Ein ganz normaler Montag. Das Einsingen um 9 muss ich vorzeitig abbrechen, da ich einen Termin habe. Routine. Kontrolle. Seit Tagen erinnere ich mich daran, dass ich am Montag einen Termin habe. Seit Tagen fürchte ich, ich könnte vergessen. Weniger den Termin, als den Tag. Seit Wochen, Monaten muss ich mich jeden Tag aufs Neue beim Aufwachen zwingen, mich zu erinnern. An den Tag, der Woche, des Monats, des Jahres.
Ein ganz normaler Montag also. Ich vergesse den Termin nicht, ich vergesse den Tag nicht, ich vergesse die Zeit nicht. Ich verlasse rechtzeitig mit Regenjacke das Haus. Vor dem Ärztezentrum stelle ich das Fahrrad ab und ziehe die medizinische Maske über Mund und Nase. Im Ärztezentrum bin ich zum ersten Mal verwirrt. EG oder OG? Zwar sehe ich Tafeln, aber ich kann nicht lesen. Die Brille ist nicht nur beschlagen sondern auch verregnet. Vor einem Jahr hatte ich die Kontrolle abgesagt, ich hatte keine Lust, während des lockdowns in eine Arztpraxis zu laufen. Ich hätte sie auch heute absagen sollen. Ich habe nach wie vor keine Lust. Zu nichts. Ich bin nach einem Jahr physical distancing gesellschaftlich so entwöhnt, dass ich mich in einem ganz normalen Gebäude einer ganz normalen Kleinstadt nicht mehr zurechtfinde.
Ein ganz normaler Montag. Wenn ich schon, denke ich, während ich das Fahrradschloss wieder aufschließe, im Regen unterwegs bin und eine medizinische Maske aufhabe, die ich so schnell nicht wieder absetze, kann ich noch einkaufen. Ich kaufe also Milch, Joghurt, je 4 x, damit es für die ganze Woche reicht, Bananen, Zitronen, Ingwer, Haferflocken. Im Vorbeigehen Couvertüre Zartbitter und Milchschokolade. Vielleicht backe ich heute noch Kuchen.
Ein ganz normaler Montag. Ich bin nach zwei Stunden wieder zu Hause. Verregnet. Herr Caruso freut sich. Er wartet auf Futter. Bestürzt merke ich, dass sich eine Banane in einen Joghurtbecher gebohrt hat. Dass eine Packung Haferflocken auf der ganzen Längsseite aufgerissen ist. Dass die herausquellenden Flocken zum einen Teil Regengetränkt sind, zum anderen Joghurtgetränkt. Ich ziehe eine tropfende Spur hinter mir her. Herr Caruso ist so freundlich, alles aufzulecken. Konsterniert betrachte ich in der Küche das Frühstück meiner nächsten Tage: unappetitlich im Einkaufsbeutel vereint. Versaut. Ich überlege, was nun zu tun sei. Und finde keinen Ausweg. Sogar der Kater zieht sich zurück.
Ein ganz normaler Montag. Nachdem ich eine Stunde am Mittag erschöpft und traumlos geschlafen und danach das Einsingen zu Ende nachgeholt habe, betrachte ich die Bescherung in der Küche. Die Haferflocken bekommen die Vögel, den Joghurt Caruso. Die Banane hat eine harte Schale. Der Einkaufsbeutel landet im Müll. Alles andere, Zitronen, Ingwer, Couvertüre usw. lag im zweiten Beutel und ist unversehrt. Alles halbsoschlimm.
Ein ganz normaler Montag. Trotzdem zittern meine Knie. Halbsoschlimm, ja. Aber so etwas ist mir noch nie passiert. Und das erste Mal ist immer ein Anfang. Der Anfang wovon? Ich friere und frage mich am Herd, wie ich denn heute wieder auf ganz normale Gedanken komme?
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