Die Wattführer führen Wanderer durch das Watt fast das ganze Jahr. In hellen Stunden, wenn die Nordsee den Boden freigibt. Es gibt auch dunkle Stunden, in denen der Wattboden trockenfällt. Ebbe und Flut halten sich nicht an den Lauf der Sonne. In den dunklen Stunden sähen die Wanderer gar nichts. Und es gibt kalte Stunden. Gezeiten scheren sich einen Dreck um Frühling, Sommer, Herbst und Winter und türmen meterhohe Schollen von Presseis aus. Wenn der Wintersturm hilft. Wattwanderfüße verletzten sich daran oder erfrören.
Die Wattwanderer wandern nicht nur, sie bücken sich alle Nase lang. Auch im Hochsommer wird mittlerweile festes Schuhwerk empfohlen. Denn die Bioinvasion der Pazifischen Auster ist nicht mehr zu stoppen.
"Einbürgerungsversuche mit Amerikanischen und Portugiesischen Austern scheiterten", gibt das AWI auf seiner Website bekannt, "erst die aus Japan stammende und zu Kulturzwecken ins Sylter Watt eingeführte Pazifische Auster brachte kommerziellen Erfolg." Nachdem, das muss ergänzt werden, die einheimische Europäische Auster durch rücksichtsloses Überfischen ausgerottet wurde. Man hatte die Pazifische Auster im kalten Norden völlig unterschätzt. Bald schon entstanden starke Wildpopulationen, die sich invasionsartig von der westfriesischen Küste an die ostfriesische ausbreiteten. Seit einigen Jahren treten die Sommergäste an der Wattenmeerküste immer wieder in "verdammt" scharfe Austernschalen. Also: Schuhe schnüren.
Das Wattenmeer sei das "produktivste Ökosystem der Welt", sagt der Wattführer und gräbt einen Wattwurm aus dem Boden. Auf seinem Handteller windet sich der Wurm und sondert eine blassgelbe Flüssigkeit aus - Eiweiß. Damit kleidet er normalerweise die Wände seiner Wohnröhre im Watt aus und verfestigt sie. Auf einer offenen Menschenhand führt die Eiweißausscheidung zu nichts. Irgendwann tropft sie dem Wattführer durch die Finger. Im Watt schluckt der Wurm Sand und Schlick, verdaut das darin verborgene organische Material und presst den Rest als Wollgarnartige Knäuel wieder an die Oberfläche. Vögel oder Fische stellen ihm nach. Wenn sein Hinterteil zu weit ins Freie herausragt und ein spitzer Austerfischerschnabel kreischend zuschnappt, rettet ihn die körpereigene Sollbruchstelle. Der Vogel frisst nur einen Teil des Wurms. Und der Wurm verrichtet weiter seine Tagewerk.
Mindestens einmal im Jahr, sagt der Wattführer, graben die Wattwürmer den gesamten Wattboden komplett um - und kommen doch nie in das Guinness-Buch der Rekorde.
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