Andrzej Stasiuk schreibt in der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza: "Pisarz jest kłamcą, chociaż jemu samemu może się wydawać, że pisze prawdę. Pisze się zawsze we własnej sprawie, a nie w imię prawdy." In den deutschen Medien wird prompt nur der erste Satz zitiert und übersetzt: "Ein Schriftsteller ist ein Lügner, auch wenn es ihm scheint, dass er die Wahrheit schreibt." Ich liefere hier den zweiten Satz nach: "Man schreibt immer in eigener Sache und nicht im Namen der Wahrheit."
Dieses verallgemeinernde "man schreibt" ("pisze się") würde ich Herrn Stasiuk übel nehmen, wenn dies meine Sache wäre. Aber es ist nicht meine Sache. Sondern es ist Sache der Polen, wie sie ihr Selbstverständnis in die Welt tragen.
Ein Streit ist entbrannt um den Mythos des polnischen "rasenden Reporters", Ryszard Kapuściński. Die Polen huldigten ihm jahrzehntelang mehr als einem König oder Kaiser und viele waren enttäuscht, als er vor drei Jahren im Alter von erst 74 Jahren starb - mit dem Tod erlosch nämlich sein nach Ansicht seiner Landsleute berechtigter Anspruch auf den Literaturnobelpreis.
Wer zur Zeit des kalten Krieges hinter dem Eisernen Vorhang soviele offensichtliche Freiheiten (unbeschränktes Reisen, unbeschränktes Schreiben, unbeschränktes Veröffentlichen) genoss wie Kapuściński, musste sich dafür bei den Mächtigen hinter diesem Vorhang in irgendeiner Form erkenntlich zeigen. Dies ist weder neu noch ein Geheimnis. Viele der vermeintlichen Nationalhelden trugen dem Geheimdienst Informationen zu. Diese Erkenntnis mussten mittlerweile viele Polen schlucken. Ob sie auch verdaut sind, bleibt fraglich. Nun wirbelt eine neue Biografie mit einem polnischen Titel, den man praktischerweise nicht übersetzen muss, nämlich: "Kapuściński non-fiction", noch vor Erscheinen soviel Staub auf, dass jeder glaubt, seinen Senf dazu geben zu müssen. Sogar die Deutsche Presse. Oder der Übersetzer Kapuścińskis ins Deutsche. Man(n) ist plötzlich hellauf empört darüber, dass offen gelegt wird, wie wenig begabt Kapuściński als IM funktionierte und wie oft er in seinen Reportagen lügt.
Wen wunderts heute, dass Kapuściński eitel war und in seinen Texten Begegnungen mit historischen Persönlichkeiten erfand? Wen wunderts heute, dass Kapuściński schlau war und in seinen Texten das Schicksal des eigenen Vaters ins politisch angebrachte Licht rückte? Wen wunderts heute, dass Kapuściński manipulierte und in seinen Texten die eigene Rolle in der Weltgeschichte feinschliff? Wen wunderts heute, dass Kapuściński kalkulierte und mit seinen Texten die ganze Nation ein halbes Jahrhundert lang an der Nase herumführte. Wen wundert das heute?
Statt den eigenen Verstand einzuschalten und die eigene Wahrnehmung zu schärfen, will nun Andrzej Stasiuk das besondere Recht eines Schriftstellers, Reporters und Journalisten auf die Lüge im moralischen Gewissen seiner katholischen Landsleute verankern.
Jeder, der lügt, lügt in eigener Sache.
Hier ist Stasiuks Manifest in Polnisch nachzulesen: http://wyborcza.pl/1,76842,7615303,Stasiuk__A_jesliby_nawet_to_wszystko_zmyslil.html
Und hier kann die vollständige polnische Kapuścińskiade verfolgt werden:
http://wyborcza.pl/kapuscinski/0,104742.html
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