Sonntag, 2. Dezember 2007

Der Erste Advent

Gestern nahm ich den Zehnuhrzug und fuhr in die Stadt zum Einkaufen. W. war schon seit vorgestern nicht da, er unterrichtete in Bremen. Bremen hätte eigentlich einmal unser neues Zuhause werden sollen, irgendwann, vor nicht allzulanger und doch kaum mehr vorstellbarer Zeit. Und ich hätte gestern wahrscheinlich vergeblich, wer mag das schon ermessen, auch in der Bremer Innenstadt eine Winterhose in der Größe 36 gesucht. Dies und das kam damals dazwischen. Zwischen uns und Bremen. Dass die Stelle in Bremen gar nie ausgeschrieben wurde, solange W. willens war, die Hochschule zu wechseln, lassen wir höflich beiseite. Viel entscheidender war der Besuch seines Kollegen in spe, des Herrn Professor H., in Berlin. Der wollte an einem schönen Frühlingstag bestimmt die Hoffnung in uns nicht ganz sterben lassen. Und erzählte mir beim Grünen Veltliner im Engelbecken so ganz nebenbei, Bremen sei eine Stadt wie Basel. Und damit war die Sache erledigt, bevor sie überhaupt aktuell werden konnte. In eine Stadt „wie Basel“ wollte ich auf keinen Fall ziehen.
Und so kommt es, dass W. im Rahmen eines schlecht bezahlten Lehrauftrages ab und zu Wochenendkurse in Bremen abhält. Und ich die Zeit nutze, auch mein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. Also fuhr ich gestern mit der NOB nach Heide. Mit der festen Absicht, eine lindengrüne Cordhose für jeden Tag aufs Fahrrad kaufen. Und vielleicht noch etwas nettes obendrauf, falls es sich ergäbe. Wo immer ich aber in Heide hinein guckte, gab es nur Damengrößen von 40 an aufwärts. Ich hatte nicht bedacht, dass ich mittlerweile im Land breithüftiger Weiß-, Rot- und Grünkohlregentinnen angekommen bin.
Ich kapitulierte schnell und wandte mich den praktischen Dingen des Lebens zu. Ich brauchte ein Brot für das Sonntagsfrühstück, ein 20 Watt Halogenleuchtmittel Typ TOR, smaller G4 für meine Nähtischlampe sowie einen „expander“, 30 cm lang und 11 cm breit für den japanischen Papierlampenschirm, den W. aus Sao Paolo ohne diesen „expander“ mitgebracht hatte. Was das genau ist, kann ich nicht sagen. Etwas zwischen einem dehnbaren Begriff und einem dehnbaren Drahtgestell zur Befestigung des Kabels der Glühbirnenfassung oder Stabilisierung des durchsichtigen Lampenschirmmaterials. Fortan müssen meine Texte ins Absurde abdriften. Nur so kann ich sie vor Bertysas Gier bewahren und meine Originalität unter Beweis stellen.
Das Elektrofachgeschäft verließ ich voller Zweifel. Die Aussage der Verkäuferin „etwas anderes gibt es nicht“, hatte mich nicht überzeugen können. Und ihr Angebot, „wenn es nicht passt, tauschen Sie es am Montag um“, war kein Trost. Mir standen Kleidergrößen und die Mächtigen der Kohlfelder vor Augen. Ich befand mich auf der Himmelreichstraße, in der Hölle oder mitten in der Kleinen Freiheit. „Etwas anderes gibt es nicht.“ Und betrat plötzlich einen Kleiderladen, der gerade den letzten Tag und die letzte Stunde geöffnet hatte. Als erstes erblickte ich einen langen Kleiderständer voller Kleider und darüber das Aushängeschild: Größe 36. Mindestens nochmals soviel gab es für Größe 38. Markenware zu reduzierten Preisen. Ich stolzierte die ganze letzte Stunde dieses Ladens zwischen einer nur noch provisorischen Umkleidekabine, dem Spiegel und allen Kleiderbügeln der Größe 36 herum. Ich fand eine Seidenjacke, eine lindengrüne Cordhose und vier sehr nette Teile obendrauf. Schließlich musste ich mich beeilen, noch zur Bank laufen und Bargeld aus dem Automaten ziehen. Denn eine Kasse gab es auch nicht mehr, geschweige denn die Möglichkeit des Vollzugs des elektronischen Zahlungsverkehrs.
In der NOB blieben mir exakt 9 Minuten. Ich erstattete W. per sms Bericht, wie viele hundert Euro ich für Klamotten ausgegeben hatte.
Die Antwort kam, bevor ich in Meldorf auf dem Zug gestiegen war: „Bravo!“

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