Dienstag, 21. Juni 2016

Sommersonnenwende

Der Sommer beginnt um 00:34 MESZ und damit der längste Tag auf der Hallig. Wie die meisten verschlafe auch ich den Beginn. Der Sommeranfang ist immer der Tag der Sommersonnenwende. Die Sommersonnenwende, lese ich, ist astronomisch der Zeitpunkt, "an dem die scheinbare geozentrische ekliptikale Länge der Sonne 90° beträgt." Das soll mal eine einfache Halligschreiberin verstehen! "Scheinbar" weil: unter Berücksichtigung der Aberration und Nutation.
das letzte Licht der Sommer-
sonnenwende über Hooge
Um diese Wörter zu verdauen, laufe ich zum Sonnenuntergang um die Hallig. Im Uhrzeigersinn. Erstmal straks nach Westen. Dem Untergang zu. Das Watt liegt trocken. Der Wind hat sich beruhigt. Es ist heiß, wie noch nie. Ich ziehe alles aus, was ich ausziehen kann. Schlage einen strammen Schritt ein. Mache zwei Pinkelpausen und ein paar Fotopausen (ha!) im Westen. Eine Mülleimerpause, um eingesammelte Luftballons zu entsorgen. Keine Trink- und keine Esspausen. Nach Sonnenuntergang wird es kalt. Ich ziehe mich zitternd wieder an. Die Vögel attackieren mich trotzdem. Ich drohe ihnen mit meinen Stock. Der beeindruckt sie nicht. Ich bin ein Eindringling und muss vertrieben werden. Es ist angenehmer, in den Tag zu laufen als in die Nacht. Ganz großes Pathos. Das Licht ist freundlicher als die Finsternis. Wen wundert's. Diese Nacht wird nicht klar. Am Himmel ziehen sich schwarze Wolken zusammen. Die schwindende Helligkeit hinterlässt ein diffuses Grau. Das Grauen. Nicht am Morgen, sondern am Abend. Der Mond zeigt sich für ein paar Sekunden feuerrot (angeblich erdbeerrot) in einer Wolkenlücke, als ich das Landsende nach zweieinhalb Stunden wieder erreiche. Ich nehme es als Belohnung dafür, dass ich die Bedrohung durch den Lichtverlust ertragen habe. Das Unsichere unter freiem Himmel. Das Düstere an den Salzwiesen. Obwohl ich mittlerweile jeden Halm auf der Hallig kenne, bin ich vor Fehltritten keineswegs gefeit. Ich steige glücklich auf mein Fahrrad und eile auf die Warft.

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