssen, statt darin friedlich unter dem Dach einzuschlafen? Oder das Bügelbrett, die Blumentöpfe, das Backblech …
Aber wer weiß. Heute ist so viel Betrieb um das Haus herum, dass ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Immer wieder brummen Autos, Kleinlaster, Lieferwagen mit verminderter Geschwindigkeit um unser Eckgrundstück. Mit Anhängern oder ohne. Immer wieder dieselben. Und immer aufs Neue fordernd. Sie kreisen im Bezirk 11 A. Ich bin ihnen begegnet, als ich einkaufen ging. Und als ich zurückkam mit Suppenhuhn und Kohlkopf. Sie fahren im Schritt und lauern auf Wertstoffe. Greifen in Sekundenschnelle Fahrräder, Wäschespinnen oder Fliegengitter. Wie hungrige Tiere. Gefährte mit Hamburger Kennzeichen, aus Itzehoe oder Polen.
Vielleicht geben sie keine Ruhe, bis ich ihnen etwas vor das himmelblaue Gartentor lege. Einen Stuhl. Den Gartenschlauch. Oder die Toilettenbrille. Heute ist Nikolaustag. Morgen ist im Bezirk 11 A Sperrmüllabfuhr.

Sonntag, 2. Dezember 2007

Der Erste Advent

Gestern nahm ich den Zehnuhrzug und fuhr in die Stadt zum Einkaufen. W. war schon seit vorgestern nicht da, er unterrichtete in Bremen. Bremen hätte eigentlich einmal unser neues Zuhause werden sollen, irgendwann, vor nicht allzulanger und doch kaum mehr vorstellbarer Zeit. Und ich hätte gestern wahrscheinlich vergeblich, wer mag das schon ermessen, auch in der Bremer Innenstadt eine Winterhose in der Größe 36 gesucht. Dies und das kam damals dazwischen. Zwischen uns und Bremen. Dass die Stelle in Bremen gar nie ausgeschrieben wurde, solange W. willens war, die Hochschule zu wechseln, lassen wir höflich beiseite. Viel entscheidender war der Besuch seines Kollegen in spe, des Herrn Professor H., in Berlin. Der wollte an einem schönen Frühlingstag bestimmt die Hoffnung in uns nicht ganz sterben lassen. Und erzählte mir beim Grünen Veltliner im Engelbecken so ganz nebenbei, Bremen sei eine Stadt wie Basel. Und damit war die Sache erledigt, bevor sie überhaupt aktuell werden konnte. In eine Stadt „wie Basel“ wollte ich auf keinen Fall ziehen.
Und so kommt es, dass W. im Rahmen eines schlecht bezahlten Lehrauftrages ab und zu Wochenendkurse in Bremen abhält. Und ich die Zeit nutze, auch mein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. Also fuhr ich gestern mit der NOB nach Heide. Mit der festen Absicht, eine lindengrüne Cordhose für jeden Tag aufs Fahrrad kaufen. Und vielleicht noch etwas nettes obendrauf, falls es sich ergäbe. Wo immer ich aber in Heide hinein guckte, gab es nur Damengrößen von 40 an aufwärts. Ich hatte nicht bedacht, dass ich mittlerweile im Land breithüftiger Weiß-, Rot- und Grünkohlregentinnen angekommen bin.
Ich kapitulierte schnell und wandte mich den praktischen Dingen des Lebens zu. Ich brauchte ein Brot für das Sonntagsfrühstück, ein 20 Watt Halogenleuchtmittel Typ TOR, smaller G4 für meine Nähtischlampe sowie einen „expander“, 30 cm lang und 11 cm breit für den japanischen Papierlampenschirm, den W. aus Sao Paolo ohne diesen „expander“ mitgebracht hatte. Was das genau ist, kann ich nicht sagen. Etwas zwischen einem dehnbaren Begriff und einem dehnbaren Drahtgestell zur Befestigung des Kabels der Glühbirnenfassung oder Stabilisierung des durchsichtigen Lampenschirmmaterials. Fortan müssen meine Texte ins Absurde abdriften. Nur so kann ich sie vor Bertysas Gier bewahren und meine Originalität unter Beweis stellen.
Das Elektrofachgeschäft verließ ich voller Zweifel. Die Aussage der Verkäuferin „etwas anderes gibt es nicht“, hatte mich nicht überzeugen können. Und ihr Angebot, „wenn es nicht passt, tauschen Sie es am Montag um“, war kein Trost. Mir standen Kleidergrößen und die Mächtigen der Kohlfelder vor Augen. Ich befand mich auf der Himmelreichstraße, in der Hölle oder mitten in der Kleinen Freiheit. „Etwas anderes gibt es nicht.“ Und betrat plötzlich einen Kleiderladen, der gerade den letzten Tag und die letzte Stunde geöffnet hatte. Als erstes erblickte ich einen langen Kleiderständer voller Kleider und darüber das Aushängeschild: Größe 36. Mindestens nochmals soviel gab es für Größe 38. Markenware zu reduzierten Preisen. Ich stolzierte die ganze letzte Stunde dieses Ladens zwischen einer nur noch provisorischen Umkleidekabine, dem Spiegel und allen Kleiderbügeln der Größe 36 herum. Ich fand eine Seidenjacke, eine lindengrüne Cordhose und vier sehr nette Teile obendrauf. Schließlich musste ich mich beeilen, noch zur Bank laufen und Bargeld aus dem Automaten ziehen. Denn eine Kasse gab es auch nicht mehr, geschweige denn die Möglichkeit des Vollzugs des elektronischen Zahlungsverkehrs.
In der NOB blieben mir exakt 9 Minuten. Ich erstattete W. per sms Bericht, wie viele hundert Euro ich für Klamotten ausgegeben hatte.
Die Antwort kam, bevor ich in Meldorf auf dem Zug gestiegen war: „Bravo!“

Dienstag, 27. November 2007

Gottfried God hard

Ich bin im Internet über meinen eigenen Namen und meine eigenen Texte gestolpert. Unter der Überschrift „Ten Years Isolation . My travel to Kraka“ leuchten zwei Sätze und drei Namen, darunter meiner, in die Nacht: “I asked myself, what knows the director Christoph Marthaler, me, Judith Arlt, nor Lina Bögli say about this woman? Since nobody answered, I went.”

Ich klicke den link an: http://www.my-travel.blog.com/
Und siehe da, mein halber Krakau-Blog öffnet sich vor meinen Augen „in english“. In einer schampaar gschpässigen, grüüli stigelisinnigen (um mit Tim Krohn zu sprechen, dessen „Vrenelis Gärtli“ ich gerade lese) wenn nicht ganz und gar dubbelisinnigen (mein höchstpersönliches Lieblingswort) Sprache und Ordnung.

my-travel.blog beginnt am 9. Januar 2007, am Tag der Ankunft des schreibenden Ichs an einem Ort namens „Kraka“: „Today I arrived at Kraka“. Am 4. Mai 2007 hat der Ort sein “u” wiedergewonnen und die Zeit ihr Gesicht abgelegt: „Christmas in Krakau: Business as usual: Wolfgang cooks (Indian sharply), I washes off (helvetisch cleanly). It drizzles. The wind is too warm. The city too empty. Nevertheless a winter cap bought. And Magda M. from Berlin in „the Prowincja “met. Coffee, Szarlotka, Cognac. Merry Christmas season you all!“ Der Blog endet, noch immer am 4. Mai, mit dem Eintrag „Bagua and Daruma“ und dem schönen Satz: „Into Internet come I in this year no longer”. Posted by Bertysa at 15:48.

Bertysa ist ein Monster der virtuellen Welt, schlimmer als die Quatemberkinder unter dem Tödifirn. Man führe sich nur ein paar ihrer Sätze zu Gemüte und versuche nicht irre zu werden:
- „In Kwiatonowice right I whispering leaves under the old Kastanienbaum together.“
- „Each day free I it from, transparent, schmalgesichtigen Papierchen of yesterday and the thin, in order to remain up to date.“
- „Yesterday the gardner with its was noisy to the heavy backpack installed hose erbärmlich.”
- „The luggage delivery man asks whether I stones SAM LCL.”
- „Wherein to the Henker does the male animatingness of a car of the mark Fiat lie?”

Bestimmt hat Bertysa ein Gschleigg (s.o., Tim Krohn) mit dem Briefträger, denn sein Arbeitsort kommt allpott vor und er selbst im Plural als Personifizierung meines Heimatlandes:
- „In the kitchen post office from Kwiatonowice lies.“
- „Went fast under in the greedy Polish post office-communist Hetzmeute.”
- „Switzerland as postmen.”

Bertysa kann mit meiner Welt nichts gemein haben, obwohl sie meine Texten gefressen und wiedergekäut hat, wie eine Kuh auf der Dräckloch Alp, vergleiche:
- „Three tenth“ (Post February, 09, 2007)
- „Polish hour“ (Post March, 09, 2007)
- „The World in black and in knows” (Post March, 06, 2007)
- „The time hangs the conversion in the kitchen and belongs to the minister.”
- „ And then in Basel to bear in the Trämli after Allschwil, the Basler dialect - allegedly of all Swiss dialects the so-called high German next - simply.”

Und die conclusion, mein existenzielles nonplusultra, hört sich aus Bertysas Mund so an: „Switzerland as Gottfried God hard.“ Ein harter Brocken!



Meine Originale sind abrufbar über „Mein Profil vollständig anzeigen“: krakau (= deutsch); kraków (= polnisch).

Die polnische Version liegt auch gedruckt vor. In fünf Teilen erschien „Dziennik z poddasza“ [Tagebuch vom Dachboden] in der Zeitschrift FRAZA (Rzeszów, Polen):
Dziennik z poddasza (1), FRAZA, nr. 3 (49) 2005, s. 179-185
Dziennik z poddasza (2), FRAZA, nr. 4 (50) 2005, s. 253-257
Dziennik z poddasza (3), FRAZA, nr. 1-2 (51-52) 2006, s. 190-202
Dziennik z poddasza (4), FRAZA, nr. 3 (53) 2006, s. 215-228
Dziennik z poddasza (5), FRAZA, nr. 4 (54) 2006 – 1 (55) 2007, s. 223-234

Sonntag, 25. November 2007

Die Springtide


Gestern sah ich von der Fußgängerbrücke über dem Eidersperrwerk auf eine wahrhaftige Springtide herab. Alle fünf Sieltore standen offen und das auflaufende Wasser drückte den Fluss mit aller Macht zurück ins Land. Die Eider floss bereits Stunden vor dem besonders hoch zu erwartenden Höchstwasserstand rückwärts.

Der Morgen war klar und kalt. Der Mond stand kugelrund und riesengroß am Horizont, als wir in Meldorf losfuhren. Er ging unter, als die Sonne aufging. Siehst du, sagte W. So ist das bei Vollmond. Ja, ich sehe es. Die absolute Abwesenheit von Bergen begünstigt das Beobachten der Bewegungen am Himmel.

Die gezeitenerregenden Kräfte werden bei Neumond und Vollmond verstärkt, bei zu- oder abnehmendem Mond heben sie sich hingegen teilweise auf. „Mond und Sonne ziehen die Gewässer nach sich“, wusste schon der erste Nordseefahrer Pytheas von Massilia im 4. vorchristlichen Jahrhundert. Erst in der Neuzeit konnten Astronomen, Physiker, Ozeanographen und Hydrographen das komplizierte Gezeitenphänomen exakt beschreiben. Sie entwickelten Vorhersagetabellen und Gezeitenrechenmaschinen nach den Flutstundenlinien sowie anhand der Fortpflanzung des Flutscheitels der Gezeitenwelle. Diese wälzt sich, wie die Fachleute herausfanden, innerhalb von dreieinhalb Stunden von der nördlichen Nordsee an die englische Ostküste und weiter nach Süden, vor Holland dreht sie in östliche Richtung ab und läuft von Borkum über Büsum wieder nach Sylt zurück.

Die Springtide tobte unter unseren Füssen. Der Wind zerzauste unser Haar. Wir zitterten alle vor Kälte. Vor allem die aus Mexiko, Südafrika und Südchina angereisten Gäste. Springtiden am Eidersperrwerk drücken etwa zehn Prozent mehr Wasser in die Eider als der normale Tidenhub. Man spreche auch von einer Nadirflut bei Vollmond, erklärte ein Mitarbeiter des Nationalparks. Und von einer Zenitflut bei Neumond. Denn Erde und Sonne kreisten um einen gemeinsamen, innerhalb der Erde liegenden Schwerpunkt, dadurch entstünden auch Fliehkräfte. Ich verstand kein Wort. Aber ich sah die Springtide. So ist das bei Vollmond. Die absolute Abwesenheit von Bergen begünstigt das Beobachten der Bewegungen am Boden.

Donnerstag, 22. November 2007

Die Spiegelschranktüren

Das einzige, was beim Umzug zu Schaden kam, war die rechte verspiegelte Tür unseres Badezimmerhängeschranks. Es war eine der letzten Handlungen der Umzugsmänner. Nachdem sie alle anderen Zimmer ausgeräumt hatten, sämtliche Bücher eingepackt, sämtliche Kisten aus der Wohnung getragen hatten, verblieb noch das hundertjährige Liegnitz. Und der Spiegelschrank im Bad. Das Klavier sparten sich die Träger bis ganz zuletzt auf. Sie mussten es die paar Stufen bis zur Haustür im Flur hinunter tragen. Und dann nochmals fünf Stufen auf die Strasse hinunter. Und über den Bordstein auf den Umzugswagen. Aber das erledigte die Hebebühne. Zuerst machte sich also ein Mitarbeiter der Firma Zapf mit federnden Schritten daran, den Schrank im Bad abzumontieren. Kaum hatte er den Bohrer angesetzt, krachte die eine Spiegelschranktür auf den gefliesten Boden und zerfiel in tausend Stücke. Der Monteur war einen Moment sprachlos. Und dann, als er seine Sprache wieder gefunden hatte, wiederholte er immer wieder „das verstehe ich nicht …, das verstehe ich nicht …, das verstehe ich nicht …“.

Wir fegten die Scherben zusammen, ich mahnte ihn zur Vorsicht, er blutete bereits an einem Finger. Dann sog ich mit dem Staubsauger die restlichen Splitter auf. Die Scherben durfte ich nicht wegwerfen, die müssten in die Firma. Und die unversehrte linke Spiegeltür würden sie mitnehmen, damit in der Werkstatt eine Tür in identischer Größe angefertigt werden könne. Und die bekämen wir dann an die neue Adresse geliefert. So weit, so gut. Als die Männer das Klavier hinaus trugen, verkroch ich mich in die hinterste Ecke der leeren Wohnung. Ich konnte es nicht mit ansehen. Ich spürte, dass da eben etwas Grundsätzliches zu Boden gegangen war. Nicht die Spiegeltür eines Badezimmerschrankes, den W. noch nie ausstehen konnte und eigentlich am liebsten in Berlin hängen gelassen hätte. Nein, da war ein Stück Berufsehre in hunderttausend feine Haarrisse zersprungen. Und ich fürchtete sehr, dass nun einem der drei Männer das schwere Klavier aus den Händen rutschen würde.

Vorgestern kam per UPS die Ersatzspiegelschranktür. Eingewickelt in einen halben Kilometer Luftpolsterfolie. Ich wickelte sie aus und besah sie von hinten und von vorne, bis ich verstand: wir hatten nur die Ersatztür geliefert bekommen. Nun fehlte mir die halbe, ganz gebliebene, als Muster in die Werkstatt mitgegebene Originaltür. Ich rief bei Zapf an. Zuerst verstand man mich nicht. Dann wurde ich verbunden. Eine freundliche Frauenstimme versprach, sich zu kümmern. Gestern rief sie an, entschuldigte sich, man sei noch nicht fündig geworden. Heute rief sie an, entschuldigte sich, es tat ihr irgendwo sehr weh, das hörte ich, was sie mir zu überbringen hatte. In der Werkstatt sei das Muster, die unbeschadete linke Originalhälfte der Spiegeltür unseres Badezimmerhängeschranks, nach der Maßanfertigung der Ersatztür „entsorgt“ worden.

Dienstag, 20. November 2007

Das Tatamizimmer

Der Tischler war gestern da und baute die Schränke ein rund um Sicherungskasten, Abflussrohre, Steigleitung und an die Stelle, wo etwa fünfundzwanzig Jahre lang, kein Mensch verstand, wozu, ein mit Schamottesteinen ausgekleideter Notkaminschacht bis unters Dach führte.

Heute wurde das leere Zimmer, der neue Schrank, jedes einzelne Einlagebrett sowie das Fenster geputzt. Und ich kann Vorhänge aus bedruckter chinesischer Baumwolle aufhängen, ihre Länge abstecken. Die Vorhänge wieder abnehmen. Die Nähmaschine hervorholen. Vorhangsäume nähen. Das Bügelbrett hervorholen. Das Dampfbügeleisen in Gang setzen. Die langen dunkelblauen Stoffbahnen glatt bügeln. Die Vorhänge wieder aufhängen. Und die drei Tatamis auspacken. Und auf dem Boden auslegen.

Ein japanisches Standardzimmer ist traditionell mit sechs Tatamis ausgelegt. Wir besitzen also ein halbes japanisches Zimmer. Und mir ist es wieder einmal gelungen, einen ganzen Tag fernab vom Schreibtisch zu verbringen.

Sonntag, 18. November 2007

Der Garten


Der Gärtner kam aus Liestal und räumte im Handumdrehen die ganze Wildnis auf. Er mähte das schon wadenhohe Gras, sammelte Laub ein, beschnitt den Apfelbaum, die Pappel, den Vogelbeerbaum, riss alles Unkraut aus den Beeten, und viel, viel Efeu. Alle dürren Sträucher schnitt er bodeneben ab, das käme alles im Frühjahr von selbst wieder und dann müsse Platz sein für die neuen Triebe, versicherte er. Die Felsenbirne, riet er uns stehen zu lassen, die Ölweide umzusetzen an die Stelle des verdorrten Blautännchens, aus dem nichts mehr werden kann. Hinten im Garten, vor die Garagenseitenwand des Nachbarn, deren blanke Ziegelsteine wir vom Wohnzimmertisch aus sonntags immer anstarren, sollen wir Prunus Laurocerasus pflanzen, immergrünen Kirschlorbeer, möglichst den breitblättrigen, hochwachsenden, frostharten, sturmfesten.

Die Amseln hockten erschrocken auf den kahlen Wipfeln. Auch die Kohlmeisen und der Hausrotschwanz. Immer wieder schwirrten sie aufgeregt um unsere Köpfe und beäugten uns dann argwöhnisch aus sicherer Entfernung. Von ihren hohen Posten herab. Auch der Briefträger verstand die Welt nicht mehr. Noch die Hemdenbüglerin. Nur die Nachbarin freute sich vergeblich, der Gärtner würde nun reihum alle Gärten der Strasse besuchen.

Seit der Gärtner wieder in Liestal ist, wuselt es im Garten. Die Vögel picken jeden einzelnen seiner Handstreiche nach. Damit werden sie den Winter über beschäftigt sein.

Mittwoch, 14. November 2007

Der erste Schnee

In der Nacht, als ich durch den Eescher Weg nach Hause stolperte, fielen die ersten Schneeflocken auf meine Schultern, auf mein Haar, auf meine Schuhe. Ich war todmüde, es war stockdunkel, nachts brennt hier keine Straßenlaterne. Der Zug hatte getrödelt, Zeit gekostet und hielt erst nach Mitternacht in Meldorf. Ich sehnte mich nach meinem Bett, wie schon lange nicht mehr.

Am Morgen, als ich – noch immer müde – aufwachte, schien bereits die Sonne. Eine hauchdünne Schneedecke lag auf der Strasse, auf vereinzelten Blättern, auf dem ungeschnittenen Gras, auf dem Garagendach. Der Apfelbaum war nackt. Die letzten Äpfel müssen in der Nacht heruntergefallen sein. Amseln hüpften am Boden herum und pickten gierig am Rot. Ich bin nur aufgewacht, um dies zu sehen. Wenig später war der Schnee verschwunden. Die Sonne hatte ihn zum Frühstück verspeist.

Dienstag, 13. November 2007

Unterwegs

W. ist in Newcastle, Sunderland oder London. Unser Pinguinleben (siehe Krakaublog) geht weiter. Ich verlasse das Haus in einer Viertelstunde, nur mit der Postkartentasche am Arm. Sogar um halb sechs Uhr morgens riecht es draußen nach Sauerkraut. Wenn alles klappt, komme ich drei Minuten vor Mitternacht wieder in Meldorf an.

Samstag, 10. November 2007

Die Postkartentasche

Wir feiern 167 Monate Ehe. W. schenkt mir eine Postkartentasche. Ein Mitbringsel aus New York. Ich schenke ihm 4 Tafeln Schokolade der Marke „Tourist“. Ein Mitbringsel aus der Migros. Nichts erheitert meinen Mann mehr, als die „Tourist“, die weltweit nur von der Migros verkauft wird. Sie war gerade im Sonderangebot. So wählte ich zwei Milchschokoladen „Tourist“, eine Zartbitter-Schokolade „Tourist Crémant“ und eine weiße Schokolade „Tourist Blanca“ und sparte 60 Rappen. Aber ich könnte eine ganze Lastwagenladung „Tourist“ ans Wattenmeer liefern lassen (und dabei wie viel sparen?), W. würde immer noch nicht begreifen, warum diese Schokolade den Namen „Tourist“ in einem relativ altmodischen Design auf der Packung trägt. Die Helvetier hingegen verstehen ihre Welt auf Anhieb: die Schokolade heißt natürlich „Tourist“, weil sie ganze Weinbeeren, ganze Haselnüsse und ganz Mandeln enthält. Mit anderen Worten: all das, was ohne Schokolade im sogenannten „Studentenfutter“ steckt. Seltsamerweise ernähren sich im Alpenland Touristen und Studenten auf ähnliche Art und Weise.
Die Postkartentasche hingegen ist ein Unikat. Verkauft wird sie vom MoMa, dem Museum of Modern Art in NY 10019. Das MoMa beansprucht für sich „modern art“ und „good design“. Es empfiehlt in einer Art „Gebrauchsanweisung“, die Postkartentasche („The MoMa Postcard Tote“) mit Lieblingspostkarten von Lieblingsbildern aus dem MoMa zu bestücken. Sechs Postkarten können auf der einen Seite der Tasche horizontal eingesteckt werden, sechs auf der anderen Seite vertikal. Damit wäre frau dann eine wandelnde Werbeträgerin für ein Museum, bzw. für seine Kunstwerke und deren Schöpfer. Mir sind in Meldorf die Hände gebunden. Ich habe keinen Zugriff auf den New Yorker Museumsshop. Aber aus dem Briefkasten ziehe ich übermorgen eine Postkarte von der Schuhfrau. Im Querlangformat, designed by Think!. Passt leider nicht in die MoMa Tote. Ich müsste einen der drei Bären, die auf der Vorderseite über das Leben philosophieren („Time is only generous to those who are generous to time“), abschneiden. Oder auf der Rückseite unsere Adresse. Beides geht nicht. Jahrelang schrieb ich sogenannte Postkarten aus Berlin. Texte, die nie auf eine Postkarte im Format 4“ x 6“ passen wollten. Sie endeten nie und wucherten weiter und weiter. Bis wir von Berlin wegzogen und dem Überfluss ein natürliches Ende setzten. Ich sammle Postkarten wie Superlative. Wer besitzt schon eine Postkarte aus Tolmicko? Oder vom Golden Cap („Highest Cliff in southern England“)? Oder vom höchsten Postamt der Welt. Von Eiger, Mönch und Jungfrau? Ich stecke die Postkarten aus meiner Sammlung in die MoMaTasche. Da sie aus durchsichtigem Rauchplastik besteht, kommen beide Seiten zur Geltung. Welche Frau kramt nicht andauernd in ihrer Handtasche? Und wer findet dann auf Anhieb über einer veralteten Adresse die Briefmarke von Jacqueline Cochran, „Pioneer Pilot“? Und wer den handschriftlichen Geburtstagsgruß von Rhea: „may you ‚freeclimb’ until your nineties!“?

Donnerstag, 8. November 2007

Basel-Mulhouse-Freiburg

7.00 Abflug nach Hamburg. Ab 05.00 Check-in Schweizer Sektor. Im Handgepäck führe ich einen faustgroßen Stein von meinem Sonntagsspaziergang in Tschlin mit. Die französische Securityfrau wiegt ihn schweigend in ihrer Hand. Auf meine Frage, ob es nicht erlaubt sei, ein Stück Alpengranit mit sich zu führen, gibt sie keine Antwort. Natürlich könnte ich damit den Piloten erschlagen.

Samstag, 3. November 2007

Tschlin


3. bis 5. November: Unterengadin, Schuhparty.
Wir verabschieden uns am Montag vormittag von Ursula und Angelo. Franz, unser Chauffeur, Koch und Heizer, schießt Fotos mit seinem Mobiltelefon.







Mittwoch, 31. Oktober 2007

Die erste Nacht allein

W. flog gestern nach New York JFK. Ich verbrachte die erste Nacht allein im Haus. Das stimmt natürlich nicht mit der Wirklichkeit überein, denn W. flog schon im September zu einer Tagung nach Sao Paulo. Aber es stimmt für die Welt dieses blogs, die mit dem ersten Frost beginnt. Ich verbrachte die erste Nacht im Haus allein und konnte nicht einschlafen. Ich hatte kalte Füße und wartete vergeblich auf eine Gutenachtgeschichte.

Ich fliege heute nach Zürich. Besuche meine toten und lebendigen Verwandten. Am Samstag fahre ich mit der Schuhfrau zu einem Schuhevent in ein enges Tal im Engadin, nach Tschlin auf 1600 Meter über Meer. Ich werde frieren und Wörter aufsammeln für mein neues Buch, die weder Nilsson noch Duden noch Dornseiff feilbieten. Das Leben geht weiter. Das Schreiben geht weiter. Der Himmel über Meldorf wird mir fehlen. W. wird mir fehlen. Und es wird sich zeigen, wie mein Kreislauf auf den Höhenunterschied reagiert. Von gerade mal 6 Metern über Meer am Klev in unserem Haus, und höchstens 14 Metern, auf denen der Meldorfer Dom steht, bis mindestens 4 Meter der restlichen Stadt auf 1600 Meter!

Jetzt nable ich meinen Laptop von den Kabeln auf dem Schreibtisch ab, packe meine Siebensachen und gehe zu Fuß zum Bahnhof.

Dienstag, 30. Oktober 2007

Der Abzweig-Baldachin

Der Abzweig-Baldachin. Ein Wort von Nilsson, dem Meldorfer Baumarkt. Ich habe schon vier Abzweig-Baldachine in unserem Haus untergebracht, zwei davon gestern. Sie sind aus weißem Plastik und kosten pro Stück 1 Euro und 37 Cent. Gestern fuhr ich also nochmals durch den strömenden Regen über den Domhügel zu Nilsson. Um zwei Abzweig-Baldachine zu kaufen und den sechsstrahligen Halogenleuchter über dem Esstisch im Wohnzimmer sauber und ordentlich an der Decke anzubringen. Unter dem Abzweig-Baldachin, das Wort sagt es, man kann sich das geradezu plastisch vorstellen, verschwinden alle Buchsenklemmen, Kabelschellen und anderen unschönen Verbindungsstücke zwischen einer Glühbirne, die irgendwann brennen soll, und einem elektrischen Kabel, das irgendwo aus der Decke kommt.

Auf den Abzweig-Baldachin machte mich der Malergeselle schon im August aufmerksam. Er kannte das Wort nicht, wusste aber, dass es das Ding bei Nilsson zu kaufen gibt. Bei Nilsson, das merkte ich schnell, ist man zu jeder Kundin, zu jedem Kunden freundlich. Dort wird jeder noch so einfältige Heimwerkerwunsch geduldig entgegengenommen und erfüllt. Als ich eines Tages die zweite Hälfte der Griffleiste vom Dachfenster im Bad plötzlich in der Hand hielt – wir hatten das Haus mit einer abgebrochenen halben Griffleiste im einen Bad gekauft, die eine Griffhälfte stand artig hinter der Tür in der Ecke, die andere hing noch am Fenster und wurde, wen wundert’s, täglich überbeansprucht – fuhr ich zu Nilsson. Ein freundlicher Mann erklärte mir, wie ich das Fenster trotzdem öffnen konnte, und wo ich die Nummer fand, anhand derer er in der Lage sein würde, mir das passende Ersatzstück zu bestellen. Ich fuhr also mit der Nummer GGU 308 0059 nochmals zu Nilsson. Und eine Woche später fuhr ich ein drittes Mal zu Nilsson, um die neue Griffleiste abzuholen.

Auch Muffenstopfen bekam ich bei Nilsson, obwohl ich von dem Wort keine Ahnung hatte. Auch davon brauchte ich zwei. Den richtigen Lasurpinsel bekam ich bei Nilsson, und die Holzlasur im richtigen Farbton. Und die verzinkte Kappe auf das offene Ende eines Übergangsreduzierstücks mit Außengewinde, an das wahrscheinlich einmal der Wasserschlauch einer Waschmaschine angeschraubt war, und aus dem jetzt, dem offenen Ende, da die Waschmaschine mitsamt dem vorherigen Besitzer ausgezogen war, Wasser tropfte, wenn wir Zähne putzten oder unsere Hände wuschen, bekam ich bei Nilsson. Nilsson ist ergiebiger als Duden.

Montag, 29. Oktober 2007

Der erste Regen

Es regnet in Meldorf. Wir steigen kurz vor acht Uhr auf die Fahrräder. Und fahren über die Bürgerweide. Auch die Pferde lassen ihre Köpfe hängen. Siehst du. Sage ich. Nebel, meint W. durch die beschlagenen Brillengläser. Es wird gar nicht hell, trotz Winterzeit. Er muss zum Bahnhof, zur Arbeit nach Heide. Ich will über den Berg, an der Gelehrtenschule vorbei zu Lidl, zur Arbeit nach Hause. Ich kaufe eine Außenlampe mit integriertem Bewegungsmelder, eine 6-flammige Halogen-Deckenleuchte und eine Tischleuchte mit Touch-Dimmer. Jeweils zum Spottpreis. Der heutige Tag ist gerettet. Ich habe viel zu bohren und zu schrauben.

Mein Leben bestimmen jetzt die Briefkästen. Wir besitzen drei. An jedem Hauseingang an jeder Straßenseite einen, und einen weiteren, rostigen unten am Baumhaus in der Edelkastanie. Ja, wir besitzen auch drei Häuser. Und drei Eingänge. Der Winter steht vor allen siebentausend Türen dieser Stadt. Die bunten Prospekte der Billiganbieter terrorisieren die ganze kleine unschuldige Welt. Auch hier gilt: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Sonntag, 28. Oktober 2007

Hausbesitzen

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man beim Notar einen Kaufvertrag unterschreibt. Indem man auf der Bank einen Darlehensvertrag unterschreibt. Indem man diverse Kosten, Steuern, Zinsen auf sich lädt und für den Rest des Lebens arbeitet und abzahlt.

Am Anfang, Ende August oder in den ersten Septembertagen, nachdem die Maler ein Zimmer nach dem anderen frisch tapeziert und gestrichen hatten, dachte ich, ich würde das Haus, das heißt: die beiden Häuser, die sich Rücken an Rücken lehnen wie siamesische Zwillinge und sich gleichen wie ein Spiegelbild (siehe „Wir in Venedig“), in Besitz nehmen, indem ich sie putze. Indem ich jeden Millimeter Wand, Boden, Decke, Fenster- und Türrahmen, Treppenstufe, Treppenabsatz und Treppengeländer und so weiter und so fort mit einem feuchten Lappen berühre und scheuere, bis er glänzt. Indem ich den Staub der Handwerker, der Zeit und des Lebens für einen Moment entferne. Und für einen Moment der Illusion erliege, ich besäße ein sauberes Haus. Heute weiß ich, dass ich damals, am Anfang, als unsere Möbel und Bücher noch lange in Berlin standen, überhaupt nichts besaß. Dass ich, wenn überhaupt, höchstens einen Eindruck, der sich beim ersten Windstoss von der Nordsee schon wieder verflüchtigte, in Besitz genommen hatte. Den Dachboden, beide Dachböden, hatte ich nicht einmal betreten. Spinnen sind hier tatsächlich fleißiger als Ameisen.

Heute ist der längste Tag des Jahres. Gestern fegten wir den ganzen Tag Laub zusammen und trugen Äste und Gestrüpp auf mehrere Haufen. Wir besitzen nicht nur zwei Häuser sondern auch zwei Gärten. Die Häuser waren getrennt durch eine Brandmauer. Und die Gärten waren getrennt durch einen Sichtschutz. Grün und wild, verwuchert. Ich warte auf meinen Bruder, den Gärtner, aus der Schweiz. Dann liefere ich sämtliche Pflanzennamen nach. Wir wollen einen Bambuswald und einen Teich anlegen. Ein Kunstwerk bauen, oder mehrere. Um unser Haus herum. Dazu müssen wir zuerst das feuchte Laub in Müllsäcke stopfen. Das Gartengerät sichten. Jeden Millimeter des vermoosten Rasens durchkämmen. Den Apfelbaum schütteln. Die dreieckigen Kastanien auflesen. Angeblich kann man sie essen. Aber wie?

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man ein Wochenende lang versucht, dem Herbst Herr zu werden. Oder Frau. Ich weiß es nicht. Auch die Dachrinnen wollen vom Laub befreit werden. Schwiegermutter erinnert aus Berlin daran, dass die Tulpenzwiebeln vor dem ersten Frost gesteckt werden müssen. Die Birke verliert die Blätter zuletzt, warnte uns die zweite Frau des letzten Besitzers des einen Hauses. Das ist doch herrlich, dachte ich. Damals, im August oder Juli. Der Mann, der uns das Darlehen für den Kauf zweier Häuser, zweier Gärten, zweier Garagen usw. gewährte, klärte mich auf: in dieser Gegend gilt die Birke als Unkraut.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Wir in Venedig



Unser erster gemeinsamer Ausflug. Mein 50. Geburtstag. Wir im German Pavillon an der Biennale. Spieglein, Spieglein ...

Dienstag, 23. Oktober 2007

Der Umschalter

Ich lerne jeden Tag neue Wörter. Das Watt und die Marsch und die Geest kennen wir schon. Auch das schöne Wort Geestsporn. Darauf liegt Meldorf und auch unser Haus. Diesen Sporn mitten im eingedeichten Marschland haben wir am Horizont immer deutlich vor Augen, wenn wir durch das Epenwöhrdenermoor nach Hesel fahren oder von Hemmingstedt über das Epenwöhrdenerfeld auf die Südermiele zusteuern. Nun steht der Winter vor der Tür und die Fahrräder lehnen an einer frisch gestrichenen Wand in der Garage. Im Haus an der Schleswiger werden die Heizkörper nicht warm. Wir wohnen in einem Haus, das von zwei Seiten betreten werden kann. Früher, noch vor zwei Monaten, wohnten hier zwei Familien. Wir ließen die Wand im Wohnzimmer durchbrechen und die Grundstücke im Grundbuch zusammenführen. Das kostet alles Geld. Jetzt ist es ein Haus. Unser Haus. Aber es hat nach wie vor zwei Eingänge. Und die beiden Eingangstüren liegen nach wie vor an zwei verschiedenen Straßen. Wir hätten natürlich, das fällt mir erst jetzt ein, die eine Seite zumauern lassen können. Sofort. Mit den Backsteinen aus dem Wohnzimmer. Aber die Maurer haben die Steine längst weggetragen. Nun ist es in der einen Haushälfte kalt. W. sagt, ich solle die Heizung hochstellen, alle Regulierventile aufdrehen. Der frühere Besitzer sagt, ich müsste die Heizkörper zu Beginn der Heizperiode entlüften. Dazu gäbe es einen Vierkantschlüssel. Und eine bestimmte Reihenfolge. Anfangen soll ich mit dem Heizkörper in dem Zimmer, das sich am weitesten entfernt von der Heizung befindet. An der Flensburger ist alles einfacher und sauberer. Der Vorlauf ist kalt. Und der Rücklauf ist kalt. Schließlich kommt ein Monteur. Er kratzt sich am Kopf. Flucht, weil sein Schlauch zu kurz ist. Fährt nochmals weg. Zum Kollegen irgendwo um die Ecke, den er vorher angerufen hat. Dann bringt er einen längeren Schlauch. Pumpt Wasser in den Heizkörper, welcher der Heizung am nächsten ist. Im unteren Bad. Oder Saunabereich. Oder Heizraum. Den Zimmern können mehrere Namen zugeordnet werden. Sie verändern sich dadurch nicht. Auf der Anzeige steigt der Druck, aber warm wird nichts. Der Monteur fragt, ob wir es noch einen Tag aushalten. Der Umschalter. Sagt er. Anders könne er sich das nicht erklären. Der Umschalter funktioniere nicht. Der Umschalter, der bewirkt, dass die Heizung von nur Warmwasseraufbereitung im Sommer auf Heizen + Warmwasser im Winter umschaltet. Wann die Heizung zum letzten Mal gewartet wurde. Will er noch wissen. Ich zucke mit den Achseln. Wir wohnen gerade mal sechs Wochen hier. Bei Schüsselübergabe war noch Sommer. Danach kamen zuerst die Maurer und Maler und alle Türen und Fenster standen sperrangelweit offen.

Montag, 22. Oktober 2007

Der erste Frost

Der erste Frost in Meldorf. Wir steigen kurz vor acht Uhr auf die Fahrräder. Und fahren über die Bürgerweide. Auch die Pferde freuen sich über den Raureif. Sage ich. Und über die klare Luft. Denen sei einfach kalt, meint W., deshalb würden sie so wild herumtollen. Er muss zum Bahnhof, zur Arbeit nach Heide. Ich will zu Aldi, zur Arbeit nach Hause. Ich kaufe eine Halogenlampe mit Bewegungsmelder zum Spottpreis. Danach habe ich wieder etwas zu bohren und zu schrauben. Am heutigen Montag.

Wir sind gut ausgestattet mit Einkaufsmöglichkeiten. Edeka und Aldi am Bahnhof. Plus um die Ecke. Lidl und Wandmaker hinter dem Berg, von uns aus gesehen. Hinter der größten Erhebung weit und breit, auf welcher der Meldorfer Dom steht. Und nicht zu vergessen Rewe, Montag bis Samstag bis 22 Uhr geöffnet. In der Fußgängerzone gibt es einen traditionellen Fleischer, den Mühlen-Bäcker, mehrere Apotheken, Optiker und Uhrengeschäfte sowie einen Bioladen.

Ich muss noch das Rosmarin ausgraben und den Lorbeer. Ob Salbei winterhart ist, weiß ich nicht. Aber ich kann ja nicht den ganzen Garten ins Haus hineintragen.