Wir sind Weltnaturerbe! Die Dithmarscher Nordseeküste liegt zwischen der holländischen Insel Texel und der Nordspitze Sylts - dem Wattenmeer, das seit heute auf der UNESCO-Liste der weltweit einzigartigen Naturlandschaften steht.
Auf dem Bild (DDP) - Blick aus dem Weltall auf die Meldorfer Bucht.
Südlich von Friedrichskoog ist das Mündungsgebiet der Elbe zu sehen. Hier, 12,5 km vor Cuxhaven, liegt das sogenannte Hamburger Wattenmeer. Diese Enklave der Hansestadt macht etwa 1,5 % der jetzt zum Weltnaturerbe erklärten Gesamtfläche aus - ist aber vom Welterbe ausgenommen. Der Hamburger Senat wollte Anfang 2008 die geplante Elbvertiefung und die damit verbundene bessere Erreichbarkeit des Hamburger Hafens durch eine Welterbebewerbung nicht gefährden. Wie man sich bettet, so liegt man. Auch im Watt.
Wir hingegen sind Welterbe. Unser plattes Land, das Brüllen der Stiere, die Seenebel, die sich an einem stürmischen Sommerabend über die Wiesen legen, als stünde der Weltuntergang am Horizont bereit. Wir sind einzigartig und schützenswert, ein hochsensibles Biotop, angeblich das letzte verbliebene natürliche Großökosystem neben den Alpen. Mit mehr als 10.000 Quadratkilometern ist das deutsch-niederländische Watt das mit Abstand größte Gebiet in Europa, in das der Mensch bisher relativ wenig eingegriffen hat, "eines der größten küstennahen Feuchtgebiete der Erde", wie es in der Begründung heißt, das "der Menschheit" erhalten bleiben soll.
Mit den extremen Bedingungen des Wattenmeers - zweimal täglich Wechsel von einer endlosen Wasserfläche zu einer ebenso endlosen braunen Schlammfläche, hohe Salzkonzentration, im Sommer Bodentemperaturen bis zu 40°, im Winter etliche Frostgrade - kommen nur sehr wenige Organismen zurecht. Auf einem Quadratmeter Watt leben bis zu 50.000 Wattschnecken und Tausende von Schlickkrebsen. Kaum ein Fleck im Watt ist nicht von den Kothaufen der Wattwürmer bedeckt. Die Flut spült zweimal täglich frische Nährstoffe in diesen schlammigen Nordseeküstensaum und die Organismen im Watt sind äußerst produktiv. Wattwürmer wälzen in jedem Hektar zwölfhundert Tonnen Sand im Jahr um. Die Muscheln bilden die „Kläranlage“ des Watts, jede einzelne von ihnen filtriert jede Stunde drei Liter Wasser und holt sich selbst dabei Nährstoffe heraus. Innerhalb von einer bis drei Wochen wälzen die Muscheln so das gesamte Wasser im Watt einmal um.
Das Wattenmeer ist die Heimat für etwa 10.000 Arten von Einzellern, Pflanzen, Pilzen und Tieren - und für mich! Das Wattenmeer ist die Kinderstube von Seehunden und Krabben sowie vieler Nordseefische wie Schollen, Heringe und Seezungen. Das Wattenmeer ist das vogelreichste Gebiet Mitteleuropas. Es ist die Drehscheibe des Vogelzugs von der Arktis über Sibirien bis nach Afrika und bietet rund zehn Millionen Gänsen, Enten, Wattvögeln und Singvögeln aus Skandinavien und Sibirien Energie für den Weiterflug. Eine weitere Million Vögel zieht jedes Jahr im Wattenmeer ihren Nachwuchs groß.
„Die größte Tankstelle Europas“ nennt Hans-Ulrich Rösner von der Naturschutzorganisation WWF in Husum das Wattenmeer und gibt als Beispiel Knutt. Nicht zu verwechseln mit Knut, dem Eisbären aus dem Berliner Zoo. Knutt ist ein amselgroßer Vogel, der im Frühjahr in Mauretanien zu einem 35 Stunden langen Non-Stopp-Flug abhebt und über 4000 Kilometer bis ins Watt fliegt. Er startet in Afrika mit einem Körpergewicht von etwa über 200 Gramm. Wenn er an der Nordsee ankommt, hat er ein Drittel davon verbrannt. In diesem Zustand kann der Vogel nicht weiterfliegen. In drei Wochen verschlingt jeder der 700 000 Knutts, die im Wattenmeer Rast machen, jeweils etwa fünfzehntausend kleine Muscheln. Anfang Juni, wenn die Knutts wieder etwas Fett angefressen haben und ihr Körpergewicht bei etwa 240 Gramm liegt, verlassen sie uns wieder und macht sich auf zum nächsten 4000-Kilometer-Non-Stopp-Flug. Nach Nord-Sibirien.
Eine nordfriesische Besonderheit ist das sogenannte Farbstreifensandwatt vor Amrum und St. Peter-Ording. Es ist eines der ältesten Ökosysteme der Welt und besteht aus Anhäufungen winziger Organismen. Verschiedene Bakterienarten bilden zusammen grüne, purpurrote und schwarze Schichten. In dem Farbstreifensandwatt leben winzige und hoch spezialisierte Muschel- und Ruderfußkrebse, Faden- und Strudelwürmer, sowie Räder- und Wimpertierchen, die nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind. Diese Tierarten gibt es in dieser Zusammensetzung nirgends sonst auf der Welt.
Wir sind Welterbe. Mein Patient bekommt zur Feier des Tages Original Dithmarscher Kohlrabisuppe. Sie schmeckt ihm nicht, aber das ist für einmal Nebensache. Hauptsache, wir sind Weltnaturerbe.
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