Der letzte Tag des trübsten Monats des Jahres. Der Schnee von gestern hellt den Morgen auf und die zweistelligen Minusgrade den Geist. Die Biotonne habe ich über Nacht fürsorglich an die Wärme gestellt, in den Schuppen zu meinen beiden Fahrrädern. Trotzdem wird sie nun wohl am Straßenrand festfrieren, ehe das monströse Müllfahrzeug um die Ecke schwankt, wie ein besoffener Hund, sie aufgabelt, durchschüttelt und gegen alle Gesetze der Natur versucht, des gefrorenen Inhalts habhaft zu werden.
Zum allerletzten Mal, ich schwöre es, greife ich in meine Fremdwörterschatztruhe: "Die Hustle Culture beschreibt eine Lebens- und Arbeitsweise, die von einem intensiven unermüdlichen Streben nach beruflichem Erfolg und persönlichem Wachstum geprägt ist."
Also hart arbeiten, sich nicht ablenken, an nichts anderes denken, auf Herumlungern und Blödeleien verzichten, nie noch eine halbe Stunde liegen bleiben, wenn der Wecker schrillt, sich keinen Tag Urlaub gönnen, usw, usf. Sondern unablässig nach Höherem lechzen, nach Ruhm und Ehre, nach Gewinn und Optimierung.
Das Wort "Culture" ähnelt unserer Kultur. Kommt vom lateinischen Substantiv cultura - was soviel bedeutet wie Pflege, Bearbeitung, Bildung - und das geht zurück auf das Verb colere für pflegen oder verehren. Und was bedeutet unsere hochdeutsche Kultur? Wer erinnert sich noch an den Applaus in eiskalter Zugluft, an offenen Fenstern oder auf Balkonen für die Pflegekräfte zu Beginn der Coronazeit? Das ist die schöne, nicht nur deutsche Dankeskultur. Daneben gibt es die nicht nur schöne deutsche Begrüßungs- und Willkommenskultur, konterkariert von einer Politik, die "endlich im großem Stil" abschieben will und gleichzeitig ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz durchboxt. Irgendwie beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Fremde werden gegen Fremde abgewogen und ausgespielt.
Der Duden sagt klar und deutlich, die Kultur (ohne Plural!) sei "Ausdruck menschlicher Höherentwicklung" (chapeau!), am Beispiel der abendländischen Kultur, der Kultur der alten Griechen oder Römer, der Kultur des Bierbrauens und Reimeschmiedens et cetera. Die Kulturen mit Plural kennen wir entweder nicht oder beziehen sich auf allzu Bodenständiges wie Bakterienkulturen, Pilzkulturen, Baumkulturen, Weinkulturen, Rosenkulturen ...
"Hustle" ist genau das, wonach es klingt: hasten, hecheln, haspeln (im Sinne von: etwas überstürzt tun oder sagen), und findet genau dort statt, wo es kein Entrinnen mehr gibt. Im altbewährten Hamsterrad. Oder in der Hölle daselbst.
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