Mittwoch, 6. April 2022

Dauerregen

Ich bin zum Kaffee eingeladen. Nach gefühlt 200 Jahren. Irgendwie platzt die Existenz gerade aus allen Nähten. Ich habe das Gefühl, viele und doch niemand zu sein, immer und doch nie. Am Geburtstagtisch sitzen drei Schwedinnen, die alle fast auf den Tag genau seit einem halben Jahrhundert an der Schleswig Holsteinischen Westküste, in Dithmarschen bzw. Nordfriesland leben. Unter dem Tisch liegt Heidi, die achtjährige Berner Sennenhündin. Sie ist einmal fast an einem frisch vom Feld geholten und sofort verschlungenen Maiskolben gestorben. Nicht der rohen Mais und nicht der harten Kolben brachten den Darm lebensgefährlich zum Verschluss. Sondern ein daran verheddertes Meisenknödelnetz. Heidi kam rechtzeitig unters Messer und freut sich auf jeden Spaziergang im Speicherkoog. Ich glaube, Heidi vermisst die Berge nicht. Ich auch nicht. Aber die Schwedinnen erzählen von Dingen, die ich nicht verstehe. Von Heimweh, von Grabpflege, von Zwiespälten (gibt es das? den Plural von Zwiespalt?) und anderen Gräben, Spalten, Klüften. Von fehlenden Brücken.

Auf dem Heimweg, ich nehme den kürzesten Weg durch die Unterführung unter der Marschbahn, werde ich bis auf die Haut nass. Das ist mir seit gefühlt 200 Jahren nicht mehr passiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen