Freitag, 15. Dezember 2023

Austernporträt

Austern, sagt Herr Ammer, seien das widerstandsfähigste, anpassungsfähigste Lebewesen der Schöpfung. Austern gab es immer schon, weiß Herr Ammer und die Menschen haben seit Anbeginn Austern gegessen. Ich nenne diesen Fachmann so gerne beim Namen, weil es einfach der Hammer ist!

Nur an Austern, erklärt er nämlich, kann der Mensch heute noch seinen ursprünglichen Instinkt, den Jagdtrieb befriedigen: die Beute erlegen und bei lebendigem Leib auffressen. Nicht auf die Fleischverarbeitende Ekelindustrie angewiesen sein, nicht auf die Hühnerfarm, nicht auf die Forellenzucht. Sondern ab ins Sternerestaurant, sich Austern auf Eis servieren lassen, die Schalen öffnen, mit einem scharfen Messer den Muskel durchtrennenen und das noch lebende glibbrige Wesen mit dem ersten Biss töten und hinunterschlingen. Oder eleganter ausgedrückt: aus der Schale schlürfen. 

Herr Ammer schreibt: "Sobald der feste Muskel des beim Verzehr noch lebenden Tiers durchtrennt ist, offenbart sich die darin lebende Molluske: Sie hat ein Herz, aber kein Gehirn, dafür Magen, Darm und After." Und mehr (Meer) noch: Dass Austern früher ein Armeleuteessen waren. Dass Austern, je nach Witterung mehrmals im Leben ihr Geschlecht ändern. Dass die invasive Pazifische Felsenauster, vor deren spitzen Schalen sogar bei uns an der Meldorfer Buch gewarnt wird, den Spitznamen "Sylter Royal" trägt. Und last but not least: dass es an der Nordseeküste bereits konkrete Pläne gibt, ein ganzes Austernriff wieder herzustellen und die hier einst heimische, aber ausgerottete Europäische Auster wieder anzusiedeln.

Andreas Ammer: Austern. Ein Portrait. Berlin 2022

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