Auch inspirieren hat etwas von einem Hauch, vom göttlichen oder ungöttlichen, engels- oder teufelsgleichen, wohlriechenden oder durch Umweltgifte verpesteten. In jedem Fall aber geheimnisvollen. Woher die Inspiration wirklich kommt, wenn sie als Sache wahr und wahrhaftig wird, vermag wahrscheinlich kaum jemand sicher zu sagen. Etymologisch kommt sie natürlich aus dem Lateinischen, inspiratio = die Einhauchung.
Die Oschwanderin Lina Bögli brach am 12.7.1892, im zarten Alter von 34 Jahren, im "österreichischen" Krakau zu ihrer zehnjährigen Weltreise auf. Im Bericht über diese Reise, der als Buch vorliegt, schreibt sie, Anlass zur Reise sei "eine Fügung des Schicksals" bzw die Einsicht gewesen, dass "das Leben oft furchtbar leer und farblos" sei. 1914, am 1. Oktober - kurz nach Ausbruch des ersten Weltkriegs, Lina Bögli war bereits für immer in die Schweiz zurückgekehrt und lebte in Herzogenbuchsee im "Kreuz" in dem Zimmer, in dem ich kürzlich übernachtete - vertraut sie ihrem Tagebuch an, dass die "Fügung des Schichsals" Männergestalt hatte und in der Uniform der k.u.k.-Armee steckte. Lina Böglis Schicksal war in der Tat ein polnischer Offizier im Dienst des österreichischen Kaisers, der angeblich in den ersten Kriegstagen gefallen war, tatsächlich aber den Krieg in russischer Gefangenschaft überlebte, den sie, die Schweizer Lina "aus lauter Liebe nicht heiraten wollte, um seine Karriere nicht zu zerstören, der sozusagem mein Schicksal wurde, weil ich, ohne ihn gekannt und geliebt zu haben, nie an eine Weltreise gedacht hätte, da ich ja nur fort ging, um mich vor ihm und mir selber zu flüchten."
Also nix von einem Leben, das "furchtbar leer und farblos" war. Sondern das glatte Gegenteil. Emotionales Achterbahnfahren!
Am 2.7.1916 notiert sie im Tagebuch: "Heute sind es 24 Jahre her, dass ich die Inspiration zu m. Weltreise empfing, und den ersten Schritt dazu tat." Zehn Tage später, am 12.7.1916: "Heute vor 24 Jahren habe ich meine Weltreise angetreten." Und am 17.7.: "Heute vor 24 Jahren segelte ich auf dem Ballarat von Europa ab." Kein Wort mehr von dem Mann und der Liebe, dafür aber die Inspiration, die sie "empfangen" habe.
Damit überträgt sie die Verantwortung für ihr Tun vom Bekannten (dem Geliebten, der bereits eingestandenen Flucht vor ihm und sich selbst) auf ein Unbekanntes (Gott? das Universum? die Vorsehung?) und verklärt es. Überhöht es in geradezu ikonografischem Übermut, in einer manieristischen Anspielung auf die unbefleckte Empfängnis.
Eine interessante Wendung im fürsprechenden und fortschreitenden eigenen Erinnern.
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