Foto: Manuela A. |
"Strömungsarme Stellen wachsen bereitwillig. Sie liegen zwischen den vorgelagerten
Inseln, Halligen, Sandbänken und dem Festland. Zweimal täglich trägt die Flut
tonnenweise fein gemahlenes Gebirge auf die Wattfläche. Sedimente der ganzen
westlichen Welt dicken das Wattwasser ein und versinken erst dort, wo die
Strömung nicht mehr fließt.
Strömungsarme stellen Fallen, betten organische Überreste wie
Sterbende zur Ruhe. Geschiebemergel oder Gletschermilch. Sand aus der Wüste
Sinai oder vom Berg Ararat. Strömungsarme stellen keine Fragen, weder
nach der Staatsangehörigkeit noch nach der morphologischen Struktur. Partikel
oder Abtönung. Luftsäulen beherbergen aufsteigende Naturtonreihen. Strömungsarme
Stellen nutzen den Stillstand ohne Widerrede. Wachsen ihre Ablagerungen
über das Mittlere Tidehochwasser hinaus, entstehen Marschen. Jungmarschen,
Rohmarschen, Salzmarschen. Seemarschen erreicht das ankommende Wasser kaum
noch. Die Augustsonne trocknet das neu gewonnene Land aus und schichtet die
bodennahe Luft labil. Dann tanzt der Sandteufel auf. Ungestüm wie Willy-Willy
errichtet er aus nichtigem Grunde kleinräumige Damenumkleidekabinen."
© Judith Arlt 2016
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