Sonntag, 31. Januar 2010

Der Schneegarten

Es schneit ununterbrochen. Alles Unebene wird zugedeckt. Alles Unsaubere ausgeweißt. Bunt ist nur die Brust der Wacholderdrossel, die heute zum ersten Mal im Apfelbaum saß. Keck aufgeplustert, mit ockergelbem Decolleté, ins Blasse-Rötlich-Beige übergehend, darüber das Perlencollier in Form von schwarzen pfeilspitzenähnlichen Tupfern.

Samstag, 30. Januar 2010

Die Schneetiefs

In der Nacht fielen fast dreißig Zentimeter Neuschnee. Windböen von über hundert Stundenkilometern führten erneut zu meterhohen Schneeverwehungen. Verantwortlich für das Wetter ist der Wintersturm Keziban. Wer für die Namen verantwortlich ist, weiß ich nicht*. Am Nachmittag soll das Schneetief Richtung Südfinnland abziehen - und damit bei uns für etwas Entspannung sorgen. Für Dienstag ist bereits das nächste, vorläufig noch namenlose strenge Winterwetter angesagt.
Derweil versinkt der Nordosten im Chaos. Straßen sind unpassierbar. Vielerorts bricht der Personennahverkehr vollkommen zusammen. Zu Hause bleiben, lautet die Devise. Wir kommen noch vergleichsweise gut weg. Ich schaufelte im Schweiße meines Angesichts pünktlich zum Sonnenaufgang das pulvrige Weiß vom Bürgersteig auf die Straße. Wie immer. Wie alle. Bald liegt die Straße höher als die Hecke. Als das Haus. Irgendwann werden die Autos über unsere Dächer fahren.

* Ich weiß nur, was Keziban bedeutet: "stolze schöne Frau", türkisch oder persisch, ein beliebter Frauenvorname.

Donnerstag, 28. Januar 2010

Die Sommersterblichkeit

Alles ist ausgeglichen im Watt. Auch wenn jetzt die Rede ist vom Watttiersterben. Und gewarnt wird vor "sorglosen Entdeckungstouren im mit Packeis bedeckten Wattenmeer". Das Nordseewasser sei nur dünn überfroren und die Flut bringe scheinbar tragfähige Eisschichten wieder in Bewegung. Spaziergänger könnten sich in große Gefahr begeben.

Also bleibe ich zu Hause und versuche mir ihr Sommersterben vorzustellen. Drastische Temperaturanstiege dezimieren den Bestand der Pazifischen Auster um bis zu 20 Prozent. In manchen Kultivierungsregionen. Bei uns an der Meldorfer Bucht sind auch schon windstille Hitzetage vorgekommen.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Die Wattwanderführer

Die Wattführer führen Wanderer durch das Watt fast das ganze Jahr. In hellen Stunden, wenn die Nordsee den Boden freigibt. Es gibt auch dunkle Stunden, in denen der Wattboden trockenfällt. Ebbe und Flut halten sich nicht an den Lauf der Sonne. In den dunklen Stunden sähen die Wanderer gar nichts. Und es gibt kalte Stunden. Gezeiten scheren sich einen Dreck um Frühling, Sommer, Herbst und Winter und türmen meterhohe Schollen von Presseis aus. Wenn der Wintersturm hilft. Wattwanderfüße verletzten sich daran oder erfrören.

Die Wattwanderer wandern nicht nur, sie bücken sich alle Nase lang. Auch im Hochsommer wird mittlerweile festes Schuhwerk empfohlen. Denn die Bioinvasion der Pazifischen Auster ist nicht mehr zu stoppen.
"Einbürgerungsversuche mit Amerikanischen und Portugiesischen Austern scheiterten", gibt das AWI auf seiner Website bekannt, "erst die aus Japan stammende und zu Kulturzwecken ins Sylter Watt eingeführte Pazifische Auster brachte kommerziellen Erfolg." Nachdem, das muss ergänzt werden, die einheimische Europäische Auster durch rücksichtsloses Überfischen ausgerottet wurde. Man hatte die Pazifische Auster im kalten Norden völlig unterschätzt. Bald schon entstanden starke Wildpopulationen, die sich invasionsartig von der westfriesischen Küste an die ostfriesische ausbreiteten. Seit einigen Jahren treten die Sommergäste an der Wattenmeerküste immer wieder in "verdammt" scharfe Austernschalen. Also: Schuhe schnüren.

Das Wattenmeer sei das "produktivste Ökosystem der Welt", sagt der Wattführer und gräbt einen Wattwurm aus dem Boden. Auf seinem Handteller windet sich der Wurm und sondert eine blassgelbe Flüssigkeit aus - Eiweiß. Damit kleidet er normalerweise die Wände seiner Wohnröhre im Watt aus und verfestigt sie. Auf einer offenen Menschenhand führt die Eiweißausscheidung zu nichts. Irgendwann tropft sie dem Wattführer durch die Finger. Im Watt schluckt der Wurm Sand und Schlick, verdaut das darin verborgene organische Material und presst den Rest als Wollgarnartige Knäuel wieder an die Oberfläche. Vögel oder Fische stellen ihm nach. Wenn sein Hinterteil zu weit ins Freie herausragt und ein spitzer Austerfischerschnabel kreischend zuschnappt, rettet ihn die körpereigene Sollbruchstelle. Der Vogel frisst nur einen Teil des Wurms. Und der Wurm verrichtet weiter seine Tagewerk.
Mindestens einmal im Jahr, sagt der Wattführer, graben die Wattwürmer den gesamten Wattboden komplett um - und kommen doch nie in das Guinness-Buch der Rekorde.

Dienstag, 26. Januar 2010

Die Wintersterblichkeit

Die pazifische Auster hingegen gilt als "robustes Vieh", wie alles, was aus Asien kommt. Während der 14 letzten, milden Wintern und 14 warmen Sommern hatte sie Gelegenheit genug, regelrechte Riffe zu bilden und die einheimische Miesmuschel zu bedrängen.
Eine einzige weibliche pazifische Auster kann bis zu 30 Millionen Eier ins Wasser abgeben. Dort werden sie von den etwa zeitgleich abgegebenen Spermien männlicher Austern befruchtet. Unter idealen Meeresbedingungen entwickeln sich 90-95% der befruchteten Eier binnen 48 Stunden zu Larven. Und bei günstigen Temperatur, vermutlich zwischen 19-23°C, laicht ein Weibchen in einer Saison auch mehrfach. Wahrscheinlich trägt zur Zeit das Eis durch Verdriftung festgefrorener Austern sogar zur weiteren invasiven Verbreitung dieser Art bei.
Aber die Fortpflanzungsbedingungen für die noch nicht ganz verdrängte Miesmuschel verbessern sich auch. Im nächsten Sommer, der bestimmt kommt, wird sie an der Meldorfer Bucht weniger Fressfeinde antreffen. Das Eis und die Kälte dezimieren gerade die Seesterne.
Und wir werden auf unseren Wattspaziergängen nichts mehr finden, was wir einsammeln und zu Hause auf die Fensterbank legen könnten.

Montag, 25. Januar 2010

Die Pantoffelschnecke

Der strenge Winter wirbele das Ökosystem des Wattenmeers durcheinander, lese ich in der Zeitung. Und unsere Biobauern schreiben, sie müssten zum ersten Mal das Kühlhaus beheizen. Die gepackten Kisten kämen warm auf den Transporter. So erfriert der Kohl nicht, bis er vor meiner Haustür ankommt. Das ist das schöne an dieser Biokiste, da ist immer ein Brief drin.
Vor allem die amerikanische Pantoffelschnecke - die so heißt, weil ihre Schale von unten aussieht wie ein Pantoffel, und weil sie 1934 unabsichtlich mit amerikanischen Zuchtaustern in Sylter Gewässer eingeschleppt wurde - sei ein "Sensibelchen" und würde unter dem anhaltenden Frost leiden, meldet das Alfred-Wegener-Institut. Aussterben dürfte sie allerdings kaum, hat sie sich doch gut auf den Miesmuschelbänken unterhalb der Niedrigwasserlinie des Wattenmeers eingelebt. An manchen Stellen gab es vor dem Kälteeinbruch bis zu 1500 Tiere auf einem Quadratmeter. Die Wintersterblichkeit, wurde schon vor Jahren gemeldet, als es noch keine frostreichen Tage gab, könne bis zu 90% betragen. Damals war es eine Schutzinformation für die Inselwintergäste. Man wollte die nicht ohne Vorwarnung auf den vielen leeren Pantoffelschneckenschalen an den Sylter Oststränden herumtrampeln lassen.
Oft wird sie für eine Muschel gehalten, da ihr Gehäuse nicht die für Schnecken so typischen spiraligen Windungen zeigt. Auch sonst ist sie eine untypische Meeresschnecke. Sie ernährt sich nämlich im Gegensatz zu fast allen anderen Schnecken an der Wattenmeerküste nicht dadurch, dass sie die Untergründe abweidet. Nein, die Pantoffelschnecken filtriert das Wasser. Sie benutzt dazu ihre Kiemen und ein Schleimnetz, mit dem kleinste Partikel aus dem Wasser gefiltert werden. Im Sexleben unterscheidet sie sich allerdings nicht erheblich von dem der Schnirkelschnecke. Die Pantoffelschnecke beginnt ihr Leben als Männchen und wandelt sich nach einer gewissen Zeit in ein Weibchen um. In sogenannten Paarungsketten sitzen kleinere Männchen auf größeren Weibchen und sorgen per innerer Befruchtung für Nachwuchs.
Dabei kommt es natürlich vor, dass Männchen mit mehreren Weibchen und Weibchen mit mehreren Männchen verkehren. So what? Denke ich. Ich begebe mich in die Küche zu meinem Brief und hoble Rotkohl.

Sonntag, 24. Januar 2010

Samstag, 23. Januar 2010

Die Gefleckte Schnirkelschnecke

Die Schnirkelschnecke ist die nächste Verwandte der Weinbergschnecke. Die normalste Schnecke der Welt. Sie bewohnt vorwiegend feuchte Habitate, vom Flachland bis über 2700 Metern in Mittel- und Nordeuropa. Also ist sie bei uns zu Hause. Ich sehe sie zwar nicht, denn unser Garten liegt unter einer dicken Schneeschicht im Winterschlaf. Aber ich bewundere sie von meinem geheizten Arbeitszimmer aus.
Sie ist ein Zwitter und schützt sich mit einem Körpereigenen Kondom vor Selbstbefruchtung und Inzucht.
Sie hat unendlich viele Liebhaber und legt die Spermien in einer Spermathek an.
Sie praktiziert die sogenannte cryptic female choice - die heimliche weibliche Auswahl oder kryptische Weibchenwahl. Kryptisch im Sinne von versteckt (nicht verklemmt!), weil der Vorgang im Körperinneren, genauer: im Fortpflanzungstrakt, vonstatten geht, also geheim und undurchsichtig ist. Die Schnirkelschnecke ist in der Lage, nach dem Geschlechtsakt das Sperma qualitativ besserer oder kompatiblerer Männchen zu bevorzugen und umgekehrt das Sperma anderer Männchen zu benachteiligen.
Postmating sexual selection heißt das gemeinhin. Auswahl des Geschlechtspartners nach der Kopulation.
Irgendwie ist das ein bisschen irre, was sich die Forscher da wissenschaftlich zurechtlegen. Die Schnirkelschnecke (niemand kann mir sagen, woher sie diesen deutschen Namen hat) hat sie doch noch alle. Alle Tassen im Schrank und alle Liebhaber am Körper. Sie wählt nicht den Partner erst nach dem Sex, post factum, sondern nimmt die Lust von jedem. Sie betreibt einen schamlosen Verschleiß an Samen. 90 Prozent des Inhalts ihrer Spermathek verkümmern angeblich.

Freitag, 22. Januar 2010

Die Kurzlebigkeit

So sieht die Zukunft aus. Der Blick aus meinem Warschauer Fenster etwa dreißig Jahre später. Wenn ich vor ungefähr 27 Jahren in besagtem Zimmer polnische Vokabeln büffelte, dann wurde dieses Bild an einem Wintertag des Jahres 2013 gemacht worden sein.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Die Langlebigkeit

Nein, dies ist kein Bild aus einem Erdbebengebiet. Dies ist ein Bild aus einer aufstrebenden Metropole. Und ein Bild aus meinem Leben.
Im Hintergrund, rechts vom Betrachter aus gesehen, steht das erste Hochhaus der Warschauer Innenstadt. Dort habe ich im siebten Stock zwei Jahre gewohnt. Und auf das geguckt, was heute in Trümmern liegt. Das legendäre Kino Skarpa. Im Kino Skarpa liefen legendäre Filme. Es war das schönste Kino der Welt.
In Trümmern liegt es, weil an seiner Stelle ein modernes Geschäftshaus entstehen soll. Weil der Boden, auf dem es steht, im Zentrum einer aufstrebenden Metropole, mehr wert ist als reine Nostalgie.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Die Vielsilbigkeit

Dass deutsche Komposita Kopfschütteln verursachen, ist bekannt. Zumeist handelt es sich dabei um Substantivanhäufungen oder Substantivierungsungetüme. Heute ist das Unwort des Jahres 2009 gekürt geworden, ein adjektivisches Kompositum, das kaum jemandem geläufig ist, wie die Kommentare zeigen: betriebsratsverseucht. Dieses Unwort ist nur kompatibel mit Menschen, die in einem Angestelltenverhältnis (noch) sind oder (deshalb leider) waren. Die Jury begründete ihre Wahl so: das Unwort drücke einen "sprachlichen Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen" aus.
Eine Rüge ereilte ein traditionelles Kompositum: die von Frau Merkel auf einem "Bürgerforum" der Bertelsmann-Stiftung in die Welt gesetzte Flüchtlingsbekämpfung. Dieses zweitplatzierte Unwort erinnert mich irgendwie unschön an Schädlingsbekämpfung. Und rückt damit in meinen Ohren unweigerlich semantisch in die Nähe der Wortwahl jenes Abteilungsleiters einer Baumarktkette, dem wir angeblich das überraschende Unwort des Jahres verdanken. Beide Wörter dokumentieren auf verblüffend ähnliche Weise einen sprachlichen Tiefpunkt im Umgang mit Menschen - nämlich eine Klassifizierung in gute und weniger gute, wertvolle und weniger wertvolle, brauchbare und weniger brauchbare Menschen.

Da haben es die Schweizer besser. Sie küren neben dem Unwort auch das Wort des Jahres. Das Unwort des Jahres 2009 ist ein innenpolitisches Lexem: Ventilklausel. Es entspricht in der Sache etwa dem gerügten Zweitplatzierten oben. Aber die political correctness verbietet es den Helvetiern, diese - wie sie offiziell genannt werden - "ein- und rückwandernden Personen aus dem EU-Raum" als Flüchtlinge zu bezeichnen. Das Schweizer Wort des Jahres 2009 ist blutjung und, wie man meinen könnte, keusch und reinweiß wie das Kreuz im roten Feld. Aber es hat eine Blitzkarriere rund um den Erdball hinter sich, wie kein anderes. Es ist international in aller Munde, hat weltweit seine Initiation gefeiert, ist im wahrsten Sinne des Wortes globalisiert: Minarettverbot.

Den Schweizer Satz des Jahres "Ich bin nicht gut integriert - ich bin Schweizer" sprach gelassen aus der U17 Spieler Granit Xhata. Sein Schweizer Team gewann 2009 die U17 Fußball Weltmeisterschaft. Der Deutsche Satz des Jahres stammt aus einer anderen Bevölkerungsschicht: Das steht mir zu, sagte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Sommer in Alicante zu Journalisten, nachdem bekannt geworden war, dass ihr Dienstwagen an ihrem Ferienort gestohlen worden war. Ihre Partei verlor die Wahlen im Herbst 2009 nicht wegen dieses Vierwort-Satzes. Trotzdem gehe ich davon aus, dass diese Dienstwagenaffäre einschließlich Diebstahls und Rückgabe von den politischen Gegnern in Szene gesetzt worden war.

Das Schweizer Jugendwort des Jahres ist eigentlich ein Satz: sbeschtewosjehettsgits ["sBeschte wos je hetts gits" - analog übersetzt: "das Beste, was es je hatte gibt"]. Die Deutschen kennen ein solches nicht.

Samt und sonders, scheint mir, sprachliche Tiefpunkte. Im Umgang mit anderen, wie mit sich selbst. Mentale Tiefpunkte. Moralische Tiefpunkte. Tiefpunkte. Klassifizierung. Diskriminierung. Wertung.

Montag, 18. Januar 2010

Die Zweisilbigkeit

Wie gesagt: jedes einsilbige Substantiv kann im Deutschen durch Deklination, etwa eine Genitivbiegung zweisilbig gemacht werden. Wie der Wind, der Schatten wirft - was nichts zu tun hat mit dem Windschatten - und deshalb einem Roman den deutschen Titel "Der Schatten des Windes" verleihen kann. Im Original "La sombra del viento". Dieser Originalwind, viento ist immer zweisilbig. Mit oder ohne Genitiv. Mit oder ohne Schatten. Mit oder ohne Atemholen.

Ich neide dem viento seine tänzerische Eleganz und ich raufe mir weiterhin die Haare vor Verzweiflung über den deutschen Wind und seine Adhäsionseigenschaften. Wind ist wie Prittstift. Oder Tesasekundenkleber. Kommt nicht mehr vom Fleck.

Sonntag, 17. Januar 2010

Die Einsilbigkeit

Der Wind und seine deutsche Einsilbigkeit lassen mich immer noch nicht los. Die Einsilbigkeit eines Wortes wie "Wind", das erst von der Grammatik weitere Silben zugewiesen bekommt. Die Einsilbigkeit des Windes kann ich bewahren, indem ich auf Genitivkonstruktionen verzichte. Oder poetisch-affektiertes Sprechen wie "vom Winde verweht" vermeide. Und nie den Plural bemühe, obwohl er mir erlauben würde, mit den Winden etwas ganz anderes auszudrücken als mit dem Wind.
Im Inneren meines Herzens verstehe ich nicht, warum der Wind einsilbig sein soll. Herz verhält sich grammatikalisch wie Wind. Als Wort ist es einsilbig und unbewegt. Diese lexikalische Ungerührtheit, Reglosigkeit, Starrheit ergibt weder im einen noch im anderen Fall einen Sinn.

Samstag, 16. Januar 2010

Finissage

Letzte Möglichkeit, die Klanginstallation A Travel Log: From Fwarrheu to Hejning von Suk-Jun Kim in Berlin zu erleben: Heute 17-19 h

  • Mnemoneine: 1-kanalige Video- und 2-kanalige Audio-Installation mit einem Holzbrett (2009)
  • Memory Tub (in Zusammenarbeit mit Sung-Eun Kim): 5-kanalige Audio-Installation mit kleiner Wanne (2009)
  • Souvenirs for Your Itineraries: 60-kanalige Klanginstallation mit Piezo discs (2009)
  • Sound Screen: Hejning (in Zusammenarbeit mit Sung-Eun Kim): 12-kanalige Klanginstallation (2009)

Die vier Klanginstallationen suchen Wege nach Hasla, einer fiktiven Gegend, deren Existenz sich uns einzig durch die Klänge und Artefakte erschließt, die aus diesem imaginären Land mitgebracht wurden, und durch die mitgeteilten Erlebnisse eines Reisenden, der Hasla angeblich durchquert hat: „Ich war in diesem Land namens Hasla. Ich erinnere mich an ein Schild, auf dem stand: Willkommen in Hasla! Ein fernes Land, in dem alles vertraut und doch seltsam fremd wirkt; ein Ort, zu dem man niemals gereist ist und der dennoch auf merkwürdige Weise jeder Stadt gleicht, die man zuvor besucht hat; eine Stadt, die man – kaum ist man angekommen – schon wieder verlassen hat. Nun, wenigstens habe ich es so in Erinnerung. Aber wie kann ich von einem Land erzählen, das nicht existiert?“

daadgalerie, Zimmerstraße 90/91, 10117 Berlin-Mitte

Donnerstag, 14. Januar 2010

Leere Plätze

Jedes Gedicht, schreibt Nora Iuga, sei "eine rätselhafte Statue auf einem leeren Platz". Und mir drängt sich sofort die Frage auf: was ist der Roman auf diesem leeren Platz? Der leere Platz steht für sich und außer Frage. Er ist immer und überall. Omnipräsent.
Nora Iuga ist die Grande Dame der rumänischen Poesie und Übersetzerin (u.a. der Werke Herta Müllers) aus dem Deutschen ins Rumänische. Sie muss alle leeren Plätze dieser Welt kennen, denn sie weiß, dass ihr nicht nur ein Leben, sondern drei Leben zugeeignet wurden. Und jedes, sagt die Dichterin, sei auf seine Art schön.
Der Roman ist heute, so scheint es mir, ein geschmolzener Eisblock. Eine beliebige, willkürliche Wasseransammlung. Diese schale Lache erreicht auf dem leeren Platz unserer Existenz leider nie wieder ihren erratischen, kalten, klaren, fast durchsichtigen und umso geheimnisvolleren Ursprung.

Sonntag, 10. Januar 2010

Improv Everywhere

Heute findet weltweit der 9. "No Pants Subway Ride" (hosenfreier U-Bahn-Tag oder das "Unten-fast-ohne-U-Bahn-Fahren") statt. Da wir am Wattenmeer weder eine U-Bahn noch richtige Schneeverwehungen haben, bleibt uns nur das Barfußlaufen im knöcheltiefen Frischschnee. Oder, zur Feier von vollbrachten 193 Monaten Ehe, Rodeln selbander am Deich.

Ohne Hosen bedeutet auch ohne Röcke. Frauen sind von der Teilnahme am Ufo-U-Bahnfahren nicht prinzipiell ausgeschlossen. Infolge eisiger Kälte ziehen die Flashmobber in Winterstädten wie Warschau, Berlin oder Stockholm ihre Hosen allerdings erst innerhalb der Waggons aus. Des Überraschungseffekts wegen, behaupten sie und tun dann so, als ob gar nichts wäre.
Die Organisatoren, eine Gruppe von New Yorker Performance-Künstlern mit dem schönen Namen "Improv Eveywhere", wollen mit ihren Aktionen "Szenen des Chaos und der Freude an öffentlichen Plätzen" verursachen.
Heute zu erleben in: Adelaide, Amsterdam, Atlanta, Barcelona, Berlin, Boston, Brisbane, Buenos Aires, Buffalo, Calgary, Charlotte, Chicago, Cleveland, Dallas, Dallas 2, Denver, Edmonton, Gothenburg, Honolulu, Lisbon, London, Los Angeles, Madrid, Melbourne, Mexico City, Minneapolis, New York, Philadelphia, Phoenix, Pittsburgh, Portland, Portland 2, Salt Lake City, San Diego, San Francisco, Seattle, Stockholm, Sydney, Tokyo, Toronto, Toulouse, Vancouver, Vienna, Warsaw, Washington DC sowie - last but not least - Zürich. Nix wie hin!
http://www.improveverywhere.com/

Samstag, 9. Januar 2010

Schneeverwehungen

Inzwischen weiß ich, was das ist. Schneeverwehungen. Früher gab es das nicht, behaupte ich. Früher = in meiner helvetischen Kindheit.

Das kann, sagt W., zwei Gründe haben. Wie immer.
Entweder: Du bist in einer windlosen Welt groß geworden.
Oder: Deine Welt besaß andere Wörter für ihre Bestandteile.

Wie auch immer. Wir blieben verschont. Die Windverwirbelungen trafen unsere Hütte am Wattenmeer nicht. Trotzdem habe ich begriffen, dass Schneeverwehungen schlimmer sind als Schneefälle. Schneeverwehungen sind unberechenbar wie der Wind an sich. Und jeder Fall, auch der Kniefall, ist aufgrund der Schwerkraft präzise berechenbar.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Eine vollständige Bank

Eine Schneebank.
Eine Sonnenbank.
Eine Winterbank.

Eine aufrechte Bank. Eine saubere Bank. Eine leere Bank.
Eine Sandbank. Eine Sparkasse. Eine WWH-(WeißWieHimmel)-Bank.

Bis zu drei Meter hohe Schneeverwehungen sind angesagt an der Nordseeküste und Schneeböen, strichweise diesig.
Ich frage W., was das ist.
Er weiß es nicht.
Meint aber, es könnte gut sein, dass es uns nicht trifft. Dass es südlich von Dithmarschen vorbeizieht. Denn wir haben eine Bank. Eine freie Bank. Eine AWB - Allwetterbank.

Mittwoch, 6. Januar 2010

barfußlaufen

Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass barfußlaufen gesünder sei, als das Laufen mit teuren Laufschuhen. Die Belastungen für die Gelenke, Knie und Hüfte, sollen beim Joggen mit speziellen Schuhen höher sein als bei einem Spaziergang mit highheels. Der Fuß bekomme zwar besseren Halt durch die modernen Sportschuhe, die Hüfte würde aber mit solchen Schuhen im Durchschnitt um 54 % mehr strapaziert, die Knie um 37 % als ohne Schuhe.
Mich erstaunt dieses Ergebnis nicht. Kein Kleidungsstück kann - von Nässe oder Kälte abweisenden Effekten mal abgesehen - besser sein als unser Körper. Jedes Kleidungsstück verstümmelt etwas.

Wir gehen nach der Sauna jeweils im Garten spazieren. Normalerweise nicht barfuß, sondern in unseren Plastikschlärpli. Heute liegt viel Schnee rund ums Haus. Wir beschließen, mit bloßen Füßen aus dem Wohnzimmer hinaus, in den Schnee hinein zu steigen. Er reicht uns bis zu den Knöcheln, obwohl wir ihn seit Tagen in regelmäßigen Abständen vom Haus wegschaufeln. Zuerst fühlt er sich nur eiskalt an. Dann stechen feine spitze Nadeln in die Fußsohle. Ins Gewölbe, das besonders empfindlich scheint. Die Kälte schneidet und brennt. Bei den Bambussträuchern, die auch frieren, glaube ich es nicht mehr auszuhalten. Ich muss sofort ins Haus zurück. Aber es gibt keinen anderen Weg. Als durch den Schnee. Zurück. Auf bloßen Füßen.
Danach, unter einer warmen Decke, mit Thermosocken, steigt die Hitze schnell Unter- und Oberschenkel hinauf. Während die Nadeln noch lange in der Fußsohlenhaut stecken.
Nach dem zweiten Saunagang ist der Barfußlauf im Schnee kreischende Routine.
Nach dem dritten bin ich still und sicher, dass wir ihn nach dem Winter missen werden.

Montag, 4. Januar 2010

Ein vollständiger Satz

Auf dem Bild ist nicht gefrorenes Meer zu sehen. Auch nicht vom Wind zerwühltes und in der Nacht erstarrtes Watt. So etwas gibt es nämlich gar nicht. Wattboden ist weder hitzig noch überflüssig wie Lava.
Auf dem Bild ist das Geestfeld im Winter unter einer dünnen Schneedecke zu sehen, das letzten Sommer ein rapsgelbes Rapsfeld war und vorletzten ein wieherndes Haferfeld. Weiter geht meine Erinnerung an diesen Ort nicht zurück.
Im Hintergrund ist der Meldorfer Dom zu sehen. Immer noch fehlt ihm die glänzende Turmspitze. Sie musste wegen Altersschwäche abgenommen und renoviert werden. Jetzt fehlt das Geld, sie dem Turm wie ein Hut wieder aufzusetzen. Und vielleicht ist das gut so. Der Potsdamer Platz in Berlin besteht aus lauter Spitzen, die nicht nur wie Hüte obenauf sitzen, sondern wie Giftpfeile alle Richtungen markieren. Auf einem himmelblauen Banner stechen schneeweiße Buchstaben senkrecht in die Höhe: "Heute ist sowas von gestern." Punkt. Ein vollständiger, wenn auch nicht höflicher, deutscher Satz. Ein kompletter Grammatiksatz mit Punkt rast in den Himmel wie eine Boden-Boden-Rakete.
Über unserem stumpfen Kirchturm kreischt ein Schwarm Wildgänse. Wir haben sie beide gehört und W. hat sie für mich eingefangen.

Sonntag, 3. Januar 2010

Kalenderreform

Von seiner letzten Asienreise brachte mir W. einen Wandkalender für das Jahr 2010 mit.

Früher hatten diese Mitbringselkalender immer ein purpurrotes Deckblatt mit einem goldenen Glückszeichen. Und die Monatstafeln bestanden aus unleserlichen Zeichen. Es war deshalb des Sinologen Aufgabe, jahre-, ja jahrzehntelang, zum Monatsersten den Monatsletzten abzureißen und wegzuwerfen.

Nun wird alles anders. Im Freundschaftskaufhaus des Lufthansa-Kempinski-Centers in Beijing am 3. Nördlichen Ring erstand mein angeheirateter Nachhaltigkeitsspezialist einen Recycling-Kalender. Die zwölf Monate sind auf eine Art "Flugzeugstoff" (= feuer- und frostresistente Synthetik) gedruckt, jeweils zwei Monatsblätter sind am unteren Ende sowie zu beiden seitlichen Seiten unzertrennlich miteinander verbunden. Eine Stoffschlaufe bindet sie oben an einen Kartonbalken. In die Rückseite des Kalenders sind 14 weitere Stoffschlaufen eingefädelt. Ich muss zu jedem Monatsersten etwas aus-, um- und wieder einstöpseln und -fädeln. Ein Zeit- und Fingerspitzengefühl raubender Kalender! Und obendrauf alles chinesisch. Deshalb nahm ich mich erst heute der Sache an. Das Deckblatt (ein Doppelblatt, an drei Seiten verbunden, vorne und hinten bedruckt mit den Symbolen der zwölf Tierkreiszeichen sowie fälschungssicheren, für mich dennoch unentzifferbaren Schriftzeichen) muss abgenommen werden, damit der Januar sich zeigt. Der tiefere Sinn erschließt sich sofort der fertigen Hand: sind Deckblatt und zwei Stoffschlaufen erst einmal ausgefädelt und richtig zusammengefädelt, hat frau einen unkaputtbaren 2010-Einkaufsbeutel in der Hand!

Am ersten März werde ich ihn dennoch dem Müll übergeben. Dann kommt der Januar/Februar-Beutel für zwei Monate an meiner Hand in die Meldorfer Supermärkte. Und am ... der März/April-Beutel ... und ...

Samstag, 2. Januar 2010

Die perfekte Sehnsuchtsbedienmaschine

Zum Mythos MOLESKINE® siehe hier:
http://www.brandeins.de/archiv/magazin/das-marketing-ist-tot-es-lebe-das-marketing/artikel/das-ungeschriebene-buch.html

Die absolute Maulwurfsahnungslosigkeit

Noch etwas habe ich erfolgreich ins Neue Jahr hinüber gerettet (nebst Ohrenbär-Adventskalender-Rätsel-Preisbuch), das ich nicht mehr aus der Hand geben kann: Maria K.'s Geschenk. Das MOLESKINE® soft cover Wochennotizbuch 2010.

Die Franzosen sagen, der Name des legendären Notizbuches leite sich von ihrer Aussprache [mɔl’skin] der Textilsorte ab, in welche das Buch früher eingeschlagen war. Moleskine, auch Englischleder oder Pilotstoff genannt, ist ein schwerer, robuster Baumwollstoff in Atlasbindung mit hoher Schuss- und geringer Kettdichte [wenn das nicht ein Judithsatz ist - ist es leider nicht, sondern ein Wikipediasatz]. Die Kette besteht meist aus gezwirntem Garn, der Schuss aus weich gedrehtem. Nach dem Weben wird Englischleder im Gegensatz zu Deutschleder linksseitig geschmirgelt und aufgeraut, was ihm eine weiche, an Wildleder oder Samt erinnernde Oberfläche verleiht [dito].

Mein Berliner sagt, mole skine [məʊl skɪn] sei englisch und heiße Maulwurfshaut. Weil der Einband des Notizbuchs schwarz und weich sei.

Ich beschließe - und dies ist der erste gute Vorsatz fürs Neue Jahr! - bei der nächsten Fahrt ans Meer einen Maulwurf aus einem Maulwurfshügel, die sich dort häufen, auszugraben. Seine Haut anzufassen. Und ihn dann wieder seinen Gang gehen zu lassen. Ich weiß nicht, wie sich die Haut eines Maulwurfs anfühlt. Ich bin nicht einmal sicher, ob ein Maulwurf schwarz ist und nicht vielleicht grau? weißgrau? dunkelgrau? graubraun? braunschwarz? braunweiß? hellschwarz? dunkelweiß? Und ich habe keine Ahnung, ob ein Maulwurf eine Haut oder ein Fell hat ...

Ich weiß überhaupt nichts über Maulwürfe.

Freitag, 1. Januar 2010

Happy New Year


Aus Meldorf wünschen wir ein glückliches Neues Jahr!
Bleibt gesund, mit immer warmen Füßen und nie versiegenden Purzelbaumideen!