Nachtrag zum arbeitenden Samstag: Farocki war beim Auftakt der Retrospektive seines Werks in Warschau. Nach dem Film wurde geredet. Jeder durfte dem Regisseur Fragen stellen. Anstrengend und unergiebig. Ein nach Worten ringender Diskussionsleiter, ein überforderter Übersetzer und nicht funktionierende Mikrophone. Das übliche Ensemble. Der Übersetzter hatte die undankbare Aufgabe, für einen deutschen Filmregisseur polnisch - englisch zu übersetzen. Farocki sprach englisch. Und saß vor einer überdimensionierten Werbetafel des Goethe-Instituts. Ein polnischer Englischdolmetscher muss nicht wissen, was die "Frankfurter Schule" ist (eine Schule in Frankfurt? In Frankfurt an der Oder oder in Frankfurt am Main???). Oder wer Günther Stern bzw. Günther Anders war. Das wissen nicht einmal alle, die westlich der Oder wohnen. Die kennen Stern höchstens als Hannah Arendts ersten Ehemann.
Menschen wie Farocki sind dazu da, Eis (oder Beton) zu brechen. Plötzlich sagte er, statt auf eine Frage zu antworten, wie interessant es für ihn sei, eine Sprache zu hören, von der er kein Wort verstehe. Und dann wollte er wissen, was das Wort "schleppen" (so hatte er es gehört) bedeute. Er habe den Eindruck, es würde hier andauernd gebraucht.
Was er aus dem Geschwätz herausgefiltert hatte, war "ślepy". Die polnische Vokabel für "blind". Das wichtigste Wort des ganzen Abends. Sein Film zeigt Archivaufnahmen. Luftaufnahmen der Alliierten von Auschwitz. Aufnahmen der SS von ankommenden Transporten. Bilder der Welt. Inschrift des Krieges. Niemand sah die Vernichtung, den Massenmord. Die Alliierten suchten Fabrikanlagen der IG-Farben und fanden sie. Auschwitz kam zufällig mit auf ihre Bilder. Sie hatte keinen Auftrag, ein Konzentrationslager zu suchen. Also sahen sie es nicht.
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