Samstag, 24. Juli 2021

Vollmond

Ausgerechnet mit einer Übersetzerin (aus dem Arabischen!) und einem Flötenschnitzer stehe ich am Deich. Wir wollten den Sonnenuntergang sehen und befinden uns unverhofft mitten im Mondnachtgeschehen. Wir warten auf das Wasser. Li Bai soll 762 nChr ertrunken sein beim Versuch, den Mond bzw sein Spiegelbild im Wasser eines Flusses zu umarmen. Eine schöne Legende! Und wir sind weit davon entfernt, unsere Nachtgedanken so unsterblich schön und unübersetzbar zu verdichten: 

靜夜思

床前明月光
疑是地上霜
舉頭望明月
低頭思故鄉

(mit Dank an den Sinologen)

Nachtgedanken

Zu meiner Lagerstätte scheint licht der Mond herein,
bedeckt mit fahlem Glanze wie kalter Reif den Rain.
Ich heb das Haupt und blicke empor zum lichten Mond,
drauf laß ich’s wieder sinken und denk der Heimat mein. 

[Ü Wilhelm Grube]

oder

Mondlicht vor mein Bett
scheint wie Frost herab.
Heb' den Blick zu ihm,
sink' in Heimat ein. 

[Ü Daniel Roth]

oder 

Vor meinem Bett das Mondlicht ist so weiß,
Daß ich vermeinte, es sei Reif gefallen.
Das Haupt erhoben schau ich auf zum Monde,
Das Haupt geneigt denk ich des Heimatdorfs. 

[Ü Günter Eich]

oder ???

1 Kommentar:

  1. Ich muss bei Vollmond immer an Philip Larkins „Sad Steps“ denken:

    https://www.poetryfoundation.org/poems/48418/sad-steps

    Was für eine tolle letzte Zeile.

    Annette

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