Samstag, 6. April 2013

Der Fresshorizont

Salopp gesagt ist das Nahrungsangebot für die Knutts in Nordfriesland "slow food" - Wattschnecken, harte Schale, weicher Kern. In Dithmarschen hingegen, in der Meldorfer Bucht stoßen die Knutts auf "fast food" - Baltische Tellmuscheln, weiche Schale, hochwertiger Kern.
Die Knuttforscher haben herausgefunden, dass die Knutts in Nordfriesland pro Quadratmeter fünf mal mehr Beutetiere finden als in Dithmarschen, deren Fleischgehalt zudem im Durchschnitt vier mal höher ist. Trotzdem werden die afrosibirischen Knutts in der Meldorfer Buch schneller fett als die nearktischen in Nordfriesland.
Die nearktischen Knutts kommen früher. Die Baltische Tellmuschel siedelt bevorzugt in Wattgebieten mit feinen, nicht schlicken Sedimenten, wie sie in meiner Meldorfer Bucht vorkommen. Hier verkriechen sie sich im Winter tief in den Wattboden und überleben so auch den härtesten Frost. Die nearktischen Knutts erreichen mit ihren kurzen Schnäbeln die Baltischen Tellmuscheln im März noch nicht. Erst im Mai, wenn es wärmer ist, gelangt die Tellmuschel wieder in den Fresshorizont der Knutts. Bis dahin wären die nearktischen Knutts in der Meldorfer Bucht längst verhungert. Deshalb rasten sie in Nordfriesland, wo sie bereits im frühen Frühjahr einen reich gedeckten Tisch vorfinden, allerdings mit harten, unverdaulichen Schalen, die den Weg durch ihren Verdauungsapparat nehmen müssen.
Würden die afrosibirischen Knutts hingegen im Mai in Nordfriesland rasten, könnten sie nicht mehr erfolgreich in Sibirien brüten. Sie verlören zu viel Zeit mit dem Knacken harter Schalen. In der Meldorfer Bucht bauen sie ihre Fettreserven für den Non-Stop-Weiterflug viel schneller auf. Und vor meiner Haustür können sie die Großwetterlage besser einschätzen. Sie erreichen ihr Ziel an der sibirischen Eismeerküste nur heil mit Rückenwind.

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