Es ist schon ein bisschen her. Am selben Tag, als in Polen die PIS mit ihren Enten (kaczki) und Kartoffeln (kartofle) abgewählt wurde - am 15. Oktober - wäre Italo Calvino 100 Jahre alt geworden.
Durch ein groteskes Machtspiel, inszeniert vor den Augen der ganzen Welt durch eine Marionette, konnte die neue Regierung erst am 13. Dezember vereidigt werden. Genau heute vor einem Monat. Da der 13.12. seine eigene Geschichte in der polnischen Geschichte hat, spricht die neue Opposition, die abgewählte alte Regierung hämisch von der Regierung des 13. Dezembers - rząd trzynastego grudnia. So verspätete wie die demokratisch gewählte Mehrheit endlich an die Macht kam, will ich nun Italo Calvinos gedenken. Für mich ist er mit Polen verknüpft, weil meine Kollegin Magdalena Tulli seine "La giornate d'uno scrutatore" ins Polnische übersetzt hat.
Calvino wollte die Unsterblichkeit der Literatur ergründen - und starb darüber. Eingeladen zum Wintersemester 1985/86 an die Harvard-Universiät, wollte er dort Vorlesungen halten zu 6 Kriterien, die Literatur erfüllen muss, um auch noch "im nächsten Jahrtausend" relevant zu sein. Calvino hat uns alle 6 Titel der Vorlesungen hinterlassen, aber nur zu den ersten 5 auch die Vorlesung selbst:
Leichtigkeit - Schnelligkeit - Genauigkeit - Anschaulichkeit - Vielschichtigkeit - KonsistenzKurz vor der Abreise in die USA erleidet Calvino in Siena einen Hirnschlag, fällt ins Koma und stirbt am 19.9.1985 ohne das Bewusstsein noch einmal erlangt zu haben.
Konsistenz - was ist Konsistenz in der Literatur?
Von Calvinos Gedanken ist nur soviel bekannt, dass er auf Herman Melville Bezug nehmen wollte, auf dessen Text "Bartleby, der Schreiber", dessen Titelfigur als "Held der Passivität" in die Literaturgeschichte einging, weil er zu allem und jedem nur sagte "Ich möchte lieber nicht".
Es wird spekuliert, dass Calvino seine 6. und letzte Vorlesung mit Bartlebys Satz begonnen hätte: "Ich möchte lieber nicht". Um den Zuhörern den Wert des Verzichts deutlich zu machen. Schon damals, es sind ja seither fast 4 Jahrzehnte vergangen, war Calvino der Meinung, dass eher zuviel als zuwenig gesagt oder geschrieben wird. Was würde er erst heute denken ... "Ich möchte lieber nicht."
Melvilles "Bartleby, der Schreiber" wurde im Sommer im ARD-Radiofestival gelesen, ist aber leider nicht mehr verfügbar in der Mediathek. Verfügbar sind als Buch Calvinos erste 5 Vorlesungen. In den posthum veröffentlichten "Lezioni americane: sei proposte per il prossimo millenio" (Milano 1988 - deutsch "Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. Harvard-Vorlesungen. München 1991). Und hier fürs Radio aufbereitet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen